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Keine Zukunft ohne Kampf!

Interview mit Mathias Fritz, Betriebsrat und Vertrauenskörperleitung bei Mahle in Stuttgart, Neue Internationale 91, Juni 2004

Neue Internationale (NI): Abbau von 300 Arbeitsplätzen in Stuttgart, hunderte von Entlassungen und gestiegene Gewinne bei Mahle, wie passt das zusammen?

Mathias Fritz (MF): Gegenüber der Belegschaft und dem Betriebsrat argumentiert die Geschäftsführung, dass die Gewinne außerhalb Deutschlands gemacht, hier aber Verluste anfallen würden. Wie üblich werden auch die hohen Lohnkosten ins Feld geführt. Von Seiten des Betriebsrates ziehen wir einige der vorgelegten Zahlen in Zweifel. So gibt es an vielen Ecken keine klare Trennung, ob das, was hier in der Konzernzentrale geleistet wird, den inländischen Werken oder dem gesamten Konzern zugute kommt. Trotz steuerlicher Vorgaben hat ein multinationaler Konzern viele Möglichkeiten zu gestalten, wo Gewinne und Verluste anfallen. Wir verlangen, dass hier die nötigen Zahlen offen gelegt werden.

NI: Viele Firmen drohen mit Verlagerung, aber nicht alle handeln entsprechend. Wie real ist die Gefahr, dass tatsächlich Arbeitsplätze verlagert werden?

MF: Tatsächlich wurde schon Produktion verlagert. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, die Globalisierung bestehe nur aus der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer. Mahle hat auch in den Firmen, die im Ausland aufgekauft wurden, heftig entlassen. Durch die Einführung modernster Technologie gab es unglaubliche Produktivitätssprünge. Auch in Mexiko oder Brasilien wird den ArbeiterInnen mit Verlagerung gedroht, es gibt immer irgend ein Land, in dem die Löhne niedriger sind oder die Rechte der Beschäftigten geringer.

NI: Habt ihr vom Betriebsrat Kontakte zu den Werken im Ausland?

MF: Für die EU-Länder gibt es ja einen Europäischen Betriebsrat. Dieser hat zwar wenig Rechte gegenüber der Konzernführung, aber es ist sehr wichtig zu wissen, was in den anderen Ländern vor sich geht, was das Unternehmen dort treibt und wie die sozialen Verhältnisse dort überhaupt sind. Außerhalb der EU sind die Kontakte unterschiedlich. Einen schönen Erfolg hatten wir aber in der Zusammenarbeit mit den KollegInnen in Brasilien.

Dort waren im letzten Herbst drei Arbeiter entlassen worden, weil sie Ausschuss produziert hatten, und anschließend die gewerkschaftliche Fabrikkommission, weil sie einen achttägigen Streik dagegen organisiert hatte. Dagegen haben Euro-Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat protestiert und Beschäftigte von Mercedes in Sao Paolo haben gedroht, keine Mahle-Kolben mehr einzubauen. In Stuttgart haben wir das Thema auf die Betriebsversammlung gebracht und Vertrauensleute haben Unterschriften unter eine Solidaritätserklärung gesammelt. Letztlich konnten alle Entlassenen wieder zurückkehren.

Das zeigt mir, dass Solidarität international funktionieren kann und dass da noch viel mehr drin liegt.

NI: Ist die Drohung mit Verlagerung damit schon vom Tisch?

MF: Nein, natürlich nicht. Wir werden auch damit erpresst, dass mehr Arbeiten an andere Firmen vergeben werden sollen oder dass sie in Werke innerhalb Deutschlands verlagert werden sollen. Die Geschäftsleitung hat angekündigt, dass sie für 500 Leute in "Dienstleistungsbereichen" aus dem IGM-Flächentarif aussteigen will und einen abgesenkten Tarif möchte. Der Arbeitsdirektor hat in der Zeitung verkündet, er will die 40 Stunden Woche und die verlängerte Arbeitszeit nur den Ingenieuren bezahlen. So was macht keiner freiwillig, das geht nur über Erpressung.

Diese Angriffe sind nicht nur eine Zumutung für uns Beschäftigte. Jede Entlassung und jede Stunde längere Arbeitszeit erhöht die Arbeitslosigkeit und belastet die Sozialsysteme mehr. Da kann die Regierung noch mehr Hartz-Gesetze basteln und die Arbeitslosen auspeitschen lassen, die Unternehmensleitungen bereiten - nicht nur bei uns - einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit vor. Als Vertrauensleute bei Mahle haben wir diese Gesetze von Anfang an abgelehnt, im Betrieb darüber aufgeklärt und unseren Protest auch öffentlich gemacht.

Es gab in der Tarifrunde drei Warnstreiks in verschiedenen Bereichen, mit denen wir gegen die Arbeitszeitverlängerung protestiert haben, aber auch die Agenda 2010 zum Thema gemacht haben.

NI: Wie geht es jetzt bei euch weiter?

MF: Die Belegschaft ist sehr angespannt. Auf der letzten Betriebsversammlung waren sehr viele Angestellte, die sich bisher als geschützt angesehen haben. Es gibt viele Diskussionen um die Frage, was wir erreichen können. Manche hoffen noch, dass alles nicht so schlimm kommt. Die Geschäftsführung hat dagegen einen ganz harten Standpunkt verkündet und ihre Entschlossenheit, ihre Pläne durchzuziehen. Sie will keine Kompromisse eingehen.

Gegenüber den Beschäftigten in anderen Werken hat sie das auch bisher so durchgezogen. In Stuttgart haben wir dagegen einen ersten kleinen Erfolg. Es sollten für nächstes Jahr keine Mechaniker-Azubis mehr eingestellt werden, das wurde zurückgenommen. Die Azubis hatten auf der Betriebssammlung protestiert und gemeinsam mit Azubis aus anderen Mahle-Werken und anderen Stuttgarter Betrieben während einer Info-Stunde öffentlich eine Aktion durchgeführt.

NI: So wie du die Lage schilderst - glaubst du, dass Protestaktionen reichen, um die Kapitalisten letztlich zu stoppen? Wäre nicht ein Streik nötig?

MF: Ein Streik ist sicher am effektivsten. Die Globalisierung macht es den Unternehmern leicht, mit Verlagerung zu drohen. Aber andererseits ist die Automobilproduktion heute weltweit so vernetzt, dass ein echter Streik enorme Wirkungen hätte. Es sind ja auch überall dritte Schichten und verstärkt Samstagsarbeit eingeführt worden, so dass es kurzfristig gar nicht so einfach ist, die Arbeit zu verlagern.

Aber ein Streik ist kein Kinderfasching. Die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen muss dahinter stehen. Es müssten zumindest alle betroffenen Werke an einem Strang ziehen und die anderen sich solidarisch verhalten. Dafür ist einiges an Vorarbeit nötig.

Ich finde es typisch, was bei Otis in Stadthagen passiert ist. Auf die Drohung mit Verlagerung war die Belegschaft bereit, länger und unbezahlt zu arbeiten. Jetzt wird der Laden trotzdem dicht gemacht, jetzt streiken sie. Aber jetzt geht es nur noch um den Sozialplan, nicht mehr um die Verteidigung der Arbeitsplätze. Natürlich verdienen die Kollegen auch jetzt unsere Solidarität, aber man muss auch sagen, dass sie jetzt in einer schlechteren Position sind. Das zeigt uns, dass wir schon auf die ersten Erpressungsversuche mit Kampf regieren müssen, dass sich Nachgeben nicht auszahlt.

Für einen Streik wäre auch die Unterstützung der Gewerkschaft und der Öffentlichkeit nötig. Das halte ich eigentlich für möglich und nötig in einer Zeit, wo wir einem gemeinsamen Angriff der Unternehmer, der Regierung und der Opposition gegenüberstehen. Wenn die Unternehmer - wie auch unsere Geschäftsführung - die Tarifverträge weiterhin in Frage stellen und brechen wollen, dann gilt auch das Argument der Friedenspflicht nicht. Von Frieden kann im Betrieb derzeit sowieso nicht die Rede sein.

Im November standen 2500 Mahle-Leute aus 12 Werken vor der Konzern-Zentrale, um gegen den Abbau zu protestieren. Zeitweise lief der Verkehr auf der B10 nicht mehr. Die Sprecher der Betriebsräte und der IG Metall haben angekündigt, wieder zu kommen. Seitdem sind neue Angriffe erfolgt. Wir werden wieder kommen und unserer Aktionen verstärken - im Betrieb und in der Öffentlichkeit.

Hintergrund

Mahle und Globalisierung

Frederik Haber, Neue Internationale 91, Juni 2004

Kaum ein neues Auto verlässt heute eine Werkhalle ohne Mahle-Komponenten: Neben Kolben, bei denen Mahle Weltmarktführer ist, werden unter anderem Filter für Kraftstoffe oder Luft sowie Pleuel (Schubstangen) und Ventile hergestellt. Durch Zukäufe und Produktionsverlagerungen ist in den letzten Jahren ein transnationales Unternehmen entstanden, das in über 20 Länder auf vier Kontinenten dort produziert, wo auch Automobilfirmen angesiedelt sind. Aufgekauft wurden einerseits mittelständische Betriebe und andererseits Werke von Auto-Konzernen wie DaimlerChrysler (Ventile), BMW (Nockenwellen) oder Nissan (Filter). Auch auf der diesjährigen Bilanzpressekonferenz kündigte Konzernchef Junker neue Zukäufe an.

Die Automobilindustrie hat eine Reorganisation erlebt. Die Herstellung vieler Komponenten wurde und wird ausgegliedert. Jüngste Beispiele sind der Verkauf der Lenk-Systeme von DaimlerChrysler an Thyssen-Krupp und der US-Getriebetochter an Magna.

General Motors und Ford haben auf eine Salamitaktik verzichtet und mit Visteon und Delphi gleich zwei neue Zuliefergiganten geschaffen, die zusammen mit Bosch die drei größten weltweit sind. Das freigesetzte Kapital setzen die Autokonzerne ein, um andere Endhersteller zu schlucken: Daimler holte Chrysler, Ford holte Volvo, GM holte Saab und ist an Fiat dran. Die Zahl der Auto-Firmen reduziert sich dramatisch, die Überlebenden werden immer mächtiger.

Unter den Zulieferfirmen findet der gleiche Konzentrationsprozess statt: einerseits angetrieben von den Ausgliederungen der Endhersteller, andererseits von einer erbitterten Konkurrenz unter den Zulieferern. So teilen sich nur drei Unternehmen den Weltmarkt für Kolben.

Dennoch haben die Endhersteller ein deutliches Übergewicht: Sie setzen die Zulieferer bei den Preisen enorm unter Druck. Sie können es sich leisten, pauschale Preisreduktionen von 5 oder 10 % zu verkünden. Für 2003 hat DaimlerChrysler dies sogar rückwirkend verlangt. Die Entwicklungskosten werden immer mehr auf die Zulieferer verlagert, die ihre Produktions- und Wirtschaftszahlen gegenüber den Autokonzernen offen legen müssen. Man könnte es so formulieren: Die großen Monopolisten wollen an den Autos nur 10% selbst machen, aber 30% des Profits einsacken.

Sehr deutlich spüren das die "verkauften" Belegschaften: Sie werden nach einer gewissen Anpassungszeit gezwungen, die übertariflichen Zulagen und höheren Eingruppierungen, die in den Autokonzernen üblich waren, aufzugeben und werden mit Entlassungen und Verlagerungen konfrontiert.

Bei Mahle ist davon das Ventil Werk Bad Homburg (ehemals DaimlerChrysler) betroffen, für das ebenso wie für drei andere Standorte ein Sozialplan abgeschlossen wurde. 1000 Beschäftigte sollen bis 2005 in den deutschen Werken ihren Arbeitsplatz verlieren. Dabei sind die Kapazitäten gut ausgelastet und der Netto-Gewinn des Konzern ist um 17% gestiegen.

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Nr. 91, Juni 2004

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