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Spanien

Das neue Griechenland

Andy Yorke, Neue Internationale 173, Oktober 2012

Spanien ist das neue Griechenland, das nächste Land, das der Spekulation mit Staatsanleihen und den Konditionen des Europäischen „Rettungspakts“ zum Opfer fallen soll. Die Banken sind mit „toxischen Papieren“ im Wert von rund 184 Milliarden Euro aus Immobiliengeschäften belastet. Seit dem zweiten Absturz in die Rezession im letzten Herbst musste Premierminister Mariano Rajoy bei den europäischen Finanzministern um 100 Mrd. Euro bitten.

Kürzungsprogramm

Der Preis dafür beinhaltet - wie immer - ein Kürzungsprogramm aus Mehrwertsteuererhöhungen, Beschneidung des Arbeitslosengeldes, Kürzung des Lohns im Öffentlichen Dienst und Angriffen auf die Gewerkschaften. So wie es aussieht, wird es in Zukunft noch schlimmer werden.

Auch Spaniens Regionalregierungen sind auch bankrott. Katalonien, Murcia und Valencia mussten schon um Zuschüsse in Höhe von 8,8 Mrd. Euro ersuchen.

Eine Reihe von Sparpaketen hat auch die Wirtschaft noch tiefer in die Rezession getrieben.

Spanien liegt jetzt mit 27 Prozent Arbeitslosigkeit an der Spitze der Eurozone.  Mit 53 Prozent ist die Jugendarbeitslosigkeit noch höher als in Griechenland. Nach vier Jahren einer nahezu konstanten Rezession, lebt jeder Fünfte (21,8%)  unter der Armutsgrenze. Nach dem letzten Bericht der Caritas drohen weitere 11 Millionen unter diese Grenze zu fallen. Über eine halbe Million haben keinerlei Einkommen, keine Löhne, Renten oder Sozialleistungen - nichts. Zehntausende wurden aus ihren Häusern vertrieben.

Aber die spanischen ArbeiterInnen und Jugendliche haben mit massiven Besetzungen von Plätzen und von Institutionen reagiert, die von Schließung bedroht sind. Mit militanten Aktionen gegen die am schwersten betroffenen Bereiche sorgten sie für einen heißen Sommer. Die BergarbeiterInnen und LandarbeiterInnen standen dabei an der Spitze dieser Kämpfe.

Kampf der Bergarbeiter

Die Minister haben die Schließung von mehreren Zechen beschlossen. Die Bergbausubventionen sollen sofort um 60 Prozent gekürzt werden. Das ist zwar nur ein Bruchteil dessen, was für die „Bankenrettung“ verbraten wurde - aber diese Pläne bedrohen allein in Asturien, dem Zentrum des spanischen Bergbaus, 40 Minen. Die Entlassung von 8.000 Bergarbeitern hätte verheerende Folgen für die Industrie und die Beschäftigung der gesamten Region.

In Mai haben das Bündnis der Hauptgewerkschaften CCOO und UGT zu Streiks aufgerufen, die sich zu einem allgemeinen Streik ab den 1. Juni entwickelten. Für Wochen hatten die Bergarbeiter die Schächte besetzt und Straßen, Autobahnen und Gleise blockiert. Um ihre Aktionen vor den Angriffen der Polizei zu schützen, setzten sie brennende Barrikaden und selbstgebaute Raketenwerfer ein. Am 18. Juni wurde zum Generalstreik in den Bergbaugebieten von Asturias, Leon und Palencia aufgerufen. Die Kumpel wurden von anderen ArbeiterInnen unterstützt, welche die ganze Region lahm legten. Die Sympathie der Öffentlichkeit galt den Bergarbeitern - nicht der Regierung.

Der „schwarze Marsch“ der Bergarbeiter endete am 10. Juli mit einer großen Solidaritätsdemonstration, die von Polizei mit Gummigeschossen angegriffen wurde. Doch die Bergarbeiter wurden letztendlich von ihren eigenen Gewerkschaftsbossen verraten, die den wochenlangen Streik ohne Ergebnis, ohne Sieg einfach abgeblasen hatten. Aber die Erfahrungen der ArbeiterInnenbasis mit Eigeninitiative und militanten Aktionen bleiben.

Andalusien

Im August übernahmen die LandarbeiterInnen in Andalusien, der südlichsten Region Spaniens, die Initiative und besetzten das Anwesen des Herzogs von Segorbe. Angeführt vom linken Bürgermeister der Stadt Marinelda, Sanchez Gordillo, sind sie dazu übergegangen, unbenutztes Land vom Militär oder der Regionalregierung zu besetzen und die Supermärkte zu plündern, um die Hungrigen zu versorgen.

Diego Canamero, der Vorsitzende der Andalusischen Arbeiterunion, erklärte, dass die europäischen Subventionen an Großgrundbesitzer bezahlt wurden, auch wenn sie nichts ernteten, denn die Bezahlung richtet sich nach der Landgröße und nicht nach der Produktivität. „Es besteht kein Grund für die ohnedies schon reichen Landbesitzer, irgend etwas anzubauen“, während bis zu einem Drittel der ArbeiterInnen einer der ärmsten Regionen Spaniens arbeitslos ist. Die ArbeiterInnen wollen dieses Land als kollektives Agrar-Anbaugebiet nutzen.

Die parlamentarische Linke

Trotz massiver Proteste bleiben Spaniens Sozialisten, die PSOE, weiter wenig populär. Meinungsumfragen zeigen, dass sie weit hinter Rajoy´s konservativer Volkspartei PPP stehen (37 zu 23 Prozent). Das ist auch kein Wunder angesichts der Tatsache, dass die PSOE zwischen Mai 2010 und dem Wahldebakel im Dezember 2011 eine ganze Reihe von Kürzungen durchgesetzt hatte. Zur gleichen Zeit ist die „Vereinigte Linke“ - mit der ehemaligen KP im Mittelpunkt - laut Umfragen von 8,9% in Februar auf 13,2 diesen Sommer gestiegen. Aber das soll nicht über darüber hinwegtäuschen, dass auch die „Vereinigte Linke“ alles andere als eine konsequente Alternative zur PSOE darstellt. In Andalusien ist sie selbst Teil der Regierungskoalition, die weiter die Interessen der Kapitalisten und Großgrundbesitzer verteidigt.

Kein Wunder also, dass sich unter den gegenwärtigen katastrophalen Bedingungen die nationalistische Rechte als unnachgiebige Opposition gegen den Sparkurs und die eisernen Diktate der EU zu profilieren versucht und an Popularität zulegt.

Aber Wahlen, so kritisch sie auch sein mögen in solchen entscheidenden Momenten wie in Griechenland im Mai und Juni, sind auch eine Reflexion des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen. Dies zeigt sich auf dem Schlachtfeld des Klassenkampfes in verschiedenen Formen: Streiks, Besetzungen, Märsche und Demonstrationen einschließlich der Fähigkeit und Bereitschaft, gegen den Staat und seine paramilitärischen Schlägertruppen der Guardia Civil, ein lebendiges Erbe der Franco-Diktator, zu kämpfen.

Zuspitzung

In den letzten Wochen haben sich die Kämpfe weiter zugespitzt. Am 15. und am 25. September gingen Hunderttausende auf die Straßen. Mehrmals versuchten DemonstratInnen, in Madrid das Parlament zu belagern und die Absperrungen, hinter denen Abgeordneten gerade über die nächsten Sparpakete verhandelten, zu durchbrechen.

Der Staat ließ mit seiner Reaktion nicht warten. Friedliche DemonstrantInnen wurden von den Bullen brutal zusammengeschlagen - und von den reaktionären PolitikerInnen und bürgerlichen Medien des „Putschismus“ bezichtigt.

Die Hetze und brutale Repression zeigt freilich auch, dass die Regierung alles andere als sicher im Sattel sitzt. Wenn sich diese Kämpfe verstärken, könnte sich Rajoy mit dem Rücken zur Wand befinden. Doch das erfordert landesweite Streiks gegen alle Kürzungen, die in einem Generalstreik zum Sturz von Rajoy, gegen alle Sparmaßnahmen der Bundes- und Regionalregierungen münden. Um dies zu erreichen - gegen die Blockade der Gewerkschaftsbürokraten und der reformistischen Linken - sowie gegen den Widerstand der Rechten durchzusetzen, bedarf es des Aufbaus von Aktionskomitees, welche die ArbeiterInnen, die Jugend und die Armen mobilisieren, um durch Betriebsbesetzungen die Entlassungen zu stoppen, die Betriebe zu enteignen und unter Arbeiterkontrolle weiterzuführen.

Der einzige Weg aus der sozialen Krise und der vernichtenden Schuldenlast in Griechenland, Spanien u.a. Ländern ist der Kampf für eine Alternative zum Kapitalismus, der dieses Elend produziert. Und das heißt Kampf für den Sozialismus - nicht weniger!

Um diese Strategie zu entwickeln und in der Massenbewegung zu verankern,  bedarf es einer neue Partei, bestehend aus den kämpferischsten Elementen, die den Widerstand zu einer Revolution führen kann, die für die Schaffung einer Regierung der ArbeiterInnen und Kleinbauern und eine demokratische Planwirtschaft eintritt, welche die Bedürfnisse der 99% und nicht die Gier der 1%  erfüllt.

Eurozonen-Bürokraten und Zentralbanker sind versessen darauf, die Krise auf Kosten der Lohnabhängigen, ihrer Einkommen, Arbeitsplätze und sozialer Errungenschaften zu lösen. Deshalb müssen auch wir unsere Kräfte in Europa vereinigen. Es ist höchste Zeit, in diesem Herbst europaweit Solidarität und Koordinierung der Kämpfe aufzubauen!

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Nr. 173, Oktober 2012
*  Europa: Ein heißer Herbst
*  Spanien: Das neue Griechenland
*  Veranstaltungsbericht: Solidarität mit Griechenland
*  Nachlese zu UmFAIRteilen: Vom Herbstlüftchen zum Winterschlaf?
*  Autoindustrie: Comeback der Krise
*  SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: Merkel-Flüsterer
*  Gewerkschaftslinke: Holpriger Neustart
*  Soziale Lage: Perspektive Armut
*  NAO: Eine neue Chance
*  Syrien: Warum ich mich dem Aufstand anschloss
*  Wahlen in Venezuela: Chavez wählen?
*  Heile Welt
*  Rassismus: Wider Islamhetze und religiöse Doppelmoral