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Europa

Deutsches Kapital regiert

Tobi Hansen, Neue Internationale, April 2012

Seit Ausbruch der Euro-Krise wird in den Medien immer öfter über die Rolle deutscher Konzerne in der EU berichtet, besonders die „Handelsbilanz“ ist dabei ein häufig benutzter Begriff.

Die EU ist der wichtigste Absatzmarkt für das deutsche Kapital, hier werden Überschüsse realisiert, hier schöpft das DAX-Kapital Extraprofit ab. Gegenüber allen anderen europäischen Kapitalen ist das BRD-Kapital im Vorteil: es verkauft auf deren Märkten mehr Waren, als diese in der BRD. Diese Position wurde während der Krise noch ausgebaut. Trotz des an China verloren Titels als „Exportweltmeister“ wachsen die BRD-Exporte weiter.

Beim Statistischen Bundesamt finden wir auch eine Rangliste der Handelsbilanzüberschüsse. Hier einige Highlights daraus.

Gegenüber dem strategischen Partner Frankreich wurde 2011 ein Überschuss von 35 Mrd. Euro erwirtschaftet. Von den EU-Staaten folgen dann Großbritannien und Österreich mit jeweils ca. 20 Milliarden, danach kommen Italien (13,8 Milliarden), Spanien (12,4), Polen (11), Belgien und Schweden mit rangieren mit 8 Milliarden im oberen Drittel.

Im „Mittelfeld“ der Überschüsse finden wir Griechenland mit über 3 Milliarden sowie Dänemark und Portugal mit über 2 Milliarden Euro.

Exportkapital

Diese Stellung des Exportkapitals ist das Rückgrat des deutschen Imperialismus. Die EU-Bürokratie und die EZB dienen dazu, diese Produktivität des deutschen Industriekapitals und die damit einhergehende Schwächung oder Ausschaltung der Konkurrenz auf den EU-Märkten zu sichern.

Besonders die aktuelle Schuldenkrise in Südeuropa offenbart das Dilemma der EU. Nach der Finanzkrise stiegen überall die Staatsschulden, so dass diese ein gefundenes Spekulationsobjekt für den Finanzmarkt wurden. Die Zahlungsunfähigkeit bedroht mehrere Staaten und den gesamten Euro-Raum.

Speziell das deutsche Exportkapital ist aber abhängig von solventen EU-Staaten, denn diese bezahlen oft die Großaufträge für die Topkonzerne. Wenn etwa eine neue Energie-Infrastruktur in Griechenland oder Italien von deutschen Konsortien gebaut wird, brauchen die Konzerne einen, der die Rechnung begleicht, damit für sie die Profite stimmen.

So ist es auch im Bereich Militärtechnik, wo die BRD in den letzten Jahren zur Nr. 3 weltweit aufgestiegen ist. Besonders in der EU wurden die Marktanteile ausgebaut. Auch damit EADS, Rheinmetall, Wegmann und Co. ihre „Eurofighter“, Panzer und U-Boote z.B. an Griechenland  ausliefern können, sind derzeit neue „Hilfs“-Kredite notwendig. Griechenlands Ex-Ministerpräsident Papandreou kam angesichts der Verschuldung auf die Idee, diese Militärkäufe zu stoppen, was jedoch am Veto von Merkel und Sarkozy scheiterte - schließlich liefern beide Staaten an Griechenland bis 2015 Militärgüter für mehrere Milliarden Euro.

In Italien ist die BRD größter Exporteur mit 17%, in Spanien mit 15%, in Portugal die Nr. 2 mit 14% Marktanteil. Wenn diese Märkte nicht mehr zahlungsfähig sind, dann brechen für das deutsche Exportkapital wichtige Stützen ihrer ökonomischen Vorherrschaft weg. Nicht verwunderlich sind daher die beiden technokratischen Coups von Athen und Rom, wo neue Regierungen von Gnaden der Troika aus EU, EZB und IWF installiert wurden, um neue Sparangriffe und Privatisierungen konsequent umzusetzen. Gerade bei den Privatisierungen in Griechenland stehen deutsche Konzerne in der ersten Reihe, wie bei der noch halbstaatlichen OTE, bei der die Telekom jetzt die Mehrheit übernommen hat, oder beim Athener Großflughafen, bei dem jetzt Fraport die staatlichen Anteile von 55% übernehmen soll, 40% der Anteile gehören schon dem Baukonzern HochTief.

Deutschland und Griechenland

Griechenland in der EU-Gesamtrechnung nur ein kleiner Markt. Sein Anteil am EU-BIP mit ca. 18 Billionen US-Dollar ist mit einem BIP von 312 Milliarden $ (2011) sehr gering. Ein Zusammenbruch Griechenlands hätte aber trotzdem Konsequenzen für die gesamte EU und den Finanzmarkt - schon deshalb, weil sich die Spekulanten und Gläubiger nach anderen Opfern umschauen würden.

Das hochverschuldete Griechenland, dessen Schulden v.a. seit den „Rettungspaketen“ der EU enorm gestiegen sind, weist ein jährliches Handelsbilanzdefizit von 3 Milliarden Euro gegenüber der BRD auf. Bislang sind es überwiegend industrielle Endprodukte, mit denen das BRD-Kapital im griechischen Markt dominiert: Pharmazie, Energie, Maschinen und Verkehr mit einem Marktanteil von 70%, gefolgt von Lebens- und Genussmitteln mit 14%. Die Bereiche der industriellen Produktion bilden auch den Schwerpunkt der griechischen Importe: Maschinen/Fahrzeuge 29% , Brennstoffe/technische Öle 18%, Chemie 15% - also Bereiche, in denen das BRD-Kapital dominant ist.

Bei Import und Export ist die BRD, dicht gefolgt von Italien, die Nr. 1 in Griechenland. Der bilaterale Handel erreicht inzwischen 11 Mrd. Euro. Seit fast hundert Jahren ist Deutschland mit 20-25% der Ausfuhren der wichtigste Absatzmarkt für griechische Produkte. Auch wenn die deutschen Lieferungen nach Griechenland etwa doppelt so hoch liegen wie griechischen Exporte nach Deutschland, so ist die bilaterale Leistungsbilanz ausgeglichen bzw. weist traditionellen einen wesentlichen Überschuss zugunsten Griechenlands aus. Maßgeblich hierfür sind die Transfers aus Deutschland Richtung Griechenland in anderen Sektoren wie dem Tourismus, durch  Überweisungen der in Deutschland lebenden GriechInnen oder deutsche Kapitalanlagen.

Kapitalengagement

Obgleich in Griechenland seit mehreren Jahren keine offiziellen Zahlen über das ausländisches Kapitalengagement veröffentlicht worden sind, ist davon auszugehen, dass Deutschland mit seinem 140-150 Firmenbeteiligungen in diesem Land der wichtigste ausländische Investor ist. Deutsche Firmen unterhalten bis zu 12.000 Arbeitsplätze in Griechenland.

Das deutsche Kapitalengagement hat inzwischen die Zwei-Milliarden-Euro-Grenze überschritten und liegt damit wesentlich höher als die deutschen Investitionen in der Türkei. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man berücksichtigt, dass der türkische Markt wesentlich größer ist. Deutsche Unternehmen habe in Griechenland bedeutende Infrastrukturprojekte realisiert. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der neue Athener Flughafen, die Athener U-Bahn, der Bau von Straßentunneln sowie von Krankenhäusern, Energieversorgungsanlagen, Anlagen zur Lagerung und Verteilung von Flüssiggas und Vorhaben bei Programmen im Rahmen der Verteidigung. Deutsche Unternehmen sind - in Zusammenarbeit mit griechischen Firmen - also in vielen Bereichen federführend.

Demnächst werden die staatlichen Häfen und die Energieversorgung vor der Zerschlagung stehen. Passenderweise ist jetzt auch die Deutsche Bank für die Regierung von Papademos „beratend“ tätig. Diese besteht darin, geeignete Investoren zu finden. Als Hauptorganisator des deutschen Kapitals wird die Deutsche Bank sicher einige Interessenten in der Hinterhand haben.

Gleichzeitig wird ein „Investitionsplan“ von Regierung und Deutscher Bank ausgearbeitet. Dabei sollen die „Anreize“ für das deutsche Kapital erhöht werden, in Griechenland zu investieren bzw. Produktion nach Griechenland zu verlagern. Diese „Anreize“ werden durch die Sparangriffe derzeit schon geschaffen: Senkung aller Löhne, inkl. des Mindestlohns und Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Die Deutsche Bank hofft so auf ca. 50 Mrd. Euro Erlöse für den griechischen Staat, wie hoch die Profite für die Investoren ausfallen, ist leider nicht bekannt.

Wenn auch derzeit die Einnahmen aus Südeuropa zurück gegangen sind, da gerade auch die Bestellungen hochwertiger Industrieprodukte abnehmen, so ist die Region derzeit politisch entscheidend für die weitere Stellung des BRD-Imperialismus. Schwächelnde Exporte in die Region kann das Exportkapital derzeit mit höheren Ausfuhren in die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) ausgleichen. Politisch ist aber entscheidend, ob die Sparangriffe und die exekutive Kontrolle darüber weiterhin durchgesetzt werden können. Hier sind die südeuropäischen Staaten derzeit ein Experimentierfeld des deutschen Imperialismus und seiner EU-Agenturen. Es wird gekürzt und gespart bis zum Maximum, die Armut in Griechenland weitet sich massiv aus und das parlamentarische System wird ausgehöhlt.

Widerstand

Gegen diese Schuld-Knechtschaft des deutschen Imperialismus und der Troika gibt es massiven Widerstand, v.a. in Griechenland. Es gab Massenproteste und mehrere (eintägige) Generalstreiks sowie Besetzungen von Betrieben. Doch es mangelt an einer einheitlichen klassenkämpferischen Führung der Proteste, es mangelt an einer revolutionären Perspektive und an einem entsprechenden  Programm.

In dieser Krise wird es zudem entscheidend sein, ob wir eine europäische Bewegung gegen Kapital, Krise und Staat aufbauen können. Das gilt besonders für die BRD - der Hauptfeind steht im eigenen Land - hier müssen wir eine aktive klassenkämpferische Politik einschlagen! Wir dürfen uns nicht mit unserem Standort „trösten“, sondern müssen erkennen, dass die Sparmaßnahmen, die derzeit in Südeuropa durchgesetzt werden, perspektivisch in der gesamten EU gelten sollen!

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Nr. 168, April 2012
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