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Aktionskonferenz in Frankfurt/Main

Vergebene Chancen

Hannes Hohn, Infomail 610, 12. März 2012

Etwa 350 AktivistInnen trafen sich vom 24.-26.2. in Frankfurt /M. zu einer bundesweiten Aktionskonferenz. Sie vertraten verschiedene Spektren und Organisationen, die gegen die Krise und deren Auswirkungen aktiv sind. Dazu gehören u.a. Occupy, attac, die Interventionistische Linke (IL), die Gewerkschaftslinke, die Linkspartei sowie die SAV, die ISL, der RSB, die SIB sowie Arbeitermacht und die Jugendorganisation Revolution. Nicht vertreten bzw. nicht in Erscheinung traten die Linke stalinistischer Provenienz (z.B. DKP und MLPD), Immigranten-Organisationen sowie die (offiziellen) Gewerkschaften und die SPD.

Nachdem beim Vorbereitungstreffen auf Frankfurt ca. 200 Leute anwesend waren, nimmt sich die Teilnehmerzahl von ca. 350 in Frankfurt nicht schlecht aus, aber auch nicht wirklich gut. Positiv war immerhin, dass etliche AktivistInnen aus anderen Ländern, z.B. aus Griechenland, gekommen waren, um über die Kämpfe dort zu berichten.

Was war die Aufgabe der Konferenz?

Nachdem seit dem Ausbruch der Krise 2008 die Anfänge einer Anti-Krisenbewegung mit einigen Komitees entstanden war und zwei größere Demos organisiert hatte, liegt die Bewegung schon seit Monaten fast komplett brach. Keine größeren Mobilisierungen, nur sehr wenige kontinuierlich arbeitende Komitees, keine bundesweite oder gar internationale Koordinierung - das ist die ernüchternde Realität. Dieser Zustand ist umso dramatischer, als in den vergangenen Monaten die Euro-Schulden-Krise dramatische Ausmaße angenommen hat und sich ein weiterer Einbruch der Weltwirtschaft abzeichnet.

Auch wenn Deutschland - oder genauer: das deutsche (Export)kapital - von der Krise eher profitiert und seine Führungsposition in Europa ökonomisch und politisch noch ausgebaut hat und die Massen noch nicht mit sozialen Angriffen wie in Griechenland o.a. Ländern konfrontiert sind, ist im Grunde allen klar, dass das dicke Ende noch kommen muss.

Darauf ist die Bewegung in Deutschland - und allgemein in Europa - schlecht vorbereitet. Die Frankfurter Konferenz musste also drei Aufgaben stellen: darüber zu beraten und zu beschließen, wie die Strukturen und die Koordination der Bewegung weiter aufgebaut werden können, welche politischen Positionen und Forderungen sie hat und was ihre nächsten Aktionen sein sollen.

Von diesen Aufgaben wurde nur die letzte erfüllt - erfüllt in dem Sinne, dass zwei Aktionen festgelegt wurden: einerseits der Aktionstag am 31.3. in Frankfurt sowie die Protesttage im Mai (17.-19.5.). Doch der 31.3. stand eigentlich schon vor der Konferenz fest, so dass es dafür keiner Konferenz bedurft hätte. Zudem wurde in Frankfurt auch nicht darüber diskutiert, wie dieser Tag ablaufen, wie und wer mobilisiert werden soll, bzw. unter welchen Losungen - die Moderatorengruppe aus IL und attac sorgte dafür, dass es lediglich um die Urzeit ging.

Die anderen beiden zentralen Fragen wurden zwar von einigen Organisationen/Spektren aufgeworfen, jedoch verhinderten auch hier die Moderatoren, dass es eine ernsthafte und offene Diskussion gab oder gar Abstimmungen darüber stattfanden.

Der Block der Blockierer

Schon der Ablauf der Konferenz machte es (wie erwartet) fast unmöglich, dass zu den wichtigsten Fragen diskutiert und demokratische Festlegungen getroffen werden konnte. Wie sah das konkret  aus?

Am Freitag z.B. berichteten Basis-AktivistInnen aus verschiedenen Ländern über den dortigen Widerstand. Das hört sich gut an, doch bei näherem Hinsehen zeigten sich zwei Probleme: erstens standen die BasisaktivistInnen im Grunde nur für sich, sie repräsentierten offiziell keine Organisationen (sei es nun KKE/PAME, SXRIZA oder Antarzya), hinter denen signifikante Teile der Bewegung stehen. So war es natürlich auch unmöglich, etwas Konkretes in punkto Kooperation, Solidarität usw. abzusprechen. Genau das wäre aber eine wichtige Aufgabe einer bundesweiten Konferenz gewesen!  Die eingeladenen Basis-VertreterInnen fungierten also als Alibi für „Internationalität“, ohne dafür irgendetwas Konkretes zu bewirken.

Während der Freitag-Veranstaltung war es dann auch nicht erwünscht, dass über die Beiträge diskutiert wurde, die Moderatoren „erlaubten“ nur Fragen!

Viel Konferenz-Zeit nahmen diverse Workshops ein. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, wenn diese dazu dienen, die wichtigsten Fragen zu klären und klare Beschlüsse der Konferenz zu befördern. Genau das war aber eben nicht das Ziel! So wurden alle möglichen Themen angerissen,   die wichtigsten Problem jedoch wurden nicht behandelt, so z.B. die Frage, warum der Widerstand, z.B. in Griechenland, trotz vieler Massenproteste, Streiks und Generalstreiks bisher nichts erreicht  hat? Welche Kräfte führen dort die Bewegung? Welche Konzepte haben sie? Alle diese, für den Widerstand in jedem Land zentralen Fragen wurden kaum angekratzt, geschweige denn ernsthaft behandelt.

Welche Ausrichtung?

Immerhin gab es eine Redaktionsgruppe, in der der Aufrufentwurf der Konferenz behandelt wurde.  Dabei zeigten sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Gruppierungen. Auf der einen Seite standen attac und IL. Sie wollten möglichst keine Forderungen, keine klaren politischen Positionen, keine Aussagen darüber, wie die Bewegung weiter aufgebaut werden soll. Auf der anderen Seite standen  VertreterInnen der Gewerkschaftslinken, von RSB, SAV, SoKo, SIB sowie Arbeitermacht und Revolution. Sie traten u.a. dafür ein, dass die Konferenz in ihrem Aufruf zumindest einige klare Forderungen aufstellt. Sie einigten sich auf zwei Forderungen - auch, um eine Diskussion und Beschlussfassung des Plenums in kurzer Zeit, d.h. im Plenum am Sonntagvormittag, zu ermöglichen. So wurde  erstens die Streichung aller Schulden gefordert und zweitens die Vergesellschaftung der Banken.

Am Ende die Farce

Am Sonntag-Vormittag beriet das Plenum über die Abschlusserklärung. Per Beamer konnten alle TeilnehmerInnen den Text gut verfolgen, auch Abänderungen hätten genauso problemlos präsentiert werden können.

In der Diskussion von ca. 10 RednerInnen wurden insgesamt drei (!) Anträge gestellt: die zwei  Anträge aus der Redaktionsgruppe sowie ein Antrag der Gruppe Arbeitermacht, der sich dafür aussprach, dass überall Anti-Krisen-Komitees aufgebaut und dazu linke Organisationen, Linkspartei, Gewerkschaften usw. aufgefordert werden sollen. Die Vorstellung der Anträge und unterstützende Beiträge ernteten durchaus Beifall.

Angesichts des vorbereiteten Aufruf-Textes und der lediglich drei Anträge (von denen noch dazu zwei aus der Redaktionsgruppe kamen) war es eigentlich sehr einfach, zu klaren Beschlüssen zu kommen. Doch, wer das dachte, der hatte nicht damit gerechnet, wie trickreich und manipulativ die Moderatoren sind.

Anstatt eine einfache Abstimmung durchzuführen, was 10 Minuten gedauert hätte, erzeugten die beiden Mikrofon-Machthaber ein reines Chaos, indem sie behaupteten, das es „unheimlich viele Anträge“ gebe und es deshalb unmöglich wäre, diese alle zu behandeln. Ob die beiden  Diskussionsleiter den Unterschied zwischen Diskussionsbeiträgen und formell gestellten Anträgen nicht kennen oder nicht kennen wollen, sei dahingestellt - jedenfalls versank das Plenum in einem länger dauernden Durcheinander, weil die Antragsteller zu recht monierten, dass über Anträge abgestimmt werden muss - eigentlich die normalste demokratische Gepflogenheit der Welt -, während die Moderation das bestritt. Mit dem von den Moderatoren bewusste herbeigeführten Durcheinander konfrontiert, sehnten sich nun viele TeilnehmerInnen ein Ende herbei. Die Moderatoren ließen nun - völlig problemlos - darüber abstimmen, ob über die Anträge abgestimmt werden solle. Das Ergebnis brachte eine klare Mehrheit gegen weitere Abstimmungen.

Die Vorarbeit der Redaktionsgruppe sowie die Anträge mehrerer (!) Gruppen wurden so ignoriert, ja bewusst auf undemokratische Art eliminiert!

Es wäre allerdings kurzsichtig, zu glauben, das es sich hierbei nur um eine mangelhafte Vorbereitung oder Durchführung der Konferenz oder um unfähige Moderatoren ginge. Weit gefehlt! Die Choreografie und die Moderation der Konferenz ist Ausdruck der politischen Methode von attac und den rechteren Teilen von occupy. Deren Politik kam auch in etlichen Beiträgen in den Plena und in den Workshops zum Ausdruck. Meinungen wie die folgenden spiegeln das gut wider: „Wir haben nichts zu fordern, wir dürfen den Menschen nichts vorschreiben.“ oder „Hier geht es nicht um Organisationen, wir sind alle nur Individuen.“

Diese Politik zeigt nicht nur ein komplettes Unverständnis davon, was Bewegungen sind, das sich darin Klasseninteressen spiegeln und das Klassenorganisationen und Massenorganisationen darin die Hauptrolle spielen, siehe Griechenland, siehe Frankreich usw. usf.

Vor allem zeigt sich in der Politik dieses Spektrums, dass sie jeden politischen Kampf gegen den Reformismus von Linkspartei, SPD und DGB - die hauptverantwortlich dafür sind, dass der Widerstand in Deutschland bisher so marginal war - ablehnen. Statt offensiv für eine Einheitsfront mit diesen zu kämpfen und dabei deren falsche Politik trotzdem zu kritisieren, wollen attac und Co. politisch den „kleinsten gemeinsamen Nenner“, d.h. einen faulen Kompromiss, der alle politischen Probleme und Widersprüche verkleistert und somit die Massen über die Wahrheit bewusst betrügt.

Dieses Vorgehen hat freilich einen Grund: Man will ja mit den Reformisten, ja auch mit anderen Bürgerlichen „den Dialog“. Diese Denkhaltung, die Erwartung, dass Ackermann oder Merkel doch auch einmal in ein occupy-Zelt reinschauen mag man bei neuen AktivistInnen noch als Naivität abtun, beim den „Machern“ und Moderatoren der Konferenz hat dieser Wahnsinn durchaus Methode.

Bei attac oder occupy verwundert diese Politik nicht. Etwas anders sieht es jedoch bei der IL aus.  Sie gerieren sich ja gern als „links“, „revolutionär“ usw. Wie Frankfurt jedoch - wieder einmal - offenbarte, agieren sie nur als linke Flankendeckung der kleinbürgerlichen Kräfte wie attac, aber auch als Stützte von deren politischen Opportunismus´gegenüber dem Reformismus.

Apropos Reformismus. Geradezu peinlich war das Auftreten der Linkspartei. Ohne eigene Vorschläge, ohne sichtbare Präsenz begnügte sie sich als Massenpartei mit einem Mauerblümchendasein in Frankfurt. Zwar äußerte sie sich positiv zu den Aktionen, ohne jedoch irgendeine konkrete Initiative dazu auch nur anzudeuten; im Gegenteil: man sei „sehr stark mit sich selbst beschäftigt“.

Die Gewerkschaften waren offiziell nur mit dem Ver.di-Linken Riexinger prominent vertreten. Er  überbrachte die besten Grüße - um sich alsbald wieder zu verabschieden. Solche Proforma-Auftritte werden den Widerstand aber sicher nicht wirklich weiterbringen. Ganz im Gegensatz zur totalen Abstinenz der Spitzen der DGB-Gewerkschaften war immerhin die Gewerkschaftslinke vertreten und mischte sich mit eigenen Anträgen positiv ein.

Das Agieren bzw. das Fernbleiben der großen reformistischen Organisationen zeigt einerseits, dass sie von der Frankfurter Konferenz weder etwas erwarteten noch etwas befürchteten - leider zu recht! Andererseits zeigten sie so aber erneut, dass ihnen nichts daran liegt, eine wirklich starke, effektive Bewegung gegen die Krise aufzubauen. Das wiederum verweist darauf, wie notwendig es gewesen wäre, v.a. Die Gewerkschaftsführungen als Bremser des Widerstands anzuprangern und Forderungen an sie zu stellen. Für diese zentrale Frage der Bewegung fehlten der IL und attac jedoch sichtbar jedes Verständnis und jeder politische Wille.

Fazit

Unterm Strich bestätigte die Konferenz viele Befürchtungen, die es schon vorher gab. Sie brachte keinen Schritt voran bei der Klärung der politischen Stoßrichtung, für den Aufbau einer bundesweiten handlungsfähigen Struktur und für die Einbeziehung weiterer Milieus und Organisation in die Bewegung.

Sie bestätigte die schon im Vorfeld angedachten Aktionen und bestätigte einen politisch fast wertlosen Allerweltsaufruf ohne konkrete Forderungen und Vorschläge - in der irrigen Annahme, je unklarer und unverbindlicher ein Aufruf ist, desto überzeugender würde er wirken.

Absolut fatal jedoch war die Ablehnung der Forderung nach Schuldenstreichung in der Abschluss-Erklärung. Diese Forderung ist quasi ein Markenzeichen aller progressiven Bewegungen der letzten Jahre weltweit. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie das z.B. auf die griechischen AktivistInnen  wirkt, wenn eine ihrer Hauptforderungen gerade von der Bewegung in Deutschland - dem Zentrum  des EU-Imperialismus, welcher Griechenland finanziell erdrosselt - wirken muss!!

Welche Schlüsse können aus dieser Konferenz gezogen werden?

Erstens, dass IL, attac und Co. eine Politik betreiben, die die Bewegung nicht weiter bringt, jede politische Klärung verhindert und die fatale Rolle des organisierten Reformismus als Bremser oder Ausverkäufer des Widerstands nicht bekämpfen wollen.

Zweitens muss (schon im Vorfeld solcher Treffen) intensiver darauf Einfluss genommen werden, dass diese nicht in eine Sackgasse gelenkt und demokratische Entscheidungen durch alle möglichen Moderationstricks ausgehebelt werden. Dazu muss es von allen Kräften, die dagegen stehen, ein koordiniertes Vorgehen geben.

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Nr. 168, April 2012
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