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FDP- Krise

Neoliberale Bruchlandung

Tobi Hansen, Neue Internationale 166, Februar 2012

Inmitten der Wirtschaftskrise 2009 feierte die FDP ihren historisch größten Erfolg bei einer Bundestagswahl; 14,9% machten die FDP klar zur drittstärksten Partei, die schwarz/gelbe „Traumregierung“ des Kapitals kam hauptsächlich wegen ihr an die Macht.

Das Programm war einfach, aber klar: mehr Netto vom Brutto war die Devise und dies vor allem für Unternehmen und Besserverdienende. Vizekanzler Westerwelle startete direkt eine Attacke auf die Arbeitslosen und vermutete „spätrömische Dekadenz“ bei HartzIV-EmpfängerInnen. Als erste Gruppe durften sich Hoteliers und Gastronomie über eine Steuersenkung in Höhe von 9Milliarden freuen.

Reale ökonomische Dekadenz

Allerdings wurde Schwarz/Gelb 2010 von der realen ökonomischen Dekadenz eingeholt, nämlich der Krise der Finanzmärkte und Griechenlands. Jetzt ging es nicht mehr allein um Besserverdienende, jetzt ging es um die Zahlungsfähigkeit eines Absatzmarktes für das deutsche Exportkapital. Während einige FDPler schon Kreta eingemeinden wollten, hatte das Großkapital  seine Vorstellungen schon durchgesetzt - Bürgschaften für Anleihen und Kredite sowie ein drastischer sozialer Angriff auf die griechische Bevölkerung. Gleiches drohte auch Irland und Portugal im Frühsommer 2010, die Bundesregierung, als stärkste EU-Ökonomie war gezwungen, als „ideeller Gesamtkapitalist“ zu handeln. Dieser von Marx verwendete Begriff beschreibt die Aufgabe des bürgerlichen Staates für das Kapital, die verschiedenen konkurrierenden Kapitalfraktionen zu bündeln und speziell in der Krise als „Gesamtkapitalist“ aufzutreten und die grundlegenden Profitbedingungen zu stabilisieren und zu erhalten.

Im Sinne des „Großen und Ganzen“, also speziell im Sinne des deutschen Finanzkapitals, organisiert die Bundesregierung seitdem die Euro-Krise. Es gibt Fonds und Rettungsschirme und gleichzeitig werden bis Ende 2011 zwei Regierungen durch die EU/BRD ausgetauscht - die Bundesregierung konnte keine Klientelpolitik machen.

Im Gegenteil: als herrschender EU-Imperialismus war die BRD-Regierung auch gezwungen, im Interesse des EU-Blocks Politik zu machen, bei dem nicht sicher war und ist, ob diese Krise überstanden wird. Gerade diese Politik der Krisenlösung, inklusive des Eingreifens der EZB für die Staatsanleihen bedrohter Staaten, trägt erste Züge einer akkordierten, europaweiten Kapitalstrategie, die auch auf Kosten bestimmter Kapitalfraktionen gehen kann, wie z.B. dem Kleinbürgertum.

Das Dilemma der FDP war und ist, in dieser Situation für keine soziale Klasse, ja für keine Klassenfraktion eine befriedigende Perspektive zu bieten. Historisch gesehen war der Liberalismus in Deutschland parteipolitisch immer schwach. Er erfüllte trotzdem eine wichtige Funktion für das Bürgertum. Erstens repräsentierte er eine Fraktion des Kapitals und eine Partei, die „offener“ aussprechen konnte, was die herrschende Klasse oder eine Fraktion von ihr gerade wollte, als das die „Volksparteien“ CDU und CSU zu tun vermochten. Für die herrschende Klasse war sie jahrzehntelang unverzichtbarer Teil SPD und CDU-geführter Regierungen und konnte fast ununterbrochen das „Zünglein an der Waage“ spielen, wenn es zur Regierungsbildung kam. Dort besetzte sie fast immer Schlüsselressorts (Außen- und Wirtschaftspolitik), die ihrem unmittelbar kapitalistischen Charakter entsprechen. Das änderte sich in der Nachkriegsperiode erst, als die Grünen als Partei der neuen Mitte, als Ökoliberale Alternative auftraten.

Heute ist die Großbourgeoisie von der FDP wenig begeistert, ja polemisiert heftig gegen die „jungen“ Versager an der Parteispitze und liebäugelt mit der großen Koalition.

Der Sieg bei den letzten Bundestagswahlen schien die FDP richtig stark zu machen. In Wirklichkeit war ihr Erfolg - die Ausrichtung auf die „gehobenen“, besserverdienenden Kleinbürger und gut situierte Mittelschichten, kurzum die GewinnerInnen der neoliberalen Reformen - abhängig vom Erfolg des neoliberalen Modells, das nun abgewirtschaftet hat. Jetzt gab es nicht nur weniger Netto, sondern auch weniger Brutto.

Im Wahljahr wird es eine eher minimale Steuersenkung geben, damit hat die FDP ihren Wählerschichten schon mal keine Vorteile gebracht. Ebenso erfahren die Mittelschichten, aber auch die Kleinkapitalisten weniger Unterstützung in dieser Krise, ihre Unternehmen bekommen weniger Kredite zu höheren Zinsen, die gestiegene Konkurrenz schmälert die Profite und damit die Existenz. Daher gibt es dort auch die radikaleren Forderungen.

Wenn ex-BDI-Chef Henkel den Rausschmiss Griechenlands aus der EU und die mögliche Wiedereinführung der DM fordert, dann artikuliert er nationale kleinbürgerliche Kapitalinteressen. Diese wollen, dass möglichst viele Konkurrenten im Ausland ausgeschaltet werden. Gleichzeitig haben sie auch weniger Interesse an der Zahlungsfähigkeit dieser Volkswirtschaft als das Exportkapital. Neben der rassistischen Hetze gegen Südeuropa hat das Kleinbürgertum auch ganz „handfeste Interessen“ - hier geht es auch um günstige Kredite und mögliche Konjunkturprogramme.

Die FDP ist derzeit nicht in der Lage, diese Politik zu vertreten. Inzwischen gleicht die Partei einem halben Leichnam, die Abwicklung hat soziopathische Züge. Der neue Generalsekretär Döring schafft es im ersten Illustrierten-Interview, den Chef Rösler halb zu diskreditieren und beim „Drei-Königs-Treffen“ platzt zeitgleich eine der letzten Landesregierungen mit FDP-Beteiligung im Saarland aufgrund der praktischen Auflösung der FDP-Fraktion/Landesverband in endlosen Flügelkämpfen.

Heute ist unsicher, ob Rösler 2013 noch Parteichef und ob diese FDP danach noch im Parlament vertreten ist. Einzig die bewährte „Zweitstimmentaktik“ gegenüber den CDU-Wählern gibt noch Hoffnung auf über 5 Prozent. Hier sehen wir eine bürgerliche Kraft im Niedergang, geschuldet der zunehmenden Konkurrenz und dem Druck zwischen den Kapitalsektoren.

Die Zersetzung im bürgerlichen Lage wie die Umgruppierung der Mittelschichten und des Kleinbürgertums treffen heute besonders die FDP - sie werden bei ihr aber nicht Halt machen. Denn ihre Ursache liegt nicht in liberaler Idiotie - so sehr die Spitzen der FDP sich auch darin üben mögen - sondern in der Krise des Kapitalismus, der in letzter Konsequenz auch die „normalen“ Existenzbedingungen breiter Mittelschichten wie des Bürgertums bedroht.

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Nr. 166, Februar 2012
*  Dresden: Kampf dem Faschismus
*  Antifaschismus: Schafft die Arbeitereinheitsfront
*  Heile Welt
*  Skandal um Bundespräsidenten: Ein Stich ins Wespennest
*  FDP-Krise: Neoliberale Bruchlandung
*  Film: Und dann der Regen
*  Vernetzungstreffen in Frankfurt: Startschuss in alle Richtungen
*  IG Metall/ver.di: Tarifrunde zur Kampfrunde machen
*  Gewerkschaftslinke: Eckpunkte Tarifrunde 2012
*  Italien: Generalangriff auf die Arbeiterklasse
*  Sri Lanka: Schikanen gegen Protestbewegung
*  Ägypten: Wahlen stärken die Konterrevolution
*  NATO-Krieg in Afghanistan: Kein Ende der Besatzung