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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Ein paar Ausrutscher?

Isolde Schnell, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

Alle paar Wochen verursacht ein „Prominenter“ Aufsehen. Sei es der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) Dominique Strauss-Kahn oder Wettermännchen Kachelmann - immer wieder sind Personen des öffentlichen Lebens in wirkliche oder unterstellte sexuelle Belästigung und Missbrauch verwickelt. Doch diese Skandale verschleichern oft mehr, als sie enthüllen - erscheint doch der Missbrauch regelmäßig als bloß individuelles Phänomen.

Weniger medial präsent sind dagegen die täglich tausendfach vorkommenden Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die „Dortmunder Studie“ hat ergeben, dass von 4.000 befragten Frauen 72 Prozent mindestens einmal eine Situation erlebt haben, die als sexuelle Belästigung gilt. In einer europaweiten Studie wurde festgestellt, dass zwischen 40 und 50 Prozent der Arbeiterinnen im Berufsalltag mindestens einmal sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren, bei männlichen Beschäftigten sind es 10 Prozent. Von 1.062 weiblichen Auszubildenden in München berichteten 45,5 Prozent, dass sie sexuell belästigt wurden. Die Studien beweisen also, dass sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz keine Seltenheit ist.

Nach §3 Abs. 4 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz folgendermaßen definiert:

„Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung (…), wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

Die Bandbreite sexueller Belästigung reicht also von anzüglichen Bemerkungen über einen Po-Klaps bis hin zum Zwang zu sexuellen Handlungen.

Die Opfer reagieren oft defensiv, indem sie den Belästiger meiden, die Annäherungsversuche  abtun oder versuchen, sie zu ignorieren. Sie beschweren sich selten offiziell, weil sie Angst haben, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie negative Folgen davontragen werden, etwa, dass über sie als „Emanze“ oder „Nutte“ getratscht wird oder dass ihnen vorgeworfen wird, dass sie aus Rache oder Konkurrenz andere schlecht machen. Findet die belästigte Frau niemanden, der sie unterstützt, wird die Beschwerde oft als Privatangelegenheit abgetan.

Dabei wären rein rechtlich Arbeit“geber“Innen verpflichtet, diese Anschuldigungen ernst zu nehmen und für ein freundliches Arbeitsklima frei von sexueller Belästigung zu sorgen.

Wo bleibt die Gleichstellung?

Obwohl nach dem Gesetz Mann und Frau gleichgestellt sind, zeigen sich hier die Unterschiede. Männer, die belästigen, fühlen sich bewusst oder unbewusst der „schwächeren“ Frau überlegen und machen dies in der Belästigung deutlich. Diese Einstellung trägt natürlich reife Früchte in einer Gesellschaft, in der die Frau weniger gilt als der Mann, erkennbar auch daran, dass Frauen weniger verdienen und in abhängigeren Positionen arbeiten.

Wenn die Frau hierarchisch auf derselben Stufe steht, belästigt der Mann sie z.B. sexuell, um dominanter zu werden und seine "Konkurrentin" zu verunsichern, um seine "männliche Ehre" wiederherzustellen und sie auf "ihren Platz" zu verweisen.

Bürgerliche Gerichte und Gesetze helfen bei dieser Einstellung oft wenig, da sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz tabuisiert ist und die Dunkelziffer sehr hoch ist, d.h. dass viele Opfer erst gar keine Strafanzeige machen.

Auf das Management kann man sich im Kampf gegen Sexismus nicht verlassen, da Manager zum Großteil Männer sind und in spezifischer Form in die Hierarchie eingebunden sind. Zudem haben sie besonderes Interesse daran, durch die Vertuschung den „Betriebsfrieden" zu wahren, anstatt für Aufklärung zu sorgen.

Was tun?

Entscheidend ist es daher, dass die sexuelle Belästigung nicht als Reihe individueller Probleme, sondern als struktureller Ausdruck systematische Frauenunterdrückung begriffen wird. Gegen diese können wir uns letztlich nur kollektiv, organisiert wehren.

Frauen müssen sich in den Gewerkschaften organisieren, um gemeinsam mit der Arbeiterklasse gegen die gesellschaftlich reproduzierte „Minderwertigkeit“ der Frau vorzugehen. Frauen (wie andere, besonders unterdrückte Schichten) müssen das Recht auf Caucusbildung (ein separates „Treffen“) haben, wo sie untereinander und ohne Angst vor sexueller Belästigung durch Männer diskutieren und Aktionen planen können.

Gleichzeitig ist es von größter Bedeutung, dass der Kampf gegen Kumpanei, Verharmlosung auch unter den Männer geführt wird, dass anti-sexistische KollegInnen dagegen aufstehen und in der Arbeiterbewegung insgesamt eine Kampfkultur geschaffen wird, in der Sexismus - angefangen von dummer Anmache und Sprüchen - geächtet wird.

Dazu sind anti-sexistische Kampagnen und der Kampf für gleiche Rechte notwendig - der Kampf für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung.

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Nr. 161, Juli/Aug 2011
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