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NPA in Frankreich

Vor einem heißen Herbst

Martin Suchanek, Neue Internationale 152, September 2010

Tous ensemble - grève générale!“ (Alle zusammen - Generalstreik!) Mit dieser Parole klang die größte Veranstaltung der Sommerschulung (université d'été) der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) vom 25.-28. August aus.

Am Beginn dieser Versammlung hatten VertreterInnen verschiedener Gewerkschaften (SUD, CGT, FSU), von attac, der Confédération Paysanne (Bauernföderation) u.a. Parteien (Grüne, KP, Linkspartei) übereinstimmend die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes gegen die Angriffe der Regierung betont.

Danach trat als Abschlussredner Olivier Besancenot für die NPA auf. Er begeisterte die Zuhörerschaft mit einer sehr kämpferischen Rede, in der er sowohl auf Schwierigkeiten der bisherigen Mobilisierung einging, v.a. aber die Möglichkeiten und die Notwendigkeit einer breiten Einheitsfront betonte.

So werden am 4. September große Demonstrationen gegen die Räumung von Roma-Siedlungen und Wagenburgen sowie gegen die Abschiebung der Roma durchgeführt werden.

Am 7. September steht ein erster Höhepunkt des Abwehrkampfes bevor. Ein Generalstreik soll den Protest gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters durch die Regierung auf die Straße bringen.

Aufschwung des Widerstands

Wir haben es eindeutig mit einem kommenden Aufschwung des Klassenkampfes in Frankreich zu tun - mit einem Aufschwung, der durch die politische Schwäche der Regierung, die infolge zahlreicher Sandale angeschlagen ist, begünstigt wird. Aber es zeigt sich an beiden Beispielen auch eine Schwäche der Bewegung.

1. Der Aufruf zur Demonstration gegen die Abschiebung der Roma beinhaltet keine klare anti-rassistische Ausrichtung und keinen Aufruf zur organisierten, durch die Arbeiterbewegung unterstützen, Verteidigung der Siedlungen gegen die Räumungen. Statt dessen ist er voll von Beschwörungen der „Republik“ und der „demokratischen Tradition“ des Landes, also des französischen Imperialismus. Unglücklicherweise hat auch die Führung der NPA diesen Aufruf trotz offenen Protestes des linken Flügels, der „Tendenz B“ unterzeichnet. Dieser Flügel tritt auch für eine eigenständige Kandidatur bei den Regionalwahlen und gegen eine programmatische Absprache mit den reformistischen Parteien ein. Richtig wäre es vielmehr gewesen, mit einem eigenen Aufruf und eigenen Parolen für die Demo am 4. September zu mobilisieren.

2. Am 7.9. sind ein Massenstreik - wahrscheinlich von Millionen - sowie Großdemonstrationen zu erwarten. Der heiße Herbst beginnt also. Auf der Versammlung sprach sich der Vertreter der Gewerkschaft SUD dafür aus, nach dem 7.9. nicht mehr an die Arbeit zu gehen, sondern den Streik unbegrenzt fortzusetzen. Ein Generalsstreik liegt in der Luft, wären da nicht die größeren, reformistisch geführten Gewerkschaften. Die CGT-Führung sprach sich in mehreren Interviews offen gegen einen unbegrenzten, landesweiten Streik aus und besteht darauf, dass die Arbeitsniederlegung keinesfalls über 24 Stunden hinaus ausgedehnt werden dürfe.

Wie reagiert die NPA?

Der erste, auf der ganzen Schulung spürbare Effekt der Entwicklung ist sicher, dass der beginnende Aufschwung im Klassenkampf zu einer Remoralisierung und Verstärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls in der NPA geführt hat.

Das ist insofern bemerkenswert, als die NPA durch sehr tiefe innere Konflikte geprägt und zerrissen ist, die zur Bildung von de-facto-Tendenzen/Fraktionen geführt hat (siehe dazu den ausführlicheren Artikel „Wohin treibt die NPA“, in: Neue Internationale 146, Februar 2010).

Hinzu kommt, dass es darüber hinaus eine große Bandbreite an verschiedenen, teils gegensätzlichen Positionen gibt, z.B. zum Kampf gegen Rassismus und zur Arbeit in den Migrantenvierteln; zum Kampf gegen Umweltzerstörung und zur Haltung zum „Ökosozialismus“; zum Verständnis der Partei und ihrer Aufgaben.

Trotzdem zeigte sich bei den rund 1.100 bis 1.200 TeilnehmerInnen der université d'été auch eine große Verbundenheit. Warum? Die NPA wird von der großen Mehrzahl ihrer Mitglieder trotz offenkundiger Schwächen als Errungenschaft empfunden, weil sie keine große Propagandagesellschaft ist, sondern eine kleine, immerhin 7. bis 8.000 Mitglieder umfassende, in den Avantgardeschichten verankerte Partei ist.

Das sehen ihre Mitglieder als reale Errungenschaft. Zu Recht. Die NPA ist eine Partei, in der vergleichsweise offen diskutiert wird, die über tausend GenossInnen zu einer Schulung bringt, die kontrovers und teilweise auf hohem Niveau zentrale Fragen revolutionären Politik bespricht. Allein das ist ein wohltuender Kontrast zur lauen reformistischen Brühe, die etwa hier von der Linkspartei aufgetischt wird.

Welche Strategie?

Entscheidend ist freilich, welche Politik von der NPA verfolgt wird.

Einerseits tritt sie für einen heißen Herbst, wohl auch für den Generalstreik ein. Andererseits lehnt sie es - wie schon in der Vergangenheit - ab, in den Gewerkschaften eine Basisbewegung gegen die Bürokratie oder direkt Fraktionen und Zellen der NPA aufzubauen, die eine einheitliche Politik gegen die Bürokratie und eine geschlossene Kampagne auf Basis eines Aktionsprogramms führen.

Die Politik der NPA hat hier, wie bei allen anderen wichtigen Fragen einen zentristischen Charakter, sie schwankt zwischen revolutionärer und reformistischer Politik. Einerseits wird die Bürokratie kritisiert, andererseits akzeptiert man, dass die Gewerkschaften - also auch deren Bürokratie - das letzte Wort in Fragen des Arbeitskampfes hat, statt offen für eine revolutionäre Führung in den Gewerkschaften zu kämpfen (und so, nebenbei, auch eine ebensolche Politik durch die eigenen Funktionäre sicherzustellen).

Der zentristische Charakter der NPA wird aber auch in der Frage des Programms deutlich. So schlägt die Führung der Partei für den Kongress im November ein Anti-Krisenprogramm vor, das wenig über den linken Keynesianismus hinausgeht und für eine anti-kapitalistische Partei vollkommen unzureichend ist.

Andererseits spricht einer der führenden Genossen der NPA und des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale, Sabado, in einem längeren Beitrag zur „anti-kapitalistischen Strategie“ der NPA offen und auch recht klar von der Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und einer gewaltsamen sozialistischen Revolution.

Allein, die NPA löst diesen Widerspruch auf ihre Weise. Heute stehe die Frage der Revolution - jedenfalls in Europa - nicht auf der Tagesordnung, daher brauche es unmittelbar auch nicht unbedingt Klarheit und Konsequenz dazu.

Zentrismus

Ein solches Verhalten zu grundlegenden politischen Fragen ist für KommunistInnen generell falsch. Umso dramatischer ist es, wenn es zur Existenzweise einer ganzen Partei wird, selbst wenn „die Revolution“ in weiter Ferne sein möge. Es ist einfach eine Utopie, dass sich solche Fragen, bleiben sie lange ungeklärt oder verschwommen, beim Aufschwung der Revolution „spontan“ lösen würden. Vielmehr würden sie dann zur Verwirrung, zum Scheitern, zu einer schwankenden Politik, zum zentristischen Versagen führen.

Hinzu kommt, dass die Frage der Revolution in der gegenwärtigen Periode keineswegs eine Frage ist, die in endloser Ferne liegt. In Griechenland haben wir 2008 und 2010 vor-revolutionäre Situationen, einen Aufstand der Jugend, eine Reihe eintägiger Generalstreiks gesehen. Die Frage einer revolutionären Strategie zur Machtergreifung, zum Sturz des Kapitalismus, eines Programms von Übergangsforderungen steht dort also ganz aktuell.

Und es kann auch in Frankreich schneller dazu kommen, als die NPA meint. Nehmen wir nur an, die Agitation für einen unbefristeten Generalstreik hätte Erfolg. Ein Generalstreik würde das Land paralysieren. Er würde nicht nur die Frage der „Rentenreform“, sondern auch die Frage des Sturzes der Regierung Sarkozy aufwerfen. Aber: Durch wen und was sollte sie ersetzt werden? Durch eine andere, „linkere“ parlamentarische Koalition? Oder durch eine Arbeiterregierung, die sich auf die Organe des Generalstreiks stützt - auf Streikkomitees, auf Selbstverteidigungsorgane des Streiks gegen Streikbrecher, Gendarmerie oder faschistische Banden?

Eine solche Arbeiterregierung - soll sie nicht zu einer parlamentarischen Farce mit Streikkomitee-Anhängseln verkommen oder von der Reaktion beseitig werden - müsste gegen die Repressionsorgane und das Privateigentum vorgehen. Dazu müssten die Streikkomitees zu Räten ausgebaut werden, die Selbstverteidigungsorgane zu einer bewaffneten Arbeitermiliz werden, die die bewaffneten und bürokratischen Organe des bürgerlichen Staates zerschlagen und ersetzen. Eine solche Regierung würde nicht nur gegen die repressiven Mittel einer drohenden Konterrevolution vorgehen. Vor allem müsste sie die herrschenden Klasse, die großen Monopole und Banken, enteignen, ihre Produktionsmittel unter Arbeiterkontrolle verstaatlichen und die Wirtschaft gemäß eines demokratischen Plans reorganisieren.

Für eine solche Perspektive treten die UnterstützerInnen der Liga für die 5. Internationale in der NPA ein. Daher kämpfen sie ein revolutionäres Aktionsprogramm, das eine Verbindung schlägt vom Kampf gegen die aktuellen rassistischen und sozialen Angriffe der Regierung zum Kampf für die sozialistische Revolution.

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Nr. 152, Sept. 2010
*  Atomkonflikt: Schwarz/gelber Störfall
*  Heile Welt
*  Massenaktionen gegen S 21: Gegen "die da oben"!
*  Freiheit statt Angst Demo: Überwachungsstaat bekämpfen!
*  Perspektive: Der Flügel fällt - der Kampf geht weiter
*  Arbeitermacht-Sommerschulung: Marxismus praktisch
*  Rassismus: Sarrazin und seine Kritiker
*  20 Jahre Währungsunion: Eine Volkswirtschaft verschwindet
*  NPA und Frankreich: Vor einem heißen Herbst
*  Belgien: Rechtsruck in die Staatskrise
*  Frauen in Afghanistan: Elend statt Freiheit
*  Pakistan: Ohnmacht durch Zorn
*  Pakistan-Solidarität: Hilfe für das Jugendcamp!
*  Gegen die Sparpakete! Für eine europäische Massenbewegung!