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Für eine neue revolutionäre Bewegung

Interview mit Workers Power (USA), sympathisierende Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Neue Internationale 140, Juni 2009

Neue Internationale (NI): Welche Auswirkungen hat die Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten? Welche Sektoren sind am meisten betroffen?

WP: Nach der Marxschen Theorie ist der tendenzielle Fall der Profitrate die zu Grunde liegende Ursache für die schlimmste Wirtschaftskrise in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg und beeinflusst das gesamte kapitalistische Weltsystem. Die Krise macht sich in einer Abwärtsspirale der Löhne bemerkbar, in steigender Inflation und wachsender Arbeitslosigkeit. Die Inflation hat die Preise rasch nach oben getrieben, während die Reallöhne zurückbleiben. Als Folge davon haben sich die Vorteile der gewachsenen Produktivität in den vergangenen Jahren in höheren Profiten für die Kapitalisten niedergeschlagen. Viele Firmen in den USA haben bereits die Löhne gekürzt, viele ArbeiterInnen werden nun vor die Wahl gestellt: Lohnverzicht oder Arbeitsplatzverlust.

Der jüngste Beschäftigungsbericht des Arbeitsministeriums hat gezeigt, dass die Zahl der Arbeitslosen auf 13,7 Millionen im April 2009 empor geschnellt ist. Die Arbeitslosenrate stieg von 8,5% innerhalb eines Monats auf 8,9% - der Höchststand seit September 1983. Bis Jahresende wird eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf über 9,5% vorher gesagt. Allgemein waren Minderheiten wie Afroamerikaner und Latinos hauptsächlich die Leidtragenden der Finanzkrise in den USA. Immer mehr sind in Armut gestürzt worden und haben damit weit mehr Krisenfolgen zu tragen gehabt als andere Schichten der amerikanischen Gesellschaft. Die Wirtschaftskrise hat vor allem den Fertigungsbereich, wo viele Afroamerikaner und Latinos arbeiten, getroffen. Allein dort sind seit 2000 3,2 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen.

NI: Die Obama-Administration wird für „‚progressiver“ gehalten als die vorhergehende Regierung und ist mit Hilfe vieler ArbeiterInnen, besonders Afroamerikanern, die Illusionen in die neue Regierung gesetzt haben, gewählt worden. Wie reagiert die Regierung auf die Krise? Gibt es unterschiedliche Reaktionen unter den Fraktionen der herrschenden Klasse?

WP: Die Obama-Regierung behandelt die kapitalistische Krise wie jede andere politische Partei, die die Interessen der Bourgeoisie vertritt. Sie tut dies durch scheinbar unbegrenzte Finanzierung für eine Handvoll amerikanischer Finanzmonopolisten, die nicht scheitern dürfen, denn sonst würde das gesamte kapitalistische System zusammenbrechen. In diesem Sinn tut Obama genau das, was von ihm als formaler Exekutive der ganzen Kapitalistenklasse erwartet wird.

Die US-amerikanische Bevölkerung weiß sehr wohl, dass Obama zunächst die Probleme der finanziellen und industriellen Flaggschiffe des amerikanischen Kapitalismus lösen will, bevor sich die Regierung mit den Millionen Menschen beschäftigt, die Arbeit und Wohnung inmitten der höchsten Arbeitslosenrate in Amerika seit Anfang der 1980er Jahre verlieren. Fadenscheinige Regierungsprogramme sollen vielen helfen, ihr Haus zu behalten. Dies soll durch niedrige Bankzinsen geschehen, die unter Regierungsgarantien gewährt werden.

Bislang hat die neue US-Regierung den ArbeiterInnen, die sie unter dem unkonkreten Versprechen von „Wandel und Hoffnung“ gewählt haben, kaum eine Hilfe angedeihen lassen. Obamas Botschaft für die Millionen amerikanischer Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und täglich auf Jobsuche sind, ist schmerzhaft eindeutig: die Lage wird sich erst bessern, wenn die Verantwortlichen für die Krise wieder auf festen Füßen stehen.

Selbst angesichts des Bankrotts mehrerer bedeutender Konzerne des US-Kapitalismus haben Ideologen des freien Marktes Obamas Pläne zur Verwendung von Haushaltsgeldern für den maroden privaten Sektor kritisiert. Soweit sie betroffen waren, sollte jede von Insolvenz bedrohte Einrichtung Platz machen für jene, die erfolgreich durch die Gefahrenzone der komplexen Marktderivate und strukturell überakkumulierten Kapitals navigieren können. Diese „Bewegung“ zeigte sich am stärksten am Steuertag, dem Stichtag für die allgemeine Steuererhebung, als Hunderte in amerikanischen Städten auf die Straße gingen, um gegen den eindeutigen Missbrauch von Finanzmitteln durch die Regierung zu protestieren.

Ungeachtet dieser Ereignisse unterstützen die Republikaner im Kongress mehr oder weniger die Rettungsprogramme, wenn auch mit ihren eigenen Bedingungen, im Gegensatz zu denen, die durch die Obama-Regierung hervorgebracht werden. Sie sind schlau genug, wenigstens die Hilfsprogramme mitzutragen, um die Krise einzudämmen. Insgesamt haben die politischen Repräsentanten der herrschenden Klasse keine andere Wahl, als hinter der Politik der Obama-Regierung zu stehen und “auf das Beste zu hoffen”.

NI: Wie versucht die Obama-Administration, die Hoffnungen der Massen zu bedienen, ohne sie zu erfüllen? Gibt es Anzeichen, die auf einen Bruch der Massen mit der Regierung hindeuten?

WP: Auf eine sehr “clevere” Art versucht Obama, kleine Fortschritte gegenüber der Politik der Bush-Regierung als große Sprünge zu verkaufen. Auf diese Weise täuscht er vor, dass er den “Change” durchführen kann, ohne wirklich etwas zu verändern. Zusätzlich ist klar, dass viele seiner Vorschläge den Kongress nicht passieren werden. Beispiele dafür sind die Single Payer Health Care und der Free Choice Act. Auch wenn beide Themen nur kleine Schritte sind, wäre es dringend notwendig, sofort die soziale Absicherung der Arbeiterklasse zu verbessern.

Doch viele der Themen, die die Gehaltlosigkeit von Obamas Ruf nach “Change” offenbaren würden, werden von den Medien erst gar nicht erwähnt. Abgesehen von der leeren Parole, die Truppen aus dem Irak nach Hause zu bringen, finden sich kaum Artikel und Nachrichten über die grauenhafte Situation im Irak in der Presse. Diese Unbestimmtheit und Unklarheit sind wichtige Werkzeuge in den Händen Obamas.

Wir denken, dass sich mehr und mehr Leute der Tatsache bewusst werden, dass dies nicht die Art von Politik ist, für die sie bei der Wahl gestimmt haben. Nach Monaten der Ruhe können wir sehen, dass die Antikriegsbewegung wieder stärker wird; wir sehen, dass ArbeiterInnen für ihre Jobs kämpfen; wir sehen, dass das Bewusstsein über die schlechte wirtschaftliche Situation, und die Ursache dafür - den Kapitalismus - wachsen. Obamas Bewegungen werden  genau beobachtet, und an einem gewissen Ausmaß  haben die Leute realisiert, dass der versprochene “Wandel“ nicht verwirklicht wird.

NI: Wie reagieren die Arbeiterklasse und die Unterdrückten auf die Krise und ihre Auswirkungen?

WP: Die Erwerbslosenrate ist jetzt nahe bei 9% und zehntausende Jobs sind im letzten Monat verloren gegangen. Die verarbeitende Industrie ist am härtesten betroffen und entlässt fortwährend IndustriearbeiterInnen. Unglücklicherweise sind die Industriegewerkschaften extrem bürokratisiert. Gegenwärtig bieten sie keine wirkliche Hoffung für die Arbeiterklasse.

Aber die Aktivitäten der Basisbewegungen nehmen zu, da die Widersprüche im kapitalistischen System immer offensichtlicher werden. Überall im Land werden Proteste organisiert. Auch der Aktivismus an den Hochschulen wächst. Gruppen wie „Students for a Democratic Society“ (SDS), die für ihre Aktivitäten in den Sechzigern berühmt waren, wurden wiederbelebt. Doch diese Organisationen sind im Grunde reformistisch. Im Gegensatz dazu, identifiziert unsere Organisation die strukturellen Probleme im Kapitalismus und arbeitet dafür, eine sozialistische Gesellschaft mit revolutionären Mitteln zu schaffen.

Auch die Mittelschicht hat schon begonnen, sich gegen die Wall Street zu organisieren. Unser Ziel ist es, die zunehmende Entfremdung der Massen vom System und ihre Energie zur Überwindung des Unterdrückersystems zu nutzen.

NI: Welche Rolle spielen Gewerkschaften und „Workers Center“? Welche Formen des Widerstandes wurden bisher angewandt? Gibt es Anfänge einer landesweiten Koordination?

WP: Bisher haben die Gewerkschaften in der aktuellen Krise noch keine sichtbare Rolle gespielt. Indem sie nicht danach streben, für die Interessen der ArbeiterInnen zu kämpfen, verdeutlicht das, wie reaktionär die Gewerkschaftsbürokratie ist.

Die Abwesenheit der Gewerkschaften angesichts der Attacken ist exemplarisch für die Entfremdung der Gewerkschaftsbürokratie von den ArbeiterInnen und ihren Nöten. Während die ArbeiterInnen getroffen werden und für die tiefe Krise zahlen sollen, erhält die Gewerkschaftsbürokratie den Status quo für die Kapitalisten.

Die Basis muss von der Gewerkschaftsbürokratie losgebrochen werden. Die Gewerkschaften müssen von den ArbeiterInnen, von der Basis selbst organisiert und kontrolliert werden. Das ist der einzige Weg, wie die Gewerkschaften Bedeutung erlangen können.

Da die Gewerkschaften für die Erhaltung des Status quo arbeiten, gab es bisher keine landesweiten Aktionen. Die ArbeiterInnen werden diese selbst organisieren müssen, aber es gibt gegenwärtig keine Art organisierter Struktur, welche die Klasse im Kampf führen könnte und wollte.

Die ArbeiterInnen selbst beginnen das zu erkennen und haben begonnen, ihre Angelegenheiten in ihre eigenen Hände zu nehmen, z.B. in Stadtteilversammlungen oder bei Fabrikbesetzungen.

NI: Welches Programm vertretet ihr? Was ist eure Antwort auf die Krise?

WP: Was unsere Organisation von der Mehrheit - wenn nicht allen - “trotzkistischen” Gruppen, die formell in den USA bestehen, trennt, ist unser Festhalten am methodologischen Rahmen, der von Trotzki in seinem Übergangsprogramm umrissen wurde - im Gegensatz zu anderen Organisationen, die den Text wie eine religiöses Ikone anbeten und sie zugleich auf eine Reihe unveränderlicher “Gemeinplätze” reduzieren. In diesem Sinn bemühen wir uns um die Aktualisierung und Wiedererarbeitung der zentralen Lehren des Übergangsprogramms als eines fundamentalen Wegweisers zur Aktion für die ArbeiterInnen und kleinen Bauern - in der ihrem Ende entgegengehenden Ära der  Globalisierung, der letzten Phase des Imperialismus.

Unsere Antwort auf die aktuelle kapitalistische Krise ist einfach: Lasst die Reichen zahlen! Dies ist zwar ein grobes, vereinfachendes Statement, doch das ist der Kern, auf den unsere Forderungen zielen. Unsere Methode betont den Klassenkampf als zentrales, einziges Mittel, um die Arbeiterklasse an die Macht zu bringen und das kapitalistische System zu zerschlagen.

Durch die Anwendung der Übergangsmethode helfen wir den ArbeiterInnen und Kleinbauern in diesem Land, das Privateigentum und alle kapitalistischen Verhältnisse in ihren Grundfesten zu erschüttern. Jede einzelne unserer Forderungen zielt, wie Marx und Engels ausführten, auf  “despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht”. Unser Ausgangspunkt sind die unmittelbaren Forderungen der Arbeiterklasse gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise.

Dazu konkretisieren wir Losungen und Forderungen in Verbindung mit der realen Situation in einem bestimmten Moment. So fordern wir z.B. die Nationalisierung aller bankrotten Finanzinstitutionen unter kompletter Arbeiterkontrolle. Das ist eine komplett andere Stoßrichtung als das Eintreten für armselige Reformen, die an den Grundstrukturen des Systems nichts ändern.

NI: Ihr seid eine kleine und junge Gruppe. Was macht ihr, wo könnt ihr intervenieren? Was sind die nächsten Schritte für euch, eine funktionierende Organisation und eine Sektion der Liga für die Fünfte Internationale aufzubauen?

WP: Weil wir eine ziemlich neue Gruppe in der L5I sind, gibt es eine Menge technische, logistische und  organisatorische Probleme, die wir bewältigen müssen. Trotz der enormen Größe der Vereinigten Staaten und trotz des Fehlens einer starken und entschlossenen Bewegung der Arbeiterklasse, denken wir, dass wir an einer wichtigen Aufgabe arbeiten: dem Aufbau einer neuen revolutionären Bewegung in den Vereinigten Staaten. Da wir noch immer im Aufbauprozess dieser Bewegung sind, setzen wir den Schwerpunkt auf grundlegende Aufgaben wie den Aufbau und Start unserer Website sowie Druck und Verteilung von Zeitungen und Flugblättern. Natürlich bilden auch taktische und strategische Fragen, wo wir Intervenieren usw. Hauptpunkte unserer Diskussionen.

Es ist in den letzten Monaten sehr klar geworden, dass die Obama-Regierung komplett darin versagt, die wirklichen Probleme des Kapitalismus zu benennen oder gar zu lösen. Wir fordern ein Ende der imperialistischen Kriege im Irak, Afghanistan, und jetzt Pakistan - sofort! Wir unterstützen unsere GenossInnen in Pakistan, die für eine klassenlose kommunistische Gesellschaft kämpfen.

Im nationalen Maßstab, denken wir, ist die Regierungshilfe für Banken und Konzerne komplett daneben gegangen - sie ruiniert aber die Arbeiterklasse. Die nächsten unmittelbaren Schritte für uns bestehen darin, Mitglieder zu gewinnen, starke lokale Gruppen aufzubauen, und uns selbst in der L5I zu positionieren.

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Nr. 140, Juni 2009
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