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EU-Wahlen

Das Europa der Imperialisten in der Krise

Martin Mittner, Neue Internationale 140, Juni 2009

Die Europäische Union, so verkünden es die bürgerlichen Politiker, wäre eine „Segnung“ für die Menschen, eine „Friedengemeinschaft“ und ein Wirtschaftsraum, der einen einzigartigen „Schutzschirm“ biete.

Diese Phrasen waren und sind natürlich dazu da, den kapitalistischen und imperialistischen Charakter der EU und ihrer Führungsmächte Deutschland und Frankreich zu verschleiern.

Imperiale Konkurrenz

Die EU entpuppt sich angesichts der Krise wieder einmal als Zweckgemeinschaft imperialistischer Räuber, die in der internationalen Konkurrenz gegen die USA, aber auch gegen aufstrebende Mächte wie China zusammenarbeiten müssen, um ihre Ambitionen durchzusetzen. Sie erweist sich als Zweckgemeinschaft von Räubern, die zugleich aber vor allem ihre eigene Beute sichern wollen. Daher bringt Frankreich ein Konjunkturpaket für die französischen Banken und Konzerne auf den Weg, daher pumpen Merkel und Steinbrück Milliarden in deutsche Banken.

Ein EU-Paket gegen die Krise? Wozu? Um den Staatsbankrott in Ungarn, Rumänien u.a. neuen Mitgliedsländern Osteuropas abzuwenden, um zu verhindern, dass diese unter IWF-Aufsicht „saniert“ werden?

„Gerettet“ werden sie wohl werden, doch nur, wenn die Rettungsaktion sie umso enger politisch und ökonomisch an „ihre“ imperialistischen EU-Führungsmächte schmiedet, der US-Einfluss zugunsten von deutschem und französischem zurückgedrängt werden soll.

Trotzdem: Der verharmlosend „Integrationsprozess“ genannte Prozess der Arrondierung der osteuropäischen Halbkolonien unter die Vorherrschaft der großen imperialistischen Staaten, die in der Form eines europäischen Quasi-Staates auftritt und als solcher verewigt werden soll, ist ins Stocken geraten.

Nicht erst seit der Krise, sondern schon mit der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und Holland. Die politische Krise der Union ist weiter ungelöst und wird sich kurzfristig noch verschärfen, weil die inneren Probleme, die Frage der Lösung der Vorherrschaft in einem zukünftigen kapitalistischen Europa noch längst nicht gelöst ist - insbesondere angesichts der Frage der zukünftigen Stellung Britanniens.

Auch wenn die EU viele staatliche Funktionen der einzelnen Ländern übernommen hat, wenn rund zwei Drittel aller jährlich erlassenen Gesetze in den EU-Ländern vom europäischen Parlament kommen, wenn die EZB zur zweitgrößten und zweitmächtigsten „National“bank aufgestiegen ist, der Euro die einzige Währung darstellt, die mit dem Dollar annähernd mithalten kann, wenn es mittlerweile europäische Battlegroups, eine Rüstungsagentur usw. gibt - die EU ist weiter noch eine Föderation von Nationalstaaten, deren Existenz keineswegs sicher ist.

Vor diesem Hindergrund einer Krise nicht nur der Weltwirtschaft und Politik, sondern auch der EU selbst findet der Wahlkampf zum Europaparlament statt.

Unpolitischer Wahlkampf

Dabei hat es selten einen unpolitischeren Wahlkampf gegeben als diesen. Die FDP tritt mit „Silvana“ an und, wer es nicht genau weiß, kann rätseln, ob es ich dabei um die Spitzenkandidatin zur Europawahl oder eine Kandidatin in Heidi Klums Suche nach dem nächsten Top-Model handelt.

CDU stellt die Parole „Wir in Europa“ in den Mittelpunkt, die obendrein „Für den Weg aus der Krise“ stehen soll.

Dem hält die SPD ein „Europa ist unsere Sache“ entgegen. Außerdem wird trotzig für einen „Neustart der sozialen Marktwirtschaft“ und ein „soziales Europa“ geworben, um auch DIE LINKE mittels Sloganklau in Bedrängnis zu bringen.

In Deutschland jedenfalls erscheint die Europawahl als Wahl, die möglichst unauffällig vorübergehen soll. Die massenhafte Wahlenthaltung, die es sicher geben wird, ist hier einkalkuliert. Gerade weil sich die Lage in der EU zuspitzt, gerade weil die deutsche (und europäische) Bourgeoisie in den nächsten Jahren vor bedeutenden Entscheidungen steht, um ihr strategisches Projekt, die EU zu einem einheitlichen, schlagkräftigen Block in der Weltmachtkonkurrenz unter ihrer Führung zu formieren, passt es gut ins Bild, dass bei der Europawahl möglichst wenig Aufsehen erregt wird.

Genau diese politischen Wegscheidungen, die Pläne der herrschenden Klasse zur weiteren Formierung des imperialistischen Europa müsste im Wahlkampf angegriffen werden! Der imperialistische Charakter der EU muss bloßgelegt werden! Gerade die Krise liefert einen lebenden Beweis dafür, dass die EU ein Europa der Bosse, der Kapitalisten ist und nicht ein Europa der ArbeiterInnen oder der „Bürger“.

Davon ist aber selbst im Wahlkampf der Linkspartei nichts zu spüren, auch wenn in der Kandidatenaufstellung der rechte Flügel eine schwer Schlappe einstecken musste. Mit Kaufmann ist eine „bewährte“, rechts-sozialdemokratische EU-Parlamentarierin, die ohnedies nur durch Resolutionen gegen Kuba oder die Unterstützung der EU-Verfassung unangenehm aufgefallen ist, glatt durchgefallen und alsbald ausgetreten.

DIE LINKE

Auch wenn DIE LINKE die EU-Verfassung ablehnt, sich gegen weitere Militarisierung und Auslandeinsätze ausspricht, so bleibt ihre „Vision“ eines zukünftigen Europas nebulös. “Sozial, demokratisch, friedlich und ökologisch” soll es sein. Doch welches gesellschaftliche System ein geeintes Europa haben soll, welche Klasse herrschen soll - das thematisiert DIE LINKE nicht. Kein Wunder: Schließlich will sie nicht die „Systemfrage“ stellen, sondern das bestehende bürgerliche Europa, die bestehende EU reformieren. Dem Europa der Kapitalisten den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten Europas entgegenzuhalten, kommt der Linkspartei daher erst gar nicht in den Sinn.

Solche unverbindlichen Phrasen sind auch der Inhalt vieler anderer linker Kandidaturen in Europa wie z.B. jene des Wahlbündnisses SYRIZA in Griechenland. Selbst die zentristische NPA in Frankreich tritt zur Europawahl mit einem - verglichen zur ihrem Grundsatzprogramm - sehr verhaltenen Programm an, in dem die Frage des Kampfes gegen Imperialismus, die Frage der Solidarität mit Befreiungsbewegungen, des koordinierten Klassenkampfes, der Schaffung einer antikapitalistischen oder gar revolutionären Alternative zum Kapitalismus fehlen.

Zugleich ist all diesen Kandidaturen trotz aller Unterschiede aber gemeinsam, dass sie ein politischer Ausdruck der fortgeschrittensten oder aktiven Schichten der Arbeiterklasse sind, dass die bewusstesten und kämpferischeren Schichten der Klasse über diese Parteien ihre Ablehnung des bestehenden Europas des Kapitals, ihren Protest gegen die Politik der Regierungen und der EU zum Ausdruck bringen wollen.

Zweifellos liegt dieser Einschätzung auch der richtige Impuls zugrunde, dass die Lohnabhängigen auch in Wahlkämpfen mit einer eigenen Partei oder Liste eingreifen sollen. Ebenso spiegelt die Unterstützung dieser Parteien durch bedeutende Teile der Arbeiteravantgarde auch viele Illusionen in deren Reformismus bzw. Zentrismus wider.

Diese werden zweifellos noch dadurch verstärkt, dass die herrschende Klasse selbst bei manchen Kandidaten der Linkspartei schon „Feuer unterm Dach“ schreit, dass die bürgerliche Presse nicht umhin kann, auch gegen verbal-radikalere Reformisten zu Felde zu ziehen. Das bekräftigt zweifellos die Haltung vieler ArbeiterInnen, Jugendlicher, RentnerInnen und linker AktivistInnen, mit ihrer Stimme zumindest ihre Gegnerschaft gegen Imperialismus, Krieg und kapitalistisches Krisenmanagement zum Ausdruck zu bringen.

Hinzu kommt, dass sie auch kaum eine andere Chance haben, das auf dem Wahlzettel auszudrücken. Diese Arbeiterschichten wissen auch, dass ein „Ungültig-Wählen“ oder eine Wahlenthaltung überhaupt kein klarer Protest ist und überhaupt keine organisierte Haltung zum Ausdruck bringt.

Kritische Wahlunterstützung

Angesichts des Fehlens einer revolutionären Kandidatur zu den EU-Wahlen unterstützen wir als RevolutionärInnen die Kandidatur von Parteien, die, wenn auch in verzerrter Form, den Wunsch der Lohnabhängigen ausdrücken, mit eigenen Kandidaten, mit einer eigenen proletarischen Partei anzutreten. Daher rufen wir in Deutschland zur Wahl der Linkspartei auf.

Diese Unterstützung ist jedoch nur eine kritische und kann nur ein kritische sein. Die Partei DIE LINKE ist nicht einfach eine „Arbeiterpartei“, auch wenn viele ihrer Mitglieder Lohnabhängige sind (egal, ob berufstätig, erwerbslos oder als RentnerInnen), als GewerkschafterInnen und/oder in sozialen Bewegungen aktiv. Sie ist eine „Arbeiterpartei“, die trotz ihrer sozialen Basis unter den Lohnabhängigen, fest auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft steht, diese und den bürgerlichen Staat letztlich verteidigt. Sie ist, in den Worten Lenins, eine bürgerliche Arbeiterpartei.

Diese ArbeiterInnen wollen wir von der Linkspartei losbrechen und für eine revolutionäre Arbeiterpartei gewinnen. Dafür sind Diskussion, Kritik und geduldige Überzeugungsarbeit notwendig. Doch allein dadurch wird die Masse dieser Lohnabhängigen noch nicht von revolutionärer Politik überzeugt werden können.

Es ist dazu auch notwendig, mit diesen gemeinsam an allen nur möglichen Punkten den Kampf gegen die Herrschenden zu führen. In dem Sinne sagen wir: Wählt DIE LINKE! Drücken wir so unser NEIN zur Politik der herrschenden Klasse, der EU-Bürokraten und der Regierung aus!

Wir sagen aber zugleich ganz offen: Nehmt die Linkspartei für ihre sozialen Versprechen beim Wort, kündigt jede Rücksichtnahme auf ihre Regierungskoalitionen auf! Wählt DIE LINKE nicht nur, sondern kämpft gegen die Krise! Fordert DIE LINKE auf, diesen Kampf konsequent zu unterstützen.

Gegen den EU-Imperialismus! Nein zum Vertrag von Lissabon! Nein zu EU- und BRD-Interventionen! Sofortiger Rückzug aller Kampf- und Besatzungstruppen!

Gegen die Festung Europa! Weg mit dem Abkommen von Schengen! Stopp aller Abschiebungen und Schließung der Lager an den EU-Außengrenzen! Schluss mit allen Einreise- und Aufenthaltseinschränkungen für MigrantInnen! Offene Grenzen!

Europaweiter gemeinsamer Kampf gegen die Krise! Mindestlohn in allen Ländern, festgelegt von der Arbeiterbewegung! Gemeinsamer Kampf gegen Entlassungen und für Arbeitszeitverkürzung! Entschädigungslose Enteignung aller Betriebe, die entlassen oder schließen!

Für einen europaweiten Plan gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Arbeiterkontrolle, finanziert aus Profiten und Vermögen der Kapitalisten! Schluss mit den Diktaten und der „Unabhängigkeit“ der EZB! Arbeiterkontrolle über das europäische Bankensystem!

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Nr. 140, Juni 2009
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*  Ökologie: Green New Deal?
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*  Sri Lanka: Im Norden Völkermord, im Süden Hunger und Unterdrückung
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