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RAF-Diskussion

Widerstand oder “Terrorismus”?

 

„Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft

Zog das durch die deutsche Landschaft

Rülpste, kotzte, stank und schrie:

Freiheit und Democracy!“

(Bert Brecht)

Martin Suchanek, Neue International 118, März 2007

„RAF-Terroristin läuft durch Berlin“, hetzt am 19. Februar die Berliner BZ gegen die Freigängerin Eva Haule und suggeriert,  dass die BürgerInnen solcher „Bedrohung“ schutzlos ausgeliefert wären. Gebt acht BürgerInnen, vielleicht fahren „RAF-Terroristen“ demnächst auch in „unserer“ Straßenbahn, essen in „unseren Restaurants“ oder trinken in „unseren Kneipen.“

Die Hysterie der bürgerlichen Öffentlichkeit angesichts der Diskussion um die „frühzeitige“ Haftentlassung von Klar und Mohnhaupt überschlägt sich (nicht nur) in der Springerpresse.

Während Bundespräsident Köhler grübelt, fordern Vertreter und Klaqueure des deutschen Imperialismus „Reue“ und „Entschuldigung“ bei den Opfern. Andere wieder sprechen sich dafür aus, das Kapitel RAF „abzuschließen“ und die Gefangenen wie „normale Verurteilte“ zu behandeln.

Über diese Differenz hinweg eint beide Seiten: die Geschichte der RAF, der „Bewegung 2. Juni“ u.a., ihre Entstehungsursachen usw. sollen politisch entsorgt werden. Hinter dem Label „Terrorismus“, hinter ganzen Regalreihen psychologisierender Darstellungen in Filmen, Büchern oder Nachrichtenmagazinen soll versteckt werden, dass es sich bei RAF oder der „Bewegung 2. Juni“ um politische Gruppierungen mit eigenen Zielen handelt.

Politisch erscheinen sie als mehr oder weniger als „durchgeknallt“, in der sozialdemokratischen Gegenpropaganda der 70er Jahre gleich als „rote Faschisten.“

Für die herrschende Klasse macht das zweifellos Sinn: Die Entsorgung der Geschichte der RAF soll zur Entsorgung jeder Form anti-kapitalistischer, radikaler, sozialistischer oder kommunistischer Politik genutzt werden. Gleichzeitig kann so auch der immanent verbrecherische und barbarische Charakter des kapitalistischen Weltsystems, des Imperialismus relativiert, ja negiert werden.

In der „wohlwollenden“ bürgerlichen Geschichtsschreibung - und das schließt Teile der sozialdemokratischen und z.T. auch der stalinistischen - ein, erscheint die Stadtguerilla in der BRD als persönlicher biografischer Irrweg, der durch übertriebenen Fanatismus, durch Aktivitäten in der Studentenbewegung, traumatisierende Erfahrungen usw. ausgelöst worden wäre.

Entstehungsursachen

Für MarxistInnen muss die Entstehung der RAF aus der politischen Konstellation der Nachkriegs-BRD und der Klassenkämpfe verstanden werden.

Hier ist erstens der strukturelle Anti-Kommunismus in Westdeutschland und dessen Rolle als imperialistischer Vorposten gegen den Ostblock wichtig. Hinzu kommt, dass diese Ideologie durch die konkreten Erfahrungen der Arbeiterklasse mit dem Stalinismus noch zusätzlich verstärkt wurde.

Zweitens muss die Entstehung der RAF auch als Reaktion auf die konterrevolutionäre Rolle der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbürokratie im Inneren wie nach außen Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre verstanden werden.

Die Repression gegen die Arbeiterbewegung und die Linke ist ein kontinuierliches Moment der deutschen Nachkriegsgeschichte und der Restauration unter Adenauer. Betriebsverfassungsgesetz, KPD-Verbot, Notstandsgesetze, Berufsverbote gab es lange, bevor es die RAF gab.

Natürlich erstreckte sich die Rolle der Sozialdemokratie nicht nur auf die Innenpolitik. Fast noch wichtige war die konterrevolutionäre Rolle der Sozialdemokratie und der Zweiten Internationale unter Brandt/Wehner auf der europäischen und internationalen Bühne - von der Unterstützung des barbarischen Vietnam-Kriegs über den Schah bis der Niederhaltung der portugiesischen Revolution.

Darin zeigt sich auch der reaktionäre Charakter all jener Ideologeme, die behaupten, erst der „Terror der RAF“ hätte die staatliche Repression durch den deutschen Imperialismus auf den Plan gerufen - gerade so, als ob es ohne Widerstand auch die Widerstands-Bekämpfungs-Organe; als ob es ohne „Verfassungsfeinde“ auch keinen Verfassungsschutz gegeben hätte.

Zweifellos wurden die Anschläge der RAF usw. zum Vorwand für den weiteren Ausbau der Repression, zur medialen Zurichtung der Öffentlichkeit und zur Legitimation des de facto Ausnahmezustandes im Herbst 1977, als die sozial-liberale Koalition praktisch auf Basis der Notstandsgesetze regierte, genommen.

Es stellt aber den realen Zusammenhang total auf den Kopf, die staatliche Repression als Resultat der „Stadtguerilla“ darzustellen, wie das z.B. Lucy Redler von der SAV tut, wenn sie behauptet: „die selbst ernannte ‚Stadtguerilla' lieferte dem politischen Establishment alle Möglichkeiten, den Staat gegen die gesamte Linke in Stellung zu bringen“. (SAV-Online)

Die Schweigeminuten für Schleyer werden bei Redler auf den enormen Druck auf die ArbeiterInnen zurückgeführt und damit entschuldigt, dass sich „dem sich kaum jemand entziehen konnte.“ Das mag stimmen, wenn man den einzelnen, individuellen Arbeiter betrachtet. Doch nirgendwo kommt bei Redler die politische Verantwortung der Gewerkschaften und der SPD zur Sprache, die diesem Druck keinesfalls nur einfach „ausgeliefert“ waren, sondern mit allen Mitteln aktiv ihrer Funktion der Verteidigung des imperialistischen Staates nachkamen.

Die RAF war eine - wenn auch verzweifelte, letztlich ohnmächtige und zum Scheitern verurteilte - Reaktion auf die „sozialstaatlich“ vermittelte repressive Integration großer Teile der Arbeiterklasse in die Nachkriegsordnung und auf die konterrevolutionäre sozialdemokratische Dominanz der Arbeiterbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Letzteres drückte sich auch in der quasi-polizeilichen Säuberung der Gewerkschaften von klassenkämpferischen Elementen aus.

Die RAF war eine Reaktion auf das Versagen der Linken, eine revolutionäre Alternative zur Sozialdemokratie (und zur DKP) aufzubauen, die sowohl für die ArbeiterInnen wie für spätere GenossInnen der RAF ein Anziehungspunkt hätte sein können.

Terrorismus und Marxismus

Aus dieser Situation versuchten die AnhängerInnen der „Stadtguerilla“ einen revolutionären Ausweg zu suchen. Dabei entwickelten sie freilich eine Strategie, die an längst gescheiterten Modellen des 19. Jahrhunderts anknüpfte.

Ähnlich historischen Vorreitern des „individuellen Terrors“ wie den russischen Narodniki verstanden sich die RAF oder die „Bewegung 2. Juni“ sehr wohl als Teil einer globalen anti-imperialistischen Bewegung und des Klassenkampfes in den Metropolen und hofften, Integration und Befriedung der Klasse in ein relativ stabiles Herrschaftsgefüge durch den „bewaffneten Kampf“ im wahrsten Sinne des Wortes „aufzusprengen“.

Vom moralischen Standpunkt und vom Standpunkt der Hingebung an die Sache - nicht bezüglich ihrer Strategie oder ihrer Aktionsmethoden - können die RAF oder die „Bewegung 2. Juni“ noch heute vielen RevolutionärInnen und KlassenkämpferInnen als Vorbilder dienen.

Die verlogene Empörung über den Tod der Funktionsträger und Vorreiter der herrschenden Klasse vom Faschismus bis zum „demokratischen“ Imperialismus der Nachkriegsära ist unsere Sache nicht.

Die Kritik an Strategie und Kampfmethode der RAF liegt vielmehr darin, dass sie nie geeignet war, den deutschen Imperialismus, die Herrschaften des Kapitalistenklasse wirklich zu gefährden oder die Massen in den Klassenkampf zu zeihen.

Nur eine große revolutionäre Massenbewegung, die vom System der Klassenausbeutung, von nationaler Unterdrückung und Rassismus nichts bestehen lassen wird, kann die Unterdrückten befreien.

Das Problem an der Strategie der individuellen Terrors ist, dass er keine Vermittlung weist, keinen Weg, wie die Kräfte einer relative kleinen Avantgardeschicht der Klasse mit revolutionärem Klassenbewusstsein durchdrungen werden können, wie revolutionäres Bewusstsein in den Klassenkampf eingebracht werden kann.

Im Gegenteil: der individuelle Terror macht es dem Staat in der Regel leichter, den revolutionären Kern von den Massen, ja selbst von der Vorhut der Klasse zu isolieren. Selbst wo er auf breite Zustimmung der Unterdrückten trifft - und das war sehr wohl in bestimmten Situationen der Fall - befriedigt er zwar den verständlichen Wunsch nach Rache oder Abrechnung mit den Herrschenden, aber er suggeriert zugleich, dass heroische Einzelaktionen von kleinen Gruppen die Aktivität einer Massenbewegung ersetzen könnten.

Der individuelle Terror behindert die Einsicht, dass sich die unterdrückte Klasse selbst organisieren muss. Das ist seine größte, vom Standpunkt der sozialistischen Revolution, fatale Schwäche.

Schnee von gestern?

Eine bemerkenswerte Übereinstimmung fast aller Kommentatoren zur RAF liegt wohl darin, dass sie alle diese Form der politischen Aktion für Deutschland für erledigt halten. Das kommt nicht mehr, versichern alle Seiten - inklusive großer Teile der Linken. Sicher wird es eine RAF oder eine „Bewegung 2. Juni“ so nicht mehr geben.

Doch, betrachten wir die gesellschaftlichen Ursachen, welche die GenossInnen zur Gründung der RAF und ähnlicher Organisationen führten, so sind sie keineswegs verschwunden. Der Imperialismus schlägt wilder um sich denn je, die innere Krise des Kapitalismus bereitet eine globale Barbarei vor, sollte ihr die sozialistische Weltrevolution nicht rechtzeitig in den Arm fallen.

Die Sozialdemokratie ist verbürgerlichter denn je. Die Gewerkschaftsfunktionäre verteidigen den Standort in chauvinistischer Manier, so gut sie können und verkaufen dabei ihre Mitglieder nach Strich und Faden aus. Die PDS/WASG fusionieren, um - ähnlich wie die RC in Italien - Verantwortung für imperialistische Kriege und sozialen Kahlschlag zu übernehmen.

Zugleich sind die realen Reserven sozial-staatlicher Integration drastisch geschrumpft, sind Zugeständnisse an größere Teile der Arbeiterklasse immer weniger möglich. In einer solchen Situation ist es durchaus möglich, dass junge KämpferInnen, entrechtete Arbeitslose zu verzweifelten Aktionen übergehen - seien es eruptive, emeutenhafte, lokale aufstandsähnliche Bewegungen, seien es Anschläge auf Institutionen oder Personen des Systems.

Bei diesen AktivistInnen paaren sich oft Heroismus mit Ungeduld und Verzweiflung, was die Gefahr birgt, dass sich die revolutionäre Energie nach raschem, spontanen Aufbegehren rasch verbraucht, verpufft oder dass anstelle des Aufbaues einer kämpferischen, militanten Massenbewegung eine mehr oder minder konspirative Kleingruppe isoliert agiert.

In dieser Hinsicht ist für uns eine revolutionäre Kritik der RAF notwendig, eine Kritik die nicht auf „Abschwören“, Reue oder ähnliche Demutsgesten zielt, sondern darauf, eine politische Organisationsform - eine revolutionäre Kampfpartei und Internationale - zu schaffen, die nicht nur mit den einzelnen Repräsentanten des imperialistischen Systems, sondern mit dem globalen Kapitalismus insgesamt erfolgreich abrechnen kann.

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Nr. 118, März 2007
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*  Rente mit 67: Die Basis kämpft - die Führung kneift
*  Internationaler Frauentag: Emanzipation im Kapitalismus?
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*  RAF-Diskussion: Widerstand oder "Terrorismus"?
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