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Aktionen gegen Studiengebühren

Über Gebühr teuer

Theo Tiger, Neue Internationale 106, Dezember 2005/Januar 2006

StudentInnen sind als erste gesellschaftliche Gruppe gegen die Große Koalition auf die Straße gegangen. In Düsseldorf waren mehr als 4.000 StudentInnen auf der NRW-Demo, in Stuttgart waren es ca. 3.000. Zwar sind die Aussagen der Koalition zur Bildungspolitik bislang mehr als dürftig, doch das, was gesagt wurde, zeigt die Richtung klar auf. Bildung soll Ländersache bleiben, im Zuge der Föderalismusreform soll sie sogar vollständig den Ländern unterstehen. Doch was bewirkt diese „föderale“ Kompetenz für die Studierenden?

Als erstes haben Nordrhein-Westfahlen und Baden-Württemberg die Einführung allgemeiner Studiengebühren angekündigt, Niedersachsen, Hamburg und das Saarland werden folgen. Das ist Länderkompetenz in der Praxis.

Einer der bekanntesten kapitalistischen Glaubenssätze, dass Konkurrenz zwischen mehreren Anbietern den Preis für die Konsumenten drückt, wird auch im Bereich der staatlichen Bildung ad absurdum geführt. Die Konkurrenz der Länder führt zunächst einmal zu einem neuen „Mindestpreis“ für universitäre Bildung, der bei 500 € pro Semester liegt - sobald die geförderte Konkurrenz beginnt, entsteht auch ein neues Preisniveau.

Damit wird die soziale Selektion an deutschen Universitäten weiter vorangetrieben. Wenn schon heute weniger als 20% der StudentInnen aus „einfachen“ Verhältnissen kommen, wird dieser Anteil durch die neuen Studiengebühren noch weiter absinken. Für die noch Studierenden bedeutet dies vor allem, noch mehr nebenbei zu arbeiten, um das Studium finanzieren zu können. Der Druck, das Studium irgendwie zu beenden, wächst.

Schon heute müssen LangzeitstudentInnen in Hessen bis zu 900 € pro Semester zahlen. Viele  arbeiten 80 bis 100 Stunden im Monat für oft sehr niedrigen Lohn für Unternehmer, die sich über die steuerlichen Vorteile dieser Billigarbeit freuen.

Durch die anstehende Gebührenoffensive werden besonders Studierende aus den unteren Schichten aussortiert: die Uni wird sozial neu „geordnet“. Diesen Trend gibt es allerdings schon seit Jahren, was u.a. durch die immer weiter zurückgehende Zahl von BaFöG-EmpfängerInnen belegt wird. Auch die letzte PISA-Studie kommt zum Schluss, dass die soziale Ungleichheit im Bildungsbereich und die benachteiligung von sozial Schwachen im internationalen Vergleich besonders hoch ist und sich zudem weiter verschlechtert hat.

Bildung und Kapital

Dazu kommt die verschärfte „Drittmittelpolitik“ der Kultusministerien. Die Unis werden dabei für die Anwerbung von Geldern aus der privaten Wirtschaft belohnt. Je mehr Drittmittel eine Uni bekommt, desto weniger werden ihre staatlichen Zuschüsse gekürzt.

Als Folge davon sind die Geistes -und Sozialwissenschaften, die am wenigsten direkt „verwertbar“ sind, an den meisten Universitäten chronisch unterfinanziert, Lehrstellen bleiben jahrelang unbesetzt und manche Universitäten schließen sogar ganze Teilbereiche. So geschehen in Göttingen, wo jetzt die Politikwissenschaft gestrichen wurde.

Prämiert werden hingegen die für lukrative Patente relevanten Fachbereiche. Kann eine Uni dort Drittmittel anwerben, ist ihre Zukunft gesichert - umso mehr, wenn zugleich kostenträchtige „unprofitable“ Fachbereiche abgestoßen werden.

Das führt in jeder Hinsicht zu einer noch direkteren Unterordnung von Forschung und Lehre unter die Bedürfnisse des Kapitals. Die These des Grundgesetzes von der „Freiheit von Forschung und Lehre“ erweist sich immer deutlicher als reine Farce. Ideologisch wird diese Unterordnung der Unis unter die Bedürfnisse der großen Konzerne noch durch einen angeblich „engeren Praxisbezug“. Eng damit verwoben ist die inzwischen gängige Vorgehensweise, dass Studierende in Praktika oder sogar über Werkverträge zeitweise praktisch Teil der Belegschaft von Unternehmen werden - als Lohnabhängige, die zu schlechteren Konditionen und meist außerhalb des geltenden Tarifvertrages arbeiten und objektiv als Lohndrücker agieren. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Gewerkschaften und „Stamm“belegschaften dieses Klientel enger einbindet: in Tarife, in die Gewerkschaft und v.a. in die Kämpfe der Lohnabhängigen. Zugleich verweisen die „WerkstudentInnen“ darauf, dass es heute eigentlich nicht nur notwendiger, sondern oft auch objektiv leichter als früher ist, eine direkte Verbindung zwischen den Studierenden und der Arbeiterklasse, zwischen Aktionen an den Unis und den betrieblichen Kämpfen herzustellen.

Die gesamte staatliche Bildung - nicht nur die Unis - wird neu geordnet und dabei tendenziell auch privatisiert. Privat- und Eliteunis und -gymnasien sollen nicht nur den Nachwuchs der herrschenden Eliten „züchten“, zugleich sollen dem privaten Kapital damit auch neue Anlagemöglichkeiten geschaffen werden. Um diesen Prozess unter dem verlogenen Motto der „Bildungsvielfalt“ zu unterstützen, werden zunehmend Mittel aus der „normalen“ Bildung „abgezweigt“ bzw. die Kosten den Lernenden und ihren Eltern aufgebürdet. Der Staat tritt nicht mehr als Verteiler von Bildungschancen auf, sondern verstärkt als Türöffner für die private Wirtschaft.

Der ehemalige neoliberale Vorreiter der Union, der elitegetriebene Roland Koch, muss sich derzeit leider zurück halten, da ihm ein alter Artikel der Hessischen Landesverfassung die Einführung allgemeiner Studiengebühren (noch) verbietet. Das wirft die Frage auf, welche Partei ihm im Landtag zur nötigen Zweidrittel-Mehrheit verhilft? Schließlich kann ja das Land, welches als erstes die Einführung von Langzeitstudiengebühren durchgesetzt hat, nicht bei den „allgemeinen“ Gebühren zurückstehen, denn dies wäre natürlich ein „Standortnachteil“ für hessische Universitäten. So jedenfalls stellt sich das in der neoliberalen Klein-Fritzchen-Logik dar.

Doch schon heute profitiert z.B. die Uni Kassel von den anstehenden Gebühren in Niedersachsen. Durch die gleichzeitige Streichung einiger Fachbereiche in Göttingen kommen viele Erstsemester an die Kasseler Uni. Auch das ist für das Kultusministerium ein Kriterium bei der Mittelzuwendung. Um den Ansturm zu bewältigen, hat übrigens der Dekan der Sozialwissenschaften, attac-Ideologe Scherrer einen Aufnahmetest für Erstsemester angekündigt. Damit will er mehr als die Hälfte der Erstis aus dem Fachbereich schmeißen. So sieht attac-Bildungspolitik in der Praxis aus!

Was tun?

Wie können die StudentInnen gegen diese Politik vorgehen? Verbindungen, wie jene März 2005 in Mannheim, als Streikende der Eichbaum-Brauerei zusammen mit StudentInnen auf die Straße gingen, sind beispielhaft und müssen verallgemeinert werden! Es war durchaus eine allgemeine Tendenz der Uni-Streiks der letzten Jahre, dass sie engere Verbindungen zu den Gewerkschaften und Betrieben suchten und über den spezifisch universitären Rahmen hinausgehende soziale Fragen aufwarfen.

Doch oft blieb es bei der guten Absicht. Nicht zuletzt, weil die reformistischen Führungen sowohl der Arbeiterklasse, als auch der Studierenden nicht mehr wollten. Insofern müssen die StudentInnenverbände der Länder den Kontakt zu aktuellen Arbeitskämpfen aufnehmen, um den Protest auszuweiten und. Noch wichtiger ist das aus zwei anderen Gründen. Erstens ist die Arbeiterklasse immer noch der größte und potentiell kampfkräftigste Teil der Gesellschaft. Zweitens ist nur die Arbeiterklasse in der Lage, ihren Aktionen durch die Unterbrechung der Produktion, jenen ökonomischen Druck zu erzeugen, der wirklich etwas erzwingen kann.

Für sich allein, demonstrieren die StudentInnen nur ihren jeweiligen Landesregierungen „hinterher“, werden im Protest oder im Streik von Grünen und Jusos für blöd verkauft und können keinen politischen Druck aufbauen. Wenn StudentInnen streiken wollen, dann müssen sie sich mit allen anderen Teilen des sozialen Widerstandsspektrums - ArbeiterInnen, Erwerbslosen, RentnerInnen, SchülerInnen, ImmigrantInnen usw. - zusammentun! Sie müssen mit diesen gemeinsame, demokratische wie handlungsfähige und verbindliche Aktionsstrukturen aufbauen. Letztlich muss das in den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung münden!

An den meisten Universitäten gibt es heute GEW- oder ver.di-Gruppen, die sich um die Organisierung der wissenschaftlichen Hilfskräfte (Hiwis) und den sonstigen Beschäftigten an den Unis kümmern. Diese Strukturen sollten für Protest und Streikaktionen genutzt und ausgebaut werden.

Wo noch nichts läuft, sollten zunächst einmal Vollversammlungen der Uni bzw. der Fachbereiche einberufen werden, um die anstehenden Angriffe zu diskutieren und Gegenmaßnahmen zu beschließen. Als erstes sollten Kontakte zu jenen Unis hergestellt werden, die schon im Kampf stehen.

Ein Uni-Streik wird umso mehr Erfolg haben können, desto geschlossener die Streikfront ist. Uni-Streik muss heißen, die Uni - und besonders die kommerziell relevanten Forschungsbereiche - zu blockieren. Geschieht das nicht, wird die Streikfront bald zerbröseln, weil die AktivistInnen ermüden und isoliert werden, während die anderen derweil ihre Scheine machen.

Die Studierenden müssen auch konkrete Forderungen, z.B. nach Rücknahme aller Studiengebühren, Abschaffung des numerus clausus usw. an die Linkspartei richten und sie auffordern, den Kampf zu unterstützen. Wenn sie es tun, umso besser; wenn nicht, wird das vielen Studierenden die Illusionen in die Reformisten a la Lafontaine und Gysi nehmen.

Eine gute Gelegenheit, die bisherigen Aktionen der Studierenden zu bündeln und auszuweiten, ist der für März geplante Internationale Aktionstag gegen Bildungsabbau anlässlich der EU-Ministerkonferenz in Wien.

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Nr. 106, Dez 2005/Jan 2006

*  LL-Demo 2006: Klassenkampf gegen Krieg und Imperialismus
*  Linkspartei-Fusion: WASG-Berlin sagt NEIN
*  Strategie- und Aktionskonferenz: Die Koalition greift an - die Konferenz zaudert
*  Aktionen gegen Studiengebühren: Über Gebühr teuer
*  Heile Welt
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: Krise und Klassenkampf
*  Frauen und prekäre Arbeit: Küche, Krise, Kapital
*  Israel/Palästina: Alles nur Lüge
*  Ausnahmeszustand in Frankreich: Der Aufstand der Jugend und die Linke