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Dresden

Pegida feiert sich – und es gibt statt Protest ein Bürgerfest

Martin Suchanek, Infomail 910, 19. Oktober 2016

Es war schaurig in Dresden. Am 16. Oktober, dem zweiten „Jahrestag“ von Pegida, demonstrierten nur wenige hundert Menschen gegen den rassistischen Aufmarsch. Schätzungen sprechen von 500 TeilnehmerInnen, die zumeist aus dem „linksradikalen“ Spektrum kamen. Allein das ist schon ein politisches Alarmsignal.

Auch Pediga hat zwar schon größere Demonstrationen organisiert, aber die Rechten vermochten rund 8.000 zu mobilisieren, obwohl sie kurzfristig vom Montag auf den Sonntag umdisponieren mussten. Versammelt war bei der Pediga-Veranstaltung ein Spektrum aus FaschistInnen wie den Identitären, diversen unabhängigen Nazis, rechten „Vordenkern“ und jeder Menge WutbürgerInnen. Auch wenn sich die AfD nicht offiziell blicken ließ, so gilt sie als parlamentarischer Arm dieser Bewegung, der weiter nach rechts getrieben werden soll.

Angriffe auf Geflüchtete und MigrantInnen sind gerade in Sachsen mittlerweile zu einer „Normalität“ geworden, die mit einem Rechtsruck der Gesellschaft und zunehmendem staatlichen Rassismus einhergeht.

„Bürgerfest“ statt Kampf

Die wenigen hundert GegendemonstrantInnen waren zu schwach, um mehr als symbolischen Protest leisten zu können. Die Rechten konnten ihre Versammlung ungestört und unbehelligt abhalten, die Bullen sorgten für „Ordnung“ und zahlreiche Vorkontrollen der wenigen GegendemonstratInnen. Darüber hinaus hatte die Polizei schon im Vorfeld die Gegenkundgebungen mit schikanösen Auflagen belegt, um sicherzustellen, dass die Pegida-Kundgebung auch durch Sprechchöre der beiden Gegenkundgebungspunkte nicht gestört werden konnte.

Während in den letzten Jahren gelegentlich Versuche unternommen worden waren, größere Kräfte, die sog. „Zivilgesellschaft“, gegen die Rechten zu mobilisieren, sich ihren Demos oder Kundgebungen entgegenzustellen, verzichteten die Gewerkschaften, Linkspartei, SPD, aber auch „Die Grünen“ oder die Kirchen auf jede Gegenmobilisierung am Tag des Aufmarsches.

Statt dessen führte das Bündnis „Herz statt Hetze“ am Montag, dem 17. Oktober, zwei Demonstrationen durch, die in einem Bürgerfest mündeten, das vom Dresdner Oberbürgermeister Hilbert organisiert wurde. Hilbert selbst ist FDP-Mitglied und kandidierte 2015 als „Parteiloser“ für die Liste des Vereins Unabhängiger Bürger für Dresden. Er konnte sich im zweiten Wahlgang mit Unterstützung von CDU, Freien Wählern und der Pegida-Kandidatin Festerling gegen die SPD-Kandidatin Stange durchsetzen. Kein Wunder, dass er und die CDU den „Gesprächsfaden“ mit Pediga nie „abreißen“ lassen wollten.

Das „Bürgerfest“ selbst war und ist ein Fest der Heuchelei von „weltoffenen“ BürgerInnen, die syrische Musiker aufspielen lassen und zugleich die Grenzen für die Opfer des Bürgerkriegs dicht machen. Die von Hilbert, Merkel, Gabriel und Co. beschworene „Demokratie“, die mit dem Rassismus eines Bachmann oder Elsässer nichts zu tun haben will, verwehrt ihrerseits den Geflüchteten wie allen MigrantInnen grundlegende demokratische Rechte. Von offenen Grenzen für alle, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut fliehen müssen, will sie erst recht nichts wissen.

All das zeigt, wie perspektivlos und defensiv die ArbeiterInnenbewegung und die reformistische Linke geworden sind. Statt die Heuchelei eines Hilbert oder der Bundesregierung zu brandmarken, wird der Schulterschluss mit dem Oberbürgermeister weitab von den Aktionen von Pediga gesucht.

Das hilft nur den Rechten. Bachmanns Aufruf, das Bürgerfest durch eine „gemeinsame Raucherpause“ zu stören, verdeutlicht, dass sich in Sachsen das Kräfteverhältnis gefährlich zugunsten der Rechten verschoben hat. Dass es zu keinen Pöbeleien Rechter kam, darf nicht als Entwarnung missverstanden werden.

Im Gegenteil: Die Verlautbarungen der OrganisatorInnen des Bürgerfests, dass Pegida auf dem absteigenden Ast sei, sind bestenfalls eine gefährliche Selbsttäuschung.

In Wirklichkeit verhält es sich leider umgekehrt. Am Beginn der Pegida-Mobilisierungen gelang es auch in Dresden, Tausende, wenn nicht mehrere Zehntausend zu Gegendemonstrationen zu versammeln. Heute wird das nicht einmal mehr versucht.

Das liegt einerseits daran, dass Großorganisationen wie die Gewerkschaften nur mit angezogener Handbremse gegen Pediga protestieren, weil sie für den Fall eines offensiven antirassistischen Auftretens Mitgliederverluste befürchten. Diese kurzsichtige, passive und feige Haltung wird letztlich nur das Gegenteil erreichen. Sie wird nicht zu einem Stopp etwaiger Austritte, sondern zu einer weiteren Unterhöhlung der gewerkschaftlichen Solidarität führen und den Sozialchauvinismus in der ArbeiterInnenklasse weiter nähren.

Linkspartei und erst recht die SPD sind wegen ihrer Politik in der Bundesregierung bzw. in der thüringischen Landesregierung selbst unglaubwürdig. Ein Teil der Führungen dieser Parteien biedert sich selbst an Pegida an und verzichtete auf ein anti-rassistisches Profil. Jene, die gegen Rassismus kämpfen wollen, scheuen die notwendige innerparteiliche Konfrontation, wollen aber vor allem ihren „GenossInnen“ in den Bundes- und Landesregierungen keine allzu großen Schwierigkeiten machen.

Daher gab es am 16. Oktober nicht einmal eine friedliche Gegenmanifestation bürgerlicher DemokratInnen. Am 17. Oktober fehlten jede Kritik am staatlichen Rassismus, jede Klassenlinie, jede Perspektive für organisierte, massenhafte Selbstverteidigung und der Ruf nach einem Bündnis der ArbeiterInnenorganisationen und MigrantInnen vollkommen.

Dieses Abtauchen der Großorganisationen führt auch dazu, dass jene, die gegen Pegida und Rassismus ankämpfen wollen, oft einer Übermacht von WutbürgerInnen und auch ganz direkten Drohungen und Angriffen von rechten und faschistischen Schlägerbanden ausgesetzt sind, die unter mehr oder weniger offener Duldung der Polizei stattfinden können.

Jede Aktion, jede Provokation, jede rassistische Pöbelei, jeden Angriff, den sie ohne Gegenwehr durchführen können, wird sie noch provokativer, aggressiver, stärker machen und so den Boden für pogromartige  Ansammlungen und Attacken wie in Bautzen bereiten.

Die „Linksradikalen“

Auch wenn die Kundgebungen am 16. Oktober wenige hundert Menschen umfassten, so zeigten diese immerhin jene Courage, die sich die VertreterInnen der sog. „Zivilgesellschaft“ besonders auf die Fahnen schreiben.

Aber die Aktionen am Sonntag ließen auch die verfehlte Strategie des Bündnisses Nope deutlich zu Tage treten. Diese anti-deutsch und anti-national geprägten Kräfte spielen in Dresden eine führende Rolle – und das hat für den Kampf gegen Rassismus fatale Auswirkungen, wie am Sonntag zu beobachten war.

Während sich Gewerkschaften, Linkspartei... auf Bürgerfeste konzentrieren, versucht die Szene nichts, um die proletarischen und MigrantInnenorganisationen für ihre Aktionen zu mobilisieren.

Für diese Linksradikalen sind Antirassismus und Antifaschismus keine Fragen des Klassenkampfes, sondern des richtigen Denkens. Ideologisch stehen sie den „Demokraten“ vom Bürgerfest näher, als sie ahnen. Auch für sie geht es nicht darum, dem Rassismus durch gemeinsamen Kampf von MigrantInnen, Geflüchteten, Gewerkschaften und linken Organisationen unter den Massen den Nährboden zu entziehen.

Sie begreifen Rassismus vielmehr als eine Einstellungs- und Erziehungsfrage der „Dummen“. Falsche Ideen wie Ablehnung der Demokratie, Nationalismus, Rassismus müssen bloß „raus aus den Köpfen“. Politik wird durch Pädagogik ersetzt, der linksradikale Kapuzenträger ähnelt einem Schulmeister, der die Bevölkerung auf political correctness trimmt.

Ihr Antirassismus ist darüber hinaus selbst mit Chauvinismus gepaart, wenn es zum Beispiel um die Solidarität mit den PalästinenserInnen geht. Die Anti-Deutschen unterstützen den zionistischen Rassismus und deren imperialistische Verbündete, einschließlich der Bundesregierung – und scheuen auch nicht davor zurück, InternationalistInnen wie die GenossInnen der Jugendorganisation Revolution wegen ihres Antizionismus zu diffamieren.

Welche Strategie?

Unter allen Großstädten Deutschlands ist Dresden wohl jene, wo sich das Kräfteverhältnis am ungünstigsten zugunsten der Rechten verschoben hat. Noch weit dramatischer ist es in sächsischen Kleinstädten, wo sich der rechte Mob offen zeigt und auf keine ernste Gegenwehr stößt.

Die Niederlage vom 16. Oktober zeigt, dass es hier eine grundlegende Umkehr braucht, dass die ArbeiterInnenbewegung hilflos und in der Defensive ist, dass der „anti-deutsche“ Weg ein Weg in die Sackgasse ist, dass die wenigen linken Kräfte mit dem Rücken zu Wand stehen.

Angesichts dieser Defensive kann die Lösung auch nicht im Rückzug auf Unterstützungsarbeit oder im Kleinkrieg linker Kleinstgruppen gegen Nazi-Schläger bestehen.

Es braucht vielmehr ein breites, nicht-sektiererisches Aktionsbündnis der ArbeiterInnenbewegung, der MigrantInnenorganisationen, der „radikalen Linken“. An Gewerkschaften, Linkspartei, SPD, deren Jugendorganisationen stellen wir die Forderung, mit ihrer politischen Nachtrabpolitik hinter Oberbürgermeister Hilbert Schluss zu machen und gegen die Aufmärsche von Pediga und der extremen Rechten zu mobilisieren. Auf der Basis eines solchen Aktionsbündnisses wäre es auch möglich, Selbstverteidigung gegen Nazi-Angriffe und -Provokationen durch GewerkschafterInnen, Mitglieder linker Organisationen, MigrantInnen und Geflüchtete zu organisieren, die sich auf eine Massenbasis und nicht auf geheimbündlerische Kleingruppen stützt.

Ein solches Bündnis müsste gegen alle Abschiebungen, gegen die Festung Europa, für offene Grenzen, volle demokratische Rechte eintreten und versuchen, diesen Kampf mit dem für Arbeit für alle, einen Mindestlohn von 12,50 Euro, bezahlbaren Wohnraum usw. zu verbinden.

Der Kampf gegen die Rechte und gegen den staatlichen Rassismus ist ein politischer Klassenkampf. Für ein anti-rassistisches Aktionsbündnis braucht es eine Basis in den Betrieben, in den Gewerkschaften, unter den Erwerbslosen, an Schulen und Unis, in den Geflüchtetenunterkünften und Stadtteilen. Eine solche Politik darf die rassistischen Einstellungen in der eigenen Klasse nicht verharmlosen oder „totschweigen“. Sie muss vielmehr offen gegen sie ankämpfen und darlegen, dass der Kampf gegen den Rassismus nicht nur ein humanitäres Anliegen ist, sondern im Interesse aller Lohnabhängigen liegt. Denn: „Wer im Stich lässt seinesgleichen, lässt ja  nur sich selbst im Stich.“ (Brecht, Solidaritätslied)

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Nr. 213, Oktober 2016

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