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Blockupy

Ein Mobilisierungserfolg und die mediale Hetze

Lukas Müller, Infomail 807, 20. März 2015

Mindestens 20.000 Menschen beteiligten sich am 18. März an den Aktionen, Blockaden und Demonstrationen. Anlass war die Eröffnungsfeier der neuen Europäischen Zentralbank (EZB). Diese wurde zum Anlass genommen, um den Protest gegen die Spardikate auf die Straße zu tragen. Die Institutionen der Troika, bestehend aus EZB, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Kommission, sind Werkzeuge der stärksten Kapitale Europas, die versuchen, die Krise durch die massive Verarmung der ArbeiterInnen für sich zu lösen. Aktuell steht Griechenland im Fadenkreuz der Erpressungspolitik der nunmehr „Institutionen” genannten Troika.

Die Aktionen

An dem Protest beteiligten sich bis zu 20.000 Menschen, darunter auch GenossInnen aus Italien, Griechenland, Spanien, England, Frankreich und anderen europäischen Ländern. Aus Berlin gab es sogar einen Sonderzug, der auf dem Weg verschiedene Städte anfuhr und ca 1.000 AktivistInnen nach Frankfurt brachte. Dies ist ein großer Mobilisierungserfolg, gerade auch weil der Protest an einem Arbeitstag stattfand. Manche waren bereits seit Montag in Frankfurt und bereiteten sich auf die Aktionen vor.

Um den Widerstand gegen die menschenverachtende Politik der Troika zu erschweren, ließ der deutsche Staat massiv Polizeikräfte aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenziehen - fast 9.000 Cops und 28 Wasserwerfer. Zudem ließ die Polizei 100 km Natostacheldraht verlegen. Bahnen fielen aus, Straßen wurden gesperrt – um die EZB kam der Verkehr komplett zum Erliegen.

Doch das konnte nicht verhindern, dass sich am Mittwoch Morgen schon bei Sonnenaufgang Tausende an vorher vereinbarten Treffpunkten in der ganzen Stadt sammelten.  Mit der sogenannten Fingertaktik, also Demonstrationszügen aus den verschiedenen Zufahrtsstraßen, sollten die Wege zur EZB dicht gemacht werden. Von allen Seiten zogen die Menschen Richtung EZB und versuchten, mit Massenblockaden den Zugang zur EZB-Eröffnungsfeier zu erschweren.

Auf dem Weg zu den Blockadepunkten der Finger kam es bereits zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Autonome entglasten Banken, eine Tankstelle und setzten Polizeiautos in Brand, welche teilweise wohl zur Provokation ohne wirklichen Schutz mitten auf der Straße geparkt waren. Die Polizei setzte an mehreren Orten Tränengas ein, um die Menge auseinander zu treiben.

Zielgerichtete Militanz und Militanz als Selbstzweck

In der medialen Berichterstattung freilich wurde alles als „Ausschreitung” von ChaotInnen dargestellt, wie sie Frankfurt seit Jahrzehnten nicht erlebt hätte. Von der Gewalt der Polizei, Einkesselungen von DemonstrantInnen, Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern zur Verhinderung der Blockaden wird „natürlich” nicht berichtet. Die Polizei stellt sich als „Opfer” dar, wo 9.000 einer „Übermacht” von 5.000 bis 10.000 Blockadewilligen gegenüberstehen.

Die Selbstverteidigung gegen solche Angriffe der Polizei hat nichts mit „sinnloser Gewalt” zu tun – sie ist nichts weiter als ein legitimer Akt der Verteidigung demokratischer Rechte.

Angesichts von Millionen, die durch die Politik der deutschen Regierung, der Banken und der EZB ins Elend getrieben werden, ist natürlich auch die Wut zahlreicher DemonstrantInnen nur allzu berechtigt, die Gebäude oder Autos demolieren. Was ist schon eine zerstörte Bankfiliale gegen tausende zerstörte, geschlossene Betriebe?

Das ändert freilich nichts daran, dass wir zwischen den aus der Aktion notwendigen Formen der Militanz zur Durchsetzung und Vertedigigung der Blockaden und Gewalt gegen einzelne Gebäude und Autos unterscheiden müssen. Diese ist natürlich Ausdruck der Wut, aber auch der Ohmacht, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit.

Ein möglichst radikales Auftreten heißt nicht automatisch, dass dieses auch eine Perspektive bietet. Auch wir treten ein für militante Aktionen. Aber für zielgerichtete und koordinierte Massenmilitanz und nicht für individuelle Aktionen kleiner Gruppen, die taktisch oft unüberlegt sind und andere Menschen gefährden, sowohl durch die Aktionen selbst als auch durch die Antwort der Polizei. Das Einschlagen von Scheiben oder Abfackeln von Polizeiautos tut den Kapitalisten nicht weh, geschweige denn, dass es sie stürzt. Hier wird Gewalt oft zum Selbstzweck. Militanz sollte aber konkrete Ziele verfolgen, z.B. zur Verteidigung von Demonstrationen und Streiks oder zur Besetzung von Betrieben und öffentlichen Gebäuden und letztlich zur Eroberung der Staatsmacht.

Nichtsdestotrotz erreichten die Finger ihre Blockadepunkte. Der Weg weiter Richtung EZB wurde durch Gitter, Natodraht, Wasserwerfer und hunderte Polizeikräfte versperrt. Ein Durchkommen war hier ohne entsprechende Ausrüstung und die Koordination einer Aktionsleitung nicht möglich. Ein paar wenige Stunden konnten die Blockaden immerhin aufrecht erhalten werden. Spätestens dann wurden viele von der Polizei aufgerieben. Andere lösten sich auf, um sich andernorts in der Stadt neu zu sammeln. Allerdings folgten dem keine weiteren Aktionen, bis auf den gescheiterten Versuch, in einer Seitenstraße gekesselte italienische GenossInnen zu befreien.

Insgesamt wurden weit über 150 GenossInnen in Frankfurt/Main festgenommen. Wir fordern die Freilassung aller und die Niederschlagung aller Verfahren!

Symbolprotest und Intransparenz

Hier zeigte sich die Unklarheit über die Aktionen des Bündnisses. Die Fingertaktik war gut koordiniert und die einzelnen Gruppen erreichten ihre Ziele. Aber was genau war das Ziel vor Ort? War es wirklich möglich, durch die Menschenmassen vor den Gittern irgendwen zu blockieren? Oder hatte man sich erhofft, irgendwie die Absperrungen zu überwinden und näher an die neue EZB heran zu kommen? Das Konzept war eher intransparent. Vor allem nach der Aufgabe der Blockaden war völlig unklar, ob noch etwas passieren würde oder geplant war. Es wurden aber immer wieder Delegiertentreffen abgehalten.

Was sich auf den ersten Blick überaus demokratisch ausnimmt, dass nämlich jedes Delegiertentreffen für sich entscheidet, was weiter geschieht, ist in Wirklichkeit ein politisches Versagen des Bündnisses und v.a. der IL. Es wird nämlich den einzelnen Delegiertentreffen eine politische Verantwortung für die weitere Aktion zugeschoben, die eigentlich eine zentrale Aktionsleitung wahrnehmen müsste, weil nur diese einen einigermaßen brauchbaren Überblick über die Gesamtlage hat und die verschiedenen Kräfte koordinieren könnte. So aber „darf” jede Kleingruppe scheinbar demokratisch und selbstständig entscheiden – was in Wirklichkeit nur Ratslosigkeit, Informationsdefizit und Desorganisation erzeugt und die Verantwortung für die Gesamtaktion der „Basis” in die Schuhe schiebt.

Hinzu kommt, dass die Aktionen wie Blockupy natürlich nur symbolischen Charakter haben können. Das ist kein Vorwurf. Wir lehnen ja auch eine Demonstration zur Sammlung von Widerstand nicht ab, weil sie „nur” eine Demonstration ist. Das Problem der IL und anderer OrganisatorInnen besteht aber darin, dass sie Blockupy verklären, indem sie unterstellen, dass es über diesen symbolisichen Charakter hinausginge und -gehen könnte.

Letztlich üben diese Aktionen aber keinen direkten, ökonomischen Druck auf die Herrschenden aus. Um weiter zu gehen, müssten sie auf Aktionen der organisierten ArbeiterInnenklasse wie Streiks und Betriebsbesetzungen orientieren, müssten v.a. die Gewerkschaften zur betrieblichen Aktion auffordern und konkrete Losungen aufstellen, mit denen die Lohnabhängigen länderübergreifend mobilisiert werden können. Das gilt aber im „post-autonomen” Spektrum als „veraltet”.

(Über unsere Kritik an der Politik Blockupys und welchen Antikapitalismus wir eigentlich brauchen, haben wir bereits im Vorfeld einen Artikel geschrieben; siehe http://www.onesolutionrevolution.de/allgemein/blockupy-welchen-antikapitalismus-brauchen-wir/ oder http://www.arbeitermacht.de/ni/ni197/blockupy.htm).

Demos

Nach den Aktionen fand in der Innenstadt eine Gewerkschaftsdemonstration statt. Zweifellos ist es positiv, dass die DGB-Gewerkschaften eine Demonstration gegen die EZB-Eröffnung organisiert haben, wenn auch mit reichlich unkonkreten, reformistischen Phrasen vom „sozialen Europa”. Rund 3000 folgten dem Aufruf, davon allerdings ein relativ hoher Anteil von FunktionärInnen und RentnerInnen. REVOLUTION und Arbeitermacht beteiligten sich mit einem lautstarken klassenkämpferischen Block an dieser Demo, welche ansonsten sehr still war. Dies wurde sehr positiv aufgenommen.

Danach bewegten sich viele der AktivistInnen zum Auftaktort der 17 Uhr-Abschlussdemonstration, um sich dort von dem Geschehenen zu erholen.

REVOLUTION und Gruppe Arbeitermacht bildeten auf der Abschlussdemonstration einen entschlossenen Block. Fast jede linke Gruppe der Bundesrepublik war vertreten, viele aus dem Umfeld der Interventionistischen Linken und der Linkspartei. Die Demonstration war aufgrund ihrer Größe teilweise etwas unorganisiert und bewegte sich eher schwerfällig – das war allerdings das Resultat eines Mobilisierungserfolges und einer Beteiligung, die die Erwartungen vieler AktvistInnen übertroffen hat.

Etliche Blöcke sorgten für eine kämpferische Stimmung. Die Demo konnte sicher eine größere Außenwirkung entfalten. Trotz der Auseinandersetzungen am Morgen verlief sie ohne größere Zwischenfälle und konnte ohne Unterbrechungen bis zum Ende laufen. Die Polizei hielt sich währenddessen im Hintergrund. Vor allem die zahlmäßige Beteiligung an den Protesten war für die deutsche Linke ein Erfolg.

Medien und brennende Polizeiautos

Direkt nach den militanten Auseinandersetzungen am Morgen begannen die bürgerlichen Medien im Internet und Fernsehen mit ihrer Hetze.

Wie so oft griffen sie bewusst Bilder von brennenden Autos oder verletzten Polizisten heraus, um den eigentlichen Charakter und den politischen Inhalt der Aktionen und Demonstrationen zu ignorieren und Blockupy auf brennende Polizeiautos und zerschlagene Fensterscheiben zu reduzieren.

Dabei versucht man nicht nur, Blockupy weiter zu kriminalisieren, was bereits Wochen davor passierte und den Protest nicht kleinhalten konnte. Sondern man versucht darüber hinaus, die Bilder schon mal präventiv zu nutzen, um im Vorhinein des G7-Gipfels Angst oder Ablehnung in der Bevölkerung vor Protesten zu schüren. So will man verhindern, dass sich breitere Teile der Bevölkerung mit fortschrittlichen Forderungen solidarisieren und sich dem Widerstand gegen die Herrschenden anschließen.

Auch die Linkspartei wird jetzt durch ihre Unterstützung des Bündnisses in die Mangel genommen. Ein Grund dafür ist zweifellos, dass sich das Aktionsbündnis nicht, wie in vielen anderen Fällen, zur öffentlichen Distanzierung von den „ChaotInnen” und „schlechten” DemonstratInnen hinreißen ließ, sondern richtigerweise der EZB, der EU und der imperialistischen deutschen Regierung die politische Verantwortung für die Wut und Empörung zuwies, die sich in Frankfurt zeigte.

Erst recht verlogen ist die Darstellung der bürgerlichen Medien, dass die Militanz in Frankfurt/Main den „berechtigten Anliegen” der friedlichen Masse die Präsenz in ihren Publikationen geraubt hätte. Hätten sie Blockupy ernst genommen und inhaltlich darüber berichtet, wenn es nicht zu Ausschreitungen gekommen wäre? Wohl kaum. Die Berichterstattung wäre auch dann überwiegend im Sinne der KapitalistInnen gewesen.

Außerdem: Wenn in der Ukraine Faschisten ganze Busse anzünden, riesige brennende Barrikaden errichten und die ganze Innenstadt Kiews in Rauch hüllen, klatschen Medien und Politik bei uns Beifall und faseln von Demokratiebewegung, von Menschen, die sich mit faschistischen Stoßtruppen an der Spitze entschlossen für ihre Freiheit einsetzen würden.

Doch all das ist nichts Neues. Die Medien sind auch nur Unternehmen in den Händen von KapitalistInnen, die ein direktes Interesse daran haben, die bestehenden Zustände zu verewigen und ihre Macht dementsprechend benutzen. Natürlich kann es nicht der Anspruch von AntikapitalistInnen sein, ihre Politik nach dem Wohlwollen der Presse auszurichten. Die Unterstützung und Gewinnung größerer Teile der Bevölkerung müssen wir uns selber erarbeiten – durch den Aufbau eigener Presseorgane, die Verbindung zu gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in der Druck- und Medienindustrie und durch eine Perspektive des Klassenkampfes.

Deshalb: Lasst uns weiter aktiv sein an Schule, Uni, Betrieb und auf der Straße! Für einen klassenkämpferischen Widerstand gegen die EU und ihre Institutionen! Für eine europaweite Mobilisierung gegen den G7-Gipfel im Juni!

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Nr. 198, April 2015
*  Imperialistische Erpressung Griechenlands: Solidarität mit der ArbeiterInnenklasse!
*  Die Linke in Syriza: Schlüsselfaktor für weitere Entwicklung
*  Blockupy: Mobilisierungserfolg und Hetze
*  Sog. Tarifeinheit: Hände weg vom Streikrecht!
*  Neue Asylgesetzgebung: Zuckerbrotkrümel und Peitsche
*  Linkspartei: Die nächste Kapitulation
*  Mietpreisbremse: Bremse ohne Halt
*  Mahle: Widerstand und Weltmarkt
*  Frigga Haug: Die Quadratur des Marxismus-Feminismus
*  Pakistan: Im Fadenkreuz der Welt(un)ordnung
*  Wahlen in Israel: Netanjahu siegt
*  Öffentlicher Dienst: Vom Warnstreik zum Streik!



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