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China

Neue Führung verstärkt die Kontrolle

Peter Main, Infomail 716, 26. November 2013

Im November tagte in Peking die 3. Vollversammlung des 18. Zentralkomitees der KP Chinas. Sie markierte die Konsolidierung der Macht für die Fraktion um Präsident Xi Jinping und Premier Li Keqiang, die aus dem Parteikongress von 2012 siegreich hervorgegangen war.

Nach einem Jahr der Säuberung der Führung - symbolisiert durch die Inhaftierung des ehemaligen Politbüromitglieds Bo Xilai - sicherten Xi und Li nicht nur die Annahme ihres politischen und Wirtschaftsprogramms, sie schufen auch zwei neue Institutionen, um ihr Programm durchzusetzen.

Strategische Bedeutung

Der Fraktionskampf und die Vorbereitung auf künftige Konflikte verweisen auf die strategische Bedeutung des Programms, dessen Zweck die Beseitigung größerer Hindernisse auf dem Weg Chinas zur vollen Durchsetzung des Wertgesetzes, der Dynamik des Kapitalismus ist.

Obwohl die bürokratische Kommandowirtschaft durch die Restauration des Kapitalismus nach 1992 abgeschafft wurde, weist China immer noch enorme Ungleichgewichte in Wirtschaft und Gesellschaft auf. Dies ist auf die Kombination aus verbliebenen Merkmalen des degenerierten Arbeiterstaats und neu hinzugekommenen des „modernen“ Kapitalismus zurück zu führen.

Als Resultat dessen sind die Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft, ihre inneren Beziehungen, ihre geografische Verteilung, die Beziehung zwischen Landwirtschaft und Industrie, zwischen verschiedenen Branchen, der Struktur und Schichtung der Bevölkerung usw. nicht in jedem Fall so, wie es für das Kapital günstig wäre.

Das erklärt die Perspektive von Xis Programm, das nicht nur auf eine Umgestaltung des Banken- und Finanzsystems und des immer noch starken Staatssektors in der Industrie zielt, sondern auch die Landnutzung, den Landbesitz, die Geburtenregelung, Lokalverwaltung, Gerichtsbarkeit oder Zwangsarbeitslager betrifft. Doch stehen wirtschaftliche Maßnahmen im Zentrum, denn dort werden die wahrscheinlich entscheidenden Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Schicht stattfinden.

Die ersten Reaktionen der Bourgeoisie auf die Beschlüsse waren eher negativ. Der Schanghai-Börsenindex fiel um 1,8%, der Hang Seng-Index um 1,9% und der chinesische Unternehmensindex an der Hongkonger Börse riss die chinesischen Aktien gar um 2,7% herunter. Das waren aber Überreaktionen, die durch frühere Medienäußerungen von hochrangigen Firmensprechern, die eine übertriebene Erwartungshaltung hatten, motiviert waren.

Die Abschlusserklärung des Parteitags war wie üblich sehr allgemein gehalten. Das sandte falsche Signale an die Geschäftswelt, die oft Nachrichten von trivialsten Produktvariationen und minimalen politischen Entwicklungen für „weltgeschichtlich“ bedeutend halten. So waren die Indexverluste auch schon nach wenigen Tagen wieder ausgeglichen.

Zwei Vorhaben

Die Parteitags-Beschlüsse rufen nun tendenziell einen Ausschlag zur anderen Seite hervor: das neue Programm wird als Lösung der internationalen Krise des Kapitalismus begrüßt. Zwei Sätze aus der Zusammenfassung werden dabei als bahnbrechend für die künftige Politik Chinas angesehen:

„Der Brennpunkt der Umgestaltung des Wirtschaftssystems (…) ist es, dem Markt eine entscheidende Rolle zu gestatten bei der Bereitstellung von Ressourcen“ sowie „öffentliche und private Sektoren sind gleichrangige Bestandteile einer sozialistischen Marktwirtschaft und die wichtige Grundlage unserer nationalen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung.“

Der erste Satz richtet sich gegen Überbleibsel aus der bürokratischen Planung, als Ressourcen nach politischen Kriterien bereitgestellt wurden und die Profitabilität nicht an erster Stelle der Überlegungen stand. In den Firmen, gleich ob staatlich oder nicht, sollen die Manager nun v.a. von Profitmotiven geleitet sein. In der Gesamtwirtschaft - und besonders in den großen Staatsunternehmen und ihren Beziehungen zu Banken und Lokalregierungen - waren bisher allerdings andere Erwägungen entscheidend.

Neben der Anhäufung von Vermögen in den Händen der Manager und deren Familien ging es auch oft darum, Geschäfte zum gegenseitigen Vorteil mit anderen Unternehmen zu machen. Dies hindert die Firmen zwar nicht grundsätzlich daran, profitorientiert zu arbeiten, bewirkte aber, dass das nicht immer sehr strikt erfolgte.

So hat China bei der Stahlerzeugung nur eine Kapazitätsauslastung von nur 73,5%. Diese Zahl fällt im Vergleich zum internationalen Durchschnitt, der bei 83,4% liegt, deutlich ab.  Dies erklärt auch eine Nettoprofitrate von nur 0,13% gegenüber einem Schnitt von 5,4% in der übrigen chinesischen Industrie. In Konkurrenz zu anderen imperialen Mächten kann sich China solche Ungleichgewichte natürlich nicht auf Dauer leisten.

Solange Staatsbanken, staatliche Unternehmen und lokale Verwaltungen unter sich ausmachen können, was und wo sie investieren, gibt es keine wirklichen Mittel, genügend  Profitabilität zu erreichen und diese zu steigern. Die staatlichen Unternehmen erhalten sehr billige Kredite von den Banken. Das bedeutet, dass sie leichter Profit machen können, weil sie niedrigere Überhänge haben als Privatfirmen, die „normale“, also höhere Zinsen zahlen müssen. Zugleich garantiert dieser Mechanismus im staatlichen Sektor auch nicht, dass deren Management gemäß der kapitalistischen Verwertungslogik effektiv handelt. Dasselbe gilt für die Kredit gebenden Banken.

In diesem Zusammenhang bedeutet „dem Markt eine entscheidende Rolle zu gestatten“, das traditionelle Geflecht der Beziehungen und Arbeitsweisen zu zerreißen. Damit beschwört Xi weitere Konflikte mit einigen Fraktionen der herrschenden Schicht herauf. Und es ist nicht gesagt, dass er gewinnt. Selbst der Beginn dieses Prozesses gestaltet sich schwierig, denn es gibt wenig objektive Kriterien für die Effizienz im Kern des Systems und keine Beispiele, wie dies vonstatten gehen soll. Deswegen sieht Xis Programm auch vor, dass ausländisches Kapital eine Rolle bei der Umgestaltung des chinesischen Finanzsystems spielen soll.

Wie bei den Sonderwirtschaftszonen und den gemeinsamen Unternehmungen mit ausländischen Partnern ist der Zweck der Übung die Nutzung ausländischer Kenntnisse und Techniken in ausgewählten Bereichen, um Normen einzuführen, die allgemein gelten sollen.

Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass das Partnerschaftsmodell auch bei den Banken angewandt wird. Der Start der Freihandelszone von Schanghai, wo ausländische Banken ihre eigenen Filialen eröffnen können und mit den chinesischen Banken in Konkurrenz treten, ist ein anderer Weg, der zum selben Ziel führen soll. Das Auslandskapital kann jedoch nicht eine vorherrschende Position einnehmen. Aus ihrer Geschichte haben die Chinesen leidvoll Fremdherrschaft erfahren und die Legitimität der regierenden  KP leitet sich auch aus deren Verhinderung einer solchen Vorherrschaft ab.

Der zweite Satz „öffentliche und private Sektoren sind gleichrangige Bestandteile einer sozialistischen Marktwirtschaft“ hat ebenfalls weitreichende Auswirkungen, aber auch hier sind gewisse Grenzen gesetzt. An anderer Stelle bestätigt das Kommunique den Staatssektor als „Standbein der Wirtschaft“. Das ist ein Widerspruch in sich, denn wenn beide Bereiche gleichrangig sein sollen, kann nicht der eine wichtiger sein als der andere.

Die Bedeutung dieser Formel ist v.a. darin zu suchen, dass für die Amtsdauer der Führung, also für die nächsten neun Jahre, der Staat, d.h. die herrschende Bürokratie und ihre Partei weiterhin die Kernindustrien und -institutionen kontrollieren wird. Das könnte durch eine Aktienmehrheit in einer ansonsten privaten Firma geschehen. Das ist ein Signal an die Mitglieder der bürokratischen Schicht, dass sie auch in Zukunft weiter bestehen bleiben soll. Natürlich unterhalten auch alle anderen imperialistischen Mächte einen Riesenapparat an Bürokratie, der in Ökonomie und Staat sitzt und deren Verflechtung sichert. Praktisch bedeutet die Formel aber, dass die systematische Benachteiligung von privaten Unternehmungen in allen Bereichen verschwinden soll. Das wäre ein bedeutsamer Wandel, weil er die Klasseninteressen der keimenden Bourgeoisie in China selbst offenbart und ihnen einen größeren Spielraum eröffnet. Wenn Banken und Unternehmen, welche Energieversorgung, Verkehr, Kommunikation u.a. Kernindustrien beherrschen, mit Privatfirmen zu gleichen Bedingungen Geschäfte machen müssen, wird deren Konkurrenz den Staatsunternehmen stärker die „Marktdisziplin“ aufzwingen.

Arbeitsmarkt

Wenn der Zweck der wirtschaftlichen und finanziellen Vorschläge des Programms größere Bewegungsfreiheit für das Kapital ist, so beziehen sich die anderen Maßnahmen auf die entsprechende Einrichtung des Arbeitsmarkts, d.h. auf das freie Angebot von Arbeitskräften. Das steckt hinter den Änderungen in Bezug auf die Geburtenrate. Den meisten Familien werden nun zwei Kinder erlaubt statt einem. Das gleiche gilt für das Haushalts-Registrierungssystem (Hukou), in dem jede Person als städtischer oder ländlicher Bürger erfasst ist, mit sehr unterschiedlichen Rechten sowie für die Gesetze zur Regelung von Landbesitz und -verkauf.

Wenn sie in Kraft treten, werden diese Maßnahmen einen starken Einfluss auf die chinesische Gesellschaft ausüben. Da sie sämtlich geleitet sind von der Fixierung auf die Kapitalverwertung wird ihr Effekt die Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse und des Landraubs an den Kleinbauern sein. Die kapitalistische Rationalisierung der Verwaltung wird auch viele untere Chargen der Bürokratie treffen und aus der herrschenden Kaste entfernen.

Zweifellos wird sich Widerstand gegen das Programm auf allen Ebenen regen. Nachdem das Plenum beendet war, rief die Partei alle Mitglieder dazu auf, pflichtgemäß für die Durchführung der beschlossenen Politik zu sorgen. Das ist nicht neu, dessen besondere Betonung aber verrät, dass die Spaltungen innerhalb der Partei weiter bestehen. Deswegen schuf die Vollversammlung neben dem Programm auch eine neue Körperschaft, um die volle Durchsetzung zu gewährleisten. An der Spitze dieses Gremiums steht Ministerpräsident Xi, die tägliche Kontrolle obliegt Premier Li. Das zweite neue Organ ist die sehr mächtige „Verteidigungs- und Sicherheitskommission“. Sie untersteht Xi unmittelbar und fasst erstmalig Streitkräfte, Polizei, paramilitärische Einheiten,  Geheimdienste und diplomatischen Einrichtungen zusammen.

Die Errichtung einer solchen Körperschaft wurde schon früher vorgeschlagen, wegen verschiedener Widerstände aber nie angenommen. Ihre Einrichtung verweist nun nicht nur auf Xis und Lis Dominanz, sondern auch auf die allgemeine Erkenntnis, dass unruhige Zeiten bevorstehen. Jeder, der geglaubt hatte, dass ein größerer Einfluss des Marktes in der Ökonomie größere politische Spielräume nach sich ziehen würde, sieht sich nun eines besseren belehrt. In der Denkweise der KP bedeuten „Reformen“ auch die Notwendigkeit noch größerer Kontrolle über die Gesellschaft.

Doch, wie schon Trotzki betonte, sind die Gesetze der Geschichte stärker als jede Bürokratie. Wenn das neue Programm systematisch durchgesetzt wird, ergibt sich auch Widerstand und verschiedene politische Strömungen entstehen, die alle, wenn auch in verzerrter Form, Interessen von gegensätzlichen Klassen ausdrücken: der aufkommenden Bourgeoisie und der weiter anwachsenden Arbeiterklasse.

Die verschiedenen bürokratischen Fraktionen und die direkteren Repräsentanten des Kapitals müssen so auch Unterstützung aus der städtischen und ländlichen Arbeiterklasse und dem Kleinbauerntum gewinnen. Gegen diese Versuche, jene Klassen zu spalten oder Teile von ihnen einzubinden und für ihre reaktionären Zwecke zu mobilisieren, muss die Arbeiterklasse ihre eigenen politisch unabhängigen Organe formen, insbesondere Gewerkschaften und eine Arbeiterpartei, die ein viel weiter greifendes Programm verfolgt, ein Programm zum Sturz des Kapitalismus und zum Aufbau des Sozialismus in China und überall auf der Welt.

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Nr. 185, Dez. 13/Jan. 14
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