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Huber bei Phoenix

Sind Reformisten nicht alle ein bisschen - schizophren?

Tom Bielski, Infomail 651, 30. Oktober 2012

Das Forum Manager ist eine Kooperation von Süddeutscher Zeitung und Phoenix und findet in unterschiedlichen Universitäten statt. Es werden dort verschiedene Manager von Marc Beise, dem Wirtschaftschef der Süddeutschen Zeitung, interviewt. Co-Interviewer war diesmal Sigmund Gottlieb, der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks.

Das Interview vom 14. Oktober wurde an der WHU - Otto Beisheim School of Management in Vallendar Rheinland Pfalz, deren Trägerschaft die Stiftung Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung ist, aufgenommen. Jeder der sich fragt, was Berthold Huber - eigentlich oberster Gewerkschafter der IG Metall - dort zu suchen hat, wusste nach diesem Interview eindeutig, dass er genau dort hingehört - auf die andere Seite der Barrikade.

Berthold Huber machte in diesem Interview einen angeschlagenen Eindruck, er war fahrig und es hatte den Anschein, dass er unter Medikamenten stand. Vielleicht war das der Grund, weshalb er so offen und ehrlich aus dem Nähkästchen plauderte.

Huber macht sich Sorgen

Gesprochen wurde mit Berthold Huber über seine Person, seine vielfältigen Tätigkeiten und über aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklungen. Die Krise von Opel beschert ihm schlaflose Nächte und er bekennt: „Ich habe keine Lösung für Opel!“. Deshalb rede er mit den Betriebsräten und er hat einen Termin im Kanzleramt, Merkel soll Druck auf Obama machen und der dann wiederum auf General Motors. Diese Denkrichtung, dass die Politik es richten soll, zog sich wie ein roter Faden durch das ganze Interview. Das macht den KollegInnen bei Opel keinen Mut und schon gar nicht zeigt es einen progressiven Weg für die Arbeiterklasse. Dass eine Gewerkschaft für Verbesserungen kämpft mit Streiks und Betriebsbesetzungen ist für einen Vollblut-Reformisten wie Huber natürlich keine Überlegung wert: er bevorzugt das Betteln.

Über sich offenbarte er: „erstens: ich versuche ein guter Mensch zu sein; zweitens: es liegt mir daran, dass man mir meine große Sorge um die Zukunft von Arbeit und Arbeitsplätzen und die Menschen abnimmt. Ich kümmere mich um die Leute.“

Offenbar hat er Angst, dass man ihm seine „Sorge“ nicht mehr abnimmt. Weiter ging' s mit seinen Erfahrungen aus seiner Zeit in Ost-Deutschland direkt nach der Wende. Er verkündet, dass das, was er von der Wirtschaft der DDR gesehen hat, ihn desillusioniert hat. „Das war mein Ölberg und ich habe mich dann von allen Ideologien freigemacht.“ Vorher habe er sozialistische Ansätze gehabt, Marx gelesen und war auf mehr Demos als Joschka Fischer. Doch damit war dann Schluss. „Ich wollte eine freie Gewerkschaft aufbauen und das ist mir gelungen.“ Ja das kann man durchaus sagen, er hatte Erfolg damit, die Gewerkschaft weiter zu entpolitisieren. Die IG Metall ist fast völlig „frei“ - frei von wirklicher Selbstkritik und auch von jeder wirklichen Opposition.

Wozu braucht eine Gewerkschaft schon kämpfende Belegschaften, die sind bei den Verhandlungen mit den Unternehmern eher lästig. Dank Berthold und seiner Bande gilt jetzt auch in der Gewerkschaft (wie im Arbeitsleben üblich): ducken und bedeckt halten oder fristlose Kündigung.

Hauptsache die Mitgliederzahlen stimmen

Aber das ist nicht so schlimm, da die IG Metall - trotzdem sie etwas Schwund verursacht - dank Huber wieder bessere Mitgliederzahlen hat als 2003. Der Trend geht nach oben. Und die Arbeitslosen - was sagt er dazu: „Wir haben eine gute Beschäftigungssituation, sie können ja nur die organisieren, die beschäftigt sind.“

Ah so! Stimmt, von Arbeitslosen sind keine hohen Mitgliedsbeiträge zu erwarten, das lohnt natürlich nach kapitalistischer Logik nicht. Deshalb wird Berthold wahrscheinlich bald die Zwei-Klassen-Gewerkschaft ausrufen: Facharbeiter Güteklasse A, Klasse B sind dann alle, die nur Hartz IV haben. Die LeiharbeiterInnen, ganz zu schweigen von den Arbeitslosen, werden abgehängt. Quasi eine Gewerkschaft der zwei Geschwindigkeiten. Das haben wir dann auch dem „neuen“ bösen Kapitalismus, den wir seit der Globalisierung haben, zu verdanken. Das können wir nicht selber ändern, wir fragen dann höchstens Mal im Kanzleramt an. Vielleicht hat Merkel bis dahin ja den großen Wert der Gewerkschaften endlich verstanden und hilft mit einem Milliardenpaket auch der IG Metall. Ja schön sind die Träume, die man als Verhandlungsprofi nicht nur nachts träumt. Offenbar wird man schizophren, wenn man im Erst-Job Gewerkschaftsführer ist und im Zweitjob im Aufsichtsrat von Audi oder Siemens aushelfen muss. Das verwischt irgendwann die klare Sicht der Dinge. Da zur Schizophrenie oft die Manie dazugehört wie das Amen in der Kirche, ist das sehr gut, denn in der Manie hat man Power genug für drei Jobs. Dann passt' s ja auch wieder: die Arbeitslosen haben keinen Job und kriegen dafür die Depressionen. So hat jeder was davon.

Er ist also ernsthaft krank, der Berthold. Weitere Beweise nötig?

Optimale Krisenlösung!?

„Die Krisenlösung, die war optimal!“ findet er. Ob das die LeiharbeiterInnen genauso sehen, die sofort rausgeflogen sind? Oder die Jugend, die sich zwar mit Praktika oder dem Jobcenter nicht aber mit Ausbildungsinhalten herumschlagen darf? Oder die ArbeiterInnen, die mit einem Mal ihre Überstundenkonten für das Unternehmenswohl abbauen mussten, um dann in 100% Kurzarbeit geschickt zu werden. Auch die RentnerInnen freuten sich, dass die Renten immer weiter gekürzt wurden, so war der blöde Geldbeutel nicht mehr so schwer und man muss nicht ewig überlegen, was man als nächstes konsumiert. Schon wieder eine Sorge weniger. Diesen Kopf kann sich dafür jetzt die Quandt-Erbin Susanne Klatten zerbrechen, die ist um eine Milliarde Euro reicher als vor der Krise.

Und beim nächsten Konjunktureinbruch ist Berthold Huber wieder für flexible Lösungen wie das Kurzarbeits-Modell, das die IG Metall erfunden hat - im Bündnis aus Politik, Unternehmern und Gewerkschaft. Im Volksmund der Arbeiterklasse, nennt man solch ein Bündnis „Volksfront“, und wer bei dieser Taktik draufzahlt, sagt doch schon der Name: das Volk.

Hubers Problem ist nur, dass diese tollen Lösungen und sein Bündnis durch die Politik gekündigt worden sind. Und „wir haben keine vollen Arbeitszeitkonten mehr.“ Na, dann aber ran! Sonst können wir den Unternehmern in der nächsten Flaute ja nichts mehr hinterher werfen.

Weitere Belege für Hubers Desorientierung? Beispiel letzter Tarifabschluss der IGM: „4,3% Lohnerhöhung sind gute Zahlen.“ - wenn man die Inflationsrate einfach Mal vergisst.

Huber gibt auch den krisengeschüttelten Spaniern Tips: Die spanischen Metallgewerkschaften machen zu hohe Abschlüsse, um ihre Inflation von 4-7% auszugleichen, damit haben sie ihren Vorteil verspielt, billiger als die deutsche Industrie zu sein. Die sollen es doch wie die IGM machen - immer den Ball flach halten. Während der Krise am besten gleich ohne Lohnforderung in die Verhandlung gehen, nicht wahr? Seid arm und billig, dann läuft die Sache; was dem Unternehmen gut tut, tut auch den Beschäftigten gut, so denkst du doch, Berthold? Was verdienst du nochmal nur über deinen Gewerkschaftsjob? Ach 30.000 Euro im Monat, ja so bescheiden währen wir auch gerne.

Außerdem tun die spanischen Gewerkschaften bei 50% Jugendarbeitslosigkeit zu wenig für die Jugend. Die Gewerkschaften sollen den Kündigungsschutz aufbrechen, um die Jugend in Arbeit zu bringen. Hierbei fühlte sich dann auch Marc Beise verarscht, solche Sprüche sind doch sonst sein Job.

„Es gibt zwischen Frau Merkel und mir Gemeinsamkeiten in der Betrachtung der Ökonomie.“ und „Ich bin ein Fan des Sozialstaats.“ Wie diese zwei Statements zusammenpassen, weiß der Herrgott oder Berthold. Seine ganze Logik läuft zuletzt nur darauf hinaus, eben auch noch „das letzte Hemd“ des „Sozialstaates“ mit Freuden kampflos aufzugeben und sich in die Reihe der Abwärts-Spiralen-Rallyefahrer einzureihen. Immer noch eine Errungenschaft der Arbeiterklasse ausverkaufen - wir haben ja noch genug davon ...

Sein Schlusswort? „Meine größte Pflicht ist, die IG Metall in geordneten Verhältnissen zu übergeben (…) eine Massenorganisation mit 2,3 Millionen Mitgliedern ist immer schwierig zu beherrschen ...“. Wäre gut, sollte sich wenigstens das bewahrheiten. Auch Dank der unkontrollierten Ehrlichkeit seines Chefs.

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Nr. 174, November 2012
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