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Tarifabschluss Metall- und Elektroindustrie

Ein Halleluja für den Arbeitskampf – für ein paar Euro mehr...

Frederik Haber, Infomail 624, 23. Mai 2012

Die Vorbereitungen für den Streik waren breit angelaufen, die Warnstreiks liefen überwiegend gut. Bundesweit sollen 830 000 Menschen daran beteiligt gewesen sein, mehr als ein Viertel davon in Baden-Württemberg. Am 22. Mai hätte die Große Tarifkommission dort das Scheitern der Verhandlungen verkünden sollen, jetzt wurde auf den letzten Drücker an einem ungeplanten Verhandlungstermin ein Kompromiss verabschiedet. Dulger von Südwestmetall meint: „Mit dem vorliegenden Ergebnis ist uns ein fairer Ausgleich beider Interessen gelungen.

Entgelt

Die Erhöhung der Tarifentgelte um 4,3% ist ganz ordentlich, wenn man sie mit anderen Ergebnissen vergleicht: Die Abschlüsse mit einer 6 vor dem Komma laufen über 2 Jahre, in der Metall- und Elektroindustrie beträgt die Gesamtlaufzeit 13 Monate. Das ergibt eine Volumenerhöhung von 3,97% auf 12 Monate. Allerdings ist das für die meisten Betriebe kein Problem. Während der Krise fielen die Reallöhne, die Belegschaften wurden ausgedünnt und auf dieser Basis konnten Unternehmer genug Profite anhäufen.

In den Belegschaften ist die Reaktion unterschiedlich: Während die einen sich über die höchste Prozentsteigerung seit Jahren freuen, sind bei anderen die Erwartungen enttäuscht.

Übernahme

Die Regelung zur Übernahme der Auszubildenden lässt genug Ausnahmen zu: „personenbedingte“ Gründe, Ausbildung über Bedarf und akute Beschäftigungsprobleme. Diese Ausnahmen waren so oder ähnlich schon im derzeitigen Vertrag in Verbindung mit der einjährig befristeten Übernahme vorgesehen. Jetzt werden noch Verhandlungen der Betriebsräte mit dem Unternehmen vorgesehen, um festzustellen, wo der „Bedarf“ des Unternehmens liegt, entsprechend werden unbefristete oder befristete Übernahmen verteilt. „Aber die Entscheidung, welche und wie viele Ausgebildete übernommen werden, bleibt in der Hand der Unternehmen“, sagt Dulger und Südwestmetall betont: So wird nur Auszubildenden, die nach dem Bedarf des Unternehmens ausgebildet werden, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angeboten. Den voraussichtlichen Bedarf bestimmt aber der Arbeitgeber.

Einen wirklichen Anspruch auf einen unbefristeten Arbeitsplatz kann daraus keinE AuszubildendeR ableiten. Allerdings können die einmal Übernommenen nicht mehr – wie heute – durch Auslaufenlassen des befristeten Vertrages geräuschlos entlassen werden.

Leiharbeit

Zur Leiharbeit ist ein komplett neuer Tarifvertrag entstanden. Dort wird vollmundig erklärt, dass durch den Einsatz von Leih-/Zeitarbeit...für die Beschäftigten im Entleihbetrieb keine feststellbare Beeinträchtigung der Entgelt- und Arbeitsbedingungen und keine feststellbare Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden...darf. Dann folgen die Ausnahmen. So wird z.B. erklärt, dass ein Einsatz dann vorübergehend ist, wenn er zeitlich befristet ist. Welche Handhabe definiert der Tarifvertrag? Soll der Einsatz mehr als 3 Monate lang erfolgen, kann der Betriebsrat verlangen, dass eine innerbetriebliche Stellenausschreibung erfolgt - auf die sich innerbetrieblich niemand melden wird, der eine unbefristete Stelle hat.

Nach 18 Monaten Überlassung hat der Entleiher zu prüfen, ob er dem Leiharbeitnehmer einen unbefristeten Vertrag anbieten kann. Nach 24 Monaten hat er dies zu tun. Auf einen ähnlichen Vorschlag für eine Gesetzesinitiative haben Arbeit“geber“vertreter schon vor einigen Monaten erklärt, dass dann die LeiharbeiterInnen ausgewechselt würden.

Aber der Tarifvertrag eröffnet ein weiteres Schlupfloch und erlaubt auch einen längeren Einsatz als 24 Monate, wenn ein Sachgrund gegeben ist. Zudem beginnen die Fristen erst ab In-Kraft-Treten  des Tarifvertrags. Diese 24 – Monatsregelung ist also nicht vergleichbar mit der früheren gesetzlichen Regelung, die eine zwingende Übernahme nach 2 Jahren vorgesehen hatte. Diese war einklagbar und wurde teilweise genutzt. Dies dürfte hier nicht der Fall sein, da der Tarifvertrag den Leiharbeitern selbst keine Rechte gibt, es sei denn der Geltungsbereich wird gegenüber anderen Tarifverträgen erweitert: Normalerweise beschränkt er sich auf Beschäftigte in Betrieben des jeweiligen Metallarbeitgeberverbandes.

Weiter eröffnet der Tarifvertrag die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Dies geht allerdings auch ohne Tarifvertrag. Jetzt wird festgelegt, dass in einer solchen Vereinbarung im Gegenzug die 18% Quote für Beschäftigte, die über 35 bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten dürfen, um 12% auf 30% erweitert werden kann. Ein weiteres Loch in der 35-Stunden-Woche, die auch schon das Pforzheimer Abkommen fleißig durchlöchert hatte. Weiter dürfen bestimmte Kontingente aus Zeitkonten ohne Zuschläge (25-50%) ausbezahlt werden und gemeinsam verweisen die „Tarifvertragsparteien“ auch noch auf „Dienstleistungstarifverträge“, die ebenfalls für bestimmte Beschäftigtengruppen die Arbeitszeit, allerdings unbezahlt, verlängern. Hier konnten die Unternehmer ihre Forderungen nach mehr Flexibilisierung voll durchsetzen.

Leiharbeit wird also nicht bekämpft, sondern reguliert – und  die Regulierung muss teuer bezahlt werden.

Einschätzung

Dulger von Südwestmetall hat also Recht, wenn er den Kompromiss „fair“ nennt. Ob das das „Fair“ ist, das die IG Metall mit ihren Slogan „Mehr und fair“ gemeint hatte, wissen nur die Bürokraten selbst. Die Aktiven in den Warnstreiks hatten sich gerade bei der Leiharbeit sicher mehr erwartet.

Alle, die die Entwicklung der IG Metall und der Arbeiterbewegung in Deutschland insgesamt betrachten, können das Ergebnis aber nicht nur anhand von Prozenten und Paragraphen bewerten. Eine selten gute Chance wurde vergeben, nicht nur einen üblichen Kompromiss zu erzielen, sondern Forderungen auch gegen Widerstand des Kapitals durchzusetzen.

Nach der Serie von Niederlagen und faulen Kompromissen der letzten zwei Jahrzehnte, die in der Agenda 2010, Hartz IV und der Zusammenarbeit während der Krise gipfelten, kann eine Wende nur erfolgen, wenn wirkliche Möglichkeiten zur Massenmobilisierung genutzt werden. Ein Flächenstreik, der über mehrere Wochen geht, hätte den Kampf um die Einheit und die Interessen der ArbeiterInnen und Angestellten mehr voranbringen können als tausend Reden. Dafür waren dieses Jahr die Voraussetzungen gegeben.

Doch so wie die Spitzen von verdi haben auch die der IG Metall die längerfristigen, grundlegenden Interessen der Klasse für ein paar Euros verkauft. Es ist kein Zufall, dass sich der Abschluss v.a. an den „Kernschichten“ der Organisation orientiert, die bei günstiger Konjunktur in der Lage sind, auch betrieblich nachzubessern. Die LeiharbeiterInnen, Azubis, Beschäftigte in schlechter organisierten und kleineren Unternehmen sind das nicht.

Doch nicht nur dass mehr drin gewesen wäre – die Forderungen wurden weder in den Zusammenhang mit anderen Tarifrunden gestellt, noch mit einem Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die breite Masse der Klasse. Schon gar nicht kam die europäische, internationale Dimension vor – allen voran die Solidarität mit der griechischen Arbeiterklasse.

Die Warnstreiks haben gezeigt, dass die Beschäftigten mobilisierbar, kampfwillig sind. An vielen Orten konnten sogar viele LeiharbeiterInnen für die IG Metall gewonnen werden. Doch wenn daraus nicht viel mehr wird als ein Mittel zur Mitgliedergewinnung, bei der die eben erst gewonnen Mitglieder wenig mehr als Versprechungen kriegen, wird diese Effekt rasch verfliegen.

Um in der IG Metall – wie in den anderen DGB-Gewerkschaften – voranzukommen, ist daher nötig, dass die kämpferischen GewerkschafterInnen, die mobilisierten KollegInnen, die aktiv wurden, selbst die politischen Schlussfolgerungen ziehen. Solange die Bürokratie die Aktion, ihre Ziele wie ihre Durchführung kontrolliert, droht jede Kompromissrunde im faulen Kompromiss – unter schlechteren konjunkturellen Bedingungen in der offenen Niederlage – zu enden.

Dem können wir nur entgegentreten, wenn wir den Kampf für die Kontrolle der Tarifrunden wie alle anderen Aktionen durch die Basis erkämpfen. Doch dazu braucht es nicht nur Einsicht und Bewusstsein – es braucht auch ein alternatives, klassenkämpferisches Programm als Alternative zum Standortnationalismus der Bürokratie. Es braucht eine klassenkämpferische Basisbewegung, die genau dafür organisiert in Betrieb und Gewerkschaft eintritt.

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