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4000 demonstrieren gegen Sparpaket

Welche politischen Konsequenzen ziehen wir?

Martin Suchanek, Neue Internationale, Dezember 2010/Januar 2011

Trotz Schnee, Polizeikontrollen und teilweisem Demoverbot beteiligten sich rund 4.000 an der Kundgebung und der Demonstration „Sparpaket stoppen - Bundestag belagern!“ und am Schulstreik am 26. November in Berlin.

Aufgerufen hatten das Berlin Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ sowie das Schülerbündnis „Bildungsblockaden einreißen!“

Während im Bundestag CDU/CSU und FDP ihr „Sparpaket“ durchwinkten und ein Kürzungsprogramm für die Ärmsten der Armen durchpeitschten, untersagte die Versammlungsbehörde jenen Teil der Demoroute, der vor den Platz der Republik, also direkt vor das Reichstagsgebäude, geführt hätte.

Schließlich hätte das, so die Staatsschützer aus der Versammlungsbehörde, nicht nur den Rasen vor dem Reichstag in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die „Integrität der Rechtsordnung“ wäre arg in Gefahr gewesen, wäre doch zusätzlicher, unerlaubter Druck auf die Abgeordneten ausgeübt worden.

So weit zur „wehrhaften Demokratie“ und ihren Verteidigern!

Eine Bilanz

Eine politische Bilanz der Aktion kann sich freilich nicht auf die Kritik der Repression, und Desinformation beschränken, z.B. den Versuch der Polizei, alle angemeldeten Kundgebungen - Schülerdemo, Demo vom Brandenburger Tor zum Platz der Republik - zu verbieten und auf eine Alternativeroute fernab vom Reichstag zwischen Friedrichstraße und Hauptbahnhof zu verlegen.

Die OrganisatorInnen der Demonstrationen und Belagerungen hatten sich - darum muss nicht lange herumgeredet werden - mehr, ja deutlich mehr TeilnehmerInnen erhofft.

An mangelnder Mobilisierungsaktivität lag es sicher nicht. Tausende Plakate, zehntausende Flyer und Mobilisierungszeitungen wurden vom Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ und von „Bildungsblockaden einreißen!“ verteilt. Hinzu kamen Aufrufe, Flugblätter, Veranstaltungen der Gruppen aus dem Bündnis. Doch auch, wenn noch mehr verteilt worden wäre hätte das keinen qualitativen Unterschied gemacht.

Dass weniger als erhofft kamen, lag zum einen sicher am Charakter der geplanten Aktion. Ein offener Aufruf zur „Belagerung“ des Bundestags also zum „Durchfluten“ der Bannmeile ist natürlich etwas anders als der Aufruf zu einer „normalen“ Demonstration.

Auch wenn dadurch die Mobilisierungsfähigkeit wahrscheinlich litt, so war es unserer Meinung nach richtig, auf eine radikalere, symbolische Aktionsform zu setzen. Damit wurde deutlich besser unsere Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht. Diese zeigte sich auch beim mehrfachen Versuch, in die „befriedete Zone“ einzudringen und die Bannmeile zu durchbrechen. Außerdem gelang es rund 500 DemonstratInnen, eine Polizeisperre zu umgehen und zur CDU-Zentrale vorzudringen. Nur knapp konnte die Besetzung des Adenauer-Hauses verhindert werden und die 500 konnten eine zentrale Kreuzung kurzfristige besetzen.

Aber das Ziel „Belagerung“ mag durchaus dazu geführt haben, dass außer beim Schulstreik, die Mobilisierung wenig über die aufrufenden Organisationen, ihre Mitgliedschaft und ihr Umfeld hinausging. Auch die SchülerInnen, die etwa die Hälfe der Anwesenden ausmachten, waren deutlich weniger als bei bisherigen Schulstreiks. Auch das lag sicher am Charakter der Aktion, wohl aber auch daran, dass das Sparpaket in seiner Gesamtheit und nicht das Bildungssystem im Mittelpunkt der Mobilisierung lag.

Daher war ein großer Teil - sicher der radikalere und kämpferischere - SchülerInnen. Das zeigte sich nicht zuletzt bei der Auftaktkundgebung vor dem Brandenburger Tor. Dort sprach Gysi mit einer lahmen reformistischen Rede vor einem eher stimmungslosen Publikum. Die Ankunft der SchülerInnen veränderte die Stimmung positiv. Zum Glück setzte sich die Demonstration dann relativ bald in Bewegung, so dass den SchülerInnen und den anderen TeilnehmerInnen weitere langweilige reformistische Reden erspart blieben.

Neben den SchülerInnen stellte die Linkspartei die größte Teilnehmergruppe, mit vielleicht 500 TeilnehmerInnen, von denen aber viele Funktionäre der Partei waren. Immerhin hatte auch ver.di-Berlin zur Demonstration aufgerufen, wenn auch mit einer halben Distanzierung zum geplanten Überwinden der Bannmeile. Auf die Straße brachte ver.di aber nur wenige, was angesichts der Mobilisierungsschwäche von ver.di aber kein Wunder ist.

Alle anderen Berliner Gewerkschaften hatten sich erst gar nicht beteiligt oder feiern wie die IG Metall „ihren Beitrag“ zum Aufschwung - ein Beitrag, der uns noch teuer zu stehen kommt.

Schließlich mobilisierten die Gruppen der Berliner Linken - von DKP und SDAJ, über Arbeitermacht und REVOLUTION oder linke Antifa-Gruppen wie ALB und ARAB, DIDF und jene der „Interventionistischen Linken“ (IL) ihre Mitglieder und ihr Umfeld. Insbesondere stemmten SDAJ, REVOLUTION, ARAB und einige kleinere Antifa-Gruppen einen großen Teil der Schülermobilisierung.

Die Gruppen der IL zeigten über ihr „eigenes“ Milieu hinaus kaum Mobilisierungsfähigkeit - wie auch insgesamt die große Berliner autonome Szene schlecht vertreten war.

Vor allem aber - und das ist wohl der politisch-strategisch wichtigste Punkt - war es nicht gelungen, die am stärksten vom Sparpaket Betroffenen, die Erwerbslosen, Hartz IV-EmpfängerInnen zu mobilisieren - trotz zahlreicher Verteilaktionen vor Arbeitsagenturen und an zentralen Plätzen.

Warum waren die Erwerbslosen schwach vertreten?

Die schwache Präsenz von Erwerbslosen über die vorhandenen Gruppierungen des Bündnisses hinaus, hatte unserer Meinung nach v.a. einen Grund: die Betroffenen sehen in ihrer großen Masse keine Perspektive, wie das Sparpaket in kurzer Frist gestoppt werden könnte.

Über den 26. November hinaus gab es keine Perspektive für eine Massenmobilisierung. Viele Erwerbslose und Arme haben sich mit dem Sparpaket „abgefunden“, es fehlt ihnen die Hoffnung, dass eine Partei oder Bewegung dieses verhindern könne.

Daher macht sich eine Mischung aus Frustration, Desillusionierung, aber auch Passivität breit, die letztlich nur der Regierung hilft.

Die Hauptverantwortung dafür tragen aber die Gewerkschaften und die reformistischen Massenparteien SPD und DIE LINKE.

Die Gewerkschaftsführungen und die Betriebsräte in den Großkonzernen haben eine Mobilisierung gegen Kapital und Kabinett in der Krise verhindert. Jetzt, im konjunkturellen Aufschwung der deutschen Exportwirtschaft erhält die Arbeiteraristorkratie - die „Kernbelegschaften“ in den zentralen Industriesektoren - einige Brosamen (erhöhtes Weihnachtsgeld, „vorgezogene Tarifrunden“) und wird so befriedet. Die sozialpartnerschaftliche Politik der Gewerkschaftsbürokratie zur „Standortsicherung“ wird als Erfolg verkauft - auch wenn er jetzt von den unteren Schichten der Klasse und v.a. von den ArbeiterInnen in Südeuropa, Irland oder Frankreich, also den schwächeren Konkurrenten des deutschen Kapitals - bezahlt werden soll.

Kurz, die Krise hat die Gewerkschaftsführungen und damit auch die von ihnen kontrollierten Gewerkschaften der herrschenden Klasse „näher“ gebracht, hat die Klassenzusammenarbeit verstärkt und damit auch die ohnedies vorhandenen Spaltungslinien und die nationale Standortpolitik verschärft.

Dieses Modell der Beteiligung der Arbeiteraristokratie ist natürlich für die konkurrenzfähigsten kapitalistischen Nationalökonomien wie die BRD möglich. Aber auch hier ist es nur auf bestimmte Sektoren der Wirtschaft anwendbar. Im Öffentlichen Dienst fällt die Weihnachtsbescherung mager aus. Die Schuldenbremse wird die schwächeren Kommunen zum „Sparen“ - also zu Schließung oder Ausdünnung von Kitas, Schulen, Jugendzentren - zwingen. Die Hartz-IV-EmpfängerInnen werden weiter nach unten gedrückt, der Billiglohnsektor wird noch größer.

Gleichzeitig werden Chauvinismus und Rassismus gegen MigrantInnen weiter aufgepeitscht und die staatliche Repression unter dem Vorwand der „Terrorgefahr“ forciert.

Daran beteiligen sich natürlich nicht nur die Regierungsparteien und die Medien. Nicht nur die Gewerkschaften haben nicht gegen die Regierung mobilisiert. Auch die SPD will weiter die Klassenzusammenarbeit, will weiter die Rente mit 67 usw. Die Linkspartei hat partiell mobilisiert, sucht aber zugleich die „verantwortliche“ Zusammenarbeit an der Regierung - nicht nur im Land Brandenburg und im Berliner Senat, sondern auch als „Dulder“ der SPD-Grünen-Landesregierung in NRW.

Kurzum, während der bürokratische Apparat der Gewerkschaften die Politik der Klassenzusammenarbeit durchsetzt, haben die „linken“ Reformisten v.a. dafür gesorgt, dass sich kein organisierter Widerstand gegen diese Politik in Betrieben und Gewerkschaften bildet.

Wie weiter?

Die aktuelle konjunkturelle Lage wirft daher auch für die Anti-Krisenbündnisse die Frage auf, wie es weiter gehen soll und muss.

Zweifellos machen die konjunkturelle Lage und die Politik der Gewerkschaftsführungen es schwieriger, die Mobilisierungen voran zu bringen. Andererseits wissen wir, dass der Exportaufschwung keineswegs die Krisenursachen beseitigt hat, sondern längerfristig die globale Instabilität und die Konkurrenz zwischen imperialistischen Staaten und den Kapitalien verschärft. Natürlich dürfen wir uns eine solche Bewegung nicht als eine geradlinige „permanente“ und „gleichzeitige“ Zuspitzung vorstellen. Aber allein die Krise in Irland und Portugal wie die Zunahme des Klassenkampfes in den meisten europäischen Ländern zeigen, dass das Gerede vom globalen und nachhaltigen „Aufschwung“ falsch und damit letztlich auch die Politik der Gewerkschaftsbürokratie und der Reformisten auf Sand gebaut sind.

Für die Anti-Krisenbündnisse bedeutet das, dass erstens die aktuelle politische und ökonomische Lage, die Möglichkeiten wie Probleme, eine Bewegung aufzubauen, offen und kontrovers diskutiert und analysiert werden müssen.

Zweitens gilt es, die Forderungen und Mobilisierungen auf zwei Schwerpunkte zu konzentrieren:

a) gegen die anstehenden und geplanten Angriffe wie Schuldenbremse, Rente mit 67, Kopfpauschale usw.;

b) Kampf um Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen, RentnerInnen, SchülerInnen ab 16 und Studierende, gegen Hartz IV und alle Systeme der Zwangsarbeit! Aber v.a. auch: Kampf für Mindestlohn von 11 Euro/Stunde, für Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden und ein Programm öffentlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Arbeiterkontrolle.

Diese  Forderungen sind v.a. defensiv gegen aktuelle Angriffe gerichtet. Sie zielen aber auch darauf, die aktuelle Konjunktur zu nutzen, um für die Sicherung der Reproduktionskosten der Lohnabhängigen zu kämpfen (Mindesteinkommen und Mindestlohn) und diese in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn die Monopole jetzt Rekordgewinne einfahren, so sollen doch sie für die Krise, für höhere Löhne und Mindesteinkommen zahlen!

Diese Forderungen müssen auch an die Gewerkschaften gestellt und um diese Forderungen muss in den Gewerkschaften und Betrieben gekämpft werden!

Um das organisiert zu tun und nicht nur als bloßen Appell an die reformistischen Führungen zu stellen, ist es notwendig, einen Fokus auf den Aufbau einer Opposition um solche Forderungen zu richten; andererseits heißt das auch, dass wir die Anti-Krisenbündnisse weiter ausbauen müssen. Nur so können Erwerbslose, SchülerInnen, Studierende, MigrantInnen organisiert einbezogen werden.

Doch zum Aufbau ist auch eine Mobilisierungsschwerpunkt nötig. Nach dem 26. November gibt es durchaus eine Tendenz, sich auf „dezentrale“ Aktionen oder Aktionswochen zu konzentrieren. Nun ist gegen „dezentrale“ Aktionen nichts prinzipiell einzuwenden. Sie werden aber - wie schon im Herbst 2009 vor der Bundestagswahl - verpuffen, wenn sie nicht an eine bundesweite Mobilisierungsperspektive gebunden sind.

Um die Angriffe der Regierung zu stoppen und Forderungen wie die oben skizzierten durchzusetzen, sind unbefristete politische Massenstreiks notwendig!

Natürlich sind die Anti-Krisenbündnisse im Moment nicht in der Lage, diese Forderungen selbst umzusetzen, sie müssen vielmehr in den Gewerkschaften und Betrieben von den Vorständen eingefordert und vielfach gegen diese erkämpft werden.

Aber die Anti-Krisenbündnisse können und müssen den politischen Boden dafür bereiten. Daher müssen sie möglichst rasch im Jahr 2011 eine bundesweite Großdemonstration planen und organisieren, die die Proteste und den Widerstand bündelt.

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Nr. 155, Dez. 2010/Jan. 2011
*  Klassenkampf: Die Weltlage und die Euro-Krise
*  Heile Welt
*  "Anti-Terror"-Kampf: Vorsicht Demagogen!
*  Aktionskonferenz gegen Stuttgart 21: Eine verpasste Chance
*  4000 demonrieren gegen Sparpaket: Welche politischen Konsequenzen ziehen wir?
*  Deutsch-französischer Gipfel: Imperialisten feiern sich
*  "Dritte Welt"-Hilfe: Fair Trade? Big Fake!
*  Zwischenwahlergebnis in den USA: Ein Ausdruck der Krise
*  Generalstreik in Portugal
*  Bildungsproteste in Britannien: Shut down London
*  Afghanistan: Widerstand gegen NATO und Bundeswehr!



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