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Wie weiter im Widerstand gegen S 21?

Die Bewegung und ihre Führung

Arbeitermacht-Broschüre, Januar 2011

Die Bewegung gegen Stuttgart 21 stand immer in einem fundamentalen Gegensatz zu den Interessen des Großkapitals und der aktuellen kapitalistischen Umstrukturierung.

Aber sie war sich - als Bewegung in ihrer Gesamtheit - dessen nie ausreichend bewusst. Das ist kein Wunder, ja unvermeidlich. Alles andere würde ja unterstellen, dass eine Massenbewegung, die 100.000e in einem Bundesland regelmäßig auf die Straße bringt, von sich aus grundlegende Elemente revolutionären, proletarischen Klassenbewusstseins wie aus heiterem Himmel herausbilden könnte - ohne eine bewusste Verarbeitung der Erfahrungen in der Bewegung, ohne politischen Kampf zwischen verschiedenen Standpunkten und ohne eine Intervention von MarxistInnen. Ein wirklich klares, revolutionäres Bewusstsein über den Stand, die Perspektiven und Aufgaben dieser Bewegung kann sich nur durch eine Verbindung von lebendiger Erfahrung in der Auseinandersetzung und wissenschaftlicher, sachlicher Analyse der vor sich gehenden Prozesse bilden.

Hinzu kommt, dass diese Bewegung von Beginn an keineswegs eine Bewegung war, die „rein“ proletarisch war oder gar von den unteren Schichten der Arbeiterklasse getragen worden wäre. Es war und ist vielmehr eine Bewegung, die ArbeiterInnen, Angestellte, Jugendliche, Studierende, aber auch große Teil der lohnabhängigen Mittelschichten und auch des Kleinbürgertums auf die Straße bringt.

Das ist nicht zufällig, Die Durchsetzung der Monopolprofite der Bahn AG, von Bau- und Immobilienspekulanten und der Banken bedeutet auch, dass die Interessen dieser Schichten massiv angegriffen werden und sie bedeutet auch, dass diese Durchsetzung mit einer immer größeren Beschneidung und auch Einschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte einhergeht, ja einhergehen muss.

Die Aufgabe von KommunistInnen in dieser Bewegung bedeutet jedoch auch, die Bewegung über den Klassencharakter des Kampfes aufzuklären, politische Illusionen in die bürgerliche Politik zu kritisieren und einen Weg zum Sieg zu weisen.

Das ist jedoch unmöglich, ohne ein realistisches und klares Bild von der Führung der Bewegung, den dominierenden Kräften zu haben und eine revolutionäre Alternative zu diesen zu vertreten. Daher wenden wir uns an dieser Stelle diesen Kräften und ihren Fehlern zu.

Wie wir zeigen werden, ist die Politik dieser verschiedenen bürgerlichen, kleinbürgerlichen und reformistischen Kräfte ein zentrales Hindernis für die weitere Entwicklung des Kampfes.

Grüne

Die Grünen sind die politisch führende Kraft im K 21-Bündnis. In diesem breiten Bündnis konnten die Grünen, Parkschützer, Pro Bahn, BUND, Partei DIE LINKE, VCD oder auch die ÖDP in die Vorfeldstruktur einbinden. Das hat zur Folge, dass die meisten politischen Gruppen nicht offen auftreten, sondern sich hinter dem allgemeinen Konzept von K 21 sammeln, bzw. verstecken.

Als politische Antwort auf Staat und Bahn fällt diesem Bündnis ein anderer Bahnhof ein, ein renovierter Kopfbahnhof. Die Frage der Kontrolle der Bahn, der Verfügung über das Transportwesen oder auch der politischen Macht, die das durchsetzt, bleibt im Unklaren. Ganz allgemein wird der friedliche Protest befürwortet und dass „die“ Gegner an einer gemeinsamen Lösung/Verhandlungen interessiert seien sowie auch an einem Volksentscheid über das Projekt. Ebenfalls werden alle anderen relevanten Themen ausgeklammert. Während sich trefflich über die Minutenvorteile von K 21 unterhalten wird, werden doch die sozialen Fragen dahinter ausgenommen. Somit steht auch das K 21-Bündnis als Beispiel für einen grünen, vernünftigen Kapitalismus - im Gegensatz zum unvernünftigen schwarz-gelben Kapitalismus.

Die politische Taktik und Perspektive von K 21 ist die Perspektive der Grünen. Sie dominieren derart das Bündnis das ein eigener Auftritt als Partei schon obsolet geworden ist. Durch das K 21-Bündnis haben die Grünen eine optimale Wahlplattform für die Landtagswahl im März aufgebaut. All das ist getarnt als „ziviler Ungehorsam“ bzw. „Bürgerbewegung“ gegen S 21. Dadurch haben die Grünen nicht nur die gesammelten kleinbürgerlichen Organisationen eingebunden (BUND, VCD, Pro Bahn etc), sondern können auch nach „links“ integrieren über SÖS, Linkspartei und SAV.

Selbst die Gruppen und Personen, die die Grünen als Partei ablehnen oder ihre Manöver bekämpfen, sind meist nicht in der Lage, eine alternative Politik zu formulieren. So rennt Stocker (SÖS) genauso jedem prominenten Bürger hinterher und bekämpft die linken Kräfte, wie die Grünen selbst es nicht schlimmer tun. Die „aktiven Parkschützer“ wiederum, die mehr Bewegung wollen als das grün-dominierte K 21-Bündnis und die „Gewaltfreiheit“ durchaus anders auslegen, haben genauso Angst, die Medien und die „Bürger“ zu erschrecken, wie Stocker, den sie kritisieren.

Bei den letzten Landtagswahlen 2006 verhandelten die Grünen noch mit der CDU über eine mögliche Landesregierung. Dies taten sie trotz der Planungen zu S 21. Jetzt haben die Grünen ihre Basis verbreitert, weitere Teile des Kleinbürgertums integriert. Während sie bundesweit derzeit bei 20% in den Umfragen liegen, bekommen sie in Baden-Württemberg annähernd 30%. Die Proteste und Verhandlungen haben das strategische Ziel der Grünen deutlich gemacht. Der Protest soll parlamentarisch gelöst werden, gilt den Grünen als gutes Beispiel für „zivilgesellschaftliches Engagement“.

Dabei wird deutlich, wie weit die Grünen sich von ihrem Ursprung in den Protesten gegen Atomkraft und Aufrüstung entfernt haben. In diesen Anfängen sahen die Grünen und die „Bewegungen“ durchaus die Parlamente als Gegner und hatten als Ziel, die Projekte auf der Straße, in der Gesellschaft zu stoppen (Wackersdorf, Brokdorf) und nicht bei der nächsten Landtagswahl.

Nun aber droht im Ländle nach der nächsten Wahl der erste grüne Ministerpräsident, Kretschmann. Dieser Alt-Realo war schon zu Zeiten von Rezzo Schlauch in Baden-Württemberg ein Befürworter schwarz-grüner Regierungen und auch jetzt stellt er am besten die Schnittmenge der Grünen mit CDU und FDP dar. Ein Ministerpräsident Kretschmann wird beweisen wollen, wie gut auch ein Grüner für Staat und Kapital in erster Reihe regieren kann. Mit ihm an der Spitze wird die neue Landesregierung bestimmt keine Verträge mit der Bahn kündigen, sondern vielmehr alles dafür tun, dass der Schlichterspruch S 21 Plus umgesetzt wird.

Rolle der Gewerkschaften und reformistischer Parteien

Die Rolle der SPD hat eher tragikomische Züge. Bis zu den Protesten waren sie willfährige Unterstützer des Großprojekts. Einer der ihren, Drexler, war sogar lange Chef der S 21-Planung. Als der Protest größer wurde, muss irgendwer der SPD verraten haben, dass sie in der Opposition ist (obwohl das in Baden-Württemberg Tradition hat) und aus diesem Protest vielleicht auch „Kapital“ in Form von Wählerstimmen schlagen könnte.

So fordert die SPD seit dem Herbst eine Volksabstimmung zu S 21 - mehr fiel ihnen leider nicht ein. Sie sprechen auf Kundgebungen der Gegner sowie der Befürworter. Schließlich hat sich an ihrer allgemeinen Unterstützung auch nichts geändert. Fast schon skandalös war die Frage, ob die Baden-Württemberg-SPD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aufgrund der Gewalt am 30.9. im Parlament unterstützt. Auf Drängen der Jusos entschied sich dann der Landesparteitag mit zwei Stimmen Mehrheit für die Einsetzung. Die Fraktion war fast geschlossen dagegen. Ob sich da schon Abgeordnete über mögliche Koalitionen mit Mappus & Rech Gedanken gemacht haben, können wir nur vermuten - Fakt ist, dass sogar bei diesem Thema die SPD ihre Unterstützung für S 21 zeigen wollte.

Gewerkschaften

Wenn die SPD schon keine Rolle in den Protesten spielt, so kann sie zumindest dafür sorgen, dass dies auch für die Gewerkschaften gilt. Deren Führungen haben zu unserem Widerstand eine ablehnende Haltung. Dies ist zum Teil der SPD geschuldet, zum anderen Teil der Vermutung, dass S 21 die Beschäftigten gar nicht interessieren würde.

Diese klassische bürokratische Ausrede - „die Beschäftigten wollen das nicht“ - ist erstaunlich, wenn eine Massenbewegung entsteht. Denn natürlich sind es nicht nur die so genannten „bürgerlichen“ Teile, die den Protest aufgebaut haben, sondern befinden sich darunter auch viele Beschäftigte. Das Stuttgarter „Krisenkomitee“, eine Basisstruktur aus VertreterInnen aus verschiedenen Einzelgewerkschaften, unterstützt daher auch die S 21-Proteste, ebenso einige Basisgruppen in den Betrieben und öffentlichen Einrichtungen sowie ver.di Stuttgart.

Die Blockadetaktik der Führungen wurde deutlich bei der Vorbereitung der gewerkschaftlichen Großdemo am 13.11. mit dem Titel „Deutschland in Schieflage“. Dort haben die Gewerkschaften gegen die ungerechte Verteilung der Krisenkosten protestiert, haben sich aber bis zuletzt geweigert, auf der Hauptkundgebung einen Vertreter des K 21-Bündnisses sprechen zu lassen. Lange Zeit wurde sogar über zwei getrennte Demozüge spekuliert. Dies hätte für die Gewerkschaftsführungen aber durchaus zu einer Blamage führen können. Daher durfte am Ende doch ein Vertreter von K 21 auf einer kleinen Auftaktkundgebung sprechen und gemeinsam gingen 60 000 auf die Straße. Mit dieser Haltung machten es die Gewerkschaftsführungen den kleinbürgerlichen Teilen im K 21-Bündnis leicht, Fragen wie Streik gegen S 21, Aktionseinheit mit den Kämpfen gegen die Krise zu umgehen und abzulehnen.

Linkspartei

Im Gegensatz zur SPD war die Linkspartei zumindest von Beginn an gegen S 21. Ihre Aktivitäten erstrecken sich auf die „GewerkschafterInnen gegen S 21“ und die „Jugendoffensive“, in der hauptsächlich die SAV für die Linkspartei agiert.

Derzeit scheint die Linkspartei froh zu sein, dass sie überhaupt Chancen hat, in den Landtag einzuziehen. Sie profitiert zu ganz kleinen Teilen von der Bewegung im Gegensatz zu den Grünen.

Die Linkspartei ist jetzt auch im K 21-Bündnis vertreten, war aber an den Schlichtungs-Verhandlungen nicht beteiligt.

Zu keinem Zeitpunkt haben die VertreterInnen der Linkspartei öffentlich den rechten Kurs von Stocker (SÖS) kritisiert, mit dem sie in einer gemeinsamen Stadtratsfraktion sitzen und mit dem sie eine gemeinsame Zeitung - natürlich zur Zeit mit Schwerpunkt S 21 - veröffentlichen.

Genauso wenig kritisiert die Linkspartei den Kurs der IG Metallführung in Ba-Wü, wenn auch ihr Landesvorsitzender Riexinger als Verdi-Chef von Stuttgart innerhalb der Gremien eine andere Position bezieht. Der Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Hamm, ist IG Metall-Bevollmächtigter in Aalen. Einerseits unterstützt er die „Gewerkschafter gegen S 21“, andererseits beugt er sich dem Diktat des Metall-Bezirksleiters Hoffmann, der selbst offen als Unterstützer für S 21 auftritt, die IG Metall aus dem Konflikt rauszuhalten.

In dieser Lage der doppelten Anpassung - einmal an die Mehrheitsströmung in der Gewerkschaftsbürokratie, also die SPD, zum zweiten an SÖS und damit an die Grünen, - ist die Linkspartei nicht als Kraft mit eigenständigen Positionen wahrnehmbar.

All das zeigt, dass alle größeren politischen Kräfte gegen S 21

1. politisch hinter der GRÜNEN Partei hinterherliefen. Das zentrale Gegenkonzept zu S 21 war und ist „K 21“, also ein etwas anderer Bahnhof. Die kapitalistische Ausrichtung der Bahn, die Frage der Kontrolle usw. wird nicht aufgeworfen - es sei denn auf rein bürgerliche Weise im Ruf nach mehr „Kontrolle“ durch die Organe der parlamentarischen Demokratie und behördliche Kontrollen. Warum diese - nachdem sie jahrzehntelang an Missständen nichts geändert haben - in naher oder eher ferner Zukunft Wunder wirken sollen, bleibt das Geheimnis diese Strömungen.

2. Das führt nicht nur dazu, dass „Antikapitalismus“ keine Rolle spielen soll und linke Gruppierungen und Parteien möglichst unauffällig im Hintergrund bleiben und bestenfalls die Knochenarbeit für Verteilaktionen leisten sollen. Es führt auch dazu, dass die Klasseninteressen von Lohnabhängigen eine geringe bis gar keine Rolle spielen. So wäre es unbedingt notwendig, nicht nur an EVG und GDL zu appellieren, gemeinsame Aktionen zu unterstützen. Die Bewegung müsste auch für die Verbesserung der Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Bahn-Beschäftigten und gegen jede Privatisierung eintreten. Das mag zwar so manchen „Unternehmer gegen S 21“ abschrecken - es ist aber eine unabdingbare Voraussetzung dafür, die Beschäftigten in Stuttgart und bei der Bahn bundesweit zu gewinnen. Dasselbe gilt für andere unmittelbare Forderungen wie nach einem kostenlosen Nahverkehr, finanziert aus der Besteuerung der Unternehmergewinne und Vermögen.

3. Die S 21-Kampagne hatte aber immer eine klassenübergreifende politische Ausrichtung. Argumentiert wird dabei, dass damit das Bündnis „breiter“ würde. Das ist aber eine Illusion. Ein Bündnis, das selbst letztlich gegensätzliche Interessen bedient, führt nicht zu einer Bündelung der Kräfte, sondern zu einer Aufhebung ihrer Schlagkraft. Um z.B. mit den Stuttgarter Unternehmern auf gutem Fuss zu stehen, dürfen Lohnforderungen oder Forderungen gegen Privatisierung usw. nicht oder jedenfalls nicht allzu hörbar aufgestellt werden. Für die Masse der Bevölkerung stellt sich dann freilich die Frage, wozu der ganze Protest so wichtig sein soll, wenn die Interessen der Mehrheit schon im „Widerstandsbündnis“ hinter jene einer unternehmerischen Minderheit zurückzutreten haben. Was für Forderungen und Ausrichtung gilt, galt dann umsomehr für die Kampfformen - sei es, dass Blockaden den Verkehr nicht allzu lange aufhalten, sei es, dass Demos tunlichst nicht das Weihnachtsgeschäft trüben sollten.

4. Damit ist die grundlegende Ausrichtung dieser Kräfte auch vorgezeichnet - Hoffen auf die Vernunft aller Klassen und Schichten - letztlich auf den bürgerlichen Staat, auf eine neue Landesregierung, darauf, dass die Bewegung Mappus, Grube und Co. zu freiwilligen Zugeständnissen zwingt. Auch wenn eine Massenbewegung durchaus großen Druck ausüben kann und ein Abbruch von Bauprojekten nicht ausgeschlossen ist, so war und ist das in der Vergangenheit immer das „Nebenprodukt“ militanter Kämpfe und Massenbewegungen gewesen - nicht das Resultat einer fein kalkulierten Öffentlichkeitskampagne.

5. Diese Kräfte wollten immer die Bewegung nutzen, um gesetzliche Reformen oder Kompromisse mit den Projektbetreibern anzustreben. Sie führten und führen eine Massenbewegung an, weil viele AktivistInnen, v.a. die große Masse derjenigen, die zu den Massendemos mobilisiert wurden, oft ihre Vorstellungen und Hoffnungen teilten und teilen.

6. Aber von Beginn an ging die linksbürgerliche Ausrichtung der Führung, der sich die GewerkschafterInnen wie die Linkspartei in der Bewegung immer unterordneten, neben der eigenen ideologischen Hegemonie und dem exklusiven Zugang zur bürgerlichen Öffentlichkeit, mit einer extrem undemokratischen „Lenkung“ der Bewegung einher. Wer Teil des K 21-Bündnisses ist, wurde und wird von diesem bestimmt. Massenversammlungen, Aktivistenkonferenzen usw. wollen und wollten sie sich nicht stellen.

Dieser Mangel, ja diese Verhöhnung von Demokratie und Transparenz durch die Führung der Bewegung, ist jedoch kein Zufall, sondern dient der Absicherung ihrer eigenen politischen Ziele und Dominanz. Die fatale Auswirkung dieser Dominanz zeigte sich an jedem Wendepunkt der Bewegung.

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Die Schlichtungs-Seifenblase ist geplatzt

Wie weiter im Widerstand?

Eine marxistische Analyse des Ursprungs, Charakters und der Perspektiven der Bewegung gegen Stuttgart 21

Januar 2011

*  Vorwort
*  Das Projekt
*  Die Bewegung und ihre Führung
*  Entwicklung der Bewegung und die Frage des Staates
*  K 21-Bündnis und Aktionskonferenzen
*  Wie weiter?
*  Nachsatz: Die Landtagswahlen im März