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Wie weiter im Widerstand gegen S 21?

K 21-Bündnis und Aktionskonferenzen

Arbeitermacht-Broschüre, Januar 2011

Seit Beginn der Proteste und besonders nach Beginn der Verhandlungen forderten wir von der Gruppe Arbeitermacht transparente und demokratische Strukturen in der Bewegung, forderten die Kontrolle der selbsternannten Führung. Niemand wählte die Damen und vor allem Herren aus dem Verhandlungsteam, niemand stimmte darüber ab, was und ob überhaupt verhandelt wird. Das K 21-Bündnis war schnell ein abgeschottetes Bündnis, das sich von den Grünen, der SÖS und dem BUND führen ließ.

Das hat angesichts des Unwillens der offiziellen Führung von S 21, die Bewegung an Wendepunkten auszuweiten, zu entschlosseneren Aktionen wie Massenbesetzung des Hauptbahnhofs zu greifen und eine effektive Verteidigung der Parkbesetzung zu organisieren, natürlich zu Widerspruch in der Bewegung geführt. Die AktivistInnen - vor allem jene, die sich regelmäßig betätigten und organisierten - merkten, dass sie nicht nur keinen Einfluss auf die Ausrichtung und Taktik der Bewegung nehmen konnten. Mit der Schlichtung wurde auch klar, dass sie von der Führung als zu lenkende Masse betrachtet wurden und werden, die ohne jede Diskussion, ohne demokratische Beschlussfassung deren Kurs zu folgen hat.

Entscheidend war aber ohne Zweifel das Umschwenken auf die „Schlichtung“ und die von Grünen, SÖS und anderen selbsternannten SprecherInnen der Bewegung vereinbarte „Friedenspflicht“, die dazu führte, möglichst keine Großdemos durchzuführen und radikalere Aktionen wie längere Straßenblockaden oder Besetzungen möglichst zu unterbinden.

Die Rolle der aktiven Parkschützer (APS)

In dieser Situation kam es zu einer politischen Differenzierung in der Bewegung, die sich in der Bildung der „aktiven Parkschützer“ ausdrückte.

Die Gruppe setzte sich folgende Ziele: mehr Demokratie innerhalb des Widerstands und Mitspracherecht für alle Gruppen, besonders aber auch das Rederecht auf den Kundgebungen. Richtig erkannte sie, dass die demokratische Legitimation des Bündnisses nicht gegeben ist. Im Bündnis sind ca. 10 Gruppen und Parteien vertreten, während die Bewegung längst aus über 50 Gruppen besteht neben unzähligen, unorganisierten AktivistInnen. Es wäre Aufgabe des Bündnisses, diese Gruppen zusammenzuführen und gemeinsame Strukturen aufzubauen. Daran haben aber die Führungen der Parteien und Organisationen wie GRÜNE, SÖS, SPD, LINKE, BUND kein Interesse.

Deshalb ist „Bei-Abriss-Aufstand“ aus K 21 rausgegangen und hoffte, von außen Druck auf das Bündnis in Richtung mehr Demokratie ausüben zu können. Sie organisierten Aktionskonferenzen und zwei Samstagsdemos.

Sie schafften es aber nicht, konsequent für demokratische Strukturen einzutreten, sondern beanspruchten selbst eine demokratisch nicht legitimierte Führungsrolle neben dem K 21-Bündnis.

Natürlich wurde ihnen von den Verhandlungsteilnehmern in der Schlichtung und von K 21 sofort die Spaltung des Widerstands vorgeworfen. Aber anstatt dieses Thema auf der Aktionskonferenz zu diskutieren, versuchte „Bei-Abriss-Aufstand“ durch Anbiederung an das Bündnis, diesen Vorwurf zu entkräften. Statt selber Flugblätter rauszugeben, um ihre Positionen innerhalb der Bewegung bekannt zu machen und offen für einen anderen Kurs zu mobilisieren, agierten sie  im Schatten des K 21-Bündnisses in der Hoffnung, dort Anerkennung und Akzeptanz zu kriegen.

Ihre größte Angst ist es, in die „linksradikale Ecke“ gestellt zu werden,. Dadurch kam es zur offenen Bekämpfung der Demonstration am 27. November 2010 - obwohl diese von einer Aktionskonferenz beschlossen worden war.

Das Bestreben, dem K 21-Bündnis keine Angriffsfläche zu bieten, führte schließlich dazu, jeden Kontakt zu organisierten linken, antikapitalistischen Gruppierungen möglichst zu vermeiden oder jedenfalls nicht öffentlich werden zu lassen.

Die aktiven Parkschützer selber sehen sich als „Weiterentwicklung des K 21-Bündnisses, nicht als Konfrontation“. Das sieht das Bündnis allerdings anders! Wen wundert's??

Es gab keinen Aufruf an alle Gruppen des Widerstands, zu den Treffen des Widerstandrates, der von „Bei-Abriss-Aufstand“ ins Leben gerufen wurde, zu kommen. Stattdessen wurden Gruppierungen, Initiativen oder Einzelpersonen nur aufgrund persönlicher Einladungen und zufälliger Informationen inkorporiert. Die „Bei-Abriss-Aufstand-Gruppe“ ist der Meinung, sie müsse das Rad neu erfinden und ist seit Wochen damit beschäftigt, sich über ihr Demokratieverständnis, ihren Einfluss in der Bewegung und ihr Verhältnis zum Bündnis klar zu werden - statt eine offene, demokratische Debatte in der Bewegung voranzutreiben. Ihr Konsens lautet:

„Die Widerstandskonferenz ist oberstes Koordinations- und Abstimmungsgremium aller aktiven Gruppen im Widerstand gegen Stuttgart 21. Sie funktioniert nach dem Sprechersystem offen, kein Zentrum der Macht, sondern Autorität mit Richtlinienkompetenz und ein Ort der Vernetzung.

Alle parteipolitisch nicht gebundenen Gruppen, die sich auf Grundlage des Aktionskonsenses gegen Stuttgart 21 engagieren, sind berechtigt, Vertreter in die Widerstandskonferenz zu entsenden. Vertreten sind ausschließlich Gruppen, keine Einzelpersonen.“

Somit werden sowohl aktive Leute außerhalb der Bezugsgruppen ausgeschlossen wie auch politische Organisationen.

In den Bezugsgruppen sind, wie nicht anders zu erwarten in einer klassenübergreifenden Protestbewegung, vor allem Leute die politisch keine bis sehr geringe Erfahrungen haben. Das kann diesen Leuten, die sehr engagiert und ernsthaft gegen S 21 kämpfen wollen, nicht vorgeworfen werden.

Der informellen Führung der „Bei-Abriss-Aufstand- Gruppe“ aber schon! Sie hat Interesse, dass ihre Führungspositionen in der „Opposition“ zum K 21-Bündnis nicht in Frage gestellt werden, sie kontrollieren die Aktionskonferenzen, die Vergabe von Spendengeldern und auch Aktionen selber.

Ein politisches Interesse scheint vordergründig nicht zu erkennen. Die führenden Köpfe kommen von Greenpeace, haben keine - jedenfalls keine offen gelegte - Parteimitgliedschaft.

Wohl aber vertreten sie keineswegs bloß ein „persönliches“ Eigeninteresse. Sie sind politischer Ausdruck einer radikalen, politisch kleinbürgerlichen Opposition zu den dominierenden Kräften der Bewegung.

Einen proletarischen, antikapitalistischen, sozialistischen Standpunkt lehnen sie ab. Das wird unter anderem damit begründet, dass sie fürchten, die Ausrichtung der Aktionen, Forderungen und Strukturen der Bewegung am Klasseninteresse der Lohnabhängigen würde die Bewegung „spalten“,

Statt dessen hoffen sie, die in den letzten Monaten deutlicher hervorgetretenen Gegensätze in der Bewegung durch „Strukturvorschläge“ und eine Fetischisierung ihres Verständnisses von „Basisdemokratie“ zu überbrücken. Das ist natürlich eine Utopie. Unterschiedliche Klassenstandpunkte lassen sich nicht durch ein noch so „demokratisches“ Verfahren und noch viel weniger durch Mangel an Bewusstheit und offener Auseinandersetzung überbrücken. Das führt nur dazu, dass sich der gesellschaftlich immer schon herrschende Standpunkt - in diesem Fall der bürgerliche Standpunkt der Grünen - letztlich um so leichter durchsetzen lässt, weil die kleinbürgerliche Opposition in „Bei-Abriss-Aufstand“ diese Debatte selbst tabuisiert und damit entgegen ihren Intentionen den Wölfles, Stockers und Co. in die Hände spielt.

Welche Bedeutung hat die Aktionskonferenz?

Die Halbheit der ganzen Herangehensweise der „Bei-Abriss-Aufstand-Gruppe“ zeigte und zeigt sich bei den, in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Aktiven der Widerstandsbewegung organisierten, Aktionskonferenzen. Hiermit sollte dem vielfachen Ruf nach Austausch und gemeinsamen Beschlüssen Rechnung getragen werden.

Die Teilnehmerzahl der ersten Konferenz von über 400 Leuten überstieg sicher alle Vorstellungen und überforderte auch das Organisationsteam.

Schnell war ihnen klar, dass Beschlüsse aus diesem Gremium der Bewegung eine andere Richtung geben, dass sie selber dadurch die Kontrolle und ihren Einfluss verlieren könnten. Das wurde besonders deutlich, als auf der 2. Aktionskonferenz die Tagesordnung durch die Mehrheit der Anwesenden gekippt wurde, um über die Situation der Parkbewohner zu diskutieren. Es wurde sogar eine gemeinsame Resolution verfasst, die sich gegen die Diffamierung durch das K 21-Bündnis gegenüber den Parkbewohnern aussprach, die volle Solidarität und Anerkennung der Parkbewohner als Teil des Widerstands bekräftigte.

Diese Resolution ist aber nie an die gesamte Bewegung kommuniziert worden. Im Gegenteil, das Organisationsteam, das vor allem seinen Führungsanspruch nicht in Frage gestellt sehen wollte, verschickte kein Protokoll. Erst Wochen später und auf Drängen einiger Teilnehmer kam ein Gedächtnisprotokoll mit der Begründung, das Originalprotokoll wäre verloren gegangen. Das zeigt sehr deutlich, mit welchen Methoden informelle Führungen arbeiten. Anstatt die Aktionskonferenz als Beschlussgremium anzuerkennen, wurde dieser genau das abgesprochen, Es gab plötzlich einen Widerstandsrat, der oberstes Beschlussgremium sein soll, dessen Delegierte aber nicht gewählt wurden, der ganze Rat nicht auf den Konferenzen diskutiert wurde, sich seine eigenen Strukturen gab, ohne Rückkoppelung der Bewegung und ohne Rechenschaftspflicht.

Die Aktionskonferenzen wurden nach der 2. dann stark reglementiert. Man muss sich strikt an die Tagesordnung halten, Diskussionen nur in Arbeitsgruppen führen, die dann 3 Minuten Redezeit im Plenum haben. Hier erfolgt dann die Vorstellung der verschiedenen Bezugs- und Aktionsgruppen, in denen die Aktiven mitarbeiten dürfen. Keine Diskussionen im Gesamtplenum, keine gemeinsamen Beschlüsse, keine Auseinandersetzung über die alles entscheidende Frage: wie weiter mit dem Widerstand?

Dass dadurch bei der 4. Aktionskonferenz „nur“ noch 200 Leute anwesend waren, muss nicht verwundern, sondern ist gewollt.

Trotzdem, die Konferenzen finden weiterhin statt - alle 3-4 Wochen - die Teilnehmerzahl ist immer noch sehr gut, es ist ein Treffpunkt des aktivsten Teils der Bewegung und hat immer das Potenzial, Forderungen zu demokratischen Strukturen einzubringen und sich gegebenenfalls von der selbsternannten Führung zu trennen.

Die Demonstration vom 27. November

Die Haltung der informellen Führung der Aktionskonferenzen führt nicht nur dazu, dass sich die Aktionskonferenzen immer wieder paralysierten, dass aus kritischen Debatten wenig folgte und v.a. kein alternativer Kurs zur offiziellen Führung der Bewegung und damit auch kein Kurs um die Mehrheit in der Bewegung gefahren wird. Sie führte auch dazu, dass Kritik and Beschlüsse, die den „aktiven Parkschützern“ nicht passten, selbst hintertrieben wurden. Das lässt sich gut daran demonstrieren, wie die Demonstration am 27. November sabotiert wurde.

Nach der Schlichtung war die Mehrheit der Aktionskonferenz für die Weiterführung der Samstagsdemonstrationen auch ohne Unterstützung des K 21-Bündnisses. Sie begrüßte die Bildung einer Demo-AG, die sich die Organisation und Durchführung der Samstagsdemos am 27. November und 04. Dezember zum Ziel setzte. Die Gruppe „Bei-Abriss-Aufstand“ sagte  ausdrücklich ihre volle Unterstützung zu.

Das änderte sich allerdings, als sie den Vorschlag der Rednerliste sah. Die Demo-AG war sich einig darüber, dass es längst überfällig war, aktiven Gruppen aus der Bewegung Redezeit auf den Kundgebungen zu geben und die Parkbewohner als aktivsten Teil des Widerstands, die weiter die Besetzung des Parks aufrechterhielten, sprechen zu lassen. Das wurde als Bruch des Widerstandskonsenses gesehen. Der Aktionskonferenz wurde die Legitimation für Beschlüsse abgesprochen,  die Unterstützung wurde zurückgenommen und  am Ende ließ die Parkschützergruppe verlautbaren, dass es keine  Demonstration am 27.11. gäbe und boykottierten diese.

Was war der Grund für diese Kehrtwende?

Den  Parkbewohnern wurde schon vom K 21-Bündnis ihre Legitimation als Teil des Widerstands abgesprochen: sie würden den Schlossgarten nicht schützen, sondern für eigene Interessen nutzen. Es wären vor allem Obdachlose und AlkoholikerInnen, die durch ihren Lebensstil dem Widerstand schaden, statt nützen. Diese Diffamierung und Lügen trugen aber nur zu großer Kritik am Bündnis bei, nicht zur Abgrenzung der Bewegung von den ParkbewohnerInnen.

Aber das K-21-Bündnis ging sogar soweit, den ParkbewohnerInnen die nötige finanzielle Unterstützung der Spendengelder zu entziehen. Auch ist es eine Tatsache, dass seit der ständigen Anwesenheit der Leute im Park dieser noch nie so sicher, so sauber und so belebt war.

Das Verhalten der Gruppe „Bei-Abriss-Aufstand“  lässt sich nur dadurch erklären, dass sie sich eben nicht eigenständig und unabhängig vom K 21-Bündnis positionieren, sondern diesem weiterhin näher sind als der Basis der Bewegung.

Interessant war auch, wie schnell die Parkschützer absprangen, wie schnell sie die vorherigen Absprachen und Abstimmungen der Aktionskonferenz missachteten und die Spaltung mit trugen. Dabei ist die Taktik der Parkschützer bei den Aktionskonferenzen ganz simpel: entweder sie bestimmen die Richtung oder sie kämpfen dagegen an und stehen Seite an Seite mit SÖS und den Grünen.

Was für Aktionskonferenzen brauchen wir?

Wir haben immer wieder ganz konkrete Vorstellungen vorgebracht, was wir unter demokratischen Strukturen verstehen.

Zuerst geht es darum, dass wir Mehrheitsentscheidungen und Wahlen in die Bewegung und deren Strukturen einführen wollen. Diese beiden Dinge gehören eigentlich zum Minimalverständnis von Demokratie, leider fehlen sie bislang in der Massenbewegung gegen S 21!

In den Aktionskonferenzen gab es erste Mehrheitsentscheidungen. Seitdem werden diese Fragen in die AG's ausgegliedert, auch um politische Diskussionen in der Konferenz zu minimieren. Den Aufbau eines gemeinsamen Gremiums, wie den Widerstandsrat unterstützen wir, aber dieser muss gewählt werden von der Konferenz und nicht bestimmt werden durch die stärkste Gruppe! Ebenso muss die Konferenz das Recht haben, alle gewählten Personen wieder abzuwählen, sie verantwortlich für ihr Handeln zu machen und somit kontrollierbar durch die Basis - das sind die Grundlagen einer demokratischen Bewegung!

All das zu erklären wirkt eigentlich befremdlich, gerade weil die führenden Gruppen nach außen sich immer besonders basisdemokratisch geben - nur leider zwingt die Realität uns, darauf hinzuweisen, dass Wahlen und Entscheidungen zum Wesensgehalt aller „demokratischen“ Prozesse gehören sollten.

Wir brauchen diese Strukturen, damit die Basis sich beteiligen kann, damit sie von Entscheidungen nicht ausgeschlossen ist und damit wir eine demokratische Bewegung sind. Natürlich ist es richtig und wichtig, eine gute „Medienpräsenz“ zu haben. Nur ersetzt diese Präsenz nicht demokratische Prozesse und Entscheidungen!

Basisdemokratie und Rätedemokratie

Die inneren Strukturen des radikaleren Flügels der Bewegung stützen sich auf mehrere Säulen: Bezugsgruppen, Konsensprinzip, Basisdemokratie. Es sind für das Ziel der Bewegung vollkommen ungeeignete Strukturen. Es ist natürlich nicht nur die selbstverfasste innere Struktur, die dem Ziel, S 21 zu verhindern, im Wege steht - aber diese ist kein Zufall, sondern konsequenter Ausdruck der Gesamtausrichtung, die zum Scheitern verurteilt ist.

Das Konsensprinzip lehnen wir nicht deshalb ab, weil wir an sich gegen Übereinstimmung sind. Aber es geht hier nicht um Harmonie um ihrer selbst willen in einer Bewegung, in der äußerst verschiedene Konzepte um die Vorherrschaft, d.h. um die Ausrichtung der ganzen Bewegung ringen - müssen! Sie müssen es um so mehr, als heute die Bewegung am Scheideweg steht und wir sie fragen müssen - wenn sie's schon nicht von selbst tut - welche Strategie speziell nach der Schlichtung und damit einem Scheitern der Mehrheitsstrategie für K 21 (!) angemessen ist, um das Projekt S 21 zu verhindern. Da kann man dann nicht so tun, als sei alles Friede-Freude-Eierkuchen. Die immer noch kampfbereiten Teile der Bewegung, die den „SchlichtungsfreundInnen“ auf der Straße eine Abfuhr erteilt haben, sind selbst Opfer einer großen Ratlosigkeit: wie weiter? Reichen Montags- und Samstagsdemonstrationen?

Nein! Sie reichen nicht. Genau so wenig reicht aber auch das Konsens- und Bezugsgruppenprinzip. Das Erstere ist undemokratisch. Gerade die organisierte Arbeiterbewegung kann ihre inneren Dispute nur durch Mehrheitsentscheide lösen. Man stelle sich mal einen Streik vor, der nach dem Konsensprinzip verliefe! Dem Streikbruch wäre Tür und Tor geöffnet!

Ohne die Wichtigkeit von Bezugsgruppen in Frage zu stellen - deren oft geäußerte Ablehnung gegen Mehrheitsentscheidungen mal außen vorgelassen - erhebt sich doch die Frage bei jedem Kampf um ein progressives gesellschaftliches Ziel, ob dieses erreicht werden muss oder vielmehr wichtiger dabei ist, ob ich meinen Neigungen frönen, meine „Gesinnungsverwandten“ mitnehmen kann.

Neigungs- und Arbeitsgruppen beispielsweise wie eine „Theatergruppe gegen S 21“ können natürlich in jeder Bewegung nützlich sein. (Anders verhält es sich mit Gruppen wie „Unternehmer gegen S 21“, die entweder ein leeres Zeug darstellen oder ein Organisationszentrum des „linken“ Flügels von Kapitalisten und ausbeutendem Kleinbürgertum sein müsssen.)

Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, dass eine demokratische, wirklich von unten strukturierte Bewegung nicht eine Sammlung von „Neigungsgruppen“ sein kann, sondern dass deren Grundstrukturen dort verankert sein müssen, wo ihre AktivistInnen leben, arbeiten oder lernen - als Strukturen in den Betrieben, an Schulen, Unis oder im Stadtteil. So können Strukturen geschaffen werden, die prinzipiell offen sind für alle Lohnabhängigen (egal ob beschäftigt oder arbeitslos), Studierenden, SchülerInnen, RentnerInnen, im Grunde für alle BewohnerInnen.

Wie gesagt, das spricht nicht gegen die Bildung von „Neigungsgruppen“ für bestimmte Aufgaben. Aber die Vorstellung, dass die Masse der Demonstrierenden, der Bewegung über diese organisiert werden könne, ist einfach Unsinn. Sie führt nur zur Organisierung einer radikalen Minderheit - und oft auch noch einer politisch recht kleinbürgerlichen.

Der grundlegende Fehler dieser Herangehensweise liegt nicht bloß in einem „Organisationsmodell“. Der grundlegende Unterschied liegt darin eigentlich, dass es unserer Auffassung nach darum geht, nicht nur Versammlungen und Treffen von mehr oder weniger ständig wechselnden AktivistInnen abzuhalten, die mehr oder weniger zufällig sind, sondern Strukturen zu schaffen, die eine bestimmte gesellschaftliche Kraft, d.h. in erster Linie die Arbeiterklasse, aber auch andere unterdrückte, nichtausbeutende Schichten der Bevölkerung umfassend organisieren.

Uns revolutionären KommunistInnen muss es darum gehen, die Neigungsgruppen und basisdemokratischen Prinzipien nicht zu verunmöglichen, sondern den subjektiv ehrlichen Graswurzeldemokratismus großer Teile der Bewegung auf eine höhere Stufe zu heben: Mehrheitsprinzip, Organisationsgrundeinheiten in Betrieben, Schulen, Universitäten und Stadtteilen, Führen der grundlegenden strategischen Debatten im Plenum und Wahl einer Exekutive gemäß deren Voten, das sind die grundlegenden Prinzipien, um ernsthafte politische Debatten zu führen und entscheiden, um die gewählte Exekutive kontrollieren und - wenn notwendig - jederzeit ersetzen zu können sowie breite neue Schichten in die Kampffront gegen S 21 zu integrieren. Das kann und darf nicht Ersatz für eine revolutionäre, kommunistische Partei sein, aber es ist ein bedeutender Schritt hin in Richtung Handlungsfähigkeit, in Richtung Demokratie wie die der Arbeiterräte!

„Basisdemokratie“ ist nicht nur kein „Ersatz“ für den Begriff „Arbeiterräte“, sondern ihm letztlich auch diametral entgegengesetzt. Der klassenunspezifische Begriff „Basisdemokratie“ umfasst eben nicht gezielt, nicht in organisierter Form die tatsächlich tragende objektive Basis dieser Gesellschaft, die Lohnarbeiterschaft, sondern alle möglichen freidenkerischen, aber eben subjektiv, sich selbst einordnenden Varianten irgendwelcher Bewegungen.

Die Bewegung steht eben vor der Aufgabe, die organisierte Arbeiterbewegung weg zu brechen von deren Gewerkschafts- (DGB) und Parteibürokratie (SPD, DIE LINKE), sie nicht als isolierte BürgerInnen wie „GewerkschafterInnen gegen S 21“ ins Feld zu führen, sondern mit ihren potenziellen Machtmitteln wie Massenbesetzungen von Betrieben und dem Bahnhof, Solidaritätsstreiks mit S 21-Bahnhofs-/ParkbesetzerInnen, den Forderungen nach Offenlegung der Bücher von DB und PlanarchitektInnen und v.a. außertariflichen - de facto politischen - Solidaritätsstreiks das Blatt zu wenden, dessen die kleinbürgerlich geführte Bewegung unfähig ist.

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Die Schlichtungs-Seifenblase ist geplatzt

Wie weiter im Widerstand?

Eine marxistische Analyse des Ursprungs, Charakters und der Perspektiven der Bewegung gegen Stuttgart 21

Januar 2011

*  Vorwort
*  Das Projekt
*  Die Bewegung und ihre Führung
*  Entwicklung der Bewegung und die Frage des Staates
*  K 21-Bündnis und Aktionskonferenzen
*  Wie weiter?
*  Nachsatz: Die Landtagswahlen im März