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Alles Neu in der New Econcomy?

Frederik Haber

“New Economy oder alter Frühkapitalismus?” Diese Frage stellen die Gewerkschaftlichen Monatshefte im August 2000 und lassen in dieser Ausgabe alle möglichen Autoren ihre Meinung unkommentiert veröffentlichen. Ob die Alternative in der Frage besonders intelligent gestellt ist, ist nebensächlich. Deutlich macht das Vorgehen der Redaktion, wie sehr die Ideologen des Kapitals schon die Führungen der Gewerkschaften verunsichert haben, wie sehr sie sich von der Meinung von “Auguren und Analysten” (1) abhängig machen, wie wenig eigene Grundsätze noch vorhanden sind, auf deren Grundlage neue Entwicklungen debattiert werden können und die nötigen Änderungen in der taktischen Orientierung vollzogen werden können. So darf denn auch unwidersprochen ein R. Hank im ersten Beitrag des Heftes schreiben:

“Ronald Reagans gute Tat war es, den Einfluss des Staates und der organisierten Interessengruppen (vor allem der Gewerkschaften) drastisch zu beschränken”. (2)

Jede Änderung im Gefüge des Kapitals, in der Organisation der Produktion und in den Beziehungen zwischen den Kapitalisten hat in den letzten zwanzig Jahren zu Reaktionen innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung geführt. Dabei lassen sich zwei Grundmuster erkennen. Wenn gewerkschaftliche und betriebliche Funktionäre spüren, dass bestimmte Änderungen ihre Machtpositionen einschränken oder gefährden - und dafür sind Funktionäre ausgesprochen sensibel – so reagieren sie auf zwiespältige Art und Weise.

Einerseits versuchen sie, die alten Positionen zu verteidigen und die neue bedrohliche Entwicklung zu bremsen, anderseits passen sie sich dem Druck der Umstände, den Sachzwängen des Marktes und des Profitstrebens des Kapitals an und suchen nach einer neue Rolle für sich. Es ist üblich geworden, die Vertreter dieser beiden Reaktionsweisen und Ausrichtungen mit den Worten “Traditionalisten” bzw. “Modernisierer” zu belegen. Oft genug aber sind beide Tendenzen in demselben gewerkschaftlichen Organ oder Betriebsrat, oft auch in der selben Person sichtbar.

Um diesen spontanen Reaktionen eine programmatische Grundlage zu geben, oder wenigstens eine Rechtfertigung, veranstalten die Gewerkschaftsführungen gerne Zukunftsdebatten und -kongresse. Die Gewerkschaftlichen Monatshefte sind nur ein Beispiel. Die Hans-Boeckler-Stiftung mit ihrem Organ “Mitbestimmung” arbeitet seit Jahren auf heftigste daran, Das Bündnis für Arbeit, die Aushöhlung der Tarifverträge, letztlich die komplette Unterwerfung der Gewerkschaften unter die Logik des “Standortwettbewerbs” voranzutreiben. Die IG Metall lässt gerade ebenfalls eine Zukunftsdebatte anlaufen und die Fragestellungen werden schon auf neue Anpassung programmiert.

“Mit der Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft ist ein ebenso fundamentaler Wandel der Unternehmensorganisation, der Produktivitätsentwicklung, der Arbeit, der tradierten Lebensentwürfe und der dazu gehörigen gesellschaftlichen Institutionen und Regelungen verbunden. (...) Die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren der Industriegesellschaft werden in der Dienstleistungsgesellschaft durch neue Leitbilder ersetzt – Kundenorientierung, Flexibilität, Individualität, und Geschwindigkeit.“ (3)

Was waren die “wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren”, also die Faktoren, die den wirtschaftlichen Erfolg, also den Profit eines Unternehmens bestimmt haben? Der Umsatz an Waren oder Dienstleistungen, die Rendite entweder als Umsatzrendite (also bezogen auf die Ware) oder Kapitalrendite (also bezogen auf das eingesetzte Kapital). Letztere hing entscheidend ab von der Ausbeutungsrate, also dem Verhältnis des bezahlten Lohnes zum produzierten Wert in Form von Waren. Dafür wiederum war außer der Lohnhöhe auch die Produktivität entscheidend. Was davon gilt heute nicht mehr und ist ersetzt worden?

Nichts natürlich. Man könnte sogar sagen, dass die Profitrate wichtiger geworden ist, dass der verschärfte internationale Wettbewerb die verschiedenen Kapitalbesitzer dazu zwingt, eine bestimmte Profitrate zu erreichen und nicht lediglich profitabel zu wirtschaften. Im anderen Fall wird dieses Kapital vernichtet durch Konkurs oder Schließung. Umgekehrt ist zum Beispiel “Flexibilität” und der Druck zur Flexibilität eine Tatsache für das Kapital (und nicht bloß „ideologischer Terror“ und „Manipulation“ der Lohnabhängigen). Tatsache ist diese Druck freilich nicht, weil die Flexibilität zum “Leitbild der Dienstleistungsgesellschaft” erhoben wurde, sondern weil die Unternehmer bei einem flexiblen Einsatz der Arbeitskraft diese besser ausbeuten können.

“Kundenorientierung”, als weiteres Beispiel spielt natürlich eine Rolle, wenn immer mehr Arbeiter ihre Arbeitskraft immer öfter, ja täglich oder stündlich, auf den Markt tragen müssen, um sie zu verkaufen: befristet Beschäftigte, Leiharbeiter, Scheinselbständige bis hin zu verselbständigten Klein- und Kleinstabteilungen früherer Großunternehmen. Aber wenn sich die Form des Arbeitskräftemarktes ändert, ändert nichts an der Tatsache, dass es im Kapitalismus immer diesen Markt gegeben hat und geben wird.

Für uns stellen diese neuen oder verstärkt auftretenden Erscheinungen keine “neue Ökonomie” dar, sondern sie liegen voll im Rahmen des Kapitalismus. Ob sie ausreichen, von einer neuen Periode des Kapitalismus zu reden, einer wie auch immer gearteten nachimperialistischen Periode, oder welches Bedeutung sie innerhalb des Kapitalismus haben, ob sie für Zerfall oder neue Blüte stehen, wollen wir hier allerdings nicht untersuchen.

Wir wollen hier untersuchen, wie die Veränderungen innerhalb der Produktion, Reorganisationen des Arbeitsprozesses sich auf die Arbeiterklasse auswirken, auf ihre Zusammensetzung, ihre Arbeitsbedingungen und ihre Organisationsbedingungen, also z.B. auf die Gewerkschaften. Wir wollen untersuchen wie die reformistischen Bürokratien innerhalb der Arbeiterbewegung darauf reagieren und darlegen, welche Antworten, welche Orientierung und welche Taktiken Revolutionäre vorschlagen und einschlagen.

Wir werden uns dabei im Wesentlichen auf Deutschland beschränken. Wir erheben nicht den Anspruch, alle möglichen Veränderungen zu registrieren und ihre verschiedenen Auswirkungen zu untersuchen, sondern wir werden entscheidende Bereiche untersuchen, durch die Arbeiterklasse und -bewegung in Deutschland geprägt sind: Flächentarifvertrag, Betriebsräte, gewerkschaftliche Vertretung.

Flächentarifvertrag

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Westdeutschland unter dem Begriff “Tarifautonomie” das Zustandekommen der Tarifverträge weitgehend den “Tarifpartnern”, d.h. den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften überlassen. Die Form der Lohnfindung und Konfliktlösung – einschließlich Friedenspflicht und Verhandlungsritual – fußt auch auf dem Nachkriegskonsens zwischen den Arbeiterbürokratie und Kapitalisten, dass die Produktion angekurbelt werden muss.

In den ersten Nachkriegsjahren geht sie in Westdeutland mit einer fast ungebrochen hohen Ausbeutungsrate aus der Ära des Faschismus einher – auch aufgrund wichtiger Niederlagen der Arbeiterbewegung in den Nachkriegsjahren. Erst in Mitte/Ende der 1950er Jahre wird das Lohnniveau vor dem Machtantritt Hitlers wieder erreicht.

Zugleich bringen Flächentarifverträge den Unternehmern gleiche Konkurrenzbedingungen im nationalen Rahmen. Das kam der deutschen Bourgeoisie in einer Zeit, in der es für sie darum ging, wieder eine dominante Stellung in der Weltwirtschaft zu erreichen, durchaus entgegen.

Die Durchführung der Tarifrunden sind das wesentliche Element der Gewerkschaftstätigkeit: Hier wird sie öffentlich und für die Mitglieder am deutlichsten sichtbar, hier gibt es mit den Tarifkommissionen und Urabstimmungen die weitest gehende formale innergewerkschaftliche Demokratie. Die Flächentarifverträge sind so für die Arbeiterklasse zum Mittel geworden, ihre Einheit gegen die Unternehmer zu realisieren. Das wurde besonders beim Kampf um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall deutlich, als Belegschaften, die gerade noch betriebliche Kürzungsprogramme hingenommen hatten, in der bundesweiten Verteidigung des Mantel-Tarifvertrages in Streik traten.

In den Tarifverträgen festgelegte Standards (z.B. Urlaub, Arbeitszeit) werden von der Arbeiterklasse über die Gewerkschaftsmitglieder hinaus als Mindestarbeitsbedingungen angesehen und beansprucht. So sehen auch abhängig Beschäftigte, die von keiner gewerkschaftlichen Organisation oder Aktion berührt werden, 6 Wochen Urlaub, Urlaub- und Weihnachtsgeld, eine Standardarbeitswoche von höchstens 35 bis 40 Stunden als “normal” an, auch wenn es dafür außer den Tarifverträgen keine Grundlage gibt. Sie drücken damit ein Kräfteverhältnis aus, das die Unternehmer noch nicht gekippt haben.

Die Bourgeoisie hat ihrerseits den Nachkriegskompromiss angegriffen. Mit der Änderung des AFG (Arbeitsverfassungsgesetz) §116 (heute §146 SGBIII) wurde die Streikfähigkeit vor allem der IG Metall stark eingeschränkt. Mit Austritten aus den Unternehmerverbänden oder dem Aufbau von Verbänden, die keine Tariffähigkeit haben, setzten sich die Kapitalisten ab, die das betriebliche und gesellschaftliche Kräfteverhältnis als günstig einschätzten.

Oder die Tarifverträge wurden durch Ausgliederungen und Verselbständigungen von Werksteilen auf betrieblicher Ebene unterlaufen. Ausgegliederte Unternehmensteile können sodann in eine andere Tarifzuständigkeit fallen, z.B. durch Ausgliederungen von Handelsabteilungen. Durch Fremdvergabe von Tätigkeiten, die zuvor von zum Betrieb gehörenden Beschäftigten ausgeführt wurden, können diese aus dem Rahmen des gültigen Tarifvertrags fallen. Dies kann sowohl Dienstleistungen wie Kantine, Transportwesen oder Instandhaltung betreffen, als auch bestimmte Produktionsabläufe und Teileproduktion, die als nicht mehr zum “Kerngeschäft” gehörend deklariert werden.

Die Entindustrialisierung in Ostdeutschland wurde von Kohl und Unternehmern ebenfalls genutzt, um die direkte Tarifbindung für breite Teile der Arbeiterklasse zu untergraben.

Die Gewerkschaftsführungen haben an den Tarifverträgen auch andere Interessen. Sie führen die Verhandlungen und sie sind bei Auslegungskonflikten gefragt. Sie müssen die Betriebsräte in der Anwendung der Tarifverträge schulen. Daraus könnte man schon auf ein gewisses Interesse schließen, die Tarifverträge möglichst kompliziert zu gestalten. In der Tat untermauern die große Masse der Tarifverträge (über 15.000 in der BRD!) und die mit ihnen verbunden juridischen Spitzfindigkeiten die Stellung der Arbeiterbürokratie (vor allem des Gewerkschaftsapparates), die sich als einzige im Wirrwarr rechtlicher Kniffe zurechtzufinden scheint, dieses Wissen stolz zur Schau stellt und nur dosiert weitergibt.

Gleichzeitig schützt die Kompliziertheit auch ein Stück weit vor der Unzufriedenheit der eigenen Basis. In dieser Hinsicht sind der IG Metall mit den Tarifverträgen zur “Sicherung der Lohnfortzahlung”, zur Alterteilzeit und zur “Beschäftigungsbrücke” auch echte Sahnestückchen gelungen. Noch heute haben viele Beschäftigte nicht bemerkt, dass sie beim Ausscheiden aus dem Betrieb im zweiten Halbjahr keinen vollen Urlaubsanspruch mehr haben (Lohnfortzahlung).

Die tarifvertragliche Regelung ist hier so schlecht, dass sie bei einem Ausscheiden im Monat August hinter die gesetzliche Regelung zurückfällt, welche dann in Kraft tritt. Ähnliches schaffte die Bezirksleitung Baden-Württemberg auch beim Alterteilzeit-Tarifvertrag. Er musste nachverhandelt werden.

Die Kompliziertheit dieser Regelwerke, an der auch regelmäßig Journalisten scheitern, hat aber auch den Grund, vor den Mitgliedern die Kompensationen zu verschleiern, die dort oder anderer Stelle gemacht wurden. So wurde die tarifliche Sicherung der Lohnfortzahlung völlig unnötigerweise mit Zugeständnissen an anderer Stelle fast eins zu eins bezahlt. Die Behauptung, die “Beschäftigungsbrücke” des Jahres 2000 habe ein Volumen von 0,5% ist durch nicht zu beweisen. Bis zum heutigen Tag dürfte dieser “tarifliche Erfolg” die Unternehmer keine müde Mark gekostet haben.

Natürlich sind die jeweils zuständigen Gremien auch bei tariflichen Öffnungsklauseln wie der Härtefallregelung der Metallindustrie Sachsen zu fragen. Sofern sie weiter „Verhandlungspartner“ bleiben, sind die Gewerkschaftsbürokraten tariflichen Öffnungsklauseln durchaus offen. Im Unterschied dazu fordern die Unternehmer betriebliche Öffnungsklauseln, also Abweichungen vom Tarifvertrag, die sie nur mit den Betriebsräten verhandeln müssen, nicht mit den Gewerkschaften. Die Betriebsräte können sie leichter erpressen. So manche Betriebsratsfürsten sehen darin auch wieder die Chance etwas Verhandlungsmacht gegenüber der Unternehmer zu erhalten.

Wie auch immer dieses Spiel läuft – es läuft gegen die Interessen der Beschäftigten im Betrieb wie in der gesamten Branche. Wir lehnen diese betrieblichen Öffnungsklauseln deshalb umso schärfer ab.

Genauso gibt es bei den Betriebsratsfürsten die Tendenz, lieber niedrige Tarifstandards zu haben, um dann als Betriebsrat Zusatzleistungen für die Beschäftigten herauszuholen, das heißt sich auf Kosten der Gewerkschaft und aller Beschäftigten in den anderen Betrieben zu profilieren. Früher führte dieses Manöver zu hohen übertariflichen Zulagen, die mittlerweile zumeist wieder abgebaut wurden und angerechnet werden mussten.

Heute erleben wir eine Neuauflage in der Diskussion der IG Metall: Wegen der inzwischen sehr unterschiedlichen Ertragslage der Unternehmen müsse ein Mittel gefunden werden, die “Sonderkonjunkturen” abzuschöpfen. Eine Tariferhöhnung, die sich am Durchschnitt der Branche bei Gewinn und Produktivität orientiere, könne die Beschäftigten in den führenden Unternehmen nicht befriedigen. So werden einerseits immer stärker ertragsabhängige Lohnbestandteile eingeführt, d.h. das Unternehmerrisiko stärker auf die Löhne der Beschäftigten abgewälzt, andererseits das Interesse gerade der kampfstarken Belegschaften vom Flächentarif weg zur jährlichen Bonusregelung hin gelenkt, also im Namen der Rettung des Tarifvertrags, dieser unterhöhlt.

Am Beispiel DaimlerChrysler sieht das folgendermaßen aus: Damit die A-Klasse in Deutschland (Rastatt) gebaut wurde, mussten alle Beschäftigten im PKW-Sektor Lohn- und Gehaltseinbußen hinnehmen. Auf mehrere Jahre verteilt wurden Lohnerhöhungen teilweise auf übertarifliche Leistungen angerechnet, so dass effektiv die Daimler-Beschäftigten seit Jahren noch weniger Lohnsteigerung erhielten als die restlichen Metaller. Schon kurze Zeit später begannen die Betriebsratschefs ihr angeschlagenes Image durch die Forderung nach einer Sonderzahlung zu verbessern, begründet mit den Gewinnsteigerungen des Unternehmens.

Ähnliches spielt sich im öffentlichen Dienst ab, wenn angesichts der (kampflos hingenommen) Privatisierung, bei den Verkehrsbetrieben ein neuer Tarif für neu Eingestellte eingeführt wird, um gegen die Konkurrenz der privaten Buslinien anzutreten. Auch dies geschieht im Namen der Sicherung der Tarifzuständigkeit. Ähnliches droht gerade bei der Entsorgung. Auch die IG BCE erlaubt den Großunternehmen der Chemie-Industrie statt der Ausgliederung von Werksteilen, diese in andere, schlechtere tarifliche Regelungen zu überführen.

Andere Wege als die passive Hinnahme dieser Entwicklung gibt es durchaus. Wenn das Unternehmen nicht dem Arbeitgeberverband beitritt, kann ein Haustarif erstreikt werden, denn dann herrscht auch keine Friedenspflicht mehr. So ein Haustarifvertrag kann als Inhalt die einfache Anerkennung aller gültigen Tarifverträge der Branche haben. Dies gelang zum Beispiel bei CTS, einem Gemeinschaftsunternehmen von DaimlerChrysler und Porsche (Cabriodächer), das als Neugründung nicht dem Unternehmerverband beigetreten ist.

Bei Werner + Pfleiderer Dinkelsbühl konnte in diesem Jahr mit einem Streik die Absicht des Besitzers durchkreuzt werden, durch Erpressung bzw. Neugründung des Unternehmens die Tarifbindung zu zerstören. Hier wurde endlich einmal wieder beispielhaft gezeigt, dass die Verteidigung des Flächentarifs nicht nur die Sache derer ist, die direkt betroffen sind, sondern aller Beschäftigten der Branche: sie alle müssen ein Interesse an der Verteidigung des Lohnniveaus haben, sonst werden sie auch gedrückt. So wurden die Kollegen bei Werner + Pfleiderer in Dinkelsbühl durch tägliche Solidaritätsbesuche aus dem gesamten süddeutschen Raum gestärkt.

Als Revolutionäre unterstützen wir die Verteidigung der Löhne und Gehälter natürlich. Wir propagieren als Methode alle direkten Aktionen der Belegschaften bis zum Streiks und Besetzungen und wir betonen die notwendige Ausweitung der Kampffront auf die Gesamtbelegschaft eines Konzerns, die Einbeziehung aller Beschäftigten, die unter diesen Tarifvertrag fallen, oder der gesamten Klasse.

Aber das Problem ist nicht nur, dass die Bürokraten unfähig wären zu kämpfen, obwohl auch das heute oft der Fall ist. Das Problem liegt in ihrer Politik der Unterwerfung unter die Profitinteressen des Unternehmers und generell unter die Logik der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens oder der ganzen Branche.

“Aus der gemeinsamen Verantwortung für die Arbeitnehmer und die Betriebe der deutschen chemischen Industrie bekräftigen die Tarifvertragsparteien der chemischen Industrie ihren Willen, die Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der deutschen chemischen Industrie als Grundvoraussetzung für die Sicherung der Beschäftigung zu stärken” heißt es im Vorspann zum Tarifergebnis der chemischen Industrie 2000.

In dieser Logik ist der Kampf gegen die Arbeiter der ausländischen chemischen Industrie enthalten. Dieses Gift verbreiten die reformistischen Gewerkschaftsführer heute. Wir müssen also außer Kampfmethoden auch das politische Ziel aufzeigen, dass die Löhne und Gehälter nur mit den Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern verteidigt werden können, nicht im Lohndumping gegen sie.

Es ist die politische Rolle des Reformismus stets treu an der Seite ihrer Bourgeoisie zu stehen. Die verschärfte internationale Konkurrenz der verschiedenen Kapitalien untereinander hat den Spielraum für die reformistischen Bürokraten in der Arbeiterbewegung verringert. Es gibt weniger finanzielle Zugeständnisse und es gibt weniger Platz für schöne Worte über internationale Solidarität.

Dabei ist es eine Überlebensfrage für die Gewerkschaftsbewegung aller Länder, ob sie auf die Entwicklung, die unter dem Begriff “Globalisierung” zusammengefasst wird, international reagieren kann. Ob sie die Idee der Gewerkschaft, durch kollektives Handeln gemeinsame Standards zu sichern, realisieren kann, oder ob sie durch wie auch immer geartete Deals mit einzelnen oder Gruppen von Kapitalisten, Einzelinteressen fördert, die dem Interesse der gesamten Klasse zuwiderlaufen.

Wenn man die Aufgabe einer Gewerkschaft nur als die kollektive Sicherung von Löhnen und Arbeitsbedingungen definiert, so ist das keineswegs die Definition einer Gewerkschaft als Instrument des revolutionären Kampfes. Eine solche hätte das Ziel, für die Abschaffung des Lohnsystems und damit des Kapitalismus insgesamt zu kämpfen. Dennoch müssen Revolutionäre heute jede Forderung und jede Aktion unterstützen, die die internationale Ausweitung der Errungenschaften dem nationalen Verzicht entgegensetzt.

Es ist also eine spannende Frage für Revolutionäre, ob die multinationalen Konzerne, die sich in den letzten Jahren durch Übernahmen und Zusammenschlüsse gebildet haben, und die ständig stärker werden und mehr Länder erfassen, nicht auch eine Chance für eine wirkliche Internationalisierung der Kämpfe bilden, ob die neuen internationalen Institutionen, wie die EU mit Binnenmarkt und gemeinsamer Währung, nicht helfen können, die Arbeiterklassen der verschiedenen Länder näher zu bringen. Wenn die Angriffe immer deutlicher von den gleichen Zentralen ausgehen, kann das auch den Widerstand stärker zusammenfassen.

Damit soll die Kehrseite der Medaille nicht heruntergespielt werden. Die Perspektivlosigkeit, die der Reformismus in der Arbeiterbewegung angesichts des verschärften internationalen Konkurrenzkampfes verbreitet, stärkt auch den Nationalismus und die Betriebsborniertheit.

Bezüglich der Lohn und Gehaltstarife gibt es im Europäischen Metallarbeiterverband die Verabredung, jede Gewerkschaft solle mindestens die Größe der Produktivitätsrate als Maß für die Lohnerhöhung erkämpfen, um Lohndumping zu vermeiden. Ein Beschluss, den die größte Metallgewerkschaft Europas, die IG Metall, im Frühjahr 2000 sofort gebrochen hat.

Aber der Weg ist korrekt: Wir fordern Mindeststandards für Löhne und Arbeitszeiten z.B. auf europäischer Ebene oder innerhalb eines Konzerns. Wir treten dafür ein, diese Forderungen als Ziele der Gewerkschaften zu beschließen und nicht als Versprechungen der höchsten Bürokraten diesen zu überlassen. Wenn wir also von Verteidigung der Flächentarifverträge reden, dann sagen wir zugleich, dass das nur mit ihrer Ausweitung international möglich ist.

Heute sind die Flächentarifverträge auch durch die Einführung eines Niedriglohnsektors, die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in Richtung Öffnungsklauseln und Lohnleitlinien im Bündnis für Arbeit bedroht – alles Initiativen der Sozialdemokratie.

Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb

Die heutigen Betriebsräte (Personalräte im Öffentlichen Dienst) haben im internationalen Vergleich sicher die weitest gehenden Rechte (zusammen mit Österreich und den skandinavischen Ländern).

Zugleich sind sie an Kapital und Staat gebunden. Jeder Linke in Deutschland kann den §2 Betriebsverfassungsgesetz zitieren, nachdem Unternehmer („Arbeitgeber“) und Betriebsrat unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der “Arbeitnehmer” und des Betriebs zusammen arbeiten. Viel seltener wird die Tatsache problematisiert, dass der Betriebsrat folgende allgemeine Aufgaben (hat):

„darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen ... durchgeführt werden.“ (BetrVG&80,1).

Der Betriebsrat ist also auch ein Organ der staatlichen Exekutive.

Nach dem Krieg waren die Betriebsräte als Organe der Arbeiter wieder erstanden, die bei Abwesenheit der Kapitalisten direkt den Wiederaufbau und die Führung der Betriebe übernahmen. Die schnelle Begnadigung der als Kriegsverbrecher verurteilten Kapitalisten, die Politik der ersten CDU-Regierung und der Verzicht der DGB-Führung auf einen Generalstreik führten zur Niederlage der Betriebsrätebewegung in den Westzonen und zum Kompromiss der Montanmitbestimmung. Diese sicherte den DGB-Funktionären Aufsichtsratsposten und beseitigte die Ansätze von Arbeiterkontrolle über die Betriebe bzw. kanalisierte sie in eine “höhere” Form von Sozialpartnerschaft, die anschließend im BetrVG von 1952 keine Ausdehnung auf die Gesamtwirtschaft erfuhr. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 fiel noch weit hinter die Montanmitbestimmung zurück; es war nur eine Karikatur auf dessen Karikatur von Arbeiterkontrolle. Der sozialdemokratische Mohr hatte wie 1919 seine Schuldigkeit getan: Die Arbeitermobilisierung war gebrochen und ihre Organe integriert.

In der DDR wurden die Betriebsräte durch Betriebsgewerkschaftsleitungen ersetzt und auf diesem kalten Wege abgeschafft. Die Räte des 16. und 17. Juni wurden mit Panzern liquidiert, und als in der antibürokratischen Revolution 1989/90 in der DDR vereinzelt Betriebsräte entstanden, die sich stärker an Arbeiterräten orientierten, wurden diese mit der Vereinigung und der Ausdehnung des BetrVG auf Ostdeutschland “normalisiert”, bzw. mit der Liquidierung der Betriebe durch die Treuhand abgewickelt.

Die Betriebsräte sind also deformierte Organe der Arbeiterbewegung, die in die Betriebshierarchie und den bürgerlichen Staat integriert sind. Aber solange sie nicht durch neue Organe, wir wären natürlich für revolutionäre Arbeiterräte, abgelöst sind, muss die deutsche Arbeiterbewegung auch mit und durch diese Betriebsräte kämpfen mit ihrer ganzen Widersprüchlichkeit.

Heute sind die Betriebs- und Personalräte oft auch Angriffsziele des Kapitals, dem sie zu teuer geworden sind und dem die damit verbundenen Rechte ein Hindernis bei der Etablierung der uneingeschränkten Herrschaft im Betrieb sind. Zugleich werden die Betriebsräte für die Arbeiterklasse ein zunehmend untaugliches Instrument, selbst um ihre unmittelbaren Interessen gegen die Unternehmer zu verteidigen.

Der Angriff auf Betriebsratsstrukturen von Seiten des Kapitals erfolgt dabei keineswegs ausschließlich in “frontaler” Weise. Für Kleinbetriebe, das Handwerk, Leiharbeitsfirmen, die “neuen” Dienstleistungssparten usw. ist die Taktik allerdings typisch, selbst die ungenügende Form der Betriebs- oder Personalrates als Interessenvertretung gar nicht erst zuzulassen.

Im kapitalistischen Großbetrieb und im öffentlichen Dienst knüpfen das Kapital oder der Staat eher daran an, den Betriebsrat oder Personalrat noch mehr zu einem Vermittlungsinstrument des Managements in die Belegschaft und zu einem alternativen “Partner” statt der Gewerkschaft zu machen. Das wird in der Form des Co-Managements auf den Punkt gebracht, in der so genannten Verbetrieblichung der Tarifpolitik und den Versuchen, das gesetzliche Mitbestimmungsrecht weiter auszuhöhlen, ohne jedoch die in die Betriebsverwaltung eingebundene Vertretung der Beschäftigen gänzlich abzuschaffen.

Das Problem ist keineswegs neu, sondern immer schon im widersprüchlichen Charakter der Struktur Betriebsrat und im Dualismus Gewerkschaft – Betriebsrat (Personalrat) angelegt. Einerseits ist letzterer eine Vertretung der Belegschaft im Unternehmen, andererseits institutionell in das betriebliche “Gesamtwohl”, d.h. die Interessen des Kapitaleigners eingebunden. Daher rührt die klassenkollaborationistische Haltung vieler Betriebsräte nicht nur aus ihrer zumeist reformistischen Überzeugung, sondern hat auch eine materielle Basis in der Struktur Betriebsrat, der immer schon eine in das Kapitalinteresse eingebundene “Arbeitervertretung” darstellt, was nicht zuletzt auch gesetzlich kodifiziert ist (Bindung an betriebliches Interesse, Schweigepflicht).

Die Betriebsräte sind seit langem strukturbildend für die Gewerkschaften. Die eigentlichen gewerkschaftlichen Organe im Betrieb, Vertrauenskörper oder Mitgliederversammlung, werden fast immer vom Betriebsrat dominiert oder diesem untergeordnet. Tauchen neue Kräfte im Betrieb als Opposition zur Betriebsratsführung auf, so kann das dazu führen, dass ein Vertrauenskörper sich eine gewisse Zeit im Konflikt mit dieser befindet, aber mit dem Ziel die Führung abzulösen, was die Eigenständigkeit des Vertrauenskörpers dann sehr schnell beendet. Auch die Belegschaftsmitglieder werden immer versuchen, ihre Kritik an der Betriebsratsführung durch Wahl von neuen Leuten auszudrücken.

Für Kleinbetriebe ist allerdings der Aufbau eines BR meist der einzige Weg, eine gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb überhaupt zu ermöglichen und gegen die Unternehmerwillkür zu schützen.

Daraus folgt zweierlei: Erstens ist gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb in Deutschland praktisch unmöglich ohne Betriebsratsarbeit und diejenigen, die sie wegen der Neigung zur Klassenkollaboration der Betriebsräte ablehnen, verdammen sich selbst zur Isolation in der Arbeiterklasse. Zweitens wird die Krise der BR zur Krise der Gewerkschaften, die sich auf die BR gestützt haben.

Ein wesentlicher Faktor der Aushöhlung der BR in den letzten Jahren waren die schon oben erwähnten Ausgliederungen von Betriebsteilen und die Aufteilung in Einzelbetriebe. Durch diese Maßnahmen wird die Zuständigkeit von BR aufgehoben, neue BR müssen gebildet werden, erreichte Betriebsvereinbarungen werden hinfällig.

Dagegen fordern die DGB-Gewerkschaften anlässlich der Reform des BetrVG eine Neudefinition des Betriebsbegriffs. Die PDS fordert eine neue Behörde, die ein Betriebsregister führt. Eine andere Möglichkeit, die heute schon im Einzelhandel praktiziert wird, ist die Definition von BR-Wirkungsbereichen durch einen Tarifvertrag. Hier wird also die Gewerkschaft (die Mitglieder und /oder die Hauptamtlichen) tätig, um die Grundlage für BR-Gründungen durchzusetzen. Diese Variante ist aus unserer Sicht auf jeden Fall dem PDS-Vorschlag vorzuziehen, wo der Unternehmer und Behörde weitgehend ohne die Gewerkschaft den Wirkungsbereich eines BR definieren.

In diesem Zusammenhang kritisieren wir auch die Forderung des DGB nach einem vereinfachten Wahlverfahren zum BR. Die heutige Kompliziertheit macht es zwar für Beschäftigte praktisch unmöglich, auf eigene Faust einen BR neu zu installieren, sie sind also auf die Hilfe der Gewerkschaft angewiesen, aber eine vereinfachte Wahl macht es auch für Betriebsleitungen und ihre Marionetten sehr viel einfacher in solchen Betrieben Schein-BR aufzuziehen. Wir fordern hier vielmehr, die Rechte eines BR, einschließlich des Kündigungsschutzes, dort wo keiner existiert, den Betriebsgruppen bzw. gewerkschaftlichen Vertrauensleuten zu übertragen.

Unsere Methode ist also auch in dieser Frage, angesichts der Krise der BR nicht auf eine weitere Anpassung der BR an die Unternehmerinteressen zu setzen, sondern auf eine Stärkung der Gewerkschaft.

Der Einsatz von Subunternehmern und Fremdfirmen auf dem Betriebsgelände und von Leiharbeitern führt dazu, dass immer mehr Beschäftigte innerhalb eines Betriebs aus dem Zuständigkeitsbereich der BR und damit auch der parallel aufgebauten Gewerkschaftsstrukturen fallen. Hier fordern die DGB-Gewerkschaften die Ausdehnung der Zuständigkeit des BR. Was sie nicht berücksichtigen, ist die Frage, ob diese Menschen auch den BR wählen dürfen oder kandidieren. Die Bürokraten sehen in den Wahlen nur ein Ritual, nicht ein Mittel der Arbeiter, ihren Willen auszudrücken.

Eine logische Folge wäre auch die Forderungen die Wahlperiode eines BR, die Kohl von 3 auf 4 Jahre angehoben hat, wieder zu verkürzen. Schon um die Leiharbeiter, die befristet Beschäftigten, die in den Betrieben immer mehr werden, aber auch Frauen, die eine deutlich kürzere Verweildauer im Betrieb haben, wirklich innerhalb der BR zu vertreten, müsste die Wahlperiode radikal verkürzt werden. Die DGB-Bürokraten haben noch nicht einmal die Rücknahme der Kohlschen Verlängerung erwogen.

Die Rücknahme der Kohlschen Reform kann hier aber nur ein erster Schritt sein. Was wirklich Not tut, ist die Forderung nach Wahl, Rechenschaftspflicht und jederzeitiger Abwählbarkeit des Betriebrates durch die Belegschaft! Damit wird nicht nur der Vertretung möglichst aller Beschäftigten am leichtesten Rechnung getragen – vor allem können die Arbeiter und Arbeiterinnen damit am direktesten ihren Willen nach einer anderen betrieblichen Vertretung zum Ausdruck bringen, veränderte politische Stimmungen, die Erfahrung mit der Rolle bestimmter Betriebsräte im Kampf (oder beim Abwiegeln) kann so am leichtesten und schnellsten von der Belegschaft zum Ausdruck gebracht werden.

Auf der Ebene der gewerkschaftlichen Organisierung im Betrieb treten wir dafür ein, dass sich alle Gewerkschaftsmitglieder, auch die anderer DGB-Gewerkschaften, die im Betrieb tätig sind, im Vertrauenskörper oder in der Betriebsgruppe organisieren können. Wir schlagen vor, bei der Zerschlagung von Betrieben, die Vertrauenskörper als Einheit zu erhalten. Wir stellen die Einheit der Belegschaften höher als die technische Zuordnung von Vertrauenskörpern zu Betriebsratsbereichen, die nur politische Unterordnung fördert.

Die Belegschaft von Opel in Bochum hat sich Juni 2000 mit einem Streik ihre Einheit gesichert. General Motors und Fiat sind eine Strategische Allianz eingegangen, die wohl mit der Übernahme Fiats enden wird. Auf der Basis dieser gegenseitigen Kapitalverflechtung soll es zu Kosteneinsparungen von mindestens einer Milliarde Dollar jährlich durch gemeinsamen Teileeinkauf sowie gemeinsamen Getriebe- und Motorenbau kommen. Diese Bereiche sollen ausgegliedert werden und in eine gemeinsame Holding von GM und Fiat überführt werden. Das hätte einige tausend Leute bei Opel Bochum getroffen.

Dagegen sind alle 13500 Beschäftigten aller drei Bochumer Werke zwei Tage lang in den Streik getreten. Neben anderen Zugeständnissen, die der Konzern machen musste, hat er seine Holdingsstruktur geändert: sie gehört jetzt zu 20% Opel (100% Tochter von GM), 30% GM und weiter 50% zu Fiat. Damit wurden die formalen Bedingungen erhalten, dass Opel Bochum eine Belegschaft bleibt, für die selben Betriebsvereinbarungen gelten, ein BR und ein Vertrauenskörper zuständig ist. Ein Erfolg, der auch den von den Ausgliederungen betroffenen an anderen Standorten zugute kommt.

Neue Technologien und neue Sektoren der Arbeiterschaft

In den neu entstandenen Bereichen der Wirtschaft waren Gewerkschaften und Betriebsräte erst mal außen vor. Diese Firmen entstanden aus Kleinfirmen, wurden aus Konzernen ausgegliedert oder orientierten sich als Niederlassungen amerikanischer oder japanischer Konzerne an deren Standards. So oder so standen sie sehr schnell unter internationaler Konkurrenz.

Stolz verkünden die Herolde der “new economy”, in diesen Betrieben wären Gewerkschaften und Betriebsräte schon aus kulturellen Gründen fehl am Platz. Die Bürokraten mit ihrer Fixierung auf die bürgerlichen Medien im Verbund mit ihrem Unverständnis der neuen Technologien, sind verunsichert. Wie gehen sie an die Sache heran? Die Verkünder der schönen neuen Arbeitswelt stellen mit Triumphgeheul fest, dass ein Software-Ingenieur mit 9000 brutto nicht in der Gewerkschaft ist. Also stellen sich die tapferen Bürokraten die Frage, wie die Gewerkschaft aussehen müsste, die einen Software-Ingenieur mit 9000 brutto interessiert. Diese Frage ist doppelt falsch.

Erstens sind in den neu entstandenen Firmen und Sektoren die Spitzenverdiener auch nicht die Regel. Ihnen stehen unterbezahlte und rechtlose Beschäftigte in Call-Centern, Handy-Shops und Kleinfirmen gegenüber. Aber die reformistische Gewerkschaftsbürokratie hat sich 100 Jahre lang auf die Beschäftigten in Großbetrieben und auf die Facharbeiter gestützt, also die Schichten der Arbeiterklasse, die sich in einer guten Verhandlungsposition gegenüber dem Kapital sehen, so sieht sie in den Computerspezialisten heute die neue Arbeiteraristokratie.

Zweitens, wenn diese die Gewerkschaft brauchen, dann brauchen sie sie als Gewerkschaft oder gar nicht. Den Krisen des Kapitals und dem Konkurrenzkampf fallen auch die oberen Schichten der Arbeiterklasse zum Opfer. In diesen Fällen haben sich auch EDV-Spezialisten als organisierbar erwiesen und als kampffähig.

Der Weg, Gewerkschaften in den neuen Sektoren aufzubauen, geht also wie vor hundert Jahren in den Branchen, die heute als traditionell gelten. Aktivisten suchen und ausbilden, Konflikte aufgreifen, kollektive Handlungsperspektiven entwickeln und so die Interessen der Beschäftigten verteidigen. Als Revolutionäre unterscheiden wir uns von Linksreformisten und Zentristen, dass wir immer auch aufzeigen, dass nur ein Sturz des Lohnsystems die Ausbeutung abschafft. Politisch bedeutet das immer auch, Forderungen zu erheben, die die Selbsttätigkeit der Klasse voranbringen, ihr Bewusstsein und ihre Organisierung stärken. Die Forderung nach Kontrolle der Beschäftigten über ihrer eigenen Organisationen und Kämpfe wie nach Arbeiterkontrolle im Unternehmen nehmen dabei eine Schlüsselstellung ein, weil sie dazu beitragen, die aktuellen Kämpfe mit dem Sturz des Kapitalismus zu verbinden.

Bei Debis, der Finanz- und IT-Tochter des DaimlerChrysler Konzerns, wurde vor zwei Jahren ein Haustarifvertrag abgeschlossen. In diesem Konglomerat aus ausgegliederten Daimler-Töchtern, aufgekauften Firmen und neu geschaffenen Betriebsteilen herrschten tatsächlich höchst unterschiedliche Arbeitszeiten und Gehaltsstrukturen. 35 Stunden galten nur in ehemaligen Daimler-Gliederungen. Aber es gab keine Kämpfe von Seiten der Beschäftigten. Von Seiten der IGM Stuttgart oder des Betriebsrates wurde auch nicht mobilisiert.

Aber es wurde in langen Vertragsverhandlungen ein Haustarif gebastelt, der die 35 Stunden Woche für die über 50 Jährigen vorsieht. Was für manche Debisbeschäftigte ein kleiner Gewinn sein mag, ist für alle Beschäftigten der Branche, die für die Anerkennung des IGM-Flächentarifvertrages kämpfen, ein massives Hindernis. Die Freude “Wir sind schon drin” der Bürokraten wird von allen denen bezahlt, deren Tarife jetzt an diesem Beispiel nach unten angeglichen werden.

Auf der anderen Seite zeigen Beispiele aus den USA (4), dass auch die neuen Schichten organisierbar sind, auch wenn die Leute nicht alle in der gleichen Werkshalle zum gleichen Tarif zur gleichen Zeit arbeiten. Parkplatzwächter und Hausmeister, dann die UPS-Beschäftigten haben angefangen, die Arbeiter bei Verizon, einem typischen Betrieb des neuen Marktes, haben zuletzt gezeigt, dass die klassischen Mittel der Streiks die entscheidende Waffe bleiben im Kampf um die klassischen Themen, Arbeitszeit, Lohn und Arbeitsbedingungen.

Neue technische Mittel sind dazugekommen: die schnellen Technologien ermöglichen eine bessere Koordination bei spontanen Aktionen. So konnte der Streik bei Opel Bochum nicht wie so oft schon mit der Behauptung gebrochen werden, die jeweils anderen zwei Werke würden arbeiten; die Kollegen klären das mit Handy. Die Informationen über Arbeitskämpfe werden mit Internet und E-Mail verbreitet, und das Lahmlegen der Netze trifft die Unternehmer an einem empfindlichen Punkt. Hier sind sie verwundbarer geworden, genauso wie in der immer ausgeklügelten Logistik der weltweiten Produktionsverbünde. Aber um sie zu verwunden, ist noch immer die kollektive Aktion der Ausgebeuteten nötig.

Fußnoten

(1) Gewerkschaftliche Monatshefte (GMH) 8-9/2000, Zum Heft

(2) GMH 8-9/2000, Seite 454, Rainer Hank, Amerika ist das Modell

(3) DGB-.Bundesvorstand, Zukunft der Arbeit – Zukunft der Gesellschaft; Strategien zur Modernisierung der Arbeitsgesellschaft, Berlin, Januar 2000

(4) “Amerika ist der Ofen, in dem die Zukunft geschmiedet wird” Mit diesem Trotzki-Zitat leitet oben erwähnter Rainer Hank sein dümmliches Jubelstück auf die “new economy” ein, die in seinen Augen schon deshalb gut ist, weil sie aus Amerika kommt. “Denn New Economy meint vieles: Amerika ist der Ursprung jener neuen industriellen Revolution, in dessen Zentrum das Internet steht. Und : Es könnte sein, daß die Netzökonomie einige Selbstverständlichkeiten der klassischen Ökonomie außer Kraft setzt... Das wäre wunderbar....”

Fern davon, alles was aus Amerika kommt zu verteufeln, fällt uns folgendes Trotzki-Zitat ein: ”In den Vereinigten Staaten, wo ein Mensch, der eine Million besitzt, betrachtet wird wie der Wert einer Million, sind die ökonomischen Vorstellungen tiefer gesunken als irgendwo anders....Im Lande des mächtigsten ökonomischen Systems blieb die wissenschaftliche Ökonomie extrem arm...” (Marxismus in unserer Zeit, das erste Zitat ist aus “Mein Leben“)

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