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Österreich

Tschüsserl, Schüsserl!

Interview mit Alexander Magnus (Betriebsratsvorsitzender von "Fonds Soziales Wien" und Aktivist des ArbeiterInnenstandpunkt), Neue Internationale 81, Juni 2003

NI: Die Massenstreiks gegen die Rentenkürzungen in Österreich, Frankreich, Italien haben für viele GewerkschafterInnen in Deutschland Vorbildwirkung. Wie kam es zu den Massendemonstrationen und Arbeitsniederlegungen? Wer streikte, wer führte die Aktionen? Was sind die wichtigsten Forderungen?

AM: Die von der Regierung in Österreich geplanten Einschnitte bei den Renten) gehen in Einzelfällen bis zu 50%. Das sind laut Meinungsumfragen für 87% der Bevölkerung inakzeptable Dimensionen. Die Gewerkschaftsspitze ist zunehmend unter Druck geraten, Kampfmaßnahmen zu setzen, auch wenn sie lieber verhandeln würde. Sie hat eine Fülle von Betriebsversammlungen und vereinzelte Streiks organisiert, besonders bei der Post und den öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Die Hauptforderung der Gewerkschaft ist die Rückkehr der Regierung an den Verhandlungstisch; sie lehnt die Abschaffung der Frühpension und die Höhe der geplanten Kürzungen ab.

NI: Die Gewerkschaftsführungen stellen sich also nicht prinzipiell gegen Rentenkürzungen. Warum sucht die Regierung Schüssel in dieser Situation die Konfrontation, statt die Gewerkschaftsspitzen sozialpartnerschaftlich über den Tisch zu ziehen?

AM: Der Grund dafür liegt einerseits im neoliberalen Wirtschaftskonzept der Regierung, andererseits geht es auch darum, das Gesicht zu wahren. Schüssel hat doch bis jetzt immer betont, dass Änderungen unmöglich sind; er stellt damit auch die Frage, ob die Gewerkschaften in Österreich noch eine Rolle spielen können. Er weiß genau: Kämpfen diese selbst gegen diese geplante Massenverarmung nicht wirklich, verlieren sie unheimlich viel Respekt in der ArbeiterInnenklasse - und er hat mittelfristig einen Gegner weniger.

NI: Wie schätzt du die Politik der Gewerkschaftsführungen und der oppositionellen SPÖ ein? Warum liebäugelt die SPÖ mit Haider? Wie kommt das bei den ArbeiterInnen an?

AM: Die SPÖ hat selbst ein "Pensionsreformmodell" vorgelegt, das nur wenig besser ist als das der Regierung. Sie unterstützt zwar verbal den Kampf der Gewerkschaften, ihr einziger praktischer Schritt war aber die Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren, welches aber erst nach dem geplanten Beschlusstermin für diese Gegenreform stattfinden könnte.

Die Gewerkschaftsführung hat ihren völligen Bankrott bewiesen. Die Massen waren kampfbereit. Am 13. Mai etwa sind trotz Dauerregens, der uns wortwörtlich bis auf die Unterhose durchnässte, 200.000 GewerkschafterInnen marschiert. In Meinungsumfragen sind nach wie vor über 60% der Bevölkerung für Streiks. In dieser Situation an den Verhandlungstisch zurückzukehren - wie es der ÖGB-Vorsitzende Verzetnitsch getan hat - statt sie zu nutzen, um ernsthafte Streiks, die der Wirtschaft auch weh tun, zu organisieren, ist mehr als ein Skandal.

NI: Wofür tretet ihr als ArbeiterInnenstandpunkt ein?

AM: Wir haben eine Modellresolution für Gewerkschaften und Betriebsräte gegen den Pensionsraub erarbeitet, die zum Beispiel in unserem Betrieb mit geringen Abänderungen angenommen wurde. Die zentralen Losungen der Resolution sind: "Jede angedachte Pensionsreform bedeutet eine Verschlechterung. Daher lehnen wir alle diese Angriffe ab.

Keine Anhebung des Pensionsantrittsalters!
Keine finanziellen Einbußen für aktive und künftige PensionistInnen!
Volle Inflationsabgeltung für alle Pensionen!
Deutliche Anhebung der Mindestpension!
Wahl von Streikkomitees zur Vorbereitung des Kampfes gegen die 'Reform' in allen Betrieben!
Aktionstag mit Streik und Großdemonstration bis spätestens zum geplanten Beschluss der Reform im Nationalrat!
Streik, bis die 'Pensionsreform' der Regierung fällt!"

NI: Ihr stellt die Forderung nach einem Generalstreik auf. Die Gewerkschaftsspitze will ihn jedoch nicht. Wie kann diese Forderung durchgesetzt werden?

AM: Zentral für die Durchsetzung dieser Forderung ist heute die Organisierung der AktivistInnen in den Betrieben in Aktions- und Streikkomitees, die den Kampf selbst organisieren. Gleichzeitig muss die Opposition in den Gewerkschaften organisiert werden, um Druck auf die Gewerkschaftsspitze auszuüben und notfalls den Streik selbst organisieren und unter Kontrolle der Massen führen zu können. BündnispartnerInnen dafür sind neben fast allen Gewerkschaftsfraktionen v.a. die ArbeiterInnen selbst. Überall, wo wir bisher für den Generalstreik eintraten, wurde diese Forderung mit Applaus begrüßt, v.a. in der Industrie.

NI: Angriffe wie jene auf die Rente in Österreich finden auch in anderen Ländern statt. Wie könnte Deiner Meinung nach der Widerstand zusammengeführt werden?

AM: Internationale Vernetzung der AktivistInnen in Betrieb und Gewerkschaft, eine internationale Gewerkschaftsopposition sind der Schlüssel für den unmittelbaren Abwehrkampf. Ein guter Ansatzpunkt für die Verbreiterung des Kampfes sind die Sozialforen, die in vielen Ländern aktiv gegen den Sozialraub eintreten: in Griechenland, Italien und nun auch in Österreich. Letztlich brauchen wir aber eine neue Massenpartei der ArbeiterInnenklasse, eine revolutionäre 5. Internationale, um die Wurzel des Übels auszureißen - den globalen Kapitalismus.

NI: Was sind eure Schlussfolgerungen?

AM: Die Basis für einen erfolgreichen Kampf ist die Verankerung von RevolutionärInnen in Betrieb und Gewerkschaft. Nur so kann gemeinsam mit den kampfbereiten Massen der Druck erzeugt werden, der erforderlich ist, um die Gewerkschaften wirklich zum Kämpfen zu bringen. Auf Basis des Kampfes für die alltäglichen Interessen der KollegInnen ist es nicht nur möglich, unsere Anliegen besser zu transportieren, sondern auch die organisatorische Basis für die Umgestaltung der Gewerkschaften zu demokratischen Kampforganen zu schaffen: eine klassenkämpferische Gewerkschaftsopposition!

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Nr. 81, Juni 2003

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