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Gina-Lisa Lohfink

Ein Beweis ist kein Beweis

Susanne Kühn, Neue Internationale 212, September 2016

Eine Vergewaltigung ist vor einem deutschen Gericht längst keine Vergewaltigung. Das müssen jährlich tausende Frauen schmerzhaft erfahren. Die Opfer sexueller Übergriffe und Gewalt sind gezwungen, vor zumeist männlichen Untersuchungsbeamten, Staatsanwälten, Richtern, Verteidigern der Gegenseite ihre Vergewaltigung und Demütigung noch mehrmals „nachzuvollziehen”.

Kein Wunder, dass die Mehrzahl der Frauen vor dem Gang zur Polizei oder einer Anzeige zurückschreckt. Daran, so ist zu befürchten, wird auch die Reform des Sexualstrafrechtes nur wenig ändern.

Lehrstück

Der Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink endete bekanntlich mit deren Verurteilung wegen „falscher Anschuldigung“ und mit einer Geldstrafe von 20.000 Euro durch das Amtsgericht. Wahrscheinlich wird sie dagegen in die Berufung gehen. Ein schauriges Lehrstück ist der Schuldspruch allemal.

Als Beweismaterial lag nämlich ein von von den beiden Beschuldigten aufgenommener Film vor, der auf eine Pornoseite online gestellt worden war. Im Film ist deutlich ein „Hör auf!“ zu hören. Doch das hätte sich lt. Staatsanwaltschaft nur auf das Filmen bezogen. Darum hörten die beiden Täter auch nicht auf, nachgefragt, wie das “Hör auf!“ gemeint war, haben sie natürlich auch nicht. So sieht „einvernehmlicher Sex“ in den Augen von Staatsanwaltschaft und Richterin aus.

Im Prozess und erst recht in der medialen Berichterstattung wurde so ziemlich kein sexistisches Stereotyp ausgelassen, um die Betroffene und die Vergewaltigungsvorwürfe unglaubwürdig zu machen. Lohfink ist kein Einzelfall. Ihre Bekanntheit als Fotomodell brachte alle möglichen frauenfeindlichen Zuschreibungen nur umso deutlicher zum Vorschein und auch an die Öffentlichkeit.

Das Urteil des Amtsgerichts richtet sich nicht nur gegen Gina-Lisa Lohfink, sondern ist auch eine Niederlage für alle Frauen, die nach Gerechtigkeit suchen. Es zeigt aber auch, dass - trotz einzelner Gesetzesreformen - die Rechtslage nur ein Teil des Problems ist. Vergewaltigungen und andere Gewalt gegen Frauen sind nicht nur der Sache nach schwer zu beweisen, weil sie in aller Regel im privaten Bereich - am häufigsten im Umkreis der Familie, von Verwandten, Freunden, Beziehungen - stattfinden. Es wird von einer Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt, die selbst tief von sexistischen und frauenfeindlichen Haltungen geprägt ist, deren Ermittlungsmethoden die Anschuldigenden benachteiligen. Die Urteile werden von ebenfalls strukturell sexistisch geprägten Gerichten gefällt.

Dass Gina-Lisa Lohfink ihre Erfahrungen öffentlich kundgetan hat, dass sich daraus auch eine politische Kampagne entwickelt, wurde ihr vor Gericht zusätzlich vorgeworfen. Sie und ihr Anwalt hätten sich mehr um „Eigenwerbung“ denn um den Fall gekümmert, mehr mit der „Öffentlichkeit“ denn mit dem Gericht gesprochen.

Einzelfall soll Einzelfall bleiben

Hinter dieser „Belehrung“ steht mehr als nur die Eitelkeit einer Staatsbeamtin. Es ist auch eine Warnung an alle Opfer sexueller Übergriffe, die ihren Fall öffentlich machen und die Anklage gegen einzelne Täter mit Forderungen nach gesellschaftlichen oder rechtlichen Veränderungen (z. B. in der Frage des Strafrechts) verbinden. Die einzelnen Fälle sollen eben „Einzelfälle“ bleiben - und nicht in einen politischen Kontext gestellt werden.

Der Prozess und das Urteil gegen Gina-Lisa Lohfink offenbaren nicht nur eine schreiende Ungerechtigkeit - sie machen auch deutlich, wie tief Sexismus in den Strukturen wie Polizei, Justiz, aber auch in der medialen Öffentlichkeit verankert ist. Sie zeigen, wie wichtig es ist, eine Bewegung aufzubauen, die diesen Sexismus bekämpft.

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Nr. 212, September 2016

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