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Konterrevolution in der Ukraine

Gegen den reaktionären Putsch und die faschistischen Milizen!

Peter Main, Neue Internationale 187, März 2014

Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch durch die Euro-Maidan-Bewegung ist kein Sieg der Massen oder des „Volkes“. Vielmehr gereicht er den Imperialisten der Europäischen Union mit Deutschland an der Spitze  zu einem großen strategischen Vorteil.

Obwohl ihre bevorzugte Lösung des Konflikts die eines ‚kontrollierten Übergangs’ der Macht mittels vorgezogenen Wahlen und eines Kompromisses mit den Oppositionsführern zu sein schien, waren sie doch bereit, eine gewaltsame Amtsenthebung des immerhin demokratisch gewählten Staatsoberhaupts durch einen bewaffneten Aufstand willkommen zu heißen, zumal er ihrem Drang nach Osten schnellere Handlungsfreiheit verheißt.

Die EU hat damit zumindest einen ersten Schritt zu einem „Regimewechsel“ unter eigener Regie getan - auch wenn die tiefe gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Krise längst nicht ausgestanden ist. Sie hat aber ihre Position gegenüber Russland vorerst deutlich gestärkt und auch der US-Imperialismus, dessen Chefdiplomatin vor wenigen Wochen noch mit einem „Fuck the EU“ aufgefallen war, konnte gegenüber Deutschland, Frankreich und der EU nur die zweite Geige spielen.

Die Kombination weitgreifender Unzufriedenheit mit dem abstürzenden Lebensstandard, den Illusionen in die Aussicht eines wirtschaftlichen Aufschwungs durch eine engere Bindung an die EU und Janukowitschs verzweifelter Versuch, die Besetzung des Maidan-Platzes in Blut zu ersticken, resultierte in einem 5-tägigen Straßenkampf mit mindestens 82 Toten, davon 13 Polizisten und über 1.000 Verwundeten. Dabei fiel die Schlüsselrolle für den Sieg des Aufstands offen faschistischen Banden wie dem ‚Rechten Sektor’ und der ‚Gemeinsamen Sache’, Afghanistan-Veteranen und den Anhängern von ‚Swoboda’ (Freiheit) zu, dessen Führer Oleg Tjahnybok einer der drei Hauptsprecher der Euro-Maidan-Bewegung ist.

Am Freitag, dem 21. Februar, hatten die Euro-Maidan-Kräfte das Regierungsgebäude in Kiew eingenommen, während in Lwow im westlichen Landesteil die regionalen Behörden und die Polizei zu den Rebellen übergegangen waren und rechtsradikale Aktivisten und Polizeieinheiten in die Hauptstadt entsandt worden waren, um den Präsidenten zu stürzen. Nachdem er daran gehindert worden war, nach Russland zu fliehen, zog sich Janukowitsch am 22.2. angeblich in die zweitgrößte Stadt Charkow im Osten des Landes zurück. Am folgenden Tag stimmte das von faschistischen Banden und rebellierenden Polizeioffizieren ‚bewachte’ Parlament, in dem ein Drittel der Abgeordneten fehlte, einstimmig für die Amtsenthebung von Janukowitsch. Dann votierten sie für die Freilassung der inhaftierten Führerin der „All-Ukrainischen Vaterslandsfront“ und Ex-Premierministerin Julia Timoschenko.

Maidan

Die dreimonatige Besetzung des Maidan-Platzes in Kiew schuf die Bedingungen für die Zunahme und Konsolidierung der faschistischen Kräfte. Sie begann als Protest gegen Janukowitschs Weigerung, eine vorbereitete Kooperationsvereinbarung und ein Freihandelsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, was auf Druck aus Moskau unterblieb. Diese Vereinbarung war ein Jahrzehnt lang verhandelt worden und wurde weithin als Vorbedingung für wirtschaftlichen Fortschritt in der Ukraine präsentiert.

Es wurde v.a. von den Kapitalisten, z.B. Dmitri Firtasch oder Petr Poroschenko, den dritt- und viertreichsten Großkapitalisten in der Ukraine, favorisiert, die aus dem Kreis der Oligarchen um Janukowitschs „Partei der Regionen“ ausgeschlossen waren. Doch für die ukrainischen ArbeiterInnen hätte das Abkommen eine 40%ige Erhöhung des Gaspreises, ein Einfrieren der Löhne, Renten und Sozialleistungen sowie eine Kürzung der Staatsausgaben bedeutet, also die zwangsweise Einträufelung der bitteren Medizin des Internationalen Währungsfonds, die schon die Lebensgrundlagen der ArbeiterInnen in Griechenland, Lettland u.a. Ländern ruiniert hat. Trotz weit verbreiteter Unzufriedenheit mit dem sinkenden Lebensstandard war dies keine Aussicht, die die große Mehrheit der ukrainischen Bauern und ArbeiterInnen erfreuen konnte.

In der Folge bildete zwar die Besetzung des Maidan-Platzes ein festes Zentrum für die Opposition gegen Janukowitsch, die natürlich von den EU-Befürwortern v.a. mit Geld unterstützt wurde, hatte aber nicht den Charakter einer umfassenden, alle Klassen einbeziehenden Massenbewegung für reaktionäre Ziele, sondern wurde v.a. zum Sammelpunkt für alle rechten, nationalistischen Kräfte, darunter auch die Anti-EU-Faschisten des „Rechten Sektors“, die zunehmend an Einfluss gewonnen hatten wegen ihrer beständigen Opposition, überhaupt mit Janukowitsch verhandeln zu wollen und ihrer führenden Rolle in den Straßenkämpfen gegen die Polizei.

Janukowitsch wollte in der vergangenen Woche die verfahrene Situation durch die gewaltsame Zerschlagung der Platzbesetzung beenden. Doch dieser verzweifelte Akt blieb wirkungslos, weil er nicht auf eine unbewaffnete Menge, sondern auf wohl organisierte und bewaffnete faschistische Banden traf, die schnell die Polizei aus ihren Stellungen vertreiben konnten. Das provozierte ein regelrechtes Feuergefecht mit Dutzenden Toten auf beiden Seiten. Danach konnten die Faschisten, die ihren ‚Blutzoll’ entrichtet hatten, von den formalen Führern der Opposition nicht mehr gezügelt werden.

Von daher kam der Versuch der EU, einen Kompromiss für eine einheitliche nationale Regierung zu schließen, zu spät. Als Oppositionsführer von der Bühne des Maidan-Platzes aus einen solchen Kompromiss verkünden wollten, wurden sie ausgepfiffen. Die Milizen weigerten sich nicht nur, ihre Waffen abzugeben, sondern stellten sogar ein Ultimatum, dass Janukowitsch bis Sonnabend Mittag zurücktreten müsse oder sie würden ihn gewaltsam aus dem Amt jagen. Ihre Drohung brauchten sie jedoch gar nicht erst wahr zu machen, denn Janukowitsch floh bereits am nächsten Morgen und die Sicherheitskräfte waren aus den Straßen der Hauptstadt abgezogen.

Aussichten

Obwohl die faschistischen Banden stark genug waren, den Polizeiattacken standzuhalten und den politischen Führern der Opposition den Rücken stärkten, müssen sie doch zumindest zum jetzigen Zeitpunkt als Hilfstruppen der ‚gemäßigteren’ vormaligen Opposition angesehen werden, die jetzt dabei ist, die Regierungs- und Staatsmacht an sich zu reißen. Sie haben jedoch ihre Zahl, ihre organisatorische Stärke und Moral vergrößert und als politischer Faktor an Gewicht gewonnen. Gegen sie muss die Arbeiterklasse ihre eigenen Kräfte aufbauen. Die Faschisten haben jedoch den Erfolg weit mächtigerer Kräfte gesichert. International haben sie dies für die EU erreicht  und in der Ukraine für die pro-EU-Kapitalisten und die „Vaterlandsfront“.

Jede Vorstellung, dass trotz der Präsenz der Faschisten Janukowitschs Sturz eine „demokratische“ Revolution sei, wäre die schlimmste Beschönigung - zumal sie unweigerlich zur politischen Passivität und Selbsttäuschung führen würde. Von Anfang an mobilisierte die Maidan-Bewegung Unterstützer auf Basis eines reaktionären Appells an separatistische und nationalistische Ideologien unter der ukrainisch sprechenden Bevölkerung, die im Westen des Landes konzentriert ist. Ihr Erfolg beruhte weniger auf dem Vordringen der Faschisten als vielmehr auf dem Fehlen einer Opposition aus der Arbeiterklasse - sowohl gegen die Janukowitsch-Regierung und deren Unterstützung durch den russischen Imperialismus als auch gegen die Pläne der europäischen Imperialisten.

Als erster Schritt zur Bildung einer neuen Regierung ist der Parlamentssprecher Alexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten ernannt worden. Wahlen wurden für Mai 2014 angesetzt. Unter diesen Umständen ist der Aufbau einer politisch unabhängigen Arbeiterbewegung eine dringende Notwendigkeit.

Die erste Priorität der neuen Regierung wird die Konsolidierung der Kontrolle über das Land sein, besonders die Unterdrückung von Opposition aus dem vornehmlich russischsprachigen Ost- und Südteil der Ukraine. Diese Absicht wurde deutlich durch den Parlamentsbeschluss, dass Russisch nicht mehr als Amtssprache anerkannt wird. In den industrialisierten Regionen des Ostens wird die EU-Politik die größten Auswirkungen in Form von Fabrikstilllegungen und des Abbaus von staatlichen Leistungen zeigen. Einer potenziellen Opposition das Rückgrat zu brechen, wird ein wichtiges Ziel sein. Sie haben bereits gezeigt, dass sie nicht davor zurückschrecken werden, den faschistischen Mob einzusetzen, um ihre Pläne durchzusetzen.

Obwohl die Arbeiterklasse Elementen des Janukowitsch-Regimes keinerlei politische Unterstützung geben darf, sollten RevolutionärInnen für gemeinschaftliche Maßnahmen gegen die neue Regierung eintreten - auch mit Kräften aus der „Kommunistischen Partei“ und  den Gewerkschaften. Sie sollten zu demokratischen Arbeiterversammlungen in jeder Stadt aufrufen, auf denen Strategie und Taktik des Widerstands besprochen werden. Solche Versammlungen und jede andere Form von Arbeiterorganisierung muss sich bewaffnen und von den Regionalregierungen die Öffnung der Waffenkammern verlangen, um Arbeitermilizen formieren zu können.

Die politischen und kulturellen Klüfte zwischen der Ost- und Westukraine sind die größten Hindernisse für die ArbeiterInnen der Ukraine. Im ehemaligen Jugoslawien haben Jahrzehnte stalinistischer Unterdrückung und die Folgen der kapitalistischen Restauration die Arbeiterklasse führungslos gelassen und dem Gift des Nationalismus preisgegeben. Die Mächte im Hintergrund - Russland und die EU - wollen zwar nicht unbedingt einen Bürgerkrieg oder die Teilung des Landes, aber ihre Einmischung und die Unterstützung für die rivalisierenden Kräfte auf Regionalbasis könnten im Ergebnis genau dazu führen. Auf keinen Fall werden sie von der Verfolgung ihrer reaktionären Großmachtinteressen ablassen, um eine noch größere Katastrophe für die Ukraine zu vermeiden. Vielmehr sind sie bereit, für ihre Ziele auch Bündnisse unter Einbeziehung von Faschisten zu schließen, antisemitische Exzesse oder auch einen reaktionären Bürgerkrieg und die nationale Unterdrückung aller Nicht-UkrainerInnen in Kauf zu nehmen.

Die Arbeiterklasse ist die einzige gesellschaftliche Kraft mit der Notwendigkeit und Möglichkeit, die Einheit des Landes zu verteidigen, indem sie für ihre eigenen Klasseninteressen kämpft. Sie muss eine einheitliche unabhängige Ukraine zum Ziel haben, in der die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen des ganzen Landes unter Kontrolle und im Dienst der Arbeiterklasse stehen. Dazu muss das Konzept des Aufbaus einer Wirtschaft angegangen und verteidigt werden, die den materiellen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen der Lohnabhängigen entspricht. Das bedeutet auch, den Kampf gegen die reaktionären Mächte in Ost und West aufzunehmen, die ihren Konflikt beilegen werden, um in der Niederschlagung aller unabhängigen Arbeiteraktionen zu kollaborieren.

ArbeiterInnen in Russland, Deutschland und dem übrigen Europa müssen Arbeiteraktionen in der Ukraine verteidigen und sich allen Interventionen ‚ihrer’ Regierungen, sei es durch ökonomische Erpressung, um die regionalen Gegensätze aufzuhetzen, oder den Versuchen, das Land zu teilen, entgegen stemmen.

Gegen die Politik der Verzweiflung muss die Antwort im Licht eines echt demokratischen und internationalistischen Geistes wie bei den jüngsten bosnischen Protesten erfolgen. „Nieder mit dem Nationalismus1“ heißt die Losung auf den Straßen beim Kampf aller Nationalitäten ihres Landes gegen Kürzungspolitik und Ungleichheit. Die Hoffnung für die Ukraine liegt nur in der Einheit der ArbeiterInnen und Armut gegen nationalen Hass, Kürzungspolitik und Kapital.

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Nr. 187, März 14
*  Ukraine: Gegen den reaktionären Putsch!
*  Bosnien: Beginn einer neuen Arbeiterrevolution?
*  Bericht der Solidaritätsdelegation nach Bosnien
*  Linkspartei: Europa aus der Sicht der ostdeutschen Kleinstadt
*  Neue anti-kapitalistische Organisation (NaO): Wichtige Erfolge
*  Energiepolitik: Die Wende nach der Wende
*  Heile Welt
*  Pakistan/Belutschistan: Kampagne für die "Verschwundenen"
*  Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Klassen -oder Kassenfrage?
*  Schul- und Unistreik in Berlin: Refugees are welcome!
*  "Tarifrechtsreform" der Regierung: Ein Angriff auf das Streikrecht



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