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Piratenpartei

Auf falschem Kurs

Robert Teller, Neue Internationale 169, Mai 2012

Der rasante Aufstieg der Piratenpartei in mehrere Landtage, in Fernsehstudios und Schlagzeilen versetzt sowohl die bürgerlichen Parteien, als auch SPD und Linkspartei in ratloses Staunen und Hilflosigkeit. Tatsächlich haben die „Piraten“ den Anspruch, für alle politischen Richtungen „offen“ zu sein und bedrohen nicht nur subjektiv die Stellung und Wählerbasis sämtlicher „ernsthafter“ Parteien. Durch ihr provozierendes und „ungekünsteltes“ Auftreten ist die Piratenpartei nicht nur ein Sammelbecken für besondere soziale Gruppen wie IT-Kleinunternehmer, sondern auch für Teile der „enttäuschten“ Jugend und selbst ArbeiterInnen, die im Reformismus der klassischen „linken“ Parteien keine Perspektive mehr sehen.

Doch die Ablehnung einer grundlegenden politischen Positionierung wie „links - rechts“ ist ein Selbstbetrug, wie die aktuelle Kontroverse um Nazi-Mitglieder zeigt. Aktuell wird der Blitzaufstieg der Piraten überschattet von sog. „Shitstorms“ (beleidigenden Twitter-Debatten) zwischen „Piraten“-Mitgliedern.

Der Anspruch der „Offenheit“ ist keinesfalls ein besonders kluger politischer Zug, sondern vielmehr eine Antwort auf politische Krisen der originär bürgerlichen Parteien wie FDP und CDU in Verbindung mit massenhafter Neuorientierung von Mittelschichten (junge KleinunternehmerInnen, Intellektuelle), aber auch Unterschichten, SchülerInnen, StudentInnen etc.

Aktuell steht die „Piraten“-Führung vor der ungelösten Aufgabe, das „Liquid-Feedback“-Wünsch-dir-was- Programm (das Online-System, über das die Partei politische Entscheidungen und Abstimmungen veranstaltet - eine Art Wikipedia-Konzept für das politische Programm einer Partei) durch „feste“ politische Aussagen zu ersetzen.

Zu bestimmten politischen Fragen gibt es ein Sammelsurium an Forderungen, wie zur Ablehnung von Patenten, der Zurückdrängung von Monopolen und für „freien Wettbewerb“. Jedoch musste der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz vor der Bundespressekonferenz mehrmals einräumen, dass die Partei zu so wichtigen Fragen wie der Euro-Krise oder dem Afghanistan-Einsatz keine Position hat. Als „Erklärung“ fügte er hinzu, es sei „falsch, dass eine Partei auf jede politische Frage eine Antwort haben sollte“.

Programmatische Leere

Trotz der frappierenden programmatischen Leere sind die „Piraten“ jedoch - wie jede politische Organisation - Ausdruck von Klasseninteressen. Gerade in der Widersprüchlichkeit ihrer Forderungen, die sich oft gleichzeitig an Teile der ArbeiterInnenklasse, wie auch an Teile der Kleinbourgeoisie richten, drückt sich ihre kleinbürgerliche politische Perspektive aus.

Ein Beispiel hierfür ist das „bedingungslose Grundeinkommen“. Das Konzept sieht vor, dass allen „Bürgern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht“ ein festes „Grundeinkommen“ zur Verfügung gestellt wird, das durch massive Erhöhung der Massensteuern (Mehrwertsteuer etc.) finanziert werden soll.

Mit diesem  Zaubermodell sollen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Sämtliche „Lohnnebenkosten“ wie Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung können sofort gestrichen werden, andererseits sind die sozialen Probleme der ArbeiterInnen - scheinbar - gelöst.

Die Piraten versprechen also: Sowohl die Kapitalisten, als auch die Arbeiterklasse profitieren davon auf wundersame Weise, der Staat kann große Teile seines Haushaltes einsparen und die „Schuldenfalle“ wäre gelöst. Tatsächlich ist jedoch klar, dass damit nur der Bourgeoisie geholfen wäre, da das Grundeinkommen durch die Massensteuern - also fast ausschließlich von der Arbeiterklasse - bezahlt werden soll, während die Kapitalisten gleich auf zwei Wegen Lohnkosten sparen können: zum einen sämtliche Lohn“neben“kosten, zum anderen wäre der „notwendige Lebensunterhalt“ durch das Grundeinkommen reduziert - im Ergebnis würde dies eine massive Ausweitung des Niedriglohnsektors bedeuten, bei gleichzeitig stark erhöhten Preisen für Konsumgüter. Unbeachtet bleibt auch, dass all jene, die vom „bedingungslosen“ Grundeinkommen ausgeschlossen sind - also insbesondere viele MigrantInnen - mit völliger Verarmung rechnen müssten.

Vor allem aber bedeutet diese Orientierung, dass die zentrale Rolle des Klassenkampfes - u.a.für höhere Löhne (und daran gekoppelte Sozialausgaben) - abgewertet wird. Ohne Frage würden dadurch Bewusstsein, Organisierung und gemeinsame Aktionen der ArbeiterInnen und aller Unterdrückten und Ausgebeuteten unterminiert.

Tausende neue Piraten - auf seeuntüchtigem Schiff

Nach eigenen Angaben hat die Piratenpartei ihre Mitgliederzahl seit der Berlin-Wahl verdoppeln können. Doch die Partei sagt selbst, dass die Hälfte der Mitglieder keinen Mitgliedsbeitrag entrichtet. Gleichwohl ist dieser Aufschwung Ausdruck einer grundlegenden politischer Umorientierung und Enttäuschung über die etablierten Parteien, die auch und gerade Unterdrückte, Jugendliche, junge ArbeiterInnen und StudentInnen betrifft.

Durchaus richtige politische Forderungen z.B. im Bereich Bildung, kostenloser Nahverkehr, Versammlungsrecht, Freigabe von Drogen etc. machen die Piraten für viele Jugendliche zu einer ernsthaften und scheinbar radikalen politischen Alternative, auch wenn keinerlei Methode, keine Strategie oder Taktik existiert, wie solche Forderungen gegen den Widerstand von Staat und Kapital durchgesetzt werden könnten. Zudem werden diese Forderungen mit Illusionen in den „neutralen und transparenten“ Staat, in die „freiheitliche Demokratie“ usw. verbunden, die anstelle der Notwendigkeit des organisierten Kampfes der Arbeiterklasse gesetzt werden.

Daher sollte die Linke die Piraten dort, wo sie richtige Ziele vertreten, durchaus ernst nehmen, d.h. ihren Anspruch an der Realität messen. Dann wären sie gezwungen, entweder eine ernsthafte politische Perspektive im Sinne der Arbeiterklasse und unterdrückten Jugend zu entwickeln, einschließlich der Mittel, diese umzusetzen - oder aber ihre Dampfplauderer werden die andere ernsthafte Orientierung wählen: einen Posten bei der FDP oder bei den Grünen.

Strafe für den Reformismus

In jedem Fall stellt der Erfolg der „Piraten“ eine Lehre für die politische Linke und eine schallende Ohrfeige für die reformistischen Apparate dar: Dass Jugendliche zu tausenden in eine Organisation strömen, die im wesentlichen politischen Dilettantismus zu bieten hat, sagt einiges aus über den Zustand der „traditionellen“ politischen Vertretung, des Reformismus in Form von SPD, „LINKE“ und Gewerkschaften.

Natürlich bieten diese Organisationen der Jugend derzeit keine politische Perspektive zur Durchsetzung ihrer Rechte und Bedürfnisse. Die Vorstellung, dass dies lediglich der Verrottetheit und „Intransparenz“ ihrer Führungen geschuldet ist, halten wir jedoch für falsch - und damit die Schlussfolgerung, man müsse lediglich eine neue „unbefleckte“ Organisation aufbauen, die allen politischen Vorstellungen gegenüber aufgeschlossen ist.

Vielmehr liegt das Versagen der reformistischen Massenorganisationen in alten (soziale Sicherheit, Gleichberechtigung von Frauen, Schwulen etc.) wie neuen (freies Kopieren, Datenschutz im Internet) Fragen in ihrer grundlegenden Perspektive, einen „Ausgleich“ oder „Kompromiss“ zwischen Unterdrückten und Kapitalisten zu suchen. Eine Organisation, die solche Forderungen konsequent durchsetzen will, muss sich klar auf die Seite der ArbeiterInnenklasse und anderer Unterdrückten stellen - die Forderungen der Unterdrückten können nur gegen den Widerstand der Unterdrücker erreicht werden.

Dies würde aber bedeuten, ein linkes Programm als verbindliche politische Grundlage zu wählen, und bspw. den entschlossenen Kampf gegen Nazis und andere Rechte beinhalten.

Dies würde auch zwangsläufig die Notwendigkeit einer internationalen Organisation bedeuten, da alle wichtigen politischen Fragen weltweit gleichermaßen aufgeworfen werden und stets den selben Hintergrund, den Klassencharakter des Kapitalismus, haben. Eine solche neue Partei der Unterdrückten, eine neue Internationale der ArbeiterInnenklasse ist heute so wichtig wie nie zuvor, da keine Partei existiert, die konsequent den Kampf gegen Krisenabwälzung, imperialistischen Krieg, Rassismus und Abbau demokratischer Rechte führt.

Trotz aller Romantik ist es für die Unterdrückten und Ausgebeuteten in dieser Welt keine Option, im Ozean der politischen Verwirrung umherzusegeln auf der Suche nach dem Goldschatz - vielmehr gilt es, auf festem Grund mit klaren Zielen den Klassenkampf gegen die ganz konkreten Angriffe der Bourgeoisie zu führen - mit der Perspektive, die ganze Festung der Klassenherrschaft zu stürmen. Hierzu brauchen wir kein Seemannsgarn und keine Schatzkarten, sondern ein linkes, ja revolutionäres Programm für die Unterdrückten dieser Welt.

Nazis bleiben an Bord - Piraten segeln mit rechter Schlagseite

Für einiges Aufsehen sorgt derzeit die Diskussion um Nazi-Mitglieder in der Piratenpartei. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass einige „Piraten“-Mitglieder ehemalige oder überzeugte Nazis sind. Für berechtigte Empörung unter linkeren „Piraten“ ebenso wie allen ernsthaften AntifaschistInnen sorgt dagegen, dass von einigen prominenten Mitgliedern deren Mitgliedschaft verteidigt und ein Ausschluss abgelehnt wird. Dies geht soweit, dass die Meinung vertreten wird, die „Piratenpartei“ solle ein „Abbild der Gesellschaft“ darstellen, müsse folglich auch Faschisten und andere Reaktionäre einschließen. Für alle Linken und AntifaschistInnen sollte jedoch klar sein: Es darf keine Zusammenarbeit mit Nazis, Rassisten, Nationalisten und anderen Reaktionären geben! Sofortiger Ausschluss und Bekanntmachung von Nazis! Solange Nazis in der „Piratenpartei“ geduldet werden, kann diese niemals unterstützt werden!

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Nr. 169, Mai 2012
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