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Nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern

Rot/Rot schmiert ab

Martin Mittner, Neue Internationale 214, Oktober 2006

Die Wahlergebnisse in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zeigen drei Gemeinsamkeiten:

a) Beide „rot-roten“ Landesregierungen haben dramatische Stimmen- und Mandatsverluste hinnehmen müssen. In Schwerin traf das in erster Linie die SPD, in Berlin die Linkspartei.PDS die v.a. in den Ostbezirken ein Fiasko erlebte.

b) Die Wahlbeteiligung ging deutlich zurück. Damit setzte sich der Trend aller Landtags- und Kommunalwahlen seit der Bundestagswahl fort, dass ein immer größerer Teil der Bevölkerung dem parlamentarischen Spiel fernbleibt. So fiel die Wahlbeteiligung in MV von 70,6 auf 59,2 Prozent, in Berlin von 68,1 Prozent im Jahr 2001 auf 58,5.

c) In beiden Wahlen wurde auch eine Polarisierung in der Gesellschaft sichtbar - sowohl auf der extremen Rechten wie auch auf der Linken.

Verluste von SPD und PDS

Natürlich verloren nicht nur PDS und SPD. In Berlin fuhrt die CDU ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg ein.

Die Verluste der SPD in MV waren dramatisch: minus 10,4 Prozent! In absoluten Zahlen fiel sie noch dramatischer ab: von 394.118 auf 247.291 Stimmen, ein Minus von rund 150.000 Stimmen!

Auch die CDU in MV musste gegenüber 2002 Verluste von rund 70.000 Stimmen hinnehmen. Der “Wahlsieger” PDS steigerte den Stimmenanteil zwar um 0,4 Prozent, büßte aber auch mehr als 20.000 Stimmen ein.

In Berlin verlor die PDS in jeder Hinsicht dramatisch. 2001 konnte sie noch 366.292 Stimmen erringen (22,6 Prozent). Diese Zahl hat sich in fünf Jahren praktisch halbiert: auf 185.452 oder 13,4 Prozent.

In ihren Ostberliner Hochburgen waren die Verluste besonders dramatisch. In Marzahn-Hellersdorf hatte sie 2001 noch eine absolute Mehrheit mit 52,9 Prozent. Jetzt liegt sie bei 32,5, was einem Verlust von 20,4 Prozent entspricht. Ähnlich groß sind die Verluste in Pankow (minus 20,8), Lichtenberg (minus 17,3), Treptow-Köpenick (minus 16,2 Prozent) und Kreuzberg-Friedrichshain (minus 16,4). Auch in Westberlin verlor sie durchschnittlich ein Drittel der Stimmen.

Der Grund für die Niederlagen von SPD und PDS sind leicht zu finden - in der Politik beider Parteien. Sie haben im Bund bzw. in den Landesregierungen den Generalangriff der herrschenden Klasse ausgeführt und vorangetrieben; sie haben auch im Wahlkampf erneut deutlich gemacht, dass sie diese Politik neoliberaler Umstrukturierungen, Privatisierungen, verschärfter Angriffe auf Erwerbslose usw. fortsetzen wollen.

Während die SPD überlegt, mit den Grünen oder der CDU zusammenzugehen, will die PDS auf jeden Fall weiter mitregieren - trotz der für sie katastrophalen Wahlergebnisse. Für den Fall des Gangs in die Opposition hat Wirtschaftssenator Wolff dann Forderungen abgegeben, zu denen die PDS in 5 Jahren Regierung nicht in der Lage war, wie die Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors oder das Ende der Wohnungsprivatisierung Auch das zeigt, wie verfestigt die reformistische, sich mit dem Kapitalismus arrangierende Strategie der PDS ist, die den Gang in die Opposition mit „linker Rhetorik“ schönredet.

Wahlverdruss und Polarisierung

Auch wenn uns noch keine exakten Umfragen zur sozialen Zusammensetzung der NichtwählerInnen vorliegen, kann wohl davon ausgegangen werden, dass diese vor allem aus den unteren, am meisten von den neoliberalen Angriffen betroffenen Schichten der Arbeiterklasse kommen: von Erwerbsloses, NiedriglöhnerInnen und Prekarisierten sowie MigrantInnen.

Diese Schichten werden mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Das ist auch der Grund für ihre Abwendung von den Wahlen selbst.

Dahinter zeigt sich eine grundlegende Umstrukturierung nicht nur der Sozialstruktur der Gesellschaft, sondern auch der politischen Herrschaftsmechanismen.

Über Jahrzehnte waren Wahlen und Parlamentarismus wichtige Integrations- und Legitimationsinstrumente für den Großteil aller Klassen (anders als z.B. in den USA, wo Wahlen und das politische System traditionell auf die herrschende Klasse, die Mittelschichten, das Kleinbürgertum und die privilegierten, arbeiteraristokratischen Schichten der Lohnabhängigen fokussiert sind).

Aufgrund der verschärften sozialen Polarisierung werden immer größere Teile der Arbeiterklasse auch aus dem bürgerlich-parlamentarischen Raum gedrängt bzw. nehmen ihn für sich als nicht mehr relevant war.

Für das Kapital selbst ist das keineswegs ungewollt, ja es wird z.T. sogar begrüßt, auch wenn es für viele traditionelle Parteien ein Problem darstellt. Solange diese Schichten politisch und gesellschaftlich ruhig und passiv bleiben, ist ihre Nichtteilnahme an den Wahlen durchaus funktional.

Wichtig ist, dass diese Schichten über weite Strecken von keiner Partei erreicht wurden und von Parteien wie SPD und PDS auch immer weniger erreicht werden können, denn ihre auf Sozialpartnerschaft gerichtete Politik bringt nur die bornierten, engen Interessen der lohnabhängigen Mittelschichten und der Arbeiteraristokratie im Rahmen einer sozial etwas abgefederten neoliberalen Umstrukturierung der Gesellschaft zum Ausdruck.

Es ist kein Zufall, dass sich in den Wahlen ein Rückgang der offen bürgerlichen Massenparteien wie CDU oder bürgerlicher Arbeiterparteien wie SPD und PDS zeigt, während FDP und Grüne relativ dazu gewinnen. Auch das drückt eine neoliberale Umstrukturierung des politischen Systems aus.

In jedem Fall zeigt sich in der Wahlenthaltung eine sinkende Integrationskraft des bürgerlich-parlamentarischen Systems für die ausgebeuteten Massen. Zugleich wurde eine Polarisierung - vor allem auf der Rechten - sichtbar. Der Wahlerfolg der NPD in MV (7,3 Prozent, 59.674 Stimmen), aber auch in Ostberlin (rund 4 Prozent) zeigt das in beunruhigender Weise.

In Teilen Vorpommerns konnte sie um die 12 oder 13 Prozent erringen. Ähnlich wie in Sachsen rekrutieren sich die WählerInnen der NPD einerseits aus demoralisierten und frustrierten Erwerbslosen und unteren - meist jungen, männlichen - Arbeiterschichten, andererseits schneidet sie auch unter dem Kleinunternehmertum (den „Selbstständigen“) überdurchschnittlich gut ab.

Ihr Zuwachs ist erstens ein Ausdruck davon, dass die Linke, v.a. die PDS von immer mehr Lohnabhängigen nicht mehr als Alternative, sondern als Bestandteil des bestehenden Systems betrachtet wird und dass sich links von der PDS keine klassenkämpferische oder gar sozialistische Massenalternative gebildet hat. Zweitens ist sie auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit des Kleinbürgertums und Kleinkapitals, das gegen die ausländische Konkurrenz (EU, Polen usw.) auf Chauvinismus und Rassismus und Abschottung des eigenen Landes hofft.

Das Ergebnis der WASG

Das Ergebnis der WASG Berlin war - gemessen an der Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Schärfe der Angriffe - mit 2,9 Prozent und rund 40.000 Stimmen kein Erfolg.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen solche, die nicht an der WASG Berlin, liegen:

Erstens musste sie - wohl einmalig in der BRD-Geschichte - auch gegen die eigene Bundesparteiführung antreten, die für eine andere Partei, die L.PDS und deren Senatspolitik Werbung machte.

Zweitens war der Listenplatz 14 ein großer Nachteil, was sich nicht zuletzt darin zeigte, dass die WASG bei den Erststimmen oft besser abschnitt als bei den Zweitstimmen.

Drittens kommt hinzu, dass das Wahlsystem in der BRD (Erst- und Zweitstimme) sowie die undemokratische Fünf-Prozent-Hürde kleinere und neue Parteien wie die WASG zusätzlich benachteiligen, die sich v.a. auf die Stimmen von Arbeitslosen und Lohnabhängigen stützen.

Viertens spielten natürlich die geringen finanziellen Mittel der Berliner WASG eine Rolle.

Zweifellos war das Ergebnis dem großen Einsatz und der Ausdauer der Mitglieder und UnterstützerInnen zu verdanken - auch jener, die aus anderen Bundesländern zur Unterstützung gekommen waren.

Trotzdem ist es wichtig, auf die eigenen, hausgemachten Fehler der WASG im Wahlkampf zu sprechen zu kommen.

Das Auffälligste am Ergebnis ist wohl, dass auch die WASG Berlin einen großen Teil der von Verarmung und Überausbeutung Betroffenen nicht an die Wahlurnen zu bringen vermochte und auch nur etwa 10 Prozent der von der PDS enttäuschten WählerInnen erreichte. Woran lag das?

Im Grunde agierte bisher auch die Berliner WASG wie eine „normale“ parlamentarisch ausgerichtete Partei. Schon der Name „Wahlalternative“ drückt das aus.

Die politische Strategie und das Wahlprogramm, die Plakate usw. entsprachen dieser Ausrichtung. Die WASG Berlin ist zwar klar gegen die Politik des Senats angetreten, erhob viele Forderungen im Interesse der Lohnabhängigen (Arbeitszeitverkürzung, Gegen Privatisierungen usw.) und brachte den Willen einer Schicht der Arbeiterklasse zum Ausdruck, mit dieser Politik zu brechen. Es war daher vollkommen richtig, diese Partei bei der Wahl unterstützen. Aber sie war bis auf wenige Ausnahme keine Partei der Mobilisierung, des Kampfes. So mangelte es auch insgesamt an spektakulären Aktionen, die deutlich gemacht hätten, dass die WASG v.a. eine Partei des Kampfes, der Mobilisierung ist.

Perspektive

Entscheidend wird nun sein, dass die Berliner WASG sowie die linke Opposition in der WASG bundesweit ihre weitere politische Ausrichtung diskutieren und eine schlagkräftige, bundesweit wahrnehmbare alternative Kraft werden.

Wenn die WASG zu einer Partei der Arbeitslosen, der unteren Schichten der Arbeiterklasse, kämpfender Lohnabhängiger, der MigrantInnen und der Jugend werden will, muss sie sich das Ziel setzen, eine grundlegend andere Partei als SPD, L.PDS, aber auch als die bisherige WASG aufzubauen.

Es geht darum, jetzt in der WASG dafür einzutreten, aus ihr eine Kampfpartei zu machen, mit dieser Perspektive in die Auseinandersetzungen um die „Fusion“ von PDS und WASG einzugreifen und dabei ein organisierte Strömung zu formieren, die auch in der Lage ist, gegebenenfalls eigenständig als politische Kraft gegen eine neue reformistische Partei anzutreten. Sicher wird es nicht gelingen, die Mehrheit der WASG dafür zu gewinnen - schon deshalb, weil die Bundes-WASG deutlich an Dynamik und Mitgliedern verliert und viele Linke die Partei schon frustriert verlassen haben. Doch dafür kann eine entschlossene Opposition neue Kräfte und sicher auch einen Teil der vom bürokratisch-reformistischen WASG-Mainstream Abgeschreckten (zurück)gewinnen.

Dazu braucht es eine klare Perspektive: eine Partei der Aktion zu sein, eine Partei die sich klar darüber ist, was sie will.

Auch die Berliner WASG trat - wie wir von Beginn an kritisiert hatten - mit einem reformistischen, also im Kern bürgerlichen Programm zur Wahl an; einem Programm, dessen strategische Zielsetzung eine Verbesserung des bestehenden kapitalistischen Systems ist und nicht dessen Überwindung.

Genau darum geht es jedoch. Die Linke Opposition in der WASG muss für ein Programm von Übergangsforderungen eintreten, das den Kampf gegen die Angriffe von Kapital und Regierung mit dem Kampf zum Sturz des Kapitalismus und für die Reorganisation der Gesellschaft auf Grundlage der Räteherrschaft der Arbeiterklasse verbindet.

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Nr. 114, Oktober 2006

*  DGB-Demos am 21. Oktober: Startschuss oder Rohrkrepierer
*  Nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern: Rot/Rot schmiert ab
*  Kassel II: Wohin geht die WASG-Opposition?
*  CDU-Familienpolitik in Thüringen: 15 Packungen Pampers
*  NPD nach den Wahlen: Aufstieg der Ratten
*  Schweden: Nach der Wahl ist vor dem Kampf
*  Castros Krankheit: Kuba im Kreuzfeuer
*  Mexiko: Massen an die Macht!
*  Heile Welt
*  UNO, NATO, Bundeswehr: Raus aus dem Libanon!