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asylrecht

Universalwaffe Terrorismusvorwurf

Markus Lehner, Neue Internationale 109, April 2006

Ein Urteil in einem Asyl-Widerufsverfahren, das vor kurzem vom Verwaltungsgericht Ansbach gefällt wurde, zeigt, wie weit die Abschaffung des „Grundrechts auf Asyl“ in Deutschland schon fortgeschritten ist. Im Rahmen der „Terrorismusbekämpfung“ und der Annäherung der Türkei an die Europäische Union wurde schon in letzter Zeit eine große Zahl anerkannter Flüchtlinge aus der Türkei mit dem Widerruf ihres Asylstatus bedroht.

Zumeist wurde dabei mit „Sicherheitsbedenken“ angesichts der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“, insbesondere der kurdischen PKK (bzw. ihrer Nachfolgeorganisation „Kongra Gel“) argumentiert. Bei ehemaligen Mitgliedern wurde oftmals mit „Wiederholungsgefahr“ oder Zweifeln am Gesinnungswandel argumentiert.

Einmal „Terrorist“ - immer „Terrorist“?

Im Fall des kurdischen Flüchtlings Dursun Ali Kücük schloss sich nun das Verwaltungsgericht der Rechtsmeinung des Innenministeriums an, dass die nachweisliche Abkehr von den Zielen einer „terroristischen Organisation“ unerheblich sei, und schon eine frühere Mittäterschaft für einen Widerruf ausreicht.

Bezug genommen wird dabei auf die EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Asylverfahrens (die „Qualifizierungsrichtlinie“ aus dem Jahr 2004), die eine solche Interpretation zulasse. Unabhängig davon, dass diese EU-Richtlinie in der Bundesrepublik noch gar nicht in Kraft ist, wird hier im Namen der harten „Terrorismusbekämpfung“ an den formalen Grundsätzen des deutschen Asylrechts gerüttelt. Der Grundsatz, dass allen politisch Verfolgten, denen in ihrem Heimatland willkürliche Verfahren, Folter oder Gefahr für ihr Leben drohen, Asyl zusteht, wurde bisher nur dann relativiert, wenn von dem Flüchtling eine „begründete aktuelle Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik“ ausgehe.

Nun aber werden auch vergangene Handlungen, Einstellungen oder Mitgliedschaften des Flüchtlings - sogar unabhängig von jeder aktuellen „Sicherheitsüberprüfung“ zu einem Widerrufsgrund. Damit findet nicht einmal mehr eine Abwägung mit „legitimen Sicherheitsbedürfnissen“ mehr statt, sondern die Substanz des Grundrechts auf Asyl selbst wird relativiert: Der Terrorismusvorbehalt wird zu einem generellen Ausschlussgrund vom Grundrecht auf Asyl, eine Prüfung der aktuellen Verfolgungssituation des Flüchtlings wird dem untergeordnet.

Dies ist eine eindeutige Umkehrung der durch die Genfer Flüchtlingskonvention (der auch die BRD beigetreten ist) bestimmten Praxis. Nach dem Motto „Einmal als Terrorist beschuldigt - immer Terrorist“ wird mithilfe der Universalwaffe des Terrorismus-Vorwurfs jede Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingsschicksal überflüssig.

Aufgrund paralleler Formulierungen im Aufenthaltsgesetz, könnte diese Rechtsposition auch unmittelbare Auswirkungen auf die Ausschlussgründe für Abschiebungen haben - also tausende ehemalige PKK-AnhängerInnen mit Asylentzug und Abschiebung in die Türkei bedrohen.

Dieses Urteil ist kein Versehen. Es spricht vielmehr dafür, dass es sich hierbei um die Richtung handelt, die das Innenministerium im Rahmen der vom EU-Ministerrat geforderten Harmonisierung des Asylrechts in einer neuerlichen Änderung der Zuwanderungsgesetze geben will.

Das Einzelschicksal

Dursun Ali Kücük war wegen seiner Mitgliedschaft in einer Vorläuferorganisation der PKK 16 Jahre in der Türkei in Haft. Dabei war er mehrfach Folterungen und Isolationshaft ausgesetzt, verbrachte sogar einige Zeit in der Todeszelle. Als ihm 1994 die Flucht in die Bundesrepublik gelang, war es daher selbstverständlich, dass er sofort politisches Asyl erhielt.

Später wurde Ali Kücük vorgeworfen, als „führendes Mitglied“ der PKK in Deutschland, die Verantwortung für „terroristische Aktionen“, insbesondere Brandanschläge auf türkische Einrichtungen (mit Sachschäden) zu tragen. Dieser Vorwurf wurde jedoch nie gerichtlich bewiesen, da ein Verfahren gar nicht zustande kam. Ali Kücük hielt sich zum Zeitpunkt der Ermittlungen bereits im Nord-Irak auf.

Er war überdies in der PKK vor allem als Theoretiker und Journalist bekannt. Ali Kücük war an den Auseinandersetzungen um die Neubestimmung des politischen Kurses der PKK beteiligt, die insbesondere nach der Verhaftung von Abdullah Öcalan ausbrachen. Mit anderen bekannten Aktivisten (z.B. Osman Öcalan, Kani Yilmaz) schloss er sich dem Flügel an, der eine Abkehr vom bewaffneten Kampf und die Möglichkeit eines kurdischen Staates durch Verhandlungen mit dem US-Imperialismus vertritt.

Nachdem diese Opposition von Abdullah Öcalan als „Abtrünnige“ gebrandmarkt wurde und die Kongra Gel ab 2004 wieder zu bewaffneten Aktionen überging (ohne ihre Illusionen in die positive Wirkung der US-Intervention im Irak auf die kurdische Frage aufzugeben), kam es zur Spaltung.

Auch wenn wir die pro-imperialistischer Politik des Yilmaz/Osman-Öcalan-Flügels ablehnen, so verurteilen wir doch diese stalinistischen Methoden der Fraktionsauseinandersetzung gegen Leute, die auch heute noch unter Einsatz ihres Lebens gegen die nationale Unterdrückung des kurdischen Volkes kämpfen.

Ali Kücük trennte sich bereits 2003 klar ersichtlich von der PKK. Die Situation der PKK-Oppositionellen im Nord-Irak wurde inzwischen gefährlich.

Zusammen mit anderen floh Ali Kücük über das Zagros-Gebirge nach Armenien und später nach Georgien. Er versuchte, Anfang 2005 nach Deutschland einzureisen, wo er ja meinte, Asyl zu besitzen. Im Februar 2005 verhaftete man ihn dann auf dem Flughafen Tiflis wegen gefälschter Reisedokumente. Später wurde er aufgrund dieses Vergehens zu einer völlig unverhältnismäßigen Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt, von der er nunmehr fast ein Jahr abgesessen hat.

Die Haftbedingungen in Georgien sind für jemand, der keine Verwandten zur Unterstützung von außen hat, schwer zu überleben. Aufgrund von Unterernährung, schlechter Hygiene und Kälte ist Ali Kücük inzwischen schwer erkrankt. Auch seine Tuberkulose wird kaum behandelt. Dazu kommen Schikanen von Mitgefangenen, die von ihm Geld erpressen wollen.

Sein Leben ist also inzwischen mehrfach bedroht: durch die Türkei (die bereits mehrfach Auslieferungsanträge an Georgien gestellt hat), durch fraktionelle Fehden in der PKK und durch die Haftbedingungen in Georgien.

Wahrscheinlich ist es nur der UN-Flüchtlingskommission UNHCR und örtlicher georgischer Menschenrechtsorganisationen zu danken, dass Ali Kücük heute überhaupt noch lebt. Die UNHCR hat Mitte letzten Jahres seinen Flüchtlingsstatus bestätigt und so eine Abschiebung in die Türkei verhindert.

Präzedenzfall Kücük

Als Ali Kücük Anfang 2005 in Georgien verhaftet worden war, beantragte seine deutsche Anwältin für ihn gültige Reisedokumente, um ihm - als vermeintlich anerkanntem Asylberechtigten - die Wiedereinreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen. Dabei stellte sich heraus, dass ein Ermittlungsverfahren des BKA gegen Kücük Ende 2003 zum Widerruf der Asylanerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geführt hatte.

Dieser Widerruf gründet sich einzig auf die schon erwähnte Behauptung, Kücük hätte als führendes Mitglied der deutschen PKK-Gliederung Brandanschläge auf türkische Einrichtungen zu verantworten. Dies sind also die „Handlungen, die den Prinzipien der Vereinten Nationen widersprechen“, die Kücük konkret vorgeworfen werden. Diese Vorwürfe wurden niemals gerichtlich überprüft, noch wurde seine „führende Position“ bewiesen - ganz abgesehen davon, dass ihm selbst gar kein konkreter Tatbeitrag vorgeworfen wurde.

Die Anwältin legte aufgrund der mangelhaften Begründung des Widerrufs und der Tatsache, dass sich Kücük nicht nur längst von der PKK abgewandt hatte sondern sogar von ihr bedroht wird, Berufung beim zuständigen Verwaltungsgericht in Ansbach ein (zuständig, da sich das Bundesamt in Nürnberg befindet, und der Bescheid ja nicht zustellbar gewesen war).

Diese Berufung wurde nun im Urteil vom 6.2.06 abgewiesen. Das Urteil bezieht sich auf die Vorfälle nach dem Zeitpunkt der Asylgewährung (was inzwischen rechtlich möglich ist), geht also mit „hinreichender Gewissheit“ davon aus, dass Kücük Mitte der 90er-Jahre „als führender Kopf in einer terroristischen Vereinigung (PKK) tätig“, und für besagte Taten verantwortlich war, die den „Zielen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“.

Dass sich Kücük schon 2003 von der PKK abgewandt hat, spiele keine Rolle, da es auch ausreichend sei, wenn der Flüchtling in der Vergangenheit an solchen Taten beteiligt war. Dies widerspricht allen bisherigen Urteilen in ähnlichen Fällen, bei denen es letztlich auf die aktuelle Sicherheitseinschätzung ankam (was im vorliegenden Urteil auch zugegeben wird) - als einzige Begründung wird auf die schon erwähnte (noch nicht in Kraft getretene) EU-Richtlinie Bezug genommen!

Es ergibt sich der Eindruck, dass hier erneut ein Fall aus dem PKK-Umfeld verwendet wird, um das Asylrecht weiter einzuschränken - wohlgemerkt bei einer Anerkennungsquote von nur 0,6% von nur gerade noch 28.000 zugelassenen AntragsstellerInnen im letzten Jahr! Bereits seit Ende der 80er Jahre wurden vornehmlich PKK-Fälle verwendet, um den Terrorismusvorbehalt immer weitergehender gegen das Grundrecht auf Asyl auszulegen.

Mit dem allgemeinen „Kampf gegen den Terrorismus“ scheinen nun alle Hemmungen zu fallen. Der Fall Kücük kommt hier offenbar sehr gelegen: Beim Asylwiderruf von „PKK-Terroristen“ kennen sich Justiz und Behörden aus, es gibt wenig Lobby und öffentliche Sympathie für „solche Leute“ und der Flüchtling hat hier nicht einmal eine starke Organisation hinter sich. Er ist im Gegenteil von seinen alten politischen Freunden isoliert.

Hier wird also in zynischer Weise ein politischer Flüchtling - dessen Status klarer gar nicht sein könnte - als Exempel für Asylrechtsabbau benutzt.

Das extrem bedrohte Leben des Flüchtlings spielt offensichtlich keine Rolle. Wie um dies zu bestätigen, wurde nun vom Bundesamt auch ein Widerrufverfahren gegen die in Deutschland lebende Frau Kücüks eingeleitet, die weder Mitglied der PKK noch in der BRD überhaupt politisch aktiv war. Da den Behörden der Antrag auf Familienasyl für Kücük vorlag, wollte das Bundesamt wohl demonstrieren: Wir machen alles, um zu verhindern, dass Du rein kommst! Die Bundesrepublik braucht Kücük als Fallbeispiel für eine Gesetzesverschärfung - ansonsten soll er doch in seinem georgischen Drecksloch verrecken!

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Nr. 109, April 2006

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