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Bautzen

Der rassistische Mob wütet

Tobi Hansen, Infomail 904, 18. September 2016

Wiederholt kam es diese Woche zu rassistischen gewalttätigen Ausschreitungen gegen Geflüchtete in Bautzen rund um den Kornmarkt, einen innerstädtischen Platz. Die bürgerlichen Medien, allen voran das Boulevard, sind sich inzwischen einig: die Gewalt ging von den Geflüchteten aus; diese hätten Flaschen und Steine in Richtung der Nazis geworfen. Die meisten Medien richten ihre Aufmerksamkeit auf die „Rädelsführer“ der Geflüchteten und eben nicht auf die FaschistInnen und den rassistischen Mob.

Dass die Polizei, die Staatsmacht auf dem rechten Auge blind ist, gehört zu den Binsenwahrheiten des antifaschistischen und antirassistischen Kampfes. Das zeigt auch die Darstellung der Nazis durch die Polizei Bautzen. Der dortige Chef Kiez sprach davon, dass die Rechten per Facebook aufgerufen hätten, der Geflüchteten „habhaft zu werden“. Sie wären „eventorientiert“ und hätten alkoholisiert „fremdenfeindliche“ Parolen gerufen. Solche Leute nennt man gemeinhin Nazis, rassistische SchlägerInnen, Rechtsextreme – außer man will bewusst zur Verharmlosung beitragen. Genau das tut (nicht nur) die Polizei. Versammlungen, welche offen zur Gewalt gegen Geflüchtete aufrufen, welche Pogromstimmung verbreiten wollen, die zur Hatz auf „Fremde“ aufrufen, gelten als „eventorientiert“. Mal sehen, ob das bei anderen Demos von Hogesa, den Identitären, Pegida/Legida auch zum offiziellen Sprachgebrauch wird.

Fakt bleibt, dass sich mehr als 80 gewaltbereite Nazis angetrunken versammelt haben, um „ihren“ Kornmarkt von den Geflüchteten zu „säubern“. Das ist die Realität in Bautzen.

Reaktion von Polizei und Staat

Als Reaktion wurden Geflüchtete festgenommen. Die sog. Rädelsführer, denen vorgeworfen wird, dass sie zur Selbstverteidigung aufgerufen oder diese organisiert hätten, werden jetzt in andere Unterkünfte verlegt. Ein Geflüchteter wurde durch Schnittwunden verletzt. Seine Behandlung durch einen Notarzt wurde vom rassistischen Mob behindert. Dementsprechend können wir davon ausgehen, dass „eventorientierte“ RassistInnen wohl bewaffnet dem Aufruf zum Kornmarkt folgten oder dass diese Klientel zumindest auf weiterreichende Gewalt eingerichtet war. Auf Seite der RassistInnen gab es anscheinend keine Festnahmen oder Platzverweise. Zumindest die Presse verweist hierbei nur auf die Geflüchteten.

Sachsen ist bereits mehrmals in die Schlagzeilen geraten, wenn es darum geht, dass der rassistische Mob mobilisiert und relativ unangetastet von der „Staatsmacht“ aktiv ist. In Bautzen wurde im Februar eine geplante Asylunterkunft abgefackelt. Die johlenden RassistInnen vor Ort behinderten den Einsatz der Feuerwehr. In Freital und Heidenau lieferten sich Nazis und „besorgte“ BürgerInnen mehrere Tage Auseinandersetzungen mit der Polizei. Hier waren jeweils mehrere hundert gewaltbereite RassistInnen unterwegs. Aus Glücksstadt ist vielleicht noch die Szene in Erinnerung, als RassistInnen einen ankommenden Bus von Geflüchteten mit Steinen attackierten und dann die Polizei Minderjährige im „Schwitzkasten“ aus dem Fahrzeug führte und vor allem Gewalt gegen die Geflüchteten im Bus walten ließ, aber nichts gegen die gewaltbereiten RassistInnen tat.

Genau so wird jetzt auch in Bautzen vorgegangen. Gegen die Geflüchteten wurde eine Ausgangssperre verhängt. Diese dürfen weder ihre Unterkunft nach 19 Uhr verlassen noch zu dieser Zeit unterwegs sein. Hier kommt die Polizei also den Interessen der Nazis vom Kornmarkt entgegen, welche den Platz schließlich für sich haben wollten. Darüber hinaus wurde ein Alkoholverbot in der Asylunterkunft verhängt – für „deutsche“ MitbürgerInnen auf dem Kornmarkt gilt das natürlich nicht. Sicherlich ist Alkohol eher ein schlechter „Begleiter“, wenn es um physische Auseinandersetzungen geht. Dieser kann die Wahrnehmung einschränken und je nach konsumierter Menge hindert er auch die Koordination. Medien und Polizei versuchen zum einen den Geflüchteten die Rolle des Angreifers unterzuschieben, wie sie auch diese als alkoholisiert darstellen – über die Gefahr, die von besoffenen deutschen Nazis ausgeht, finden wir wenig in der Berichterstattung.

So dürfen jetzt 30 geflüchtete Jugendliche keinen Alkohol mehr trinken. Ob das die rassistische Gewalt stoppt, können weder die Polizei noch das sächsische Innenministerium beantworten. Was sie aber erreicht haben, ist, dass somit auch die „Schuldfrage“ wieder in Richtung der Geflüchteten beantwortet wurde.

Wo es nur geht, werden die Ereignisse von Bautzen politisch verharmlost. Von einer „Pogromstimmung“ wollen weder Polizei noch politisch Verantwortliche wissen. Auch wenn der rechte Mob nicht so recht ins Bild des „weltoffenen“ Deutschland passen mag, so sind die Geflüchteten mindestens ebenso schuld. Das findet nicht nur das Boulevard. Auch die „seriöse“ bürgerliche Presse wie die FAZ weist im Kommentar „Bautzener Exzesse“ vom 15. September darauf hin, dass auch die Geflüchteten aus Kulturen kämen, die „nicht gerade für die Deeskalation stehen“.

Vor allem aber würden Linksradikale deren Aktionen anstacheln: „Entsprechende politische Aktionen in Berlin und München zeigen, dass Linksradikale das Feld schon seit Jahren für sich entdeckt haben und Migranten benutzen, um zu zeigen, was sie schon immer wussten: Dass Deutschland ein Nest der Rechtsradikalität, der Repression und der Menschenverachtung sei. Auch dieses Schüren kann buchstäblich Feuer entfachen. Orte wie Frankfurt, Berlin, Hamburg und Leipzig haben damit reichlich Erfahrung sammeln dürfen.“ (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kommentar-zu-fremdenfeindlichkeit-bautzener-exzesse-14437305.html)

Würden die Linksradikalen die Geflüchteten nicht anstacheln, sich zu wehren, gebe es keine Probleme und keine NetzbeschmutzerInnen und der Ruf des Landes wäre gleich besser, so die Logik der FAZ. Nicht der Rassismus ist für solche „Kommentatoren“ das Problem, sondern dass er angeprangert wird und dass Linksradikale auf die Idee kommen, die Geflüchteten zu ermuntern, sich zu wehren.

Organisierte Selbstverteidigung

Die antirassistische Bewegung, die zahlreichen SupporterInnen, die Gewerkschaften, die Parteien und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, die „radikalen“ und sozialistischen Akteure müssen jetzt vollste Solidarität mit den Geflüchteten in Bautzen zeigen, sich gegen die Ausgangssperre und das Alkoholverbot aussprechen und für das Recht der Geflüchteten auf Selbstverteidigung eintreten. Nicht die Geflüchteten müssen bestraft, sondern unterstützt werden, sich gegen den staatlichen Rassismus und die schlagenden HelfershelferInnen auf der Straße zu wehren!

Die Vorgänge in Bautzen zeigen auch, dass alle Appelle an die „Demokratie“, an „Humanismus, Toleranz“ und vor allem an die Polizei Schall und Rauch sind, wenn es darum geht, sich gegen Nazis zu verteidigen. Wer sich auf diese verlässt, ist verlassen. Einen organisierten Schutz gemeinsam mit den Geflüchteten aufzubauen – das ist eine Aufgabe aller Linken und aller ArbeiterInnenorganisationen. Wer sich jetzt nicht dem braunen Mob entgegenstellt, wird auch in Zukunft sich nicht wehren können, wenn die Nazis gegen Linke und ArbeiterInnenorganisationen vorgehen.

Wir brauchen keine Appelle an die Polizei und den sog. Rechtsstaat oder andere inhaltsleere Forderungen, wir müssen hier und jetzt die antirassistische Bewegung in die Lage versetzen, den Geflüchteten und uns Selbstschutz zu gewährleisten. Dies ist eine notwendige aktuelle Aufgabe.

Vielen dürfte die Parole „Wehret den Anfängen“ ein Begriff sein – die Lage in Bautzen ist einer dieser wiederholten Anfänge.

- Selbstverteidigung ist kein Verbrechen - nein zu jeder Kriminalisierung der Geflüchteten!

- Weg mit der Ausgangssperre in Bautzen und allen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit!

- Keine Zwangsverlegung der Geflüchteten! Freie Wahl des Wohnortes!

- Alle Geflüchteten haben das Recht auf Selbstverteidigung! Aufbau von Selbstschutz und Verteidigungsstrukturen aus Geflüchteten, Gewerkschaften, Linken, SupporterInnen gegen den rassistischen Mob!

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