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Landtagswahlprogramm der Berliner LInkspartei

Eine notwendige Kritik

ArbeiterInnenmacht-Flugblatt, Infomail 902, 12. September 2016

Unser Plan für ein soziales und ökologisches Berlin“ lautet das Wahlprogramm zur Berliner Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Auf über 90 Seiten stellt DIE LINKE z. T. äußerst detaillierte Forderungen auf, darunter auch viele richtige. Doch die Fragen beginnen schon bei der Analyse der Ausgangslage.

Kein Wort davon, dass wir uns seit 2007 in einer historischen Krisensituation befinden, die zu immer brutaleren neoliberalen Angriffen auf die Lohnabhängigen führt, ja ganze Staaten in den Abgrund reißt. Dieses Schweigen über die internationalen Zusammenhänge macht ja gerade die AfD erst stark, überlässt ihr das Monopol an „Establishmentkritik“.

Berlin der Linken - EIN Wolkenkuckucksheim

Bunt, vielfältig und innovativ ist Berlin, so erfahren wir. Soziale Ungerechtigkeiten gibt es hier auch. Dagegen will sich DIE LINKE zusammen mit den BürgerInnen für ein solidarisches und soziales Miteinander einsetzen. Miteinander - mit wem?

DIE LINKE bringt es in ihrem Wahlprogramm fertig, sich über Klassengesellschaft und Kapitalismus gänzlich auszuschweigen. Das Wort „Sozialismus“ fällt kein einziges Mal. Dass Berlin nicht „noch viel schöner“ ist, das soll daran liegen, dass der Senat die „vorhandenen Spielräume“ nicht für Investitionen und mehr Beschäftigung nutzt.

Anscheinend zieht nicht das Großkapital zu seinem „Sanierungszweck“, der Wiederherstellung von Profitabilität, die Fäden, an denen die Senatsmarionette hängt, sondern umgekehrt. Verkehrte Welt!

DIE LINKE brüstet sich damit, dass der Sparkurs von Rot-Rot zwischen 2002 und 2011 erst finanzielle Spielräume geschaffen habe. Doch die Landes- und Kommunalschuld stieg seitdem um 20 Mrd. Euro auf über 60 Mrd. Euro, das Dreifache des Haushalts. Trotz Privatisierungsverkäufen, Entlassungen und Lohneinbußen im Öffentlichen Dienst, des Ausstiegs aus der Ländertarifgemeinschaft steht der Schuldendienst um weit mehr als das Doppelte über dem Haushaltsüberschuss von einigen Hundert Millionen bei 2 Mrd. Euro! DIE LINKE weist darauf hin, dass ab 2020 zudem die Schuldenbremse wirke.

Wie so oft im Wahlprogramm, wenn ihren lauteren Absichten Bundesgesetze im Wege stehen, verspricht die Linkspartei, sich im Bund für deren Abschaffung oder Milderung einzusetzen. Bis 2020? Wie denn, wenn sie nicht einmal die Kapitalistenklasse dafür verantwortlich macht, dass die finanziellen Reformvoraussetzungen heute noch viel düsterer aussehen als 2002? Die Partei scheint bei den WählerInnen bereits dafür vorzubauen, dass sie an der Landesregierung den Kurs der Verarmung großer Bevölkerungsteile weiter fahren muss, wenn sie dem Großkapital nicht in die Taschen greifen, wenn sie die friedliche Sozialpartnerschaft mit diesem nicht aufkündigen will.

Gebremster Sozialschaum

Eines ist also jetzt schon klar: das Reformprogramm kann sich DIE LINKE nur erlauben unter Finanzierungsvorbehalt, es ist von der Gnade der Superreichen abhängig. Tsipras kann ein Lied davon singen, was das heißt. Die Programmforderungen kommen wie ein Wunschzettel daher. Außer im Fall des Mindestlohns (12,50 Euro ab 2017) werden keine Zahlen genannt, wird höchstens auf gewerkschaftliche Vorstellungen verwiesen oder werden Floskeln wie „armutsfest“, „sozial“, „gerecht“ aufs Papier gezaubert.

Außer dass DIE LINKE in Regierung und Opposition, also auf parlamentarischem Parkett, dafür auf- und eintritt, wird nicht erwähnt, wer wie dafür streiten soll. So wie der kapitalistische Gegner nicht benannt wird, so auch nicht das Gegenmittel: der proletarische Klassenkampf! Keine Rede von Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen, keine Finanzierung durch progressive Besteuerung, Konfiskation der Vermögen und Enteignung der Betriebe der Reichen, von Annullierung der Staatsschuld beim Finanzkapital, geschweige denn von Organen der ArbeiterInnenkontrolle!

Wer keine Klassen kennt wie DIE LINKE, sondern nur besorgte BürgerInnen, den bürgerlichen Staat und seine Organe wie Parlament, Verwaltung, Polizei und Justiz, der kann auch nur auf neue Gesetze vertrösten bzw. existierende mittels Partizipation der sog. Zivilgesellschaft besser wirken zu lassen hoffen. Aus Armutsbekämpfung wird so ein Armutsbekämpfungsgesetz, aus der organisierten ArbeiterInnenschaft die amorphe Zivilgesellschaft, aus Gegenmacht der Volksentscheid. Wenn alles nichts hilft, werden soziale Mindestforderungen gleich in den Rang von unveräußerlichen Menschenrechten erhoben - einzuklagen beim Landesmenschengericht? Die Geprellten haben zudem den Trost, per Bürgerbeteiligungsverfahren den Verwaltungen wichtige Tipps zu geben, wo wie viel auf wessen Kosten eingespart werden kann. Die Herrschenden sind ja automatisch außen vor.

Der Öffentliche Beschäftigungssektor (ÖBS), ein Kernpunkt der zweiten Wahlperiode des rot-roten Senats wie der jetzigen Wahlplattform, führte zur Einstellung mehrerer Tausend Langzeiterwerbsloser mit Bundes- und Landesgeldern. Das führte einerseits zu weiterer Staatsverschuldung, denn diese neokeynesianische Haushaltspolitik griff natürlich nicht zwecks Finanzierung die Unternehmerprofite an! Wo kämen wir denn da hin - siehe oben? Andererseits erfolgten die Einstellungen befristet, zu untertariflichen Bedingungen für 1300 Euro monatlich und außerdem ohne Arbeitslosenversicherung. Drittens wirkten ÖBS und Mindestlohn wie Feigenblätter, wenn man berücksichtigt, dass der Senat bis zu 12 % der Gehälter im ÖD kürzte und dort 25000 Stellen strich, aus dem Flächentarifvertrag ausstieg und die Ausgründung zahlreicher tariffreier Tochtergesellschaften der öffentlichen Betriebe zu verantworten hatte.

In der Wohnungspolitik möchte DIE LINKE soziale Wohnraumförderung mittels der verbliebenen (noch) öffentlichen, der genossenschaftlichen Unternehmen und sozial orientierter (!?) privater Baugemeinschaften und Bauträger betreiben. Der Grund- und Bodenmarkt soll reguliert werden, die Bodenverteilung gerecht erfolgen und durch aktive Vorratspolitik dem Ausverkauf des „Gemeineigentums“ Boden und der Bodenspekulation entgegengetreten werden. Es war aber Rot-Rot, das massenhaft städtisches Wohneigentum privatisiert und die Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau beendet hat. Es war Rot-Rot, das mittels „Bankenabschirmungsgesetz“ die Vermögen der FondseignerInnen der Schrottimmobilien bei der Berliner Landesbank vor ca. 15 Jahren gerettet hat, für die das Land mit 21,6 Mrd. Euro haftete. Dieser aus heutiger Sicht „kleine“ Vorläufer der aktuellen Bankenskandale kostete Berlin laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen 6 und 15 Mrd. Euro. Und jetzt soll der viel höher als damals verschuldete Stadtstaat die Krise bezahlbaren Wohnraums ernsthaft bewältigen? Und das soll er auch noch reißen, ohne Grund und Boden zu kommunalisieren? Wie sollen denn sonst Bodenspekulation und Maklerunwesen ausgerottet werden? Etwa dadurch, dass die Stadt sich weiter verschuldet, um Boden „auf Vorrat“ zu kaufen?

Gegen Rassismus - mit mehr Polizei?

In der Frage der Flüchtlingspolitik setzt die Partei auf Abschiebestopp, Abschaffung aller Sondergesetze zu Lasten der Flüchtlinge, Arbeits- und Wohnintegration sowie Willkommenskultur. Dies sind alles richtige Forderungen. Doch wie steht es mit vollen staatsbürgerlichen Rechten, wie mit offenen Grenzen (auch für ArbeitsmigrantInnen)? Wir lesen stattdessen etwas von einer Willkommenskultur. Diese soll auch gut gegen Rassismus sein. Ihr Träger sei eine „starke Zivilgesellschaft“. Den Alltagsrassismus will die Partei „aufzeigen“, den Nazis auch auf der Straße entgegentreten. Gilt letzteres auch für Mobilisierungen von AfD, Pegida & Co.? Ausgerechnet die Polizei soll Flüchtlingsunterkünfte vor Angriffen und Bedrohungen schützen.

Dafür soll sie zivilgesellschaftliche Proteste gegen Rassismus nicht behindern. So wird die durch und durch rassistische Institution Polizei, eine Säule der gewaltsamen Unterdrückungsmaschine der herrschenden Kapitalistenklasse, „demokratisch“ reingewaschen! Es ist ein Skandal, dass DIE LINKE die Arbeitsbedingungen dieses bewaffneten Arms der Klassenherrschaft verbessern will, ihn demokratisieren zu können vorgibt und für mehr Einstellungen von PolizistInnen eintritt.

Wählt DIE LINKE - aber testet sie im Klassenkampf!

Unsere Wahlunterstützung für DIE LINKE erfolgt also nicht wegen, sondern trotz ihres Programms! Nichtsdestoweniger, sie ist eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei wie die SPD. Noch im Unterschied zu dieser organisiert sie die klassenbewusstesten Elemente und wird von ihnen gewählt. Massenhaft zeigte sich das ab 2003, als Hunderttausend gegen die Hartz-Gesetze von Rot-Grün auf die Straße gingen. Auch bei den jetzigen antirassistischen Mobilisierungen sind die Linkspartei und ihre Anhängerschaft noch aktiver und zahlreicher vertreten als die SozialdemokratInnen.

Wir wollen gemeinsam mit den fortschrittlichsten Teilen der ArbeiterInnenklasse, GewerkschafterInnen, aktiven in den sozialen Bewegungen die Linkspartei gegen die offen bürgerlichen Parteien und gegen die AfD stärken.

Aber: Vertrauen reicht nicht, Kontrolle ist besser! Lasst uns gemeinsam testen, was ihre Worte und Taten wert sind! Das geht am besten, wenn wir uns aktiv in den Betrieben, Schulen, Universitäten, auf den Straßen, bei den Arbeitslosenorganisationen und in den Gewerkschaften organisieren und DIE LINKE zu Aktionen für ihre fortschrittlichen Forderungen aufrufen.

Wir warnen aber vor dem Verrat selbst an ihren geringfügigsten Zielen, rufen dazu auf, Kontroll- und Kampfausschüsse zu bilden, die für diesen Fall ohne und gegen die Partei den Kampf um die gerechtfertigten Ziele weiterführen können. Wir sind gegen eine Koalition mit offen bürgerlichen Parteien, auch mit den GRÜNEN. Wir sind auch gegen Koalitionen um jeden Preis. DIE LINKE sollte vielmehr der SPD erklären, dass sie zur Bildung einer Koalition bereit wäre, wenn sie den Kampf gegen die Abwälzung der Lasten der kapitalistischen Krise auf die ArbeiterInnenklasse aufnimmt und für die unmittelbaren fortschrittlichen Programmforderungen eintritt wie z. B.

Streichung der kommunalen Schulden! Entschädigungslose Wiederverstaatlichung aller privatisierten Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle!

Ausbau des sozialen Wohnungsbaus unter Kontrolle von Gewerkschaften und VertreterInnen der MieterInnen - finanziert durch Besteuerung der Reichen und Unternehmensgewinne!

Keine Abschiebungen, Wohnraum und Recht auf Arbeit für alle Geflüchteten! Kontrolle, Verwaltung und Schutz von Unterkünften durch die Geflüchteten selbst!

Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Gewerkschaften zur Verbesserung der Infrastruktur, sozialen und Jugendeinrichtungen!

Mindestlohn von 12,50 Euro im Öffentlichen Dienst in Berlin, keine Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Unternehmen, die unter Tarif zahlen.

Entweder wird die Regierung zu weiteren Schritten gegen das Kapital getrieben, als ihr lieb ist - oder aber die klassenbewusstesten kämpferischen Schichten der ArbeiterInnenschaft, die heute noch Illusionen in die Linkspartei haben, werden vor die Notwendigkeit eines politischen und organisatorischen Bruchs mit dem Reformismus gestellt.

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