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Bericht über die Kundgebung kurdischer Gruppen am 3. September in Köln

Weder Militärputsch noch Präsidialdiktatur!

Nina Berger, Infomail 901, 6. September 2016

Mehr als 30000 KurdInnen aus dem gesamten Bundesgebiet, den Niederlanden, Belgien, Frankreich und der Schweiz hatten sich am 3. September am Kölner Rheinufer zusammengefunden, um gegen den Bürgerkrieg Erdogans in den kurdischen Gebieten der Türkei, gegen den militärischen Einmarsch in Syrien und den Angriff auf die autonomen Kantone Rojavas zu demonstrieren. Gleichzeitig richtete sich die Kundgebung auch gegen die anhaltenden Repressionen des deutschen Staates gegen politisch aktive KurdInnen (wie am Tag zuvor in Grevenbroich) sowie gegen das PKK-Verbot und forderte die Freilassung Abdullah Öcalans.

Repression

Nachdem diese als Kulturfest konzipierte Veranstaltung von der Stadt Köln sabotiert, alternativ eine Demonstration wegen „nicht zu gewährleistender Sicherheit“ verboten worden war, meldete NAV-DEM kurzum eine Kundgebung an der Deutzer Werft an. Selbst das versetzte die Verantwortlichen der Stadt Köln offensichtlich dermaßen in Panik, dass sie nahezu ihr Komplettangebot an Repressionskräften aufmarschieren ließen. Das massive Aufgebot an Wasserwerfern, Räumpanzern, Scharfschützen, berittener und behelmter Polizei gab einen Eindruck davon, was man sich hier vom Zusammentreffen der KurdInnen erwartete. Zudem wurden Drohungen und Verbote, wie etwa einer Liveschaltung in kurdische Gebiete, ausgesprochen; im Zelt der Technik war über die komplette Veranstaltung Polizeipräsenz, um bei einem Verstoß sofort den Stecker zu ziehen.

Dabei war das Bild der Kundgebung selbst geprägt durch ein Meer von Öcalan-, YPG/YPJ- und anderen Kurdistanflaggen, die über der farbenfrohen Menschenmenge unter strahlender Sonne im blauen Himmel wehten. Weiter mit Fahnen und/ oder Infoständen vertreten waren neben ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION die MLKP, die MLPD, ein Stand von Linkspartei und Solid, SAV und DIDF, außerdem diverse Kurdistan-Soli-Gruppen. Sonst gab es viele Stände mit kurdischer Kleidung, Literatur, Musik und Essen.

Das Kulturprogramm wurde von vielen genutzt, um zu tanzen, zu essen, FreundInnen zu treffen oder einfach nur das wunderschöne Wetter zu genießen.

Kundgebung

Als zentrale Redner traten Salih Muslim, der Co-Vorsitzende der syrischen PYD, Selahattin Demirtas, der Co-Vorsitzende der HDP, Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Linkspartei, und ein Vertreter der britischen Gewerkschaften auf.

Salih Muslim machte klar: Die KurdInnen hätten sich in den letzten Jahren zurückgehalten und auf den Kampf gegen die Terrormiliz IS beschränkt. Diese Zurückhaltung sei aber mit dem Einmarsch der Türkei in Syrien vorbei, die türkische Führung könne sich auf eine Niederlage vorbereiten. Das politische System im Nahen und Mittleren Osten müsse umgeworfen werden, um Demokratie und Menschenrechte für alle Völker aufzubauen. Muslim stellte klar, es gäbe keinen Zorn auf das türkische Volk. Seine Rede wurde an vielen Stellen von „Öcalan“- und „Rojava“-Rufen unterbrochen.

Selahattin Demirtas kritisierte vor allem die türkische Politik Erdogans. Die Türkei sei noch immer der wichtigste Unterstützer des IS, dies beweise auch die derzeitige Offensive der türkischen Armee in Syrien. Er betonte weiter, dass der Kampf der KurdInnen in Syrien auch ein Kampf für die Sicherheit Deutschlands sei. Die KurdInnen in Syrien seien bisher die einzigen, die den Islamismus im Mittleren Osten entschieden bekämpften. Demirtas kündigte einen Hungerstreik an, bis die KurdInnen ein Lebenszeichen des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan erhielten.

Auch der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte die Freilassung von Öcalan, um diesen „für Verhandlungen einzusetzen“. Was und mit wem jedoch verhandelt werden soll, blieb im Unklaren. Riexinger rief außerdem zur Aufhebung des Verbots der PKK auf.

Kritik

Alle politischen Reden klagten die zynische und verlogene Haltung der imperialistischen Mächte gegenüber dem kurdischen Volk an. Die USA missbrauchen es für ihre Zwecke in Syrien als Verbündeter – und lassen zugleich die Türkei gewähren. Russland ist ohnedies auf Seiten des Assad-Regimes – und sucht einen Ausgleich mit Ankara. Die EU will vor allem die Grenzen dicht machen – dafür lässt man Erdogan gegen die KurdInnen nicht nur freie Hand im eigenen Land, sondern geht auch in Deutschland und der EU entschieden gegen ihre Organisationen vor.

All das macht klar, dass das kurdische Volk in den Überlegungen der imperialistischen Strategen (und bei den diversen Regionalmächten) allenfalls als Unterpfand für die eigenen Interessen eine Rolle spielt. Trotzdem wurden alle RednerInnen nicht müde, an die „Vernunft“ dieser Mächte zu appellieren, Demirta? brachte die KurdInnen gewissermaßen als „Vorposten“ des Westens ins Spiel.

Statt Internationalismus und Klassenkampf wurde ein imaginäres Gemeinschaftsinteresse „aller DemokratInnen“ beschworen, gab es viele Appelle an „die Demokratie“ und „Menschenrechte“. Statt eine Perspektive des gemeinsamen Kampfes der ArbeiterInnen und Bauern zu weisen, den Kampf der KurdInnen mit jenem der fortschrittlichen Kräfte der arabischen Revolution zu verbinden, beschwört man falsche Hoffnungen und biedert sich den westlichen Mächten und der sog. „demokratischen Öffentlichkeit“ an. Die Frage einer politischen wie sozialen Umwälzung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens, einer sozialistischen Revolution, die sich gegen Imperialismus und Kapitalismus wendet, wurde von den RednerInnen nicht aufgeworfen.

Kritik gilt es freilich nicht nur an den RednerInnen anzubringen. Kritisch anzumerken sind die geringe Präsenz der deutschen Linken sowie die Abwesenheit der Gewerkschaften. Dass vor allem innerhalb der kurdischen Gemeinde mobilisiert wurde, hatte sicherlich einen Anteil daran – aber das Versagen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken, sich mit dem kurdischen Volk zu solidarisieren (ohne die notwendige Kritik und Auseinandersetzung mit der Politik ihrer Führung zu unterlassen) ist selbst ein Teil des Problems.

Für die öffentliche Wahrnehmung der Lage in Kurdistan leistete die Veranstaltung jedoch sicherlich einen wichtigen Beitrag. Auch konnte eindrucksvoll gezeigt werden, welches Potenzial die kurdische Bewegung in Deutschland mobilisieren kann, wenn ihre Organisationen dazu aufrufen.

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