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Nazi-Mord-Serie

Rechter Terror, Staats“schutz“ - und organisierte Gegenwehr

Martin Suchanek, Infomail 589, 16. November 2011

Die Festnahme einer Naziterroristin und ihres Komplizen sowie der Selbstmord von zwei weiteren braunen Killern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ haben den Blick der Öffentlichkeit schlagartig auf die mörderische Nazi-Szene gerichtet.

Dabei ist der rechte, militante Terror - von „national befreiten Zonen“ bis zu über 100 Morden, die seit der Wiedervereinigung auf das Konto von Faschisten und Rassisten gehen - natürlich keine Neuentdeckung.

Bezeichnend ist freilich, dass er immer dann ins Blickfeld der Regierung und ihrer parlamentarischen Opposition gerät, wenn ein besonders drastischer Fall auftritt, der „unserem Land“ „Schande“ bereitet.

Dann trauern plötzlich auch die Regierungsmitglieder von Merkel abwärts über die Opfer der Nazis, die vorher nur als „Döner“-Morde firmierten. Oppositionsführer wie Steinmeier, einst selbst für den Verfassungsschutz zuständig, haben plötzlich „Nachfragen“, die sie früher als Staatssekretär oder Minister nicht stellen wollten.

Und wieder einmal soll alles „aufgeklärt“ und ein NPD-Verbot „geprüft“ werden. Sogar die Rolle des Verfassungsschutzes soll „untersucht“ werden - freilich ohne „das Amt“ selbst in Frage zu stellen oder zu „beschädigen“.

Schließlich soll es auch wieder eine Erhöhung staatlicher Etats zur „Prävention“, zur „Aufklärung“, zur „Stärkung der Zivilgesellschaft“ geben, deren Budgets natürlich kein Abgeordneter je gekürzt haben will.

Kapitalismus als Ursache

Bei diesen offiziellen staatlichen Maßnahmen wird letztlich nicht mehr herauskommen als bei allen anderen ähnlichen Kampagnen zuvor: viel medialer Staub. Doch die Nazis werden so nicht bekämpft; ihr Wachstum wird so nicht verhindert.#

Das trifft auch auf ein Verbot der NPD zu. Sicherlich würde das für die Nazi-Partei den Verlust staatlicher Förderung bedeuten. Aber wie das Wachstum von „freien Kameradschaften“ und zahlreichen anderen faschistischen Organisationen zeigt, hat all das zu keinem Niedergang der rechtsradikalen Szene und ihren Gruppierungen geführt.

Der Grund dafür liegt darin, dass die Nazi-Szene aus einem bestimmten Grund wächst: erstens wegen der krisenhaften Verwerfungen des Kapitalismus und des bürgerlichen, demokratischen Systems und zweitens wegen der Schwäche der Arbeiterbewegung und der Linken, eine Massenperspektive des Widerstandes und des Kampfes gegen das System zu weisen.

So hängt das anti-faschistische Engagement, so wichtig und notwendig es ist, gewissermaßen in der Luft, weil die eigentlichen gesellschaftlichen Ursachen nicht oder ganz unzulänglich bekämpft werden.

Verbot der NPD?

Ein zusätzlicher Faktor, gewissermaßen die andere Seite dieser Schwäche, besteht darin, dass nicht nur die reformistischen Parteien, nicht nur SPD und DGB, sondern auch DIE LINKE oder Organisationen wie DKP und MLPD beim Kampf gegen die braune Brut auf den bürgerlichen Staat hoffen. Sie fordern das Verbot der NPD und aller (neo)-nazistischen Organisation und dessen Durchsetzung durch eben jene Abgeordneten, durch eben jene Regierung, durch eben jenen Staat, die Deutschland gerade zur imperialistischen Weltmacht trimmen, die in der EU einen seit Jahrzehnten beispiellosen Angriff auf die Masse der Bevölkerung gerade in Südeuropa vorantreiben. Sie fordern das Verbot von eben jenem Staat ein, dessen Verfassungsschutz tief im brauen Sumpf watet.

Dass das so ist, wurde jetzt zum wiederholten Male deutlich. Bei den „Döner-Morden“ soll ein V-Mann des Verfassungsschutzes, als „kleiner Adolf“ bekannt, an mehreren Tatorten gewesen sein. Diese enge Verquickung von rechter Szene und Verfassungsschutz verweist auch auf die völlige Wirkungslosigkeit des staatlichen „Antifaschismus“. Der aktuelle Fall zeigt auch erneut, dass der Staat beim „Kampf“ gegen die Nazi-Szene eine Kette von - gelinde gesagt - Schlampereien und Missgeschicken ist. So waren die jetzt als Mehrfachmörder enttarnten Rechten den Behörden schon vor Jahren ins Netz gegangen - um wieder laufen gelassen zu werden.

Entscheidend ist jedoch, dass die Kritik am unfassbaren, wenn auch bezeichnenden Agieren des Verfassungsschutzes wie überhaupt des bürgerlichen Staates viel zu kurz greift, wenn sie dabei stehen bleibt, diese nur als „Fehler“ einer unkontrollierten Behörde zu begreifen. Für die herrschende Klasse sind die Neo-Nazis auch eine eiserne Reserve, die im Falle einer weiteren gesellschaftlichen Polarisierung als organisierter, reaktionärer Rammbock, als militante, reaktionäre Bewegung noch gebraucht werden kann. Wo sich heute der Verfassungsschutz mit der Infiltration der rechten Bewegung – einschießlich der bewusst in Kauf genommen Begünstigung ebendieser durch so manche V-Leute - begnügt, kann morgen auch die direkte Kooperation von Teilen des Staatsapparates und der herrschenden Klasse mit den Faschisten gegen Widerstand, gegen MigrantInnen, aber auch gegen streikende Lohnabhängige erwachsen. Daher ist eine Zerschlagung der Nazi-Szene vom bürgerlichen Staat nicht zu erwarten.

Viel sinnvoller wäre es daher, eine Kampagne für die Veröffentlichung aller Unterlagen des Verfassungsschutzes und dessen ersatzlose Abschaffung zu starten.

Die Forderung nach einem Verbot der NPD schürt hingegen nur Illusionen in die nicht vorhandene Fähigkeit und Bereitschaft des bürgerlichen Staates, gegen die Nazis vorzugehen. Sie liefert entgegen ihrer eigenen Absichten auch Argumentations- und Rekrutierungshilfen für die Nazis gegen die Linke, gegen die Arbeiterbewegung, gegen Migrantenorganisationen.

Zu recht werfen wir Linken den Nazis vor, dass ihre mörderischen Ziele im Grund nichts anderes sind als eine radikalisierte, mit einem Blut und Boden-Mythos versehene Variante groß-deutscher reaktionärer imperialistischer Interessen; dass ihr vorgeblicher „Anti-Kapitalismus“ nichts ist als die völkisch-dümmliche Rechtfertigung erzreaktionärer Rassismen einerseits und die Unterordnung des „Volkes“ und „gesunder“, schaffender“, vorzugsweise „deutscher“ Kapitale andererseits.

Wir betonen hingegen, dass das gesamte kapitalistische System überwunden, die Herrschaft der Kapitalistenklasse durch jene des Proletariats ersetzt werden muss, dass die Befreiung nur international sein kann.

Dieser Klassenstandpunkt, dieser Internationalismus ist die Stärke unserer Bewegung, unseres Antifaschismus. Diese würde (und wird) durch das strategische Zusammengehen mit bürgerlichen „Antifaschisten“, durch Verbotsappelle an den bürgerlichen Staat kompromittiert, unglaubhaft. Wie wir gesehen haben, sind Verbote von Nazi-Organisationen nutzlos bei deren Bekämpfung. Ähnlich ineffektiv sind die diversen „Bürgerbündnisse“ gegen die Faschisten, die Illusionen in bürgerliche Kräfte schüren und sich auf symbolische Aktionen wie Meschenketten oder Kerzenabbrennen beschränken.

Alternative Arbeitereinheitsfront

Die Alternative zu diesen Strategien ist der Kampf für die Arbeitereinheitsfront. Die jüngst öffentlich gemachte Mordserie, die Wahlerfolge mancher Nazi-Gruppierungen, v.a. aber deren Fähigkeit, sich in einzelnen Regionen eine Basis in den Kommunen zu schaffen, zeigen, dass wir in der Tat eine breite Mobilisierung - eine Mobilisierung der Arbeiterklasse, der Jugend, der MigrantInnen gegen die braue Brut brauchen.

Ziel muss es dabei sein, den Faschisten durch eine Kombination von militanten Aktionen wie Großdemonstrationen die Grundlagen ihrer Agitations- und Propagandafreiheit zu entziehen und ihre Versammlungen und Aktionen zu verhindern. Das erstreckt sich selbstverständlich nicht nur auf die Straße, dazu gehört auch, den Nazis ihre Räume zu nehmen und ihre Agitation im Stadtteil, im Betrieb, vor Arbeitsagenturen, an den Schulen und Unis zu verhindern.

Dazu ist eine effektive, organisierte, von linken Organisationen, den Gewerkschaften, MigrantInnenvereinigungen, der Antifa und allen anderen, die kämpfen wollen, getragene Selbstschutzorganisation unabdingbar, um sich gegen die Rechten zu verteidigen, ihren Schlägern nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, diese in die Schranken zu weisen.

Eine solche Form des Antifaschismus ist nicht nur tausend Mal wirksamer als alles Hoffen auf staatlichen Schutz oder „gewaltfreien zivilgesellschaftlichen Protest“ abseits der Nazis. Sie ist zugleich auch ein Mittel, den anti-faschistischen Kampf zu nutzen, um die Militanz, das Selbstbewusstsein, das Selbstvertrauen und die Organisiertheit der Jugend, der Linken, der MigrantInnen, der Arbeiterbewegung zu stärken - also ein Schritt zu Formierung jener Kräfte, die der faschistischen Gefahr auch die gesellschaftliche Grundlage entziehen können.

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Nr. 165, Dez. 2011/Jan. 2012
*  Italien und die Eurozone am Abgrund
*  Widerstand: Wohin geht Occupy?
*  CDU-Mindestlohndebatte: Mogelpackung
*  Bildungsstreikbewegung: Bildung in der Krise
*  DIE LINKE: Frauenbefreiung light
*  S21 nach der Volksabstimmung: Die Bewegung braucht eine neu Strategie
*  Berlin S-Bahn-Krise: Das nächste Desaster
*  Öl-Unfall in Brasilien: Tiefes Leck, hohe Profite
*  Syrien: Imperialistische Konkurrenz und revolutionäre Perspektive
*  Pakistan: Repression gegen ArbeiterInnen
*  Kriegsdrohungen: Hände weg vom Iran!
*  Rechter Terror, Staat und Gegenwehr



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