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Trotzki und die Weltrevolution

Richard Brenner, November 2013

Bis 1924 herrschte in der kommunistischen Bewegung die Ansicht, dass der Sieg des Sozialismus in einem Land unmöglich war, erst recht in Ländern, die so isoliert, unterentwickelt und rückständig wie Russland waren. Deutschland war das industriell entwickeltste Land Europas mit der größten, bestorganisierten und mächtigsten Arbeiterbewegung der Welt. Sie ließ auf eine ungeheure Ausbreitung der wirtschaftlichen, politischen und moralischen Stärke der Revolution hoffen.

Ein Sowjetdeutschland hätte ein unzerbrechliches Bündnis mit Russland geschmiedet und die militärische Bedrohung von Seiten des französischen, britischen und des US-Imperialismus massiv eingedämmt. Seine starke Industrie und die riesige Arbeiterklasse würden ein viel rascheres Voranschreiten zum Sozialismus erlaubt haben als dies für Russland allein zu hoffen gewesen wäre. Von Deutschland aus hätte sich die Revolution wie ein Steppenbrand über Westeuropa hin ausgebreitet.

Im Oktober 1923 stürzte Deutschland in eine ausgesprochen revolutionäre Krise. Hyperinflation entwertete die Währung und stiftete völliges Chaos in der Gesellschaft. Die herrschende Klasse war ratlos. Die Kommunistische Partei wuchs. Ihr Einfluss in den Betriebsräten vergrößerte sich täglich. Die Dringlichkeit der Machtübernahme war so klar wie 1917 in Russland.

Um der herrschenden Klasse wieder zum Zuge zu verhelfen, schritt die Reichswehr ein und setzte die Koalitionsregierungen von Kommunisten und Sozialdemokraten in den Provinzen Sachsen und Thüringen ab. Doch die KPD ließ die Gunst der Stunde verstreichen und entfachte keinen bewaffneten Arbeiteraufstand gegen diese Gefahr und für die Entmachtung der Unternehmer. Die Massen gerieten in die Defensive, und in der KPD herrschte Verwirrung.

Stalin und Sinowjew wälzten die Verantwortung für dieses Debakel auf die Führer der deutschen KP, Brandler und Thalheimer, ab. Aber in den Monaten zuvor hatten Stalin noch all seinen Einfluss aufgeboten, um jene von der Vorbereitung einer bewaffneten Erhebung abzuhalten. Stalin schrieb an Sinowjew, den Vorsitzenden der Komintern, dass seiner Meinung nach die Deutschen gezügelt, nicht angespornt werden müssten. „Ich bin der Meinung, dass wir die deutschen Kommunisten nicht nur nicht anspornen dürfen, sondern vielmehr zurückhalten müssen.“ (Zitiert nach: Deutscher, Stalin, S. 420)

Trotzki zog die Lehren aus dieser verpassten Gelegenheit zur Verbreitung der Revolution in seiner Streitschrift “Lehren des Oktober”. Ohne Namen zu nennen, zeigte er, wie das Zögern und der Wankelmut Stalins und Sinowjews ihre Vorläufer hatten. Dieselbe Entschlusslosigkeit zeigten sie auch 1917, als Sinowjew gegen den Oktoberaufstand und Stalin ursprünglich für die Unterstützung der Provisorischen Regierung durch die Bolschewiki war. Trotzki betonte, dass Zweifel und Unsicherheit unvermeidbar zum gefährlichsten Zeitpunkt in der Parteiführung auftraten, wies aber auch auf den Unterschied zwischen Deutschland und Russland hin. 1917 war in Russland nur eine Minderheit in der Partei von solchen Schwankungen erfasst worden, die jedoch dank der entschlossenen Energie von Lenin überwunden werden konnten. In Deutschland hingegen schwankte die Führung als ganze, ihre Unsicherheit übertrug sich auf die Partei und durch sie bis in die Arbeiterklasse hinein.

Die Folgen dieser Niederlage konnten nur verringert werden, wenn die Führung der Komintern zur offenen Erörterung der deutschen Lehren und den richtigen Schlussfolgerungen daraus bereit war.

Doch dazu kam es nicht. Stattdessen begann ein Feldzug gegen den „Trotzkismus“ mit dem Ziel an, alle Kritiker mundtot zu machen. Mit diesen Angriffen auf Trotzkis Anschauungen warf Stalin zugleich einen der wesentlichsten Grundbausteine des Marxismus über Bord.

Stalin und die Weltrevolution

Die “Theorie vom Sozialismus in einem Land” war Stalins „Hauptbeitrag“ zu Theorie und Programm der internationalen kommunistischen Bewegung. Diese Konzeption führte geradewegs in die Katastrophe, wo immer sie angewandt wurde.

Nachdem die Stalin-Fraktion die Oktoberniederlage in Deutschland zugegeben hatte, verfiel sie in tiefen Pessimismus über die Aussichten der Revolution in Europa. “Sozialismus in einem Land” war ein Produkt dieses Pessimismus.

Bis 1924 hatte niemand in der KP je bezweifelt, dass Russland aus eigener Kraft außerstande sein würde, den Sozialismus aufzubauen. Die russische Revolution galt als erstes Aufbrechen der kapitalistischen Kette, dem der Sturz des Kapitalismus in den fortgeschrittensten Ländern folgen musste, ehe eine sozialistische Gesellschaft errichtet werden konnte.

Das Programm der “Liga der Jungen Kommunisten” hob dies ganz klar hervor, dass der Sozialismus in Russland nur durch die proletarische Weltrevolution kommen kann, in deren Entwicklungsepoche wir nun eingetreten sind. Das war eine in der Partei so fest verankerte Auffassung, dass niemand sie je zuvor in Zweifel gezogen hatte. Sogar Stalin schrieb in einem Buch folgende Passage, die später herausgesäubert wurde:

„Für den Endsieg des Sozialismus, für die Organisation einer sozialistischen Produktion genügen die Anstrengungen eines bestimmten Landes nicht, jedenfalls nicht die Anstrengungen eines vorwiegend agrarischen Landes, wie es Russland ist.” (Zitiert nach Deutscher, Stalin, S. 306, Stuttgart 1962)

Erst nach Lenins Tod wagte es Stalin, die internationalistische Grundlage des bolschewistischen Programms offen anzugreifen. Die Theorie vom Sozialismus in einem Land war das Ergebnis. Im Dezember 1924 attackierte Stalin Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution in einem Artikel:

„Infolgedessen ist der Sieg des Sozialismus in einem Land, selbst wenn dieses Land kapitalistisch weniger entwickelt ist, bei Fortbestehen des Kapitalismus in anderen Ländern, selbst wenn diese Länder kapitalistisch entwickelter sind, durchaus möglich und wahrscheinlich.” (Stalin, Die Oktoberrevolution und die Taktik der revolutionären Kommunisten, in: Stalin, Werke, Bd.6, S. 331)

Trotzki wurde des Defätismus und Menschewismus bezichtigt, weil er abstritt, dass Russland den Sozialismus ohne fremde Hilfe aufbauen könnte. Trotzkis Gegnerschaft zum Sozialismus in einem Land hatte allerdings nichts gemein mit jenen menschewistischen Theoretikern, die bestritten, dass die Sowjets 1917 jemals die Macht hätten erobern dürfen. Trotzkis gesamtes Wirken im Sowjetregime war auf Bewahrung und Ausbau der Errungenschaften des Arbeiterstaates ausgerichtet.

Der entscheidende Punkt war, argumentierte er, dass Stalin den Begriff des Sozialismus selbst entstellte. Anstelle seiner Bedeutung als klassenlose Gesellschaft, in der die Produktion ein höheres Niveau als in kapitalistischen Staaten erreicht hat und allen arbeitenden Menschen gleiche Rechte an den Produkten der demokratisch geplanten Wirtschaft gewährt, was nur auf Weltebene realisierbar war, bekam er nun eine andere Interpretation, nämlich als Stabilität des bestehenden politischen Systems der UdSSR.

Das war bei weitem nicht die einzige Auswirkung von Stalins Theorie. Wenn der Sozialismus in Russland verwirklicht werden konnte, mussten sich auch die Aufgaben der Kommunisten in anderen Ländern ändern. Davor verfolgten alle Parteien der Kommunistischen Internationale ein vorrangiges Ziel: den Sturz des Kapitalismus im eigenen Land als Vorstufe zu einer globalen Föderation von Arbeiterstaaten. Nun bestand ihre Aufgabe darin, den Imperialismus daran zu hindern, weitere militärische Operationen gegen die UdSSR zu unternehmen.

Das Interesse an der Weltrevolution rückte jetzt hinter die Verteidigung der UdSSR zurück. Diplomatie und Blöcke mit vermutlichen “Freunden der Sowjetunion” wurden nun zur Hauptbeschäftigung von Stalin und der Komintern. Die Weltpartei des Proletariats wurde in ein Verteidigungsorgan der Stalin-Herrschaft umgemodelt, wurde ein Werkzeug ihrer zunehmend reaktionären Außenpolitik.

Lenins Warnung, dass die Imperialisten die Existenz der UdSSR niemals hinnehmen werden und das Nebeneinanderbestehen von Sowjetrepublik und imperialistischen Staaten längerfristig unvorstellbar sei, wurde stillschweigend übergangen, und wenn jemand diese Warnung wiederholte, war er ein Schwarzseher - ein Trotzkist.

Die Theorie vom Sozialismus in einem Land drückte die konservative Perspektive einer dominanten zentristischen Fraktion innerhalb der herrschenden Bürokratie aus. Die soziale Basis dieser Fraktion lag in den Tausenden neuer Funktionäre, die nach dem Bürgerkrieg in den Staatsapparat kamen. Trotzki betonte, dass die stalinistische Fraktion, erlöst vom Druck der Arbeiterklasse auf die Bürokratie, sich nunmehr gegenüber dem Druck von pro-kapitalistischen Kräften auf dem Lande öffnete.

In der Außenpolitik war zwar die Revolution subjektiv erwünscht, aber diese Fraktion steuerte einen internationalen Stabilisierungskurs, so dass Russland weiter “seinen Sozialismus” in Frieden aufbauen konnte. Objektiv hintertrieb diese Politik jedoch die erfolgreiche Ausnutzung revolutionärer Möglichkeiten.

Britannien 1926

Die ersten faulen Früchte von Stalins Theorie erntete der britische Generalstreik von 1926. Zwei Jahre vor diesem historischen Kampf hatten die russischen und britischen Gewerkschaftsführer ein Bündnis geschlossen, das Anglo-russische Komitee.

Das war ein richtiger Schritt. Die bürokratischen Spitzen der mächtigen britischen Gewerkschaften waren keine Revolutionäre. Sie hatten oft genug bewiesen, dass sie bereit waren, die Interessen der britischen ArbeiterInnen auszuverkaufen. Sie waren darauf bedacht, ihre in Jahren voller Verhandlungen und Zugeständnisse an die Kapitalisten und die Regierungen erworbenen Privilegien zu behalten. Nichtsdestotrotz stiegen der Zorn und die Kampfbereitschaft der Arbeiterschaft. Damit erhöhten sie den Druck auf die Gewerkschaftsführer, die einen Schritt nach links machten, um ihren Einfluss auf die Massen zu wahren, wie es Trotzki formulierte. Die britischen Gewerkschaftsführer mussten zu konkreten Hilfsaktionen für die Sowjetunion gebracht werden. Aber Stalin ging noch darüber hinaus, indem er die Interessen der sowjetischen Außenpolitik über die Interessen der sozialistischen Revolution in Britannien stellte. In seinen Schmeicheleien für die neuen Bündnispartner pries er sie als Meister der Arbeiterklasse und Anführer des Kampfes gegen den Kapitalismus in Britannien und als standfeste Widersacher aller imperialistischen Angriffe auf die Sowjetunion.

Trotzki und die Opposition traten dagegen auf. Sie warnten vor den Gewerkschaftsspitzen als Feinde der Revolution, und dass diese ihren Einfluss für die Sabotage des Machtkampfes der britischen ArbeiterInnen benutzen würden. Zwar war es für KommunistInnen korrekt, jede Gelegenheit zu praktischen Vereinbarungen mit den Gewerkschaftsbürokraten zu ergreifen, aber statt ihnen Lobeshymnen zu singen, mussten diese Verräter angeprangert und der Kampf für deren Ablösung organisiert werden.

Jedes blinde Vertrauen in die Gewerkschaftsbürokratie, jede gezuckerte Phrase von Seiten Stalins und der Kommunistischen Internationale wurde von den Gewerkschaftsführern als Schutzschild vor deren Infragestellung durch die britischen KommunistInnen benutzt.

Bald darauf musste die Theorie vom Sozialismus in einem Land ihre erste große Probe bestehen. Anlässlich eines Großstreiks der machtvollen britischen Bergarbeitergewerkschaft schwoll die Solidaritätswelle aus der übrigen ArbeiterInnenschaft dermaßen an, dass die Gewerkschaftsoberen sie nicht mehr drosseln konnten. Ein Generalstreik lähmte Britannien im Mai 1926 und beschwor die größte Klassenauseinandersetzung seit Jahrzehnten herauf. Die Regierung steckte in der Zwickmühle; sie hatte nur eine Waffe gegen den Streik - die Gewerkschaftsbürokratie.

Nach 9 Tagen heldenhaften Kampfes und Kräftezuwachses knickten die Bürokraten vor der Regierung ein und bliesen den Streik ab. Die Sowjetführung hielt jedoch den Block mit diesen Verrätern aufrecht. Das Anglo-russische Komitee hatte sich als Schleier vor der wahren Rolle der GewerkschaftsbürokratInnen in Britannien entpuppt. Es war kein Instrument zur revolutionären Verteidigung der UdSSR.

Auch nach diesem Ausverkauf des Generalstreiks ließ Stalin das Komitee fortleben. Unglaublich, aber wahr: sie unterzeichneten ein gemeinsames Abkommen, das den Generalrat als alleinigen Sprecher der britischen Gewerkschaften anerkannte, und verkündeten obendrein ihre “Nichteinmischung” in die Angelegenheiten der Bewegung des jeweils anderen Landes! Damit verzichtete Moskau auf den Kampf um einen Führungswechsel in der britischen Arbeiterbewegung und verschrieb sich stattdessen einem Handel mit den Ausverkäufern des Streiks!

Die Theorie vom Sozialismus in einem Land stutzte die Rolle der britischen KommunistInnen auf das Anwerben einflussreicher Freunde und Bündnispartner zurecht. Der Kampf für die Revolution außerhalb der UdSSR wurde dem Interesse, dem Ansehen und der Sicherheit der Stalin-Clique im Kreml geopfert.

Desaster in China

Es gab nur eine eine grundsätzliche Alternative zu Stalins Theorie: Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution. 1923/1924 wurde sie zur Zielscheibe von gebündelten Angriffen verschiedener führender Mitglieder der KPdSU. Stalin schrieb Ende 1924: “Der ganze Verlauf der Oktoberrevolution, ihre ganze Entwicklung haben den völligen Bankrott der ‚Theorie der permanenten Revolution', ihre völlige Unvereinbarkeit mit den Grundlagen des Leninismus offenbart und bewiesen.” (Stalin, Werke, Bd. 6, S. 339)

Das war natürlich zynischer Unsinn. Die russische Revolution hatte die Korrektheit von Trotzkis Theorie in vier wesentlichen Punkten nachgewiesen:

In einem zurückgebliebenen Land wie Russland war die Kapitalistenklasse zu schwach, um die bürgerliche Revolution zum Sieg zu führen.

Diese Aufgabe konnte nur von der Arbeiterklasse erfüllt werden - oder gar nicht.

Nach der Machtübernahme mussten die ArbeiterInnen mit der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft beginnen.

Der endgültige Sieg des Sozialismus hing von der Ausbreitung der Revolution auf andere Länder sowie der Etablierung einer wirtschaftlich fortgeschritteneren Gesellschaft als der Kapitalismus ab. Nur dies würde die Ersetzung des globalen Systems des Kapitalismus durch den Weltsozialismus ermöglichen.

Stalin und seine Verbündeten schickten sich an, auf ihre Art einen Beweis für die Richtigkeit der Theorie der Permanenten Revolution anzutreten. Aber während Lenins und Trotzkis Politik sie 1917 positiv bestätigten, sollte die Reaktion der inzwischen stalinisierten Komintern auf die chinesische Revolution 1925-27 dies auf negative Weise tun. Durch die Abkehr von der Strategie der Permanenten Revolution in China landeten die Stalinisten bei derselben Politik wie die Menschewiki vor 1917 in Russland. Das Resultat war verheerend.

In Kapitel 2 haben wir dargelegt, wie völlig verschieden der Zugang zur russischen Revolution bei Lenin und den Menschewiki war. In einer bürgerlichen Revolution, worin die bürgerlichen Hauptaufgaben nationale Unabhängigkeit, Demokratie und Landreform oben auf der Tagesordnung stehen, muss die Arbeiterklasse ihre eigene Rolle klar begreifen. Die Menschewiki meinten, da die russische Revolution als bürgerliche begann, sollten die ArbeiterInnen die Bourgeoisie unterstützen.

Lenin führte dagegen an, da es sich um eine bürgerliche Revolution handelte, sollten die ArbeiterInnen der Bourgeoisie misstrauen und stattdessen auf ihre eigene Stärke bauen. Darin lag der Unterschied zwischen dem bolschewistischen Revolutionsprogramm und der menschewistischen Reformpolitik.

Die chinesische Revolution fing als Kampf gegen die Fremdherrschaft imperialistischer Mächte in China an, also mit einer bürgerlich demokratischen Aufgabe. Deswegen traten Stalin und Bucharin, die zentralen Gestalten im herrschenden Block, dafür ein, dass die chinesischen ArbeiterInnen einen Bund mit all jenen Kapitalisten schließen sollten, die bereit wären, um Chinas Unabhängigkeit zu kämpfen.

Aber wie konnte diese Allianz zwischen Klassenfeinden zusammengehalten werden? Stalin erwiderte, dass die Arbeiter und ihre Führung in der KP Chinas nicht für sozialistische Ziele in der Bewegung eintreten sollten. Die Revolution müsse zunächst eine Etappe des demokratischen Kapitalismus durchlaufen. Dazu sollt ein Block mit der chinesischen Bourgeoisie gebildet werden.

Stalin und Bucharin schlugen diese “Etappentheorie” - erst bürgerliche, und vielleicht später proletarische Revolution - unter dem Deckmantel von Lenins veralteter Losung einer “demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft” vor. Lenin hatte sich jedoch 1917 davon verabschiedet. Er hatte sogar geäußert, dass man sich mit dieser Parole vom wirklichen Leben entferne, zur Mittelschicht überginge und ins Museum gehöre!

Aber das störte Stalin nicht. Mit dieser Parole konnte er seinem Menschewismus einen  “leninistischen” Anstrich geben und die wahre Politik von Lenin als “Trotzkismus” Sozialismus dort von der Tagesordnung verschwinden.

Eine Revolution als nur bürgerlich, demokratisch oder gar “halbkolonial verunglimpfen.

Stalin wies die chinesische KP an, sich einem “Block der vier Klassen” mit dem nationalen Bürgertum, der Bauernschaft, den städtischen Mittelschichten und dem Kleinbürgertum anzuschließen. Anders als die bolschewistische Methode des Kampfes gegen den Einfluss der Kapitalisten- und Bauernparteien und für den Führungsanspruch der Arbeiterklasse, verwandte Stalin seine ganze Autorität da, die ArbeiterInnen davon abzuhalten. Die Revolution sollte nicht der Logik der Geschichte, sondern dem Stufenplan der Moskauer Zentrale folgen.

Jeder Versuch, die Etappen miteinander zu verknüpfen, wurde von der Komintern gerügt, weil eine solche Formulierung der Frage die wichtigste nationale Eigenheit der chinesischen Revolution außer acht ließe, nämlich dass sie eine halbkoloniale Revolution ist.

Das bedeutete: Falls eine Revolution in einem formal unabhängigen, doch ökonomisch rückständigen und vom Imperialismus beherrschten Land (eine Halbkolonie) jetzt Stalins und Bucharins Etappentheorie unterworfen wäre, würde der” zu beschreiben, sagt nur etwas über den Funken aus, der die Massen, die tiefen sozialen Probleme, die die Revolution unvermeidlich machen, entzündet. Aber es verrät uns nicht, welche Klasse die Revolution zum Sieg führen kann. Genau diesen Fehler beging Stalin in China und bei jeder folgenden Revolution.

Moskau ordnete an, dass die KommunistInnen sich mit der größten bürgerlich-nationalistischen Partei, der Kuomintang unter Tschiang Kai Schek, verbünden sollten. Eine eng auf militärische Zusammenarbeit in bestimmten Gebieten oder Aktionen gegen imperialistische Verbände begrenzte Absprache wäre korrekt gewesen. Aber auch hier hätten Kommunisten zu jeder Zeit ihre Unabhängigkeit wahren und bereit sein müssen, das Bündnis aufzukündigen und die Kuomintang falls nötig zu bekämpfen, genau wie die Bolschewiki sich gegenüber den Sozialrevolutionären und Kerenski im Führungskampf um die russische Revolution verhielten.

Aber auf dem Altar des “Blocks der vier Klassen” wurden die Interessen der Arbeiter zugunsten des fortdauernden Klassenbündnisses geopfert. Stalin befahl der KP Chinas, Anti-Streik-Gesetzen in den Kuomintang-Gebieten zuzustimmen, nachdem die Befehlshaber das Ergebnis von Arbeitskämpfen bestimmt hatten. Die Unternehmer durften feiern - die KommunistInnen rieten den Arbeitern vom Kampf ab.

Als der revolutionäre Kampf sich auf ganz China ausdehnte und die Arbeitermilitanz auf ihrem Höhepunkt war, verbot die Kommunistische Internationale der KP die Bildung von Räten, indem sie darauf verwies, dies seien Organisationen für die sozialistische Revolution und in der demokratischen Etappe unnötig. Stalin verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass Sowjets die chinesischen Massen “abschrecken” würden.

Die KP veröffentlichte eine Stellungnahme, worin sie ihre Differenzen zur Kuomintang für geringfügig erachteten. Sie kritisierte nicht deren Politik, selbst dann nicht, wenn Gewerkschaften und kommunistische Parteizellen in manchen Gegenden unter Kuomintang-Aufsicht illegalisiert wurden. Sie versuchten nicht einmal, die Soldaten der Kuomintang-Armeen für den Kommunismus zu gewinnen. Stattdessen erklärte die Komintern, dass die chinesische KP unter keinen Umständen eine Taktik verfolgen darf, die die revolutionären Armeen desorganisieren würde, gerade weil der Einfluss der Bourgeoisie dort bis zu einem gewissen Grad stark ist.

Trotzki und die Linke Opposition traten diesem Verrat entgegen. Ausgerüstet mit der Theorie der Permanenten Revolution erbrachten sie den Nachweis, dass die nationale Kapitalistenklasse in China die heimische Arbeiterklasse mehr fürchtete als den fremden Imperialismus. Die Kapitalisten waren durch tausend Finanzfesseln und Interessen an den Großgrundbesitz und die ausländischen Banken gekettet.

Als die Stalinisten Trotzki der “Geringschätzung der Bauernschaft” anklagten, legte er dar, dass nur die Arbeiterklasse sich als feste Bundesgenossin für die armen Bauern im Kampf um Land erweisen kann, während die Kapitalisten außerstande und unwillens zum Bruch mit den Grundbesitzern sein würden.

Trotz aller Stalinschen Werbeversuche um die Kuomintang, trotz seiner Zügelung der ArbeiterInnen und KommunistInnen und seines Geschwätzes über den “Vier-Klassen-Block”, die “demokratische Diktatur” und die “Etappentheorie” strafte ihn die geschichtliche Realität Lügen. Am Ende siegte die Klassenwirklichkeit. Die Kuomintang ging, wie Trotzki vorhergesagt hatte, gegen die Arbeiterklasse vor, sobald sie Gelegenheit dazu erhielt.

1927 entsandte Tschiang Kai Schek Truppen nach Schanghai und schlachtete alle  KommunistInnen, GewerkschafterInnen und militanten ArbeiterInnen, deren er habhaft werden konnte, ab. Die Todesopfer zählten nach Zehntausenden.

Doch Stalin behielt seinen Kurs bei. Zwar beschuldigte man Tschiang Kai Schek der Massaker, aber kein Wort der Selbstkritik wurde laut gegen die Politik, die sogar die eigenen Genossen ihren Mördern wehrlos und unvorbereitet preisgegeben hatte. Nach Tschiangs Verrat wurde eine “linke” Kuomintang-Regierung in Wuhan gebildet. Zwei Kommunisten traten als Minister in dieses bürgerliche Kabinett ein. Aber diese Regierung war nicht minder reaktionär als Tschiangs Kuomintang. Zwecks Erhalt seines Regierungsbündnisses mit diesen “linken” Nationalisten und in Einklang mit seiner Etappentheorie schwor Stalin die kommunistischen Kabinettsmitglieder auf die Unterstützung der Politik ihrer Bündnispartner ein.

Der KP-Landwirtschaftsminister Tang Ping Schan wurde von der Regierung aufs Land geschickt, um an der Spitze des Heeres einen dortigen Bauernaufstand gegen ihre grundbesitzenden Ausbeuter blutig niederzuwerfen!

Stalins Kampagne gegen die Permanente Revolution verführte die KommunistInnen dazu, sich den Weg zu einer  chinesischen Oktoberrevolution zu verbauen.

Wie Trotzki bemerkte, war die Parole von der “demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft” zur “Schlinge um den Hals von Proletariat und Bauernschaft” geworden. Die Etappentheorie hatte die KommunistInnen von einer Kraft für die Arbeiterrevolution in eine Kraft, die ihr unwissentlich entgegenarbeitet, verwandelt.

Trotzki und die Linke Opposition argumentierten in der gesamten internationalen kommunistischen Bewegung gegen Stalins Programm für die chinesische Revolution. Die verheerende Niederlage in China hatte für Trotzki bewiesen, dass die Permanente Revolution nicht nur auf Russland, sondern auf alle kolonialen oder halbkolonialen Länder anwendbar war, in denen die Aufgaben der bürgerlichen Revolution noch nicht vollendet waren.

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  Vorwort
  Einleitung
  Kapitel 1: Aus dem Gefängnis an die Macht
  Kapitel 2: Die permanente Revolution
  Kapitel 3: Brot, Land und Frieden
  Kapitel 4: Der Bürgerkrieg
  Kapitel 5: Der Aufstieg Stalins
  Kapitel 6: Trotzki und die Weltrevolution
  Kapitel 7: Der Kampf gegen den Faschismus
  Kapitel 8: Die Vierte Internationale
  Kapitel 9: Das Übergangsprogramm
  Kapitel 10: Das Leben ist schön
  Hans Graaf, Die Austreibung Trotzkis
  Hannes Hohn, Für den Aufbau der Fünften Internationale

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