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Uni-Spezial

Universität und Kapitalismus

Neue Internationale Sonderausgabe Universität, Nr. 1, Mai 2014

Das Geschehen an der Universität erscheint auf den ersten Blick relativ entfernt vom  wirtschaftlichen Geschehen.

Zwar tritt der Produktionsprozess in Form von Forschung und Drittmittelprojekten an sie heran, doch der gesellschaftliche Reichtum wird außerhalb ihrer Türen geschöpft.

Man nennt das den "Elfenbeinturm". Hier forschen, lernen und lehren StudentInnen und ProfessorInnen. Dort arbeiten Diejenigen, die nicht anders können, und die Kapitalisten  bereichern sich daran. Dieses Verhältnis der Uni zum Produktionsprozess, in dem nicht nur Güter, sondern auch die gesellschaftlichen Hauptklassen - Kapital und Arbeit - beständig produziert und reproduziert werden, bedeutet auch, dass diese Klassengegensätze innerhalb der Uni nicht so scharf und unmittelbar auftreten.

Eine große Gemeinschaft?

Die Universität erscheint vielmehr als eine große Gemeinschaft und gibt sich auch gern so. Auch wenn allen klar ist, dass es feste Hierarchien gibt, so sind doch alle  „AkademikerInnen“. Alle seien dem „wissenschaftlichen Ethos“ und der „Wahrheit“ verpflichtet und nicht den Geschäftsinteressen, die den „Rest“ der Gesellschaft prägen.

Diese relative Entfernung der Uni vom Produktionsprozess und ihre behauptete  „Unabhängigkeit“ prägt auch das Bewusstsein der „Universitätsangehörigen“.

In Wirklichkeit stand die Universität aber natürlich nie über den Klasseninteressen, die die bürgerliche Gesellschaft prägen. Aber die Vorstellung einer universitären „Gemeinschaft“ geht oft genug auch mit der Vorstellung einher, dass alle Universitätsangehörigen - ob nun hoch dotierte, bürgerlicher Professoren samt privatem Forschungsinstitut oder Erstsemester beim Bachelor - auch ein gemeinsames gesellschaftliches Interesse teilen würden.

Das mag im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts tw. noch der Fall gewesen sein, als die Universität zur Ausbildung von Teilen der herrschenden Klasse und den eng mit ihr verbundenen staatlichen, religiösen, geistigen und wirtschaftlichen Funktionsträgern diente und Kinder aus den „unteren“ Klassen ohnedies kaum Zugang zu Forschung und Lehre hatten.

Veränderung der Uni

Das hat sich im Zuge der kapitalistischen Entwicklung im 20. Jahrhundert, v.a. aber in dessen zweiter Hälfte enorm geändert. Seit den 60er Jahren hat sich die Zahl der StudentInnen insgesamt - auch jener aus ArbeiterInnenfamilien - drastisch erhöht. Für viele wurde die Uni auch zu einem Mittel, ihrem Klassenstatus zu entkommen oder jedenfalls zu einem „besseren“ Beruf aufzusteigen. Heute ist die Uni für viele der Schritt, mit dem sie den sozialen Status des Elternhauses erreichen und es den Eltern gleich tun können. Doch die Zahl der StudentInnen aus nicht-bürgerlichen und nicht-akademischen Verhältnissen schrumpfte in den letzten Jahren sogar wieder.

Die meisten StudentInnen sehen heute einer Zukunft als „KopfarbeiterInnen“ in Staat und Wirtschaft entgegen, als vergleichsweise hoch qualifizierte LohnarbeiterInnen. Die relative Klassenunabhängigkeit vieler StudentInnen ist eben nur relativ: erstens, weil die Universität selbst nur eine verlängerte, wenn auch relativ freie Form der Ausbildung ist; zweitens, weil Studierende z.B. aus proletarischem Elternhaus eine Zukunft als KleinbürgerInnen oder Angehörige der Mittelschicht erreichen können, die Uni also mit dem Übergang von einer Klasse in eine andere verbunden ist.

Ideologieproduktion

Diese relative „Unabhängigkeit“ widerspricht also nicht der Tatsache, dass die Uni eine streng bürgerliche Institution ist. Denn Bildung und Ausbildung sind wichtige Instrumente, um die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Die bürgerliche Ideologie wird in den Schulbänken und Hörsälen produziert und reproduziert, aber zugleich werden auch Qualifikationen für die Lohnarbeit vermittelt.

Auch die scheinbar „kritischen“, nicht unmittelbar in den Produktionsprozess eingebunden geisteswissenschaftlichen Richtungen sind letztlich bürgerlich geprägt, um entsprechend ideologisch versiertes Personal für „geistige“ Berufe (JournalistInnen, WissenschafterInnen, LehrerInnen) zu produzieren.

Die Uni bildet dabei heute nicht nur direkte Funktionsträger und Angehörige der herrschenden Klasse, sondern auch eine große Zahl von „leitenden“ Ausgebeuteten aus, die KontrolleurInnen und OrganisatorInnen des Systems oder einfach hoch qualifizierte Arbeitskräfte sind. Diese Qualifizierung muss in der bürgerlichen Gesellschaft mit den Anforderungen der Betriebe und Konzerne korrespondieren. Die universitäre Forschung und Lehre ist gerade in den technischen Wissenschaften eng an die Bedürfnisse der großen Unternehmen gekoppelt.

Im Gegenzug versprechen diese den Unis die Gelder, für die der Staat immer seltener bereit ist aufzukommen. Die Sparpolitik des Staates zwingt die Unis in die offenen Arme der verwertungsfreudigen Drittmittelgeber. Mit dem wachsenden Einfluss der Wirtschaft auf die Uni schwinden weitere Relikte einstiger bürgerlicher Privilegierung. Vom früheren Standesprivileg ist oft nur noch der Standesdünkel geblieben.

Mit dem zunehmenden Einfluss der Wirtschaft auf die Uni nimmt auch der Konkurrenzdruck unter den StudentInnen zu. Mehr und mehr haben - ob sie wollen oder nicht - eine Zukunft als Lohnabhängige vor sich. Die Uni ist ein kapitalistischer Betrieb, in dem ein wachsender Teil der AbsolventInnen kostengünstig als Teil der Arbeiterklasse produziert werden soll.

Einige halten noch die Privilegien der bürgerlichen Universitäten hoch, die einem anderen Jahrhundert entstammten. Übrig bleibt dabei nur romantischer Kitsch, der von der tatsächlichen Perspektive vieler StudentInnen meilenweit entfernt ist. Während noch vom Humboldtschen Ideal der Einheit von Lehre und Forschung gefaselt wird, versuchen Olberts, Senat und Wirtschaft die Kosten für den universitären Betrieb weiter zu kürzen.

“Reform” und Sparprogramm

Reform und Sparprojekte jagen einander und jedes Mal geht es darum, Kosten zu sparen, die Ausbildungszeit zu verkürzen, Teilbereiche zu privatisieren. Bei alledem verwundert nur, dass es alle wundert.

Der Kapitalismus macht eine „ökonomische“, kostengünstige, an den jeweils wechselnden Bedarf an Forschung und AbsolventInnen angepasste Universität nötig. Krise und verschärfte Konkurrenz zwingen, diese Kosten nicht nur an der Uni möglichst gering zu halten und mehr und mehr den Studierenden bzw. deren Eltern aufzuhalsen. Die Studien-Inhalte sind vielen zunehmend egal, weil sie ohnehin wenig mit den Interessen der Studierenden zu tun haben. Es gilt, die benötigten Scheine termingerecht zu sammeln und die Selektion zu überleben. Wer sein Studium nicht in der Regelstudienzeit schafft, muss damit rechnen, im Rennen um die „lukrativere“ Lohnarbeit unterzugehen.

Doch die Misere der Uni kann nicht im Rahmen „reiner“ Uni-Politik oder durch akademischen Lobbyismus gelöst werden. Es nützt auch nichts, einer imaginären „Unabhängigkeit“ der Uni nachzutrauern. All das führt nur in die Sackgasse.

Es geht vielmehr darum, den Kampf gegen die Kontrolle der Universität durch das Kapital, gegen die Verschulung, gegen die Prekarisierung der Studierenden, gegen den Numerus Clausus u.a. Formen der Selektion mit dem Kampf der Arbeiterklasse zu verbinden.

Sie, die den gesellschaftlichen Reichtum schafft, ist auch letztlich die gesellschaftliche Kraft, mit der sich die StudentInnen verbünden müssen, denen eine lohnabhängige Zukunft ins Haus steht.

Wir treten für den freien Zugang aller zur Universität ein, für die Abschaffung des Numerus Clausus und aller anderen Zugangsvoraussetzungen (wie Abitur). Wir kämpfen für ein staatlich garantiertes Einkommen von 1.500 Euro/Monat für alle Studierenden, finanziert aus der Besteuerung von Kapital und großen Vermögen.

Vor allem aber geht es uns darum, dass die Inhalte der universitären Forschung und Lehre der Kontrolle durch staatliche Behörden, privilegierte ProfessorInnen und die Privatwirtschaft entzogen werden - zugunsten einer Kontrolle durch gewählte VertreterInnen der Studierenden, der Beschäftigten an den Unis und der Gewerkschaften. Das wäre ein konkreter Schritt zur Verwirklichung von Arbeiterkontrolle über die Universitäten.

Dies wird sicher den Widerstand der vereinigten SachwalterInnen der Kapitalinteressen hervorrufen - von Unternehmen, staatlicher Bürokratie, Parlamenten, Regierungen sowie  der professoralen „Elite“ der Universität. Um ihre Privilegien und bürgerlichen Interessen zu schützen, verteidigen sie ihren Elfeinbeinturm. Wir wollen ihn einreißen!

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Nr. 1, April/Mai 2014

*  Macht macht Wissen
*  Kapitalismus und Universität
*  Lesekreis: Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat abschaffen - war wie?

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