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Rot-Grünes Verarmungsprogramm

Für'n Appel und 'n Euro?

Martin Mittner, Neue Internationale 97, Februar 2005

Zu Neujahr wünscht man bekanntlich Glück - und Glück brauchen die ALG II-BezieherInnen und alle anderen Lohnabhängigen ab 1. Januar mehr denn je.

Die Hartz-Reformen gehen in die nächste Runde. Die Ein-Euro-Jobs - bislang auf "freiwilliger" Basis - können mit Jahresbeginn allen ALG-II BezieherInnen aufgezwungen werden. So sollen bis zu 850.000 "Arbeitsplätze" bei den Kommunen und im Sozialbereich geschaffen werden. Nach offizieller Lesart soll es die "zusätzlich geben". Was davon zu halten ist, führt das Land Hamburg exemplarisch vor. Dort ist alles im gemeinnützigen Bereich "zusätzlich", was nicht aus dem kommunalen Haushalt finanziert werden kann.

Vom Standpunkt des Kapitals, der Regierung und des neo-liberalen Kurses in den Kommunen machen die Ein-Euro-Jobs allerdings durchaus Sinn.

1. fallen die Ein-Euro-Jobber aus der Arbeitslosenstatistik.

2. reduzieren sie die Lohn- und Gehaltskosten im Öffentlichen Dienst und bei Sozialverbänden wie Caritas, Diakonie, AWO usw.

3. erhöhen sie den Druck auf Löhne und Gehälter und führen zur Ausweitung des Niedriglohnsektors durch eine praktisch vollständig entrechtete Schicht von BilligstarbeiterInnen.

Angriff auf "Normalarbeitsverhältnisse"

Kein Wunder, dass die Ein-Euro-Jobs von Regierung, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden auch gebührend gefeiert werden. Die üblichen Beteuerungen, dass das nicht auf Kosten der "regulären Beschäftigungsverhältnisse" gehen solle, sind reine Augenauswischerei. Gerade um die Ersetzung bestehender Arbeitskraft und um höheren Druck auf Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit und Lohnniveau geht es doch!

Daher gibt es auch einen regelrechten Run auf die Ein-Euro-Jobs von Seiten verschiedenster sozialer und kommunaler Einrichtungen. Die Evangelische Diakonie hatte z.B. in Berlin/Brandenburg die Reform hart kritisiert - weil sie zu wenig Ein-Euro-Jobs zugeteilt bekommen hat.

Der Caritas-Verband - mit 500.000 Beschäftigten der größte "Arbeitgeber" in Deutschland - plant allein in Hessen 4.000 Ein-Euro-Jobs für 2005. Bundesweit hochgerechnet heißt das, dass fast 10% der Belegschaft durch Billigstjobs ersetzt werden sollen. Ähnlich verhält es sich bei der Diakonie, wo 400.000 Beschäftigte arbeiten.

Jeder will möglichst viele BilligstarbeiterInnen - kosten sie doch dem Unternehmen noch nicht einmal einen Euro pro Stunde - sie kosten gar nichts! Der Staat bezahlt nämlich 500 Euro je Jobber und Monat an die Träger der Ein-Euro-Maßnahme. Für 2005 sind dafür 6,4 Milliarden budgetiert.

Dabei werden die Ein-Euro-Jobs keineswegs nur auf un- oder minder qualifizierte Arbeit konzentriert sein. So werden in KITAs und an Schulen BetreuerInnen und LehrerInnen auf Ein-Euro-Basis zum Einsatz kommen. In Hamburg ist schon jetzt eine Postfiliale ausschließlich von Ein-Euro-Beschäftigten besetzt. An den Unis werden auf dieser Grundlage sogar Lehrkräfte eingestellt.

Freilich gibt es auch von Seiten des Kapitals Kritik an den Ein-Euro-Jobs. So fürchten kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe im Konkurrenzkampf auf der Strecke zu bleiben - und fordern daher, beim Lohndumping ohne Wenn und Aber selbst mitmachen zu dürfen. Auf dieser Linie liegt auch die Forderung von Herrn Rogowski (BDI), dass das ALG II noch weiter abgesenkt werden solle, da die Ein-Euro-Jobber ansonsten mehr "verdienen" würden als LeiharbeiterInnen.

Mit den Ein-Euro-Jobs findet die Absenkung der Einkommen im "zweiten Arbeitsmarkt" und im Niedriglohnbereich, in dem schon jetzt fast 10 Millionen beschäftigt sind, ihren - vorläufigen - Höhepunkt.

Wie reagieren die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften (genauer: deren Führungen) haben dieser Entwicklung bislang nichts entgegengesetzt. Nicht überraschend, wurden doch alle politischen Angriffe der Regierung nur halbherzig kritisiert und schlussendlich nur "konstruktiv" begleitet, anstatt sie konstruktiv zu bekämpfen. In den verschiedenen Kommissionen zu den Hartz-Gesetzen und an der "Reform" der Bundesagentur für Arbeit war schließlich auch die Gewerkschaftsbürokratie beteiligt.

Gegen erzwungene Beschäftigung und Ein-Euro-Jobs haben auch DGB-Vorstand und ver.di-Spitzen nichts Prinzipielles einzuwenden. Solche Maßnahmen dürften nur nicht "missbraucht" werden.

Den Zynismus solcher Aussagen kann man schlecht überbieten. Mit den Ein-Euro-Jobs werden vollkommen entrechtete Arbeitsverhältnisse geschaffen. Der/die JobberIn erhält keinen Lohn, sondern eine "Mehraufwandsentschädigung". Er/sie hat keinen Arbeitsvertrag, keine gesicherten Rechte, keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, keine Unfallversicherung, keine Fahrtkostenerstattung für den Weg zur Arbeit ...

Eine Gewerkschaftsführung, die der Einführung solcher Beschäftigungsverhältnisse noch "positive" Seiten abgewinnen kann, wird auch der Kapitaloffensive an allen anderen Fronten nachgeben, ja nachgeben müssen. Das kündigt ver.di auch schon mit der Tarifforderung für 2005 an - man will buchstäblich nichts!

Zweifellos werden viele Gewerkschaftsmitglieder, Vertrauensleute, Betriebs- und Personalräte auf betrieblicher Ebene versuchen, die Ausbreitung von Ein-Euro-Jobs, die Ersetzung bisher tariflich bezahlter Beschäftigungsverhältnisse durch Billigstarbeit zu bekämpfen.

Das ist auch richtig und notwendig. Aber auf rein betrieblicher oder tarifpolitischer Ebene wird die weitere Ausdehnung von Niedriglöhnen, Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Ich-AGen, Scheinselbständigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen aller Art nicht zu stoppen sein.

Dieser politische Angriff muss politisch beantwortet werden! Zentrale Forderungen für einen solchen Abwehrkampf sind die Einführung eines staatlich garantieren Mindestlohns für alle Beschäftigen von 10 Euro pro Stunde, die Abschaffung aller Zwangsarbeit für Erwerbslose und der Überführung aller prekären und ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse in tariflich bezahlte, unbefristete Beschäftigung!

Eine solche bundesweite Kampagne müsste mit dem Kampf gegen Lohnraub, Arbeitszeitverlängerung und für Arbeitszeitverkürzung verbunden werden.

Um das durchzusetzen, bedarf es eines Bündnisses von sozialer Bewegung und Gewerkschaften. Aber mit der gegenwärtigen Gewerkschaftsführung ist das aussichtslos. Gerade dafür müsste sich in den Betrieben und in den Gewerkschaften eine klassenkämpferische Basisbewegung formieren. Sie müsste eine solche Kampagne gegen alle Flügel der Bürokratie aufbauen. Sie müsste in den Betrieben wirksam werden und sich mit den Sozialbündnissen, Anti-Hartz-Bündnissen, der Kampagne Agenturschluss, den Sozialforen usw. verbinden.

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Nr. 97, Februar 2005

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*  Münchner "Sicherheitskonferenz": Intervention fürs Kapital
*  Heile Welt
*  ver.di-Tarifverhandlungen: Nichts fordern, nichts tun
*  Gewerkschaftslinke: Der schwere Weg zum Klassenkampf
*  EU-Verfassung: Nein zum Staatenbund der Imperialisten!
*  Trotzkis Faschismustheorie: Arbeitereinheit gegen Braun
*  NPD-Provokation: Verbot statt Kampf?
*  Caritas und Hartz IV: Ein Euro Gotteslohn
*  Rot-Grünes Verarmungsprogramm: Für'n Appel und 'n Euro?