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Anschläge und ihr Hintergrund

Was ist Terror?

Rex Rotmann, Neue Internationale 90, Mai 2004

Wie New York erlebte nun auch Madrid am 11. März sein "Terrortrauma": über zweihundert Menschen starben bei Sprengstoffanschlägen gegen Pendlerzüge.

Dieser Anschlag - genauer Aznars gescheiterter Versuch, ihn innenpolitisch durch seine Anti-ETA-Kampagne auszuschlachten - beschleunigte eine Wende in der spanischen Außenpolitik. Die neue Regierung zieht ihre Truppen aus dem Irak ab. Die US-Administration und die bürgerliche Presse werfen nun der spanischen Regierung "Kapitulation" vor dem "Terrorismus" vor.

Überhaupt zeichnet die herrschende Klasse ein bewusst diffuser Gebrauch des Wortes "Terrorismus" aus. Selbst Aktionen wie die Verteidigung einer Demonstration in Genua wurden von der EU als "Terror" gebrandmarkt. Streikende ArbeiterInnen "terrorisieren" die Unternehmer, weil sie das heiligste aller Rechte, das Recht auf Privateigentum verletzen. Der Guerillakampf, ein Massenaufstand oder das Erschießen von ZivilistInnen - alles wird zu einem unterschiedslosen Gebräu namens "Terror".

Diese "Definition" erfüllt für die herrschende Klasse einen politischen Zweck. Alle Formen von Widerstand, Unbotmäßigkeit und Konflikt werden unabhängig von ihrer Klassengrundlage zusammengeworfen. Eindeutig "Nicht-Terror" ist ihr zufolge nur die staatliche Repression nach Innen oder Außen, der imperialistische Terror gegen die IrakerInnen, AfghanInnen, PalästinenserInnen usw.

Gewalt und Gegengewalt

Bürgerliche Politiker und Medien stellen den Kampf gegen den Terror so dar, als seien die Terroristen nur ein wild gewordener Haufen von politischen oder religiösen FanatikerInnen. Doch tatsächlich ist der Terror oft nur eine Reaktion auf die aggressive Politik des Imperialismus, der die Welt ausplündert und die sozialen und nationalen Interessen der Menschen in der "Dritten Welt" mit Füßen tritt. Insofern sind nicht die Terroristen die Angreifer, sondern der Imperialismus. Nicht der "Extremismus" ist der Grund für den Terror - die kapitalistische Globalisierung schafft ihn vielmehr zweifach. Einerseits durch die tagtägliche Terrorisierung der Massen. Andererseits als Ausdruck von Verzweiflung und als scheinbar letzte und einzige Chance gegen einen übermächtigen Gegner.

Eine marxistische Bewertung des "Terrors" kann sich freilich nicht darauf beschränken, die bürgerliche Heuchelei zu denunzieren, den panischen Aufschrei imperialistischer Mörder, ihr Entsetzen, wenn es einen von ihnen trifft. Wir können und dürfen uns auch nicht der offiziellen Heuchelei anschließen und gemeinsam mit Staatsterroristen wie Aznar Krokodilstränen vergießen. "Demokraten" wie er sind für den Tod von Millionen Irakis durch das UN-Embargo, den US-Krieg und die Besatzung mitverantwortlich!

Was ist Terrorismus?

Womit wir es eigentlich bei Anschlägen wie in Madrid zu tun haben, lässt sich am besten als Akt "individuellen Terrors" bezeichnen. Diese Methode ist historisch keineswegs neu. Schon in der Geschichte des Kampfes gegen kapitalistische oder halb-feudale Ausbeutung hat sie eine lange Tradition.

In der Arbeiterbewegung wird die Frage schon seit Karl Marx diskutiert. In heftigen Polemiken gegen Bakunin war es Marx, der die Methode der organisierten Massenaktion des Proletariats gegen dessen Abenteurertum verteidigte. Bakunin plädierte für terroristische, beispielhafte Aktionen kleiner Verschwörergruppen, mit denen die Massen aufgeweckt und mitgerissen werden sollten. Bis heute ist allerdings kein Beispiel bekannt, dass eine Bombe in einem Kaufhaus den ganzen kapitalistischen Laden zum Einsturz gebracht hätte.

Die Familie Uljanow personifiziert beide Konzeptionen besonders plastisch. Der eine Uljanow versuchte, Minister zu ermorden, und wurde deshalb erschossen; der andere, später als Lenin bekannt gewordene, bereitete eine Massenrevolution vor und führte sie zum Sieg. Der eine blieb eine Fußnote im Geschichtsbuch, der andere schrieb Geschichte.

In der Regel reagieren bürgerliche Regime auf Terror mit Gegengewalt. Nicht nur, und oft nicht einmal in erster Linie gegen die "Terroristen", sondern gegen demokratische Rechte, gegen die Arbeiterbewegung und die Linke. Insofern bewirken die Terroranschläge nicht die Schwächung des bürgerlichen Staates, sondern werden von ihm als Vorwand benutzt, um ein noch repressiveres Regime durchzusetzen und den dafür nötigen Apparat auszubauen.

Die politische Diskussion in Deutschland zeigt das. So fordern Kräfte in den Unionsparteien die Aufstellung einer Nationalgarde, die nichts anderes wäre als eine Bürgerkriegstruppe. Sie plädierten dafür, die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen. Solche Vorschläge sind nur die Eisbergspitzen in einem sich seit Jahren abkühlenden innenpolitischen Klima.

Auch die US-Regierung reagierte nach den Anschlägen in New York mit einer Aufstockung des Etats für "Sicherheit" und zahlreichen antidemokratischen Maßnahmen. Eine Welle des Rassismus gegen AraberInnen und vermeintliche "Islamisten" schwappte hoch und eine paranoide Angst vor Anschlägen vernebelte die Hirne vieler AmerikanerInnen - und füllte die Kassen der Supermärkte, die Gasmasken, Taschenlampen u.a. Notfallmittel wie warme Semmeln verkauften.

Rolle des Staates

Dass der Staat oft sehr leicht und z.T. sogar mit breiter Zustimmung der Bevölkerung diese repressiven Maßnahmen durchführen kann, hat einen einfachen Grund. Anschläge wie die in Madrid oder New York richten sich meist nicht etwa gegen staatliche oder militärische Einrichtungen des Gegners, sondern gegen zivile Ziele. Dieses Vorgehen erklärt sich aus der Sache selbst. Die Wirkung der Attentate ist nur dann relevant, wenn die Opferzahlen hoch sind. Jeder Tote erhöht den Druck. Dass ZivilistInnen die Opfer sind, erlaubt dem Staat, sich als Beschützer der Bevölkerung aufzuspielen.

Sicher wollen die Terroristen nicht das Ansehen der imperialistischen Staatsapparate stärken, doch gerade das bewirkt ihr Terror oft. Da sie selbst ganz offensichtlich Ziel des Terrors sind, verwundert es nicht, wenn die "einfachen Leute" zunächst nach einem starken, autoritären "Beschützer" Ausschau halten: dem Staat.

Kurzum, der "terroristische Akt" dient hier zur Legitimation staatlicher Aufrüstung (nach Innen und Außen). Falsch wäre es jedoch hier, der liberalen Milchmädchenrechnung auf den Leim zu gehen, dass diese Aufrüstung und verschärfte Repression in erste Linie Resultat terroristischer Akte wäre. Es ist umgekehrt kein Zufall, dass solche Verschärfung staatlicher Repression - ob mit oder ohne "terroristischen" Attentatsvorwand - immer in Perioden größere gesellschaftlicher Instabilität durchgeführt wird, als Präventivmaßnahme gegen sich abzeichnenden Klassenwiderstand.

Klassen

"Terrorismus" wurde in der Geschichte von VertreterInnen verschiedener Klassen angewandt. Wenn wir beispielsweise an die Anarchisten und Volkstümer des 19. Jahrhunderts denken, entsprang der Terrorismus der Empörung und Ungeduld der kleinbürgerlichen Intelligenz und von Kindern der herrschenden Klasse, die sich gegen die Unterdrückung der Bauern und ArbeiterInnen wandten.

Auch die bürgerlicher Klasse greift in bestimmten Situation zum Mittel des individuellen Terrors - sei es, um die staatliche Repression durch gezielte Attentate zu ergänzen, wie heute durch die Kommandos des israelischen Staates oder in Fällen, wenn eine nationale Bourgeoisie mit diesen Mitteln für ihre Ziele kämpft. So hat z.B. Al Quaida einen klaren sozialen Ursprung in unzufriedenen Sektoren der saudischen kapitalistischen Grundbesitzerklasse.

Diese Organisationen verfolgen natürlich - ob mit dem Mittel des Terrors oder des Verhandelns - immer bürgerliche Klassenziele. Die Befreiung der "islamischen", "unterdrückten", "gläubigen" usw. Massen ist höchstens rhetorische Fassade, um Unterstützung für die eigenen Ziele zu erlangen.

Es ist kein Zufall, dass der Terrorismus solcher bürgerlicher oder reaktionär-kleinbürgerlicher Kräfte einen besonders massenfeindlichen und menschenverachtenden Charakter annimmt, und auch bedenkenlos mehrheitlich Lohnabhängige angreift. Das bewirkt oft auch, dass er sich jene, die eigentlich seine BundesgenossInnen im Kampf gegen den Imperialismus, gegen dessen Kriegs- und Besatzungspolitik, gegen dessen Ausplünderung der Welt sein müssten, zu Feinden macht.

Diese Politik entspring aber nicht einfach Wesen des "individuellen Terrorismus", sondern dem Klassencharakter und den Klassenzielen dieser oder jener Gruppierung. So hatten z.B. die Narodniki des 19. Jahrhunderts sehr genau darauf geachtet, wer Opfer ihrer Anschläge wurde (was auch dazu geführt hat, dass eine Reihe von Attentaten wegen befürchteter ziviler Opfer in letzter Minute verschoben wurden).

Ob ein "terroristischer Anschlag" Erfolg hat oder nicht, hängt nicht vom Anschlag ab, sondern von den verfolgten Klassenzielen, der politischen Kräftekonstellation in der er auftritt. Hier setzt auch die Kritik des Marxismus an dieser Methode ein.

Gegen die Massen

Unser Maßstab ist, ob eine bestimmte Kampfmethode, eine bestimmte Taktik die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten im Kampf um die sozialistische Revolution weiterbringt - nicht, ob sie "gewaltsam" ist oder nicht. Schließlich ist ja auch die Revolution selbst und die Sicherung der Herrschaft der Arbeiterklasse notwendigerweise mit der Anwendung von Gewalt verbunden. Vom Standpunkt der Kapitalistenklasse durchaus zurecht als "Terror" bezeichnet.

Um die Macht zu ergreifen, braucht die Arbeiterklasse jedoch Organisierung, politisches Bewusstsein, eigene selbstbestimmte Kampforgane usw. Für ihren Aufbau sind oft Jahre der politischen Vorarbeit, geduldige Überzeugung usw. nötig.

Die Methode des individuellen Terrors hilft dabei nicht. Die Massen werden letztlich auf eine passive Zuschauerrolle verwiesen. Sie können den Kampf nicht kontrollieren, nicht bestimmen.

Gerade wenn er scheinbar erfolgreich ist, hat er die fatalsten Wirkungen, legt er doch nahe, dass die mühsame Arbeit von ökonomischen Kämpfen, politischen Debatten und Organisierung usw. überflüssig wären, dass der Staat nicht durch die Sammlung der ArbeiterInnen für die proletarische Revolution, sondern durch einige gut gelegte Bomben aus den Angeln zu heben wäre.

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Nr. 90, Mai 2004

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