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Kampf gegen Agenda

Von der Vernetzung zur Basisbewegung

Hannes Hohn, Neue Internationale 87, Februar 2004

Der 1. November 2003 war eine Zäsur. 100.000 waren in Berlin auf der Strasse - ohne dass die DGB-Spitze mobilisiert hatte. Dieser Erfolg war wesentlich von unten organisiert worden - von Linken, von betrieblichen und gewerkschaftlichen AktivistInnen, von Komitees gegen Hartz, Agenda usw. Der 1. November zeigte, dass es ein beachtliches Milieu gibt, das nicht demoralisiert, sondern aktionsbereit ist. Die Behauptung der Gewerkschaftsspitze, die Basis sei nicht mobilisierbar, erwies sich als Ausrede und Lüge.

Die Agenda 2010 ist der massivste Angriff auf die Arbeiterklasse und die Massen nach 1945. Sie bündelt verschiedene "Reformen", die alle Bereiche des Sozialsystems in Mitleidenschaft ziehen. Am massivsten sind Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen betroffen. Die Leistungen für sie werden drastisch gekürzt und die "Zumutbarkeitsregelungen" verschlechtert. Arbeitslose sollen jeden schlecht bezahlten Job immer und überall annehmen müssen - eine moderne Form von Sklaverei.

Nicht nur Sozialabbau

Diese "Flexibilisierung" zielt auf die massive Ausweitung des Billiglohnsektors. Damit wird der Druck von schlecht bezahlten, untertariflichen Teilzeitjobbern auf den Rest der Klasse deutlich erhöht und die soziale Differenzierung und Spaltung innerhalb des Proletariats nehmen zu.

Gesundheitsreform oder die Riesterrente bedeuten nicht nur Sozialabbau; sie unterhöhlen zugleich das System der "paritätischen" Finanzierung der Sozialsysteme. Während die "Arbeitgeber" immer weiter entlastet werden, müssen die Lohnabhängigen und die große Masse der Bevölkerung immer mehr zuzahlen oder privat vorsorgen.

Nachdem die Sozialsysteme durch Krise und Massenarbeitslosigkeit ruiniert worden sind, sollen nun die Massen dafür bezahlen, während die Pfründe des Kapitals, die Reichen und die ineffizienten Strukturen des Versicherungs- und Kassenwesens unangetastet bleiben. Die Folgen? Zweiklassenmedizin und Altersarmut. Wer nicht reich ist, stirbt eher!

Die Überakkumulationskrise zwingt die Kapitalisten dazu, immer heftigere Angriffe auf Lohnabhängige und Sozialstaat zu führen. Insofern ist die Agenda 2010 nur konsequente Politik im Interesse der deutschen Bourgeoisie. Doch es geht dabei nicht einfach nur um Krisenmanagement oder die Erhöhung der Profitraten. Es geht darum, Deutschlands Stellung in der Welt entscheidend zu verbessern und der imperialistischen Führungsmacht USA die Hegemonie streitig zu machen. Dazu treibt Deutschland die Stärkung der EU, in der es selbst eine Führungsrolle spielt, voran: ökonomisch, politisch, militärisch. Die deutschen Kapitalisten wissen, dass der Sprung der EU zur "dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt bis 2010" (O-Ton Schröder) nur gelingen kann, wenn der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beigebracht und das Klassenverhältnis deutlich zu Gunsten des Kapitals verschoben wird.

Reformismus in der Krise

Was schon die Bundestagswahl 2002 andeutete, ist inzwischen unübersehbar: die SPD verliert dramatisch an Einfluss, Ansehen und Verankerung in der Klasse. Sobald die SPD selbst regiert, sobald sie gezwungen ist, selbst die Arbeiterklasse anzugreifen, zerplatzen die Illusionen der Klasse in die SPD viel schneller, als wenn sie in der Opposition mit der Maske des "sozialen Gewissens" agiert.

Wie die SPD akzeptiert auch die reformistische Gewerkschaftsführung die Grundlagen des Kapitalismus (Lohnarbeit, Privateigentum, Konkurrenz, Gewinnorientierung …). In Zeiten wirtschaftlicher Prosperität war es möglich, Teile der Profite zu Gunsten der Lohnabhängigen "umzuverteilen". Der Rahmen dafür war das System der "Sozialpartnerschaft". Dieses System war für das Kapital vorteilhaft, weil es weitgehende Klassenkampfruhe und damit ungestörte Profitproduktion sicherte. Heute, unter dem Druck verschärfter Weltmarktkonkurrenz und shareholder value, ist dieses System zu ineffizient und zu kostspielig für das Kapital.

Gewerkschaftsspitze versagt

Deshalb kann auch die traditionelle Vermittlerrolle der reformistischen Gewerkschaftsspitze zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht mehr funktionieren. Die Krise der Gewerkschaften ist deshalb keine Krise aufgrund von falschem Personal oder einzelnen Fehlern - sie ist Ausdruck der allgemeinen Krise des Reformismus.

Es ist kein Zufall, dass die Spitzen des DGB bezüglich der Agenda versagten. Erst kungelten sie mit Regierung und Kapital in der Hartz-Kommission u. a. Gremien, dann mobilisierten sie im Frühjahr 2003 absolut inkonsequent und ohne klares Ziel "ein wenig", um kurz darauf die "Sommerpause" zu verkünden.

Dieses Zögern hat Gründe. Die Agenda kann nur durch politische Massenstreiks oder gar einen Generalstreik gestoppt werden. Solche Aktionen würden aber objektiv die Machtfrage aufwerfen - welche Klasse bestimmt die Geschicke der Gesellschaft? Wie soll die Gesellschaft organisiert werden, wenn das Kapital nicht mehr bestimmt?

Die Dynamik eines allgemeinen Kampfes gegen die Agenda geht schwanger mit der Systemfrage - Kapitalismus oder Sozialismus. Die Gewerkschaftsspitze kämpft nicht, weil sie Angst vor dieser Dynamik hat. Sie fürchtet, dass die Klasse, wenn sie sich selbst organisiert und kämpft, keine bürokratischen Vermittler mit dem Kapital mehr braucht. Sie fürchtet um ihre Privilegien.

Natürlich wird die Bürokratie nicht kampflos zusehen, wie ihr Einfluss schwindet. Sie wird da und dort "ein bisschen" mobilisieren. Doch sie wird zugleich alles versuchen, die Kontrolle über die Bewegung zu behalten, sie an der Entfaltung zu hindern und jede antikapitalistische Dynamik zu blockieren.

Wachsender Widerstand

Wie können wir den Kampf gegen die Agenda zu einer Bewegung entwickeln, die den Großangriff des Kapitals namens Agenda 2010 wirklich stoppen kann?

Vor allem muss es uns gelingen, die vielen, bisher nur lose vernetzten Initiativen, Komitees, Sozialforen, Gewerkschaftsgliederungen usw. zu einer bundesweiten Aktionsstruktur zu verbinden. Die AktivistInnen müssen örtliche, regionale und bundesweite Delegiertentreffen durchführen. Dort muss ein verbindliches Aktionsprogramm diskutiert und erarbeitet werden, das kurz und prägnant darstellt, wie und mit welchem Ziel der Kampf geführt werden muss.

Die bundesweite Aktionskonferenz in Frankfurt war dabei ein Schritt vorwärts.

Zur Koordinierung und Leitung des Kampfes bedarf es einer gewählten Führung, die von der Basis kontrolliert wird, ihr gegenüber rechenschaftspflichtig und abwählbar ist. Nur so kann gesichert werden, dass die Bewegung innere Demokratie mit Geschlossenheit in der Aktion verbindet.

Programm und Bewegung müssen auf ein Hauptziel fixiert sein: Weg mit der Agenda! Die Mittel dafür reichen von Betriebsversammlungen und AktivistInnentreffen über Aktionen, Proteste bis zu Streiks. Doch bei aller Vielfalt der Aktivitäten - ohne politische Massenstreiks ist es unmöglich, die Agenda zu kippen!

Deshalb ist es entscheidend, die betriebliche Basis zu mobilisieren. Das bedeutet, die Dominanz des Reformismus über die Klasse mittels Betriebsräten, dem Gewerkschaftsapparat, der SPD und der PDS zu brechen und eine alternative Struktur zu schaffen, welche die Klasse mobilisieren und führen kann. Es ist notwendig - wenngleich nicht ausreichend -, auch den reformistischen Apparat aufzufordern, den Kampf gegen die Agenda und gegen die Regierung zu führen.

Doch so wichtig diese Forderungen sind, um die reformistischen Führungen zu testen und deren beste Elemente auch zu gewinnen - die Spitze der Bürokratie wird jeden entschlossenen Kampf boykottieren. Deshalb hängt der Erfolg des Kampfes gegen die Agenda entscheidend von einem Faktor ab - ob es gelingt, eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften aufzubauen. Sie wäre das entscheidende Scharnier, mit dem die ganze Klasse in Bewegung gesetzt werden kann.

Vor der Gewerkschaftslinken steht deshalb ganz konkret die Aufgabe, zum Kern einer solchen Basisbewegung zu werden.

Diese Bewegung braucht ein klassenkämpferisches Programm. Sie muss den Kampf gegen die Agenda mit dem Kampf für kämpferische und demokratische Gewerkschaften verbinden. Sie muss die fatale Politik der Gewerkschaftsführung offen kritisieren und eigene Kampfresolutionen und RednerInnen aufstellen.

Nur eine solche organisierte Bewegung kann für alle KollegInnen zu einer realen Alternative zur reformistischen Bürokratie werden; nur eine solche Struktur ist in der Lage, zu mobilisieren und den Kampf auszuweiten. Die Basisbewegung kann und muss aufgebaut werden - nicht irgendwann, sondern jetzt! Nicht von irgendwem - sondern von allen, die etwas tun wollen!

Der Kampf gegen die Agenda muss mit anderen Kämpfen (Uni-Streiks, Tarifrunde Metall usw.) verbunden werden! Er muss mit der Bewegung gegen den globalen Kapitalismus (Sozialforen usw.) verzahnt werden! Gleichzeitig brauchen wir aber auch lokale Bündnisse, um z.B. gemeinsame Aktionen von Erwerbslosen, GewerkschafterInnen, Beschäftigen gegen die Umsetzung der Hartz-Gesetze zu koordinieren. Vor allem in den Betrieben muss über die Agenda diskutiert und Aktionen - vor allem Streiks - vorbereitet werden!

Für die nationalen und internationalen Aktionstage gegen Sozialabbau muss überall - in Betrieben, in den Gewerkschaften, an Unis und Schulen, in allen Orten - mobilisiert werden! Aus 100.000 müssen 1.000.000 werden! Für einen Aktionsfahrplan zur Mobilisierung!

Die erste Phase muss in Streiks am 2. April und einer bundesweiten Massendemo gegen die Agenda am 3. April münden!

Perspektive

Die Agenda ist nicht das Ende, sondern erst der Auftakt der Großoffensive des Kapitals. Die Reformisten wollten uns immer Glauben machen, der Kapitalismus sei verbesserbar, das Kapital könne parlamentarisch gezähmt werden und die Sozialdemokratie sei zumindest das kleinere Übel. Wir erleben gerade das Gegenteil!

Es gibt eine Alternative - den Sozialismus! Eine Gesellschaft, in der die immensen Ressourcen der Menschheit von den Einschränkungen und Perversionen des Profitstrebens, des Privateigentums und der Konkurrenz befreit sind. Eine Gesellschaft, die auf einer lebendigen Arbeiterrätedemokratie beruht. Dieser Sozialismus hat nichts zu tun mit den bürokratisch beherrschten Gesellschaften des "Realen Sozialismus".

Wer den Kampf gegen die Agenda mit dem Kampf für den revolutionären Sturz des Kapitalismus verbinden will, muss konsequent nach vorn gehen und daran mitwirken, eine revolutionäre Fraktion in der Gewerkschaft aufzubauen!

Der Kampf gegen die Agenda löst nicht die dahinter liegende Systemfrage, aber er ist ein Teil der Lösung. Das Hauptproblem der Arbeiterklasse besteht immer noch darin, dass es keine revolutionäre Massenpartei gibt, die ihre Klasseninteressen konsequent vertritt und nicht nur den Sozialabbau, sondern den Kapitalismus als System bekämpft.

Die tiefe Krise des Reformismus und die beginnende Formierung des Klassenkampfes "von unten" eröffnet eine reale Chance, eine neue klassenkämpferische Arbeiterpartei aufzubauen. Wir, die Gruppe ARBEITERMACHT, schlagen dazu ein revolutionäres Programm vor.

Wir rufen alle, die eine politische Alternative zu den Schröders, Lafontaines, Gysis, Peters oder Hubers wollen, auf: Lasst uns darüber diskutieren, wie diese Partei beschaffen sein soll und wie sie aufgebaut werden kann!

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Nr. 87, Februar 2004

*  Kampf gegen Agenda: Von der Vernetzung zur Basisbewegung
*  Basisbewegung: Welche Opposition braucht die Gewerkschaft?
*  Aktionskonferenz in Frankfurt: Ein Schritt vorwärts
*  Tarifrunde 2004: Kapital auf Kollisionskurs
*  Die SAV und der Generalstreik: Sind 24 Stunden genug?
*  Europäische Linkspartei: Linker Opportunismus
*  Weltsozialforum: "Raum" oder aktive Bewegung?
*  80. Todestag Lenins: "Leninismus" contra Lenin
*  Heile Welt
*  Auf nach München! Stoppt die "Sicherheitskonferenz"!