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Schröders Raubzug

Agenda wegstreiken!

Stanislaus Kattelbach, Neue Internationale 81, Juni 2003

Die neuesten Konjunkturdaten liegen auf dem Tisch. Minus im ersten Quartal. Von Rezession ist die Rede. Eichel ist erschüttert. Laut offizieller Steuerschätzung fehlt in den nächsten 4 Jahren ein halber Jahresetat - wenn das reicht. In der gesamten EU sieht es nicht besser aus. Wirtschaftliche Stagnation auf der ganzen Linie.

Doch welche Pläne gibt es? Die EU soll militärisch massiv aufgerüstet werden. Das kostet viel Geld. Die direkten Steuern sollen nicht erhöht werden. Dafür sollen Milliarden über indirekte Steuererhöhungen aus der Bevölkerung gepresst werden - Stichwort Tabaksteuer. Ansonsten wird eisern gespart.

Diese Pläne kulminieren derzeit in der Agenda 2010. Hartz-Gesetze, Rürup-Maßnahmen zur Krankenversicherung, Agenda - wer an das Ende des Sozialabbaus glaubt, wird in der Hölle aufwachen!

"Nun ist Schluss!" sagt DGB-Chef Sommer und präsentiert eine "Gegen"agenda, die allerdings von einigen Gewerkschaftsbossen (IG BCE) und Betriebsräten in den Großkonzernen zugunsten der Schröder-Agenda abgelehnt wird. Darin sind u.a. folgende Maßnahmen vorgeschlagen:

steuerliche Entlastung unterer und mittlerer Einkommen;
Steigende Finanzierung der "sozialen Sicherungssysteme" über Steuereinnahmen;
Investitionshilfen für Kommunen (5 Mrd.) und Unternehmen (2 bis 3 Mrd.);
Erhöhung der Neuverschuldung;
Erhöhung der Körperschaftssteuer, der Erbschaftssteuer, der Mehrwertsteuer; Einführung von Börsenumsatzsteuer und Vermögenssteuer.

Hintergründe

Dieses Konglomerat reformistischer Politik der Krisenbewältigung ist für den DGB typisch. Diese Maßnahmen gehen davon aus, dass eine (geringfügige) Steigerung des Massenkonsums die Produktion steigert und Arbeitsplätze schafft. Aber das ist ein gewaltiger Irrtum!

Die kapitalistische Krise und die Massenerwerbslosigkeit sind nicht Folgen geschwundener Massenkaufkraft, sondern enormer Überkapazitäten bei den industriellen Produktionsmitteln. Die Kapitalisten schränken ihre Produktion ein, wenn sie keinen lohnenden Profit mehr abwirft. Die damit verbundenen Entlassungen und Lohnkürzungen verschärfen die Krise dann zusätzlich durch das Sinken der Kaufkraft.

Die "strukturellen Probleme" der Weltwirtschaft resultieren daraus, dass immer mehr Waren mit immer weniger Arbeitskraft produziert werden. Da aber allein die Arbeitskraft Wert erzeugt, also Quelle von Profit ist, muss zwangsläufig die Profitrate sinken.

Eine endgültige Lösung dieses "Problems" ist im Rahmen marktwirtschaftlicher, kapitalistischer Produktionsverhältnisse, die auf Konkurrenz beruhen, unmöglich. Erst mit der Aufhebung dieser Produktionsverhältnisse in einer sozialistischen Planwirtschaft, die über demokratisch gewählte Räte organisiert ist, gehören Wirtschaftskrisen der Vergangenheit an.

Doch vor einer solchen Systemalternative schreckt der DGB zurück und muss deshalb versuchen, an den bestehenden Verhältnissen herumzuflicken. Die Ergebnisse dieser reformistischen Reparaturversuche sprechen für sich.

Der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen betrug Anfang der 80er Jahre noch 28%, heute 34%. Der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuern sank im selben Zeitraum von 27% auf unter 15%! Die seit Jahren steigenden Arbeitslosenzahlen und die sinkende Massenkaufkraft runden diese Idylle der "sozialen" Marktwirtschaft ab.

Als KommunistInnen unterstützen wir alle Reformen, die zur materiellen Besserstellung der Werktätigen führen, wie z.B. Steuerentlastungen für untere Einkommen, finanziert durch Steuererhöhungen für Kapitalisten und Reiche.
In Ansätzen kann man das aus der Reformagenda des DGB herauslesen. Allerdings wird dieses Prinzip umgangen, indem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer - also eine Massensteuer - in Kauf genommen wird.

Die Sozialabgaben sollen sinken - natürlich nicht zu Lasten der "Lebensrisiken" Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter. Dafür benötigen wir mehr Wettbewerb, sagt der DGB. Diese Logik verstehe, wer will!

In einer Broschüre des ver.di Bezirks Stuttgart wird nachgewiesen, dass die Einführung der Konkurrenz in der Gesundheitsversorgung dazu führt, dass die Kassen sich gegenseitig die gesunden Mitglieder abjagen. Alte und Kranke will dagegen keine Kasse haben, da sie die Profite schmälern. Das Prinzip der Solidargemeinschaft wird de facto damit aufgehoben und der Zerschlagung der öffentlichen Krankenversicherung Tür und Tor geöffnet. Unter dem Deckmantel sozialer Reformen - die dem Kahlschlag der Regierung entgegengestellt werden sollen - verbergen sich hinter den DGB-Vorschlägen die gleichen Muster neoliberaler Sozialversicherungspolitik, wenn auch ein geringeres Tempo eingeschlagen werden soll.

Es war klar, dass die Regierung Schröder dem DGB-Konzept eine Absage erteilen wird, wenn auch vorübergehend ein Mini-Zugeständnis nicht ausgeschlossen ist. Das kann dann im Bundesrat durch die Opposition wieder "wegverhandelt" werden. Den DGB-Bürokraten geht es in Wirklichkeit auch nicht um Zugeständnisse. Ihnen geht es ausschließlich darum, ihre Glaubwürdigkeit und ihr angeschlagenes Vertrauen bei den organisierten ArbeiterInnen nicht ganz zu verlieren.

Deshalb werden unter dem Druck der Basisorganisationen auch einige Alibi-Demonstrationen durchgeführt, für die selbst Schröder Verständnis hat. Der Sozialabbau, die weitere Verarmung immer größerer Teile der Lohnabhängigen und die Massenarbeitslosigkeit werden dadurch nicht aufgehalten.

Die SPD-"Opposition"

Schröder ist ein professioneller Zocker mit Gewinngarantie, denn er weiß genau, dass die Partei-"Linke" seine Regierung unter keinen Umständen zu Fall bringen will. Zu groß ist ihre Angst vor Neuwahlen und einer CDU/CSU-geführten Regierung. Das ist die politische Grundlage, wenn er die Agenda 2010 an seine Person als Regierungschef knüpft. Damit kann er die Parteiopposition erpressen - ja, sie hat sich selbst erpressbar gemacht.

Das Mitgliederbegehren in der SPD bezieht sich auf 7 Punkte, die teilweise inhaltlich mit der Gegenagenda des DGB übereinstimmen. Die linken Elemente der Gewerkschaftsapparate beteiligen sich dementsprechend am Mitgliederbegehren.

Keine Kürzungen bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und Krankengeld, Wiedereinführung der Vermögensteuer, keine weiteren Steuervergünstigungen für Reiche;
Stärkung der Kaufkraft, keine Verschlechterung des Kündigungsschutzes;
Investitionen im öffentlichen Sektor;
Gleichstellung von Frauen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit;
Umlagefinanzierung gegen Ausbildungsmangel, mehr Geld für Bildung;
Mehr Gewerbesteuer für die Kommunen;
Keine Militäreinsätze.

Damit das Mitgliederbegehren überhaupt zu einer Mitgliederbefragung führen kann, müssen mindestens 10% der Parteimitglieder (67.000) diese Punkte unterschreiben. Doch selbst die Ausnutzung der minimalen Möglichkeiten der SPD-Satzung geht den Parteiführern in der Fraktion zu weit. Sie werfen der Parteiopposition "miese Methoden" und "taktische Spielchen" vor und warnen vor der "Erstarkung nationaler Strömungen in Europa wegen der Reformschwäche von Regierungen".

Der Sonderparteitag der SPD am 1. Juni wird endgültig über die Linie entscheiden, wobei die Opposition bereits zurückgerudert ist und nur noch Änderungen an der Agenda 2010 beantragen will. Die SPD-"Linke" weiß sehr genau, dass ihre Forderungen nur durch massive Streiks durchzusetzen sind. Doch sie stützt sich gerade nicht auf die Gewerkschaftsbasis und kämpft nicht für eine neue Führung der Gewerkschaften. Warum? Weil sie vor massiven Aktionen der Arbeiterklasse, die womöglich den reformistischen Führungen aus dem Ruder laufen, Angst haben.

Abwehrkampf organisieren!

Wie bei den Hartz-Gesetzen regt sich auch bei der Agenda 2010 Widerstand in den Betrieben. Gewerkschaftliche Betriebsorganisationen, aber auch außerbetriebliche Gewerkschaftsgremien fordern Kampfmaßnahmen.

Die Bundeskonferenz der ver.di Jugend fordert einen eintägigen Generalstreik gegen die Agenda 2010. Vertrauensleute der ver.di Betriebsgruppe im Knappschaftskrankenhaus Sulzbach beschließen Aktionen im Betrieb und darüber hinaus.

Zum 1. Juni hat das Berliner Sozialforum für 11.00 Uhr zu einer Demonstration gegen die Agenda aufgerufen. Berliner Betriebsräte und Vertrauensleute unterstützen sie und mobilisieren für eine anschließende Kundgebung vor dem SPD-Sonderparteitag im Hotel Estrel.

Das sind nur einige geplante Aktionen. In verschiedenen Regionen fanden bereits Demonstrationen statt, die von verschiedenen Bezirken organisiert wurden. In Schweinfurt treten am 29. April tausende Metaller in den Warnstreik gegen die Agenda und organisierten eine Protestdemonstration durch die Stadt.

Während IG Metall-Chef Zwickel politische Streiks im Zusammenhang mit der Agenda 2010 "ausdrücklich" ablehnt und die Gewerkschaften eindringlich vor Spekulationen über einen Kanzlersturz warnt, muss gerade diese Kampfmaßnahme verstärkt in den Vordergrund gestellt werden. Wenn die ArbeiterInnen weiterhin darauf vertrauen, dass die Hauptvorstände der Gewerkschaften das Schlimmste schon verhindern werden, ist die Niederlage vorprogrammiert.

Politischer Streik

Der politische Streik gilt in der BRD als illegal. Gewerkschaftsbürokraten argumentieren gegen politische Streiks, da sie Schadenersatzforderungen nach sich ziehen und damit die Gewerkschaften ruinieren würden.

In Wirklichkeit fürchten sie etwas ganz anderes, Zwickel hat es angedeutet: sie fürchten den Verlust ihrer Kontrolle über Streiks im allgemeinen und eine mächtige politische Einmischung der Arbeiterklasse gegen die "demokratischen" Machenschaften der "Gewerkschafter" in der SPD-Fraktion im besonderen!

Der Verzicht auf den politischen Streik bedeutet letzten Endes, dass jedes Gesetz, das gegen gewerkschaftliche Organisation und demokratische Rechte verabschiedet wird, einfach hingenommen werden muss! Die Frage von Legalität oder Illegalität ist eine Frage des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie. Es ist an der Zeit, der Bourgeoisie zu zeigen, dass ihre Rechtssprechung keinen Schutz gegen einen erfolgreichen Kampf gegen Sozialabbau bieten kann. Der politische Streik kann die Agenda wirklich zu Fall bringen, da er die Kapitalisten trifft: keine Produktion - kein Profit!

Einheitsfront

Wir fordern alle Gewerkschaftsführer, die PDS, die SPD-Linke und alle Gremien der Partei auf, ihre "Rücksichtnahme" gegenüber Schröders Regierung aufzugeben. Das Schicksal von Millionen ist tausend Mal wichtiger als das einer rot-grünen Regierung, die CDU/CSU/FDP-Politik macht.

Ein Streik will gut vorbereitet sein - zumal er gegen den erklärten Willen der Hauptvorstände durchgesetzt werden muss. Daher müssen jetzt Aktionskonferenzen mit Delegierten aus den Vertrauensleutekörpern, aus den Betriebsgruppen und Betriebsräten organisiert werden, die, wo möglich, die gewerkschaftlichen Führungen in die Pflicht nehmen, wo nötig, auch selbständig, den Kampf organisieren und mit den Protestaktionen der Erwerbslosen, SchülerInnen und StudentInnen verbinden.

Am 4. Juni findet eine solche Aktionskonferenz in Oberhausen (Gewerkschaftshaus, Willi Haumann-Saal) statt, zu der Betriebsräte und Vertrauensleute des Ruhrgebiets aufgerufen haben (siehe: www.labournet.de). Es ist sinnvoll, dass auch Delegierte aus anderen Regionen an dieser Konferenz teilnehmen, damit die Erfahrungen dieser Aktionskonferenz verbreitert werden. Dadurch werden Aktionskonferenzen in weiteren Regionen und deren Koordination und Zentralisierung erleichtert. Die Einleitung einer Streikbewegung gegen die Schröder-Agenda kann in einigen wichtigen kampfstarken Großbetrieben beginnen und muss dann ausgeweitet werden. Aktionskonferenzen können in allen Städten und Regionen stattfinden und miteinander verbunden werden, so dass eine einheitliche bundesweite Streikbewegung entwickelt wird.

Brecht mit dem Reformismus!

Der Abwehrkampf gegen die Agenda wird jedoch nicht nur die Frage nach den notwendigen Aktionen - Streiks - Aktionsformen - Aktionskomitees - auf. Sie stellt auch die Frage nach der politischen Führung, nach dem zukünftigen Kurs der Arbeiterbewegung in Deutschland. Die Kampfbereitschaft muss genutzt werden, um in der Kampagne für politische Streiks auch eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften aufzubauen.

Die Risse in der SPD können auch dazu genutzt werden, um ArbeiterInnen und Wähler der Sozialdemokratie in der gemeinsamen Aktion gegen die Regierungs-Agenda und die Kapitalisten, von der Notwendigkeit des Bruchs mit der arbeiterfeindlichen Politik ihrer rechten und linken Führer zu überzeugen.

Anders als die Gewerkschaftsführer trauern wir der "alten" SPD von Ebert und Brandt nicht nach. An der Regierung zeigen sich die inneren Widersprüche der bürgerlichen Arbeiterpartei SPD, also einer Partei, deren Politik seit 1914 fest auf dem Boden des Kapitalismus steht, die sich aber gleichzeitig auf die Arbeiterklasse stützt. Daher ist die gegenwärtige Konstellation vorteilhaft für eine Politik, die den gemeinsamen Kampf mit den sozialdemokratischen ArbeiterInnen gegen "ihre" Regierung anstrebt und gleichzeitig die ArbeiterInnen zum politischen Bruch mit der SPD und dem Reformismus insgesamt drängt.

Die Alternative zum Kurs von Schröder besteht nicht darin, längst gescheiterte Konzepte neu aufzukochen, wie es Oskar Lafontaine und Klaus Zwickel, wie es DGB und SPD-Linke fordern. Sie versuchen nur die SPD in den Augen der ArbeiterInnen "neu zu beleben", neues Vertrauen aufzubauen, um morgen erneut Regierungspolitik im Interesse des Kapitals durchzusetzen. Die Alternative zu den Sozialräubern in der SPD ist eine neue, revolutionär-kommunistische Arbeiterpartei.

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Nr. 81, Juni 2003

*  Schröders Raubzug: Agenda wegstreiken!
*  Berichte von Aktionen: Stimmung gut, Führung mies
*  Heile Welt
*  Österreich: Tschüsserl, Schüsserl!
*  Palästina: Road Map to Peace?
*  Nach dem Irak-Krieg: Fragiler Friede
*  Nach den Wahlen in Argentinien: Sieg der Reaktion?
*  Jugendorganisation REVOLUTION: Control Obrero
*  Ausbildung und Uni: Jugend ohne Zukunft
*  17. Juni 1953: Aufstand der Arbeiter
*  Kongress der LRKI/L5I: Neues Programm, neue Losung