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Neue Gesetzesverschärfungen zur “inneren Sicherheit”

Staatsausbau nach innen

Jürgen Roth, Neue Internationale 217, März 17

Am 3. Januar stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière seine „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ (http://www.faz.net.aktuell/politik/inland/innenminister-de-maiziere…schwierigen-zeiten-14601852. html) vor.

Die schwierigen Zeiten macht er an zunehmender Krisenhaftigkeit, am schwindenden Vertrauen in die demokratischen Institutionen und an der unübersichtlichen Aufgabenverteilung zwischen den Nationalstaaten und der EU fest. Zwar seien der Sicherheitsapparat insbesondere der Bundesbehörden aufgestockt und in den letzten 3 Jahren Gesetze zugunsten von mehr „Sicherheit“ geändert worden, doch das reiche nicht aus.

Ziele der Leitlinien

Der verheerende Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz muss als Anlass herhalten, um das Asylrecht erneut zu verschärfen: neue Abschiebehaftgründe werden ebenso gefordert wie Änderungen für den „Restaufenthalt“ abgelehnter AsylbewerberInnen und eine „nationale Kraftanstrengung zur Verstärkung der Rückkehr von Ausreisepflichtigen“ im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Asylsystems mit der Einrichtung von „Schutzzonen“ für Flüchtlinge außerhalb Europas.

Ferner bemängelt der Innenminister, dass es keine Verantwortung des Bundesstaates für nationale Katastrophen gebe, die Zuständigkeiten für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zersplittert seien, die Bundespolizei in ihrem Operationsfeld zu sehr beschränkt sei und Angriffe aus dem Internet nicht ausreichend koordiniert und zu defensiv beantwortet würden.

Drittens geht es ihm um eine Stärkung der Bundeskompetenzen in gesamtstaatlichen Angelegenheiten: der Bund müsse eine Steuerungsfunktion über alle Sicherheitsbehörden z. B. bei der Kontrolle sog. GefährderInnen ausüben und über ein Initiativrecht gegenüber anderen Behörden z. B. bei der Antragstellung für eine Abschiebehaft verfügen. Außerdem sollen der Verfassungsschutz vereinheitlicht und seine Landesämter dem Bund unterstellt werden. Auf dem Weg zu einer „richtigen“ Bundespolizei müssten auch die Schleierfahndung ausgeweitet sowie mehr Zuständigkeit für die Feststellung unerlaubter Aufenthalte auf den Bund übergehen.

Schließlich müsse sich die Bundespolizei mehr als bisher in Drittstaaten und an der EU-Außengrenze einbringen.

Hintergründe

In Zeiten verschärfter Weltmarktkonkurrenz und vermehrter Kriege mit Konsequenzen wie zunehmender Massenflucht setzt der Innenminister also auf die Verstärkung des Repressionsapparates des ideellen Gesamtkapitalisten Bundesstaat. Die Tendenz zum starken Staat tritt weltweit immer stärker hervor, die BRD bildet keine Ausnahme.

Ihre föderale Verfassung wird zunehmend als Hemmnis empfunden. Dem Wahlvolk werden diese Leitlinien als zunehmende Sicherheitsvorkehrungen gegen bedrohliche Umtriebe von StraftäterInnen und TerroristInnen verkauft. De Maizière geriert sich als Biedermann für den Ausbau der Unterdrückungselemente eines Klassenstaats, die dem Schutz seiner „BürgerInnen“ dienen sollen. Das wahre Anliegen eines starken Staats ist aber, sich für die Konkurrenz und zunehmende Klassenkämpfe aufzurüsten. Der Schutz von Bürgeranliegen ist weder Motiv der geplanten Verschärfungen noch taugen letztere dazu.

Was nutzt diesen „Bürgerinteressen“ die Einrichtung eines „gemeinsamen Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr“ (GATZ), was die einer „Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“ (ZITiS)? Wem dient die Aufhebung der rechtlichen Trennung zwischen Telekommunikation und Telemedien, die Ausweitung der biometrischen Auswertung durch Gesichtserkennung? Wer profitiert von der ergänzenden Vollzugszuständigkeit des Bundes bei der Aufenthaltsbeendigung, der Einführung eines Ein- und Ausreiseregisters (EES) auf EU-Ebene, von der Ausweitung des Türkei-Abkommens auf weitere Staaten, von dortigen „sicheren Aufnahmezonen“, von Transitzonen an den deutschen Grenzen zur Identitätsprüfung und Asylantragsbearbeitung in „einfachen“ Fällen? Es ist der Klassenunterdrückungsapparat, der daraus Nutzen zieht, nicht die Masse der deutschen Bevölkerung - und schon gar nicht die der „nichtdeutschen“, der Flüchtenden und ArbeitsmigrantInnen!

Neustrukturierung des BKA-Gesetzes

Ganz im Geiste der obigen Leitlinien steht die am 1. Februar 2017 im Bundeskabinett verabschiedete Gesetzesvorlage über das Bundeskriminalamt. Im April 2016 hatte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kassiert, weil den Karlsruher RichterInnen die vorgesehenen Befugnisse zur heimlichen Überwachung zu weit gingen. Demnach sollen zukünftig Daten erhoben werden, die durch den „Einsatz verdeckter Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus“ erlangt wurden. Ferner rüstet das BKA weiter auf. Es soll eine moderne IT-Architektur erhalten. Das BKA soll außerdem die Fußfessel anordnen können, wenn es annimmt, dass der/die Betroffene einen Anschlag begehen könnte oder sein/ihr Verhalten darauf hindeutet. Ursprünglich sollte die Fußfessel nur dann angelegt werden dürfen, wenn der/die „GefährderIn“ wegen einer schweren staatsgefährdenden Straftat verurteilt worden ist. Nach dem Berliner Anschlag hatten de Maizière und Justizminister Maas die neue Vorlage abgestimmt (ND, 2. Februar 2017).

Am 17. Februar diskutierte der Bundestag in erster Beratung zwei Gesetzentwürfe der Großen Koalition, mittels derer der Einsatz der elektronischen Fußfessel ausgeweitet werden soll. So sollen gemäß erstem Entwurf terroristische „GewalttäterInnen“ nach der Haft mittels Fußfessel überwacht werden können, gemäß dem zweiten auch o. a. „GefährderInnen“. Zusätzlich kann den Betroffenen das Betreten bestimmter Gebiete untersagt werden. Bisher darf die elektronische Aufenthaltsüberwachung per GPS nur bei Personen angewandt werden, die mindestens eine dreijährige Haftstrafe verbüßt haben und bei denen das Gericht auch nach ihrer Haft eine hohe Gefährdung für die Allgemeinheit zugrunde legt. Der Gesetzentwurf verkürzt die Haftzeit auf 2 Jahre und erweitert den Einsatzbereich um 4 (mutmaßliche) Delikte: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Terrorismusfinanzierung, Unterstützung oder Werbung für terroristische Vereinigungen (ND, 18./19. Februar 2017).

Ausreisegesetz

Am 22. Februar beschloss die Bundesregierung das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, das zwei Wochen zuvor von der Ministerpräsidentenkonferenz ausgehandelt worden war. Einige Verbände hatten von der Regierung gerade mal 1 Tag zur Stellungnahme einberäumt bekommen! Die Klauseln beinhalten im Einzelnen:

Erweiterung der Abschiebehaft auf „GefährderInnen“, Einführung der GPS-Überwachung für sie (siehe oben);

Zwangsunterkunft für Geduldete, die an ihrer Abschiebung nicht ausreichend mitwirken, z. B. falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben;

die einmonatige Widerspruchsfrist zwischen Ankündigung und Vollzug der Abschiebung für langfristig Geduldete wird abgeschafft;

das Ausreisegewahrsam zur Erleichterung von Sammelabschiebungen wird auf 10 Tage verlängert;

von Deutschen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit darf der ausländische Pass einbehalten werden;

das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) darf besonders geschützte Daten aus medizinischen Attesten in Einzelfällen weitergeben;

die Jugendämter werden verpflichtet, für die ihnen anvertrauten unbegleiteten minderjährigen Refugees von Amts wegen einen Asylantrag zu stellen, damit der Zeitraum bis zur Abreise im Ablehnungsfall verkürzt werden kann (bisher mussten die Jugendlichen nach Erreichen der Volljährigkeit den Antrag selbst stellen);

das BAMF darf zur Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit (evtl. auch Fluchtwegen) Daten aus mobilen Datenträgern wie Mobiltelefonen herausverlangen und auswerten;

Asylsuchende „ohne Bleibeperspektive“ werden verpflichtet, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, möglichst bis zur Abschiebung.

Ende Januar 2017 waren in Deutschland 213.439 Menschen „vollziehbar ausreisepflichtig“, entweder weil sie aus (un)„sicheren“ Herkunftsstaaten wie Afghanistan stammen oder als „ohne Bleibeperspektive“ klassifiziert werden. Diese Klassifizierung bereits vor dem eigentichen Verfahren widerspricht internationalen Normen nach Einzelfallprüfung, wie wir mehrfach geschrieben haben.

In dieses düstere Bild passt auch, dass die EU-Kommission dazu übergehen möchte, das unter Druck geratene System gemäß Dublin-Abkommen praktisch wieder in Kraft zu setzen: ab Mitte März 2017 sollen über Griechenland eingereiste Geflüchtete wieder in dieses kaputtgesparte Land abgeschoben werden können.

Kampf für demokratische Rechte

Die Gesetzesverschärfungen der Bundesregierung sind Bestandteil einer permanenten Einschränkung demokratischer Rechte, der Ausweitung rassistischer Maßnahmen, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Befugnisse und Mittel. Diese innere Aufrüstung hängt eng mit der globalen Konkurrenz und dem Kampf für die Neuaufteilung der Welt zusammen.

Um eine Bewegung gegen diese Angriffe aufzubauen, ist es daher nötig, ihre Rechtfertigung durch Regierung, diverse „SicherheitsexpertInnen“ und bürgerliche Medien zu entlarven. Der Ausbau des staatlichen Repressionsapparates dient vor allem der herrschenden Klasse. Angstmache vor „Terror“ und Hetze gegen Geflüchtete dienen in diesem Zusammenhang nicht nur der Verschleierung der wahren Ursachen für den Ausbau das Apparates, sondern auch dazu, diesen als „Willen des Volkes“ zu verkaufen.

SPD und Grüne machen bei diesem üblen Spiel mit, die Gewerkschaften halten sich raus und auch die Linkspartei kann schlecht glaubhaft gegen Gesetzesverschärfungen eintreten, wenn sie nicht müde wird, Kürzungen bei „unserer“ Polizei zu beklagen oder wenn SozialchauvinistInnen wie Wagenknecht jammern, dass nicht alle Geflüchteten durch die Repressionsorgane erfasst würden.

Wir brauchen nicht mehr Polizei und schon gar keine „besseren“ Dienste. Vielmehr müssten alle deren Dokumente und Machenschaften einer öffentlichen Untersuchung, alle ihre Verstrickungen in Bespitzelungen, dubioses „Überwachen“ der rechten Szene, Lockmethoden öffentlich gemacht und von VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung, rassistisch und polizeilich Schikanierten untersucht werden.

Wir treten für die Abschaffung aller sog. „Sicherheitsgesetze“, die Zerschlagung der Dienste und die Aufhebung aller Einschränkungen demokratischer Rechte ein - einen Kampf, der eng mit dem für offene Grenzen und gleiche Rechte von Geflüchteten und MigrantInnen verbunden ist. Dazu braucht es jedoch nicht nur Aufklärung, sondern vor allem auch den Aufbau einer Massenbewegung der ArbeiterInnenklasse, der Jugend, der rassistisch Unterdrückten.

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Nr. 217, März 17

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