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Der DGB und die “Freizügigkeit”

Internationalismus statt Chauvinismus

Helga Müller, Neue Internationale 160, Juni 2011

Am 1. Mai trat die volle „Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit“ für 8 osteuropäische Länder in Kraft. D.h. lohnabhängig Beschäftigte und Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten, dürfen ohne weitere Einschränkungen ihre Arbeit bzw. ihre Dienstleistung auch in Deutschland anbieten.

Die BRD hatte seit sieben Jahren die „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ seit Inkrafttreten der EU-Richtlinie im Jahr 2004 eingeschränkt und versucht, ihren Arbeitsmarkt v.a. vor den osteuropäischen ArbeitsimmigrantInnen soweit wie möglich abzuschotten. Kurz vor dem Inkrafttreten der vollen „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ warnten verschiedene Kräfte, darunter auch erhebliche Teile des DGB, vor einer „Überschwemmung“ des deutschen Arbeitsmarktes mit osteuropäischen Arbeitskräften und vor der Gefahr des Lohndumpings aufgrund des hohen Lohnunterschieds.

Lohndumping

Dabei ist aber nicht das - durchaus reale - Lohndumping durch „billigere“ Arbeitskräfte das eigentliche Problem, sondern dass die einzelnen Arbeitssuchenden aus den osteuropäischen Ländern gerade auch durch den DGB als die Verantwortlichen für mögliches Lohndumpings ins Visier genommen werden. Der DGB vergisst dabei zu erwähnen, dass bereits heute schon durch verschiedene Maßnahmen der letzten Bundesregierungen Lohndumping grassiert: z.B. durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors - über 1 Mio. Beschäftigte sind Hartz IV-AufstockerInnen, da sie von ihrer regulären Arbeit nicht leben können, oder durch die Zunahme der Leiharbeit, wo weniger verdienen wird und insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen herrschen als bei „Stammbelegschaften“.

Der DGB vergisst dabei auch zu erwähnen, dass sich die Lohn- und Gehaltsentwicklung in der BRD schon längst von der Entwicklung in anderen hochindustrialisierten Ländern in den letzten Jahren abgekoppelt hat. Deutschland zählt im Vergleich zu den westeuropäischen Wirtschaften schon längst nicht mehr zu den Hochlohnländern, was auf die Tarifpolitik der DGB-Gewerkschaften selbst zurückzuführen ist. Insofern ist es ein Hohn, die Arbeitssuchenden aus Osteuropa, die aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, um ihr Leben fristen zu können, als die Verantwortlichen für Lohndumping hinzustellen. Allein in Polen liegt die Arbeitslosigkeit nach offiziellen Statistiken bei 13 %, d.h. über zwei Millionen im erwerbsfähigen Alter sind dort ohne Arbeit.

Auch die Beschlüsse des DGB-Bundesvorstandes vom 5.4.11 unter dem Titel „Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv gestalten“ gehen die mögliche Gefahr des Lohndumpings, das von den Unternehmern genutzt wird, völlig falsch an. Anstatt das unterschiedliche Lohnniveau anzupassen und international anzugehen, werden hier sinnlose Appelle an die schwarz-gelbe Bundesregierung gerichtet, die sich nicht gerade dadurch auszeichnet, „arbeitnehmerfreundliche“ Gesetze zu erlassen. Im Beschluss des DGB wird u.a. gefordert: „Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen und sicher stellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits im Herkunftsland, aber auch in Deutschland, in ihren Herkunftssprachen über die Gefahren von Lohndumping auf dem deutschen Arbeitsmarkt sowie über die Arbeitnehmerrechte aufgeklärt werden.“

Noch schlimmer und direkt chauvinistisch wird es, wenn sich der DGB in diesem Beschluss zum Gehilfen der Behörden macht, um den deutschen Arbeitsmarkt vor ungewollter „Überschwemmung“ durch osteuropäische Arbeitskräfte zu schützen: „Gerade Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den MOE-Ländern (die 8 osteuropäsichen Länder, für die die Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai gilt, Anm. d. Verf.) werden teilweise durch gezielte Täuschung zum Unterschreiben einer Gewerbeanmeldung gebracht („Ein-Mann-Unternehmen“ und „Scheinselbstständige, Anm. d. Verf.). Erforderlich ist ein obligatorisches Verfahren zur Feststellung des Beschäftigtenstatus. Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass sich die zuständigen Behörden, wie z.B. Finanzämter, Gewerbeaufsichtsämter und Sozialversicherungen besser abstimmen.“

Dass dies auch dazu führen kann und wird, dass die betroffenen KollegInnen dann wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, denen sie aus wirtschaftlicher Not entflohen sind, wird hier nicht in Betracht gezogen. Solange es unterschiedliche Arbeitsbedingungen gibt und unterschiedliche Löhne gezahlt werden, werden Unternehmer im Einklang mit den nationalen Regierungen immer versuchen, dies gegen die gesamten Errungenschaften der Arbeiterklasse auszunutzen.

Internationaler Widerstand

Dagegen ist es  von Seiten des DGB und des EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) nötig, eine internationale Kampagne für gleiche Arbeitsbedingungen und Lohnbedingungen zu initiieren und dafür mit den KollegInnen über Ländergrenzen hinweg zu kämpfen.

Als ersten Schritt dazu könnte man z.B. betriebs- und länderübergreifende Kooperationen bilden, um die Möglichkeiten der Arbeitgeber zu beschränken, Beschäftigte gegeneinander auszuspielen, wie es die Leiterin eines Forschungsprojekt der Otto-Brenner-Stiftung (DGB-nahe Stiftung) zu MigrantInnen in der Leiharbeit empfiehlt (zitiert nach: Böckler impuls 5/2011). Wenn dies nicht angegangen wird, kann das nur dazu führen, dass deutsche Arbeiter und Angestellte ihre KollegInnen aus Osteuropa als ihre Konkurrenten betrachten, die ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern und nicht die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft. Einer chauvinistischen Hetzkampagne innerhalb der Arbeiterbewegung kann nur durch den internationalen Kampf und der Hervorhebung gemeinsamer Interesse der gesamten Arbeiterklasse gegen die eigentlichen Gegner - Regierung und Kapital - begegnet werden.

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Nr. 160, Juni 2011
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