Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Klassenkampf

Für politische Massenstreiks!

Anne Moll / Rex Rotmann, Neue Internationale 144, November 2009

Die neue Regierung aus CDU/CSU und FDP wird ihre „demokratische Legitimation“ dafür nutzen, konsequent ihre Politik im Interesse des Kapitals umzusetzen. Trotz kleinerer, oft nur kosmetischer Zugeständnisse zur Beruhigung und der momentanen Versuche, sich als Wolf im Schafspelz zu präsentieren, will und muss sie unter dem Druck der Krise einen energischen Angriffskurs einschlagen, der neben vielen sozialen Einschnitten darauf abzielt, den Lohnabhängigen und den Massen die Kosten der Krise aufzubürden und das Klassenverhältnis deutlich zugunsten des Kapitals zu verschieben.

Dazu zählen u.a. Angriffe auf den Kündigungsschutz, Privatisierungen, Kürzungen und auch rassistische Attacken. Doch auch die immer noch nicht gelöste Krise sorgt mit Pleiten und Massenentlassungen schon dafür, dass das Lebensniveau der Mehrheit sinkt. Ohne Zweifel: Schwarz/Gelb startet einen neuen Generalangriff - nachdem seit der Jahrhundertwende schon Rot/Grün mit den Agenda-Gesetzen einen rigiden sozialen Abwärtstrend eingeleitet hatte.

Ansätze von Widerstand

Bisher gab es seit Ausbruch der Krise, trotz Hunderttausender, die schon entlassen worden sind, und aufgrund der demnächst auslaufenden Kurzarbeitsregelungen nur wenig Widerstand. Doch in etlichen Tarifauseinandersetzungen, bei einigen Anti-Krisen-Demos und einzelnen, tw. sehr energisch geführten betrieblichen Kämpfen zeigte sich, dass Widerstandpotential, dass die Bereitschaft zu kämpfen sehr wohl vorhanden ist. Auch der Wahlerfolg der Linkspartei ist ein gewisser Ausdruck dessen.

Doch bis jetzt sind alle diese Aktionen vereinzelt geblieben. Eine wirkliche Verbindung, eine Ausweitung gab es nicht. Die Hauptschuld daran tragen ohne Frage die Gewerkschaftsbürokratie und das Gros der mit ihr verbundenen Betriebsräte. Ihr Reformismus, ihre sich ausschließlich im Rahmen des Kapitalismus bewegende Logik erweisen sich gerade dann, wenn Widerstand am nötigsten ist, als Katastrophe. Anstatt dem Generalangriff des Kapitals generalisierten Widerstand entgegen zu setzen, anstatt die gesamte Klasse in Bewegung zu setzen, weil auch die ganze Klasse von der Krise betroffen ist, anstatt der Rücksichtslosigkeit des Kapitals mit ganzer Entschlossenheit zu begegnen, versuchen die Reformisten, die „Sozialpartnerschaft“, die Kompromißpolitik, die Standortpolitik fortzusetzen, was unter dem Druck der Krise gar nicht funktionieren kann.

Welche Antwort?

Wie schon bei den Protesten gegen die Agenda, die weit größer waren als derzeit, zeigt sich, dass Einzelaktionen, dass Proteste allein nicht ausreichen, den Klassengegner zu stoppen. Einem Angriff auf die gesamte Klasse - und die Regierungspolitik wie auch die Krise selbst stellen einen solchen generellen Angriff dar - kann nur Paroli geboten werden, wenn die Kampfkraft der gesamten Klasse mobilisiert wird: durch Massenstreiks bis hin zum Generalstreik. Das ist schon deshalb nötig, weil unter dem Druck der Krise - vielen Betrieben drohen der Bankrott oder Massenentlassungen - Widerstand auf betrieblicher Ebene auch schwer durchzuhalten ist.

Die Streiks und Proteste müssen den Rahmen nur betrieblicher, tariflicher, nur ökonomischer Kämpfe sprengen und zentrale Fragen aufwerfen: Wer hat die Verfügungsgewalt über die Produktion?, Wer entscheidet über Anti-Krisen-Programme?, Was soll mit Gesetzen und Reglungen wie Hartz IV oder der Gesundheitsreform passieren?

Eines ist klar: Wenn es nicht gelingt, die vereinzelten Proteste und Kämpfe auszuweiten und politische Massenstreiks bzw. einen Generalstreik durchzuführen, droht der Arbeiterklasse eine schmerzhafte Niederlage, wird das Klassenverhältnis deutlich zu Gunsten des Kapitals verschoben werden.

Doch solche Massenstreiks scheitern derzeit an zwei Umständen: die Antikrisenbündnisse, die Linke und die „sozialen Bewegungen“ haben nicht die Kraft (und auch nicht die politische Substanz), Widerstand solchen Ausmaßes zu organisieren; die Gewerkschaftsführungen wiederum weigern sich beharrlich, auch nur irgendeinen Kampf energisch zu führen. Auch die Linkspartei leistet keinen Beitrag dafür; Lafontaine fordert zwar das Recht auf politischen Streik ein, doch mehr auch nicht.

Positionen

Welche Argumente werden von den Reformisten gegen politische (General)Streiks u.a. angeführt?

Die Lohnabhängigen, Arbeitslosen u.a. Schichten wären nicht ausreichend organisiert. Dieses „Argument“ kann natürlich immer verwendet werden. Doch wer ist für das Niveau an Organisierung verantwortlich - vor allem die Gewerkschaftsführung selbst! Ihre Angst davor, dass Massenaktionen ihre eigene privilegierte Stellung als Unterhändler zwischen Arbeit und Kapital, ihre Kontrolle über die Klasse, ja den Kapitalismus insgesamt in Frage stellen könnten, hält sie davon ab, die Kämpfe voran zu treiben.

Politische Streiks sind in Deutschland verboten. Streng genommen ist das falsch - wohl aber stimmt daran, dass sie keinen gesetzlichen Schutz genießen wie etwa Streiks im Tarifkampf. Entscheidend ist jedoch letztlich nicht ein Verbot darüber, ob es politische Streiks gibt, sondern das reale Kräfteverhältnis. Zum anderen müsste der DGB selbst gegen diese undemokratische Regelung ankämpfen - doch nicht einmal dazu reicht es bei den Bürokraten. Gerade beim Streikrecht zeigt sich der Klassencharakter der Demokratie ganz klar - kein Grund jedoch für Sommer, Bsirske und Co., die Klasse über den wahren Inhalt der bürgerlichen Demokratie aufzuklären.

Der Generalstreik würde - gerade von den rückständigeren Schichten der Klasse - nicht gefordert und man müsse ja „das Bewusstsein aller Gewerkschafter“ berücksichtigen. Sicher, gegenwärtig ist die Generalstreikslosung noch nicht populär - im Unterschied zu den Protesten gegen die Agenda vor einigen Jahren. Doch auch damals war das keineswegs ein Grund für den Apparat, in dieser Richtung etwas zu unternehmen. Zudem kann die Frage, welche Kampfformen nötig sind, nicht davon abhängig gemacht werden, welche Schichten das aktuell fordern oder verstehen, sondern primär davon, was im Interesse der gesamten Klasse objektiv nötig ist.

Bisher gibt es ja keine größere Streiks oder Besetzungen in ein einzelnen Betrieben - wie soll dann überhaupt ein Generalstreik möglich sein? Hier ist erstens anzumerken, dass die Bürokratie betriebliche Regungen nicht ermutigt, sondern - siehe Mahle Alzenau - erstickt hat. Zweitens bedeutet eine allgemeine Krise auch, dass viele Beschäftigte - durchaus mit Recht - skeptisch sind angesichts voneinander isolierter Kämpfe. In einer solchen Krise ist ein politischer Massenstreik oder Generalstreik eben auch deshalb notwendig, weil die Angriffe auf betrieblicher Ebene tatsächlich nicht gestoppt werden können. Probleme wie die Überproduktion in ganzen Industrien können nur durch entschädigungslose Verstaatlichung, planmäßigen Umbau und Arbeiterkontrolle im Sinne der Beschäftigten gelöst werden, also nur durch eine gemeinsame politische Aktion. Diese erwächst aber nicht „spontan“ aus immer mehr Einzelkämpfen, sondern braucht eine Initiative für die gesamte Klasse.

Ein Generalstreik könne nicht einfach ausgerufen, er müsse vorbereitet werden. Natürlich, die Klasse kann (meistens) nicht einfach auf Knopfdruck losschlagen. Doch das Vorbereitungs-„Argument“ der Bürokratie dient nur als Ausrede dazu, nichts vorzubereiten.

Opposition

Immerhin gibt es durchaus einen Teil der Klasse und der Anti-Krisen-Bewegung, der jetzt schon weiß, dass der Krise und dem Krisenmanagement der Regierung nur mit Massenstreiks begegnet werden kann. Dieser Tatsache tragen auch linkere Teile des Apparats (z.B. Riexinger) oder die Gewerkschaftslinke Rechnung, wenn sie politische Massenstreiks als notwendig ansehen. Doch deren Agieren ist oft von zwei grundsätzlichen Mängeln geprägt: 1. wird oft verschwiegen, dass v.a. die Gewerkschaftsführung (aber auch die Linkspartei) dafür die Verantwortung trägt, dass der Widerstand bisher so unzureichend war; 2. wird daraus die entscheidende praktische Schlussfolgerung - eine organisierte Opposition zur Bürokratie im Betrieb und in der Gewerkschaft aufzubauen - nicht gezogen.

Gerade in Deutschland ist es derzeit schwer - wenn nicht unmöglich - politische Massenstreiks durchzuführen, wenn es nicht gelingt, die Gewerkschaften dafür zu gewinnen. Daher ist es so notwendig, auch an die reformistischen Führungen in DGB, Linkspartei und SPD diesbezüglich Forderungen zu stellen diesen aktiv vorzubereiten. Auch dann, wenn diese das nicht tun, wird zumindest mehr ArbeiterInnen klar, wie unbrauchbar diese Führungen tatsächlich sind.

Selbst wenn politische Massenstreiks momentan nicht zustande kommen sollten, so wäre die Stärkung, so wäre der Aufbau einer Opposition gegen die reformistischen Apparate ein kaum zu unterschätzender Fortschritt für die Arbeiterklasse und ein Unterpfand für den Sieg in kommenden Klassenkämpfen.

Der Generalstreik

Was ein Generalstreik ist, welche Probleme er aufwirft und welche Perspektiven er öffnet, wird in Deutschland wenig diskutiert - kein Wunder, da es bisher nur drei davon gab: 1920 gegen den Kapp-Putsch, 1947 in Westdeutschland gegen die soziale Notlage und die Besatzungspolitik und 1953 im Osten gegen die Bürokratie. Bezeichnenderweise waren alle drei eigentlich politische Generalstreiks.

Ein Generalstreik, der die gesamte Klasse oder wesentliche Sektoren (in Deutschland z.B. die IG Metall und oder ver.di) mobilisiert, ist dann notwendig, wenn der Klassengegner massive Angriffe gegen die gesamte Klasse führt oder wichtige Sektoren zentralen Attacken ausgesetzt sind. So waren es z.B. 1926 und 1984 Angriffe auf die britischen Bergarbeiter, welche dort große Teile der Klasse in Solidarität mit ihnen zum Generalstreik animierten.

Ein Generalstreik stellt objektiv die Machtfrage: Wer, d.h. welche Klasse, bestimmt die Geschicke der Gesellschaft? Im Unterschied zu Massenprotesten unterbricht ein Massenstreik das öffentliche Leben und die Produktion (von Profit) und hat daher wesentlich mehr Druckpotential als Proteste.

Doch auch ein Generalstreik beantwortet die Machtfrage nicht. Mündet er nicht in die Entstehung von Räten, Milizen u.a. Machtorganen der Klasse und in eine Arbeiterregierung, die sich auf solche Machtorgane stützt, endet er folgenlos, erreicht er nur Teilziele oder wird sogar blutig niedergeschlagen. Schon die Notwendigkeit, die Klasse über diese Fragen aufzuklären, sie auf solche Auseinandersetzungen vorzubereiten bedeutet, den Generalstreik als politischen Generalstreik zu begreifen und vorzubereiten.

Für RevolutionärInnen bedeutet das v.a., auf zwei Aspekte des Generalstreiks hinzuweisen:

Erstens: Die Arbeiterklasse muss den Streik durch eigene, demokratisch bestimmte Kampforgane kontrollieren und verteidigen. Zweitens: ein Generalstreik kann und muss die Tür zur Machtergreifung der Arbeiterklasse und den Sturz des Kapitalismus aufstoßen.

Der Generalstreik kann eine Doppelmachtsituation erzeugen - doch nur die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und die Etablierung einer revolutionären Arbeiterregierung mittels eines bewaffneten Aufstands sind der entscheidende Schritt durch diese Tür Richtung Sozialismus.

Gerade linken Organisationen sind solche Fragen oft unklar. So argumentiert die SAV seit Jahren für den „24stündigen Generalstreik“. Ohne Frage kann eine solche begrenzte Aktion ein erster Schritt beim Aufbau breiteren Widerstands sein. Doch es ist ein schwerer Fehler, wenn die SAV eine solche Begrenzung (und ein eintägiger Generalstreik ist im Grunde nur ein Warnstreik, der die Machtfrage eben gerade nicht ernsthaft aufwirft) schon im Voraus selbst aufstellt - ohne offen zu sagen, welche Implikationen ein wirklicher Generalstreik hat. Ein solcher Eintagesstreik a la SAV würde nicht nur dem Kapital von vornherein signalisieren, dass der Kampf ja morgen schon wieder vorbei ist und also auf einer Arschbacke ausgesessen werden kann; eine solche „Eintagsfliege“ wäre der Bürokratie u.U. auch ein guter Vorwand, weitergehenden Kämpfen auszuweichen. Vor allem der Vorhut der Klasse liefert die SAV mit ihrer Position kein klares Konzept zum Sieg, das von den objektiven Notwendigkeiten im Klassenkampf ausgehen müsste, während die SAV sich im Grunde nur dem unzureichenden Bewußtsein der Mehrheit der Klasse und der Politik der linkeren Reformisten anpasst. Mit revolutionärer Politik hat das nichts zu tun.

Folgerungen

Was bedeutet all das in der gegenwärtigen Situation? Wir müssen davon ausgehen, dass 1. die Krise längst noch nicht gelöst ist und daher 2. heftige Angriffe kommen werden, die 3. mehr Widerstand provozieren werden.

Es ist nicht ausgeschlossen, ja sogar wahrscheinlich, dass auch einzelne Aktionen wie Betriebsschließungen, Besetzungen, bestimmte Gesetze usw. punktuell oder sogar allgemein sehr militanten Widerstand hervorrufen.

Das bedeutet, dass jeder Widerstand, auch jede Tarifauseinandersetzung, dahingehend unterstützt werden muss, den Kampf auszuweiten: in der Region, der Branche, national und international.

In allen Teilkämpfen müssen die Gesamtsituation, die allgemeine Dimension der Angriffe dargestellt werden. In all diesen Kämpfen muss der Aufbau demokratischer Basisstrukturen, die unabhängig von und wo nötig auch gegen die reformistische Hierarchie in Gewerkschaft und Betrieb handeln können, betont werden.

Selbst die kleinste Diskussionsrunde von KollegInnen im Betrieb über die nächsten Kampfschritte, selbst die kleinste Koordinierung verschiedener Kämpfe und Proteste, selbst der geringste Ansatz bei der Formierung von wirklicher Opposition gegen die Bürokratie ist in Wahrheit und perspektivisch mehr wert als tausend unverbindliche Absichtserklärungen der Spitzen von DGB oder Linkspartei.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 144, November 2009
*  Gewerkschaftslinke und Anti-Krisenkonferenz: Für einen Aktionsplan des Widerstandes
*  Nach der Regierungsbildung: Politische Lage, Taktik und der Aufbau der revolutionären Partei
*  IG BAU: Sieg dem Streik der GebäudereinigerInnen!
*  Angriffe auf Süd-Waziristan: Pakistan vor dem Bürgerkrieg?
*  Nordrhein-Westfalen: Die Landtagswahlen und das Projekt Rot-Rot-Grün
*  Klassenkampf: Für politische Massenstreiks!
*  Frankreich: Wir zahlen nicht für Eure Krise!
*  Interview: Uni-Besetzungen in Österreich
*  Geschichte und Untergang der DDR, Teil 1: Aufbruch und Erstarrung