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Hartz

Angriff ohne Ende

Martin Suchanek, Neue Internationale 111, Juni 2006

Monat für Monat jagt die Regierung eine neue Reformsau durch das Land. Noch vor wenigen Wochen wurden die Hartz-Gesetze „nachgebessert,“ um ihren „Missbrauch“ durch Jugendliche zu erschweren, diese praktisch zurück in die Wohnung der Eltern zu treiben.

Wie jedes Frühjahr und jeden Sommer sollen die Hartzis aufs Land – zum Spargelstechen. Stern-Chefredakteur Joerges deckt angeblichen neuen Missbrauch auf. Die ehemaligen SozialhilfempfängerInnen wären besser dran und würden gar in ein „kommunistisches“ System gedrängt, als wenn Joerges eine Vorstellung von nicht-kapitalistischer Arbeitsteilung hätte.

Im Namen sozialer Gerechtigkeit prescht Stoiber vor. Es ginge einfach nicht an, dass die Lohnabhängigen solch hohe ALG-II-Summen zu finanzieren hätten.

Das alte Lied vom zu geringen Einkommensabstand zum größere werdenden Niedriglohnsektor wird angestimmt.

Hartz hätte nicht gebracht, was es bringen sollte – darin stimmen sie FDP, CDU/CSU, die Grünen und SPD überein. Klar, während manche die „Jahrhundertreform“ durch ein neues, gleiches Projekt ablösen wollen, drängen andere auf die nächste „Nachbesserung,“ Auf Leistungskürzung, verschärfte Kontrolle, Zwangsmaßnahmen durch „Fördern“ und „Fordern“ läuft es allemal hinaus.

Auch Gewerkschaften und Linkspartei.PDS stimmen in den Chor ein, dass die Hartz-Gesetze gescheitert seien, nämlich insofern, als sich das versprochene Jobwunder nicht eingestellt hat.

Der eigentliche Zweck von Hartz- und Agenda-Gesetzen kann freilich nicht daran gemessen werden, ob diese oder jene Maßnahme ihren vorgeblichen arbeitsmarktpolitischen Zielen – mehr Beschäftigung zu schaffen – wirklich näher gekommen ist oder nicht.

Der Zwecke der Hartz- Gesetze und von Agenda 2010, der ganzen sog. Arbeitsmarktreform ist ja auch ein anderer: Drastische Ausweitung des Niedriglohnsektors, massive Verschärfung des Lohndrucks auf die „Normalarbeitsverhältnisse“ und weiteres Absenken des Einkommensniveaus der Erwerbslosen bei gleichzeitiger Stigmatisierung und Disziplinierung.

Natürlich sind wir hier noch lange nicht am Ende der Fahnenstange. Jede weitere Kürzung, jede weitere Lohnsenkung, jeder weitere erfolgreiche Angriff wird nur zu nächsten Kürzungsrunde im Rahmens diesen politischen Angriffs der Kapitalistenklasse führen – eines Angriffs, der zentraler Bestandteil des Programms der Großen Koalition ist.

Auf diesen politischen Angriff braucht es eine politische Antwort. Das ist mittlerweile auch Common Sense unter vielen Linken, Erwerbslosen, GewerkschafterInnen.

Dass der DGB und die Linkspartei gegen diese Zumutungen die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn erheben, ist – wenn auch reichlich spät – richtig.

Dass 7,50 (DGB) oder 8,00 (Linkspartei/Parlamentsfraktion/WASG) nicht reichen und hinter die langjährige Forderung der sozialen Bewegungen, diverser Aktionskonferenzen von 10 Euro pro Stunde zurückfallen, ist aber auch kein Zufall.

Schließlich soll die Forderung nicht allzu sehr über schon bestehenden skandalösen Tarifverträgen liegen, die von den Gewerkschaften in Leiharbeitsfirmen und anderen Niedriglohnbranchen abgeschlossen wurden.

In Wirklichkeit zeigen solche Tarifverträge nur, dass der Tarifvertrag kein Wert an sich ist. Statt den Niedriglohnsektor einzuschränken, geben solche Verträge nur Legitimität zu Billiglöhnen und weiteren Armutseinkommen für Erwerbslose.

Noch viel problematischer ist die Politik der PDS, wo sie selbst Regierungsverantwortung trägt. Dort führt ihr Mitgestalten zur Auslagerung von Dienstleistungen – z.B. an die PIN AG in Berlin mit Bruttolöhnen von 5,80 pro Stunde.

Kein Wunder, also dass die PDS-Kampagne zwar auf Broschüren und Flugblättern stattfindet, um Kommunen und Ländern, wo sie in der Regierung sitzt, oder um Unternehmen wie die PIN-AG einen großen Bogen macht.

Hinter der Politik der Spitzen von DGB, PDS.Linkspartei wie auch der WASG steckt im Grunde eines: Die Forderung nach Abschaffung der Hartz-Gesetze und anderen Zumutungen wird nicht als Forderung gesehen, um die wirklich mobilisiert werden könne oder solle.

Diese Forderungen gelten – ähnlich wie die meisten anderen Forderungen der sozialen Bewegungen oder der Demonstration vom 3. Juni (Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn und Personalausgleich, ...) – als „unrealistisch.“

Und – folgt man der Strategie dieser Führungen – so stimmt das auch. Sie gehen davon aus, dass Forderungen nur über die Parlamente, über Druck auf und Kompromisse mit den Regierungsparteien und den Grünen durchzusetzen wären.

Und das sind sie natürlich nicht.

Wer eine „anti-neoliberale Hegemonie“ im Land als Voraussetzung für einen allgemeinen Abwehrkampf auf der Straße und in den Betrieben betrachtet, wer einen „Stimmungsumschwung“ in den Medien und Meinungsumfragen – also in der bürgerlichen Öffentlichkeit – als Voraussetzung für Massendemos und politischer Streiks gegen die Reformen der Regierung betrachtet, wird nie zu solchen Aktionen kommen.

Umkehrt wird ein Schuh daraus. Die tiefe Unzufriedenheit in der Gesellschaft, der Unmut in den Betrieben, an den Arbeitsämtern, auf den Unis und Schulen, unter den Beschäftigten und Erwerbslosen, der Jugend und den RentnerInnen, den MigrantInnen, den Frauen – kann nur durch die Entwicklung und Organisierung des Widerstandes in den Betrieben und auf der Straße vorankommen.

Dazu müssen die aktuellen politischen und sozialen Kämpfe unterstützt werden. Es heißt aber v.a., dass wir Koordinierungen, Solidaritätskomitees, letztlich bundesweite Aktionsbündnisse gegen die Angriffe brauchen.

Es heißt, dass die Gewerkschaften, die PDS.Linkspartei, die WASG mit ihrer Politik des „kleineren Übels“ brechen müssen. Das werden ihre Führungen niemals von sich aus tun. Es ist dazu vielmehr notwendig, eine organisierte Opposition  - in den Gewerkschaften wie auch in WASG und PDS aufzubauen, die für eine Politik des Klassenkampfes gegen den deutschen Imperialismus, gegen die Angriffe von Kapital und Regierung eintritt.

Dazu ist eine Opposition notwendig, die für ein Aktionsprogramm von Übergangsforderungen eintritt, das nicht nur die Auswirkungen der gegenwärtigen Misere, sondern auch ihre gesellschaftliche Wurzel – den Kapitalismus – bekämpft.

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Nr. 111, Juni 2006

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