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Baden-Württemberg

Streik im Öffentlichen Dienst

Anne Moll, Neue Internationale 102, Juli/August 2005

Am 23. Juni 2005 waren alle Landes-Beschäftigten zum Streik aufgerufen. Damit die CDU- Regierung das nicht kleinreden konnte, gab es als gemeinsame Streikaktion eine Demonstration durch Stuttgart. Es nahmen mehr als 6.000 Beschäftigte aus allen Bereichen des Öffentlichen Dienstes teil. Nicht nur ver.di hatte zum Streik mobilisiert, sondern auch die Gewerkschaft Bildung und Erziehung und der Marburger Bund riefen zur Demonstration auf.

Bezeichnenderweise hat der Marburger Bund, eine ständische reaktionäre Interessensvertretung, aber keinen klaren Streikaufruf zum 23.6 verfasst. Nur dort, wo die wissenschaftlichen Beschäftigten selbst aktiv waren, hat der Marburger Bund sich "notgedrungen" für den Streik ausgesprochen.

Tarifvertrag

Gefordert wurde die Übernahme des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD), der ab 1. Oktober 2005 für die Beschäftigten bei den Kommunen und beim Bund gilt. Die Länder haben diesen "reformierten BAT" aber abgelehnt. Sie fordern noch weiterreichende Einschnitte.

Mit dem TVöD haben die ver.di- VerhandlungsexpertInnen viele Verschlechterungen für die Mitglieder festgeschrieben. Die Arbeitszeit wurde auf 39 Wochenstunden erhöht, für Beschäftigte in den neuen Bundesländern wurde sie allerdings auf diesen Wert gesenkt. Es gibt keine reale Lohnerhöhung, der Ortzuschlag (mehr Gehalt für Beschäftigte mit Kindern) fällt weg, es soll Lohn nach Leistung gehen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden zusammengefasst und gesenkt. Es wird eine Niedriglohngruppe eingeführt, die unter der Mindestlohnforderung von ver.di selbst bleibt. Arbeitszeitkorridore lassen Arbeitszeiten bis 45 Std./Woche und 12 Std./Tag zu. Vieles ist noch unklar und wird jetzt im Eiltempo in "Redaktionsverhandlungen" ausgehandelt.

Wir lehnen die Übernahme des TVöD ab, wie wir insgesamt den TVöD ablehnen, unterstützen aber die Forderungen der Länderbeschäftigten gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnerhöhung.

Besonders negativ ist die "Meistbegünstigungsklausel". Ein von ver.di mit den Arbeit"gebern" der Länder abgeschlossener Tarifvertrag muss in jenen Punkten auf Bund und Kommunen übertragen werden, wo er für die öffentlichen Unternehmen günstigere Bedingungen vorsieht.

Diese Gewerkschaftspolitik, die ohne Rücksprache und Beteiligung der Länderbeschäftigten betrieben wird, muss von den ver.di-Mitgliedern offen angegriffen werden. Der Arbeitskampf, der jetzt organisiert werden muss, muss sich deshalb auch gegen die undemokratischen Strukturen in ver.di richten.

Gemeinsam gegen Arbeitszeitverlängerung und für mehr Lohn! Gemeinsam gegen den TVöD, der für viele Beschäftigte Verschlechterung bringt! Das ist nicht hinnehmbar und muss gerade von den aktiven Gewerkschaftsmitgliedern bekämpft werden.

Andererseits können die Landesregierungen ihre Unverschämtheiten, z.B. auch die einseitige Verlängerung der Arbeitszeit für Neueingestellte und Beförderte, nur durchziehen, weil die Länderbeschäftigten besonders schlecht organisiert sind. Das liegt einerseits an der Staatstreue vieler Berufsgruppen in den Landesverwaltungen, zum anderen an der miserablen Arbeit der ÖTV, was bei ver.di nicht wirklich besser wurde.

Unter dem Motto "Modernisierung des Öffentlichen Dienstes" wurden Privatisierung und Ausgliederung mitgemacht. Eine aktive Gewerkschaftsbewegung muss genau dort ansetzen, muss versuchen, neue Strukturen aufzubauen und die Landes- und Kommunalebene im gewerkschaftlichen Kampf stärken.

Die Aktionen im Juni können ein Signal sein. Bestimmte Betriebe und Berufsgruppen, z.B. Krankenhausärzte haben sich erstmals oder in ungewohnt heftiger Weise an Streiks und an der zentralen Demo beteiligt. Das muss genutzt werden, um verdi stärker zu verankern, neue Mitglieder zu gewinnen und kampffähige Strukturen - Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörper - aufzubauen.

Wie weiter?

Es darf nicht passieren, dass die KollegInnen, die sich jetzt erstmals mobilisieren und engagieren, wieder in der gewohnten Manier von Gewerkschaftsbürokraten verwaltet und von Personalräten bevormundet werden. Der Aufbau von verdi muss einhergehen mit dem Kampf um mehr Demokratie in der Gewerkschaft. Die Basis muss lernen, Forderungen und Ansichten zu formulieren und selbständig demokratische Prozesse gegen autoritäre Vorgesetzte und engstirnige GewerkschaftsbürokratInnen durchzusetzen.

Nur so werden wir den Druck erreichen, der nötig ist, damit die Gewerkschaft wirklich unsere Interessen vertritt. Dabei dürfen wir uns nicht auf unseren Betrieb beschränken, wir brauchen Kontakte in andere Einrichtungen und Branchen - eine Basisbewegung!

Wichtig ist auch, die Beschäftigten zu gewinnen, die im Marburger Bund oder anderen ständischen Berufsvertretungen organisiert sind. Ihre hohe Beteiligung an den Streiks und der Demo hat gezeigt, dass sie mit der Politik ihrer Führungen brechen wollen, die seit Jahren eine Interessensvertretung propagieren, die gerade nicht auf gewerkschaftliche Solidarität setzt, sondern auf die Wahrung von Einzel-Interessen durch Lobby-Arbeit bei Parlamentariern und Regierungsmitgliedern.

Nie war es einfacher, solche AktivistInnen für eine Gewerkschaft zu gewinnen! Der Angriff der Landesregierungen macht deutlich, dass alle Beschäftigten davon betroffen sind. Aber das funktioniert nur, wenn verdi auch die Interessen wirklich vertritt, mit einer gesellschaftlichen Perspektive verbindet und nicht ihrerseits dem Diktat der "leeren Kassen" und der Verbundenheit zur Regierung opfert. Alle gemeinsam in ver.di organisieren, um diese stark zu machen, für unsere Interessen zu kämpfen!

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Nr. 102, Juli/August 2005


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