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Aus:
Vorgetäuschter oder wirklicher Sumpf?" Mit Liebknecht sein, das heißt1.den
Hauptfeind im eigenen Lande angreifen; 2.
die Sozialpatrioten des eigenen Landes (und nicht nur des Auslandes, mit
Verlaub zu sagen, Genosse Grimm!) entlarven, bekämpfen, sich mit ihnen
nicht ‑ mit Verlaub zu sagen, Genosse Grimm! ‑ gegen die
Linksradikalen vereinigen; 3.
nicht nur die Sozialpatrioten, sondern auch die Sozialpazifisten und die
"Zentrumsleute" im eigenen Lande offen kritisieren und deren
Schwächen bloßlegen; 4.
die parlamentarische Tribüne zur Aufforderung des Proletariats zum
revolutionären Kampfe, zum Umkehren der Waffen, benutzen; 5.
unzensurierte Flugblätter verbreiten und ungenehmigte Versammlungen
organisieren; 6.
proletarische Demonstrationen arrangieren, wie z. B. solche auf dem
Potsdamer Platz in Berlin, wo Liebknecht verhaftet worden ist; 7.
zu Streiks der Munitionsarbeiter aufrufen, wie es die Gruppe
"Internationale" mittelst unzensurierter Flugblätter getan hat;
8.
offen die Notwendigkeit einer vollständigen »Regeneration" der
heutigen, sich auf reformistische Tätigkeit beschränkenden, Parteien
beweisen und in diesem Sinne handeln, wie das Liebknecht getan hat; 9.
die Vaterlandsverteidigung im imperialistischen Kriege unumwunden
ablehnen; 10.
gegen den Reformismus und Opportunismus innerhalb der Sozialdemokratie auf
der ganzen Linie kämpfen; 11.
gegen die gewerkschaftlichen Führer, die in allen Ländern, namentlich in
Deutschland, England, in der Schweiz, die Avantgarde des
Sozialpatriotismus und des Opportunismus bildeten, ebenso rücksichtslos
vorgehen usw. Geschrieben
Ende Januar 1917 in deutscher Sprache. Werke, Bd. 23, S. 29e Aus den Schriften Karl Liebknechts
1.
Aus: Militarismus und Antimilitarismus
II.
Der kapitalistische Militarismus
1.
"Militarismus nach außen", Marinismus und Kolonialmilitarismus
Kriegsmöglichkeiten
und Abrüstung
3.
Grundzüge des “Militarismus nach innen” und seine Aufgabe
III.
Mittel und Wirkungen des Militarismus
IV.
Besonderes von einigen Hauptsünden des Militarismus
2.
Die Kosten des Militarismus oder La douloureuse
3.
Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im wirtschaftlichen Kampf
4.
Säbel‑ und Flintenrecht gegen Streiks
8.
Der Militarismus, eine Gefährdung des Friedens
9.
Die Schwierigkeiten der proletarischen Revolution
Zweiter
Teil: ANTIMILITARISMUS
IV.
Antimilitaristische Taktik
1.
Taktik gegen den äußeren Militarismus [ ...]
3.
Anarchistischer und sozialdemokratischer Antimilitarismus
einer
besonderen antimilitaristischen Propaganda
VI.
Der Antimilitarismus in Deutschland und die deutsche Sozialdemokratie
VII
Die antimilitaristischen Aufgaben der deutschen Sozialdemokratie
8
Vgl. dazu die bewegliche Klage Caprivis in der Reichstagssitzung vom 27.
Februar 1891.
2.
Aus: Bericht über die Rede auf der
Ersten
Internationalen Konferenz der
Sozialistischen
Jugendorganisationen in Stuttgart
Jugend
im Kampf gegen den Militarismus
Aus:
Zweite Internationale Konferenz der Sozialistischen Jugendorganisationen
Karl
Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. III, S. 469, 474/475,
478‑482
1. Aus: Militarismus und Antimilitarismus
unter
besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung"' Erster
Teil: MILITARISMUS
II.
Der kapitalistische Militarismus 1.
"Militarismus nach außen", Marinismus und Kolonialmilitarismus Kriegsmöglichkeiten
und Abrüstung
Die
Armee der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erfüllt ebenso wie
die Armee der anderen Klassengesellschaftsordnungen einen doppelten Zweck. Sie
ist zuvörderst eine nationale Einrichtung, bestimmt zum Angriff nach außen
oder zum Schutz gegen eine Gefährdung von außen, kurzum bestimmt für
internationale Verwicklungen oder, um ein militärisches Schlagwort zu
gebrauchen, gegen den äußeren Feind. Diese
Funktion der Armee ist auch durch die neuere Entwicklung keineswegs
beseitigt. Für den Kapitalismus ist der Krieg in der Tat, um Moltkes Worte
zu gebrauchen, "ein Glied in Gottes Weltordnung”. In
dem bekannten Briefe an Bluntschli (Dezember 1880) heißt es: Der
ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein
Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des
Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung
des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt in Materialismus
versumpfen." Wenige Monate vorher hatte Moltke geschrieben: jeder Krieg
ist ein nationales Unglück" ("Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten",
Berlin o. J., Bd. V, S. 193, auch S. 200) und 1841 in einem Artikel der
"Augsburger Allgemeinen Zeitung" gar: "Wir bekennen uns offen
zu der viel verspotteten Idee eines allgemeinen europäischen
Friedens." Der
Marinismus, der Flottenmilitarismus, ist das echte Geschwister des
Landmilitarismus und trägt alle abstoßenden und bösartigen Züge dieses
letzteren. Er Ist in noch höherem Maße als gegenwärtig der
Landmilitarismus nicht nur Folge, sondern auch Ursache internationaler
Gefahren, der Gefahr eines Weltkrieges Wenn
uns gute Leute und Betrüger glauben machen wollen, zum Beispiel die
Spannung zwischen Deutschland und England [ ... ] sei nur etwelchen Mißverständnissen,
Hetzereien böswilliger Zeitungsschreiber, prahlerischen Redensarten
schlechter Musikanten der Diplomatie zu verdanken, so wissen wir es besser.
Wir wissen, daß diese Spannung eine notwendige Folge der sich verschärfenden
wirtschaftlichen Konkurrenz Englands und Deutschlands auf dem Weltmarkte
ist, also eine direkte Folge der zügellosen kapitalistischen Entwicklung
und internationalen Konkurrenz. 2.
Proletariat und Krieg
Wenn
oben die Funktion des Militarismus gegen den äußeren Feind als eine
nationale bezeichnet ist, so ist damit nicht gesagt, daß es eine Funktion
sei, die den Interessen, der Wohlfahrt und dem Willen der kapitalistisch
regierten und ausgebeuteten Völker entspricht. Das Proletariat der gesamten
Welt hat von jener Politik, die den Militarismus
nach außen notwendig, macht, keinen Nutzen zu erwarten, seine Interessen
widersprechen ihr sogar auf das Allerschärfste. Jene Politik dient
mittelbar oder unmittelbar den Ausbeutungsinteressen der herrschenden
Klassen des Kapitalismus. Sie sucht der regellos wilden Produktion und der
sinnlos mörderischen Konkurrenz des Kapitalismus muss mit mehr oder
weniger Geschick über die Welt hinaus den Weg zu bereiten, indem sie alle
kulturellen Pflichten gegen die
minder entwickelten Völkerschaften
niedertrampelt; und sie
erreicht doch im Grunde genommen nichts
als eine wahnsinnige Gefährdung des ganzen Bestandes unserer Kultur
durch die Heraufbeschwörung weltkriegerischer Verwicklungen. Auch
das Proletariat begrüßt den gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung
unserer Tage. Es weiß aber, daß sich dieser wirtschaftliche
Aufschwung auch ohne den gewappneten Arm, ohne Militarismus und Marinismus
ohne den Dreizack in unserer Faust und ohne die Bestialitäten unserer
Kolonialwirtschaft friedlich entfalten könnte, sofern ihm vernünftig
geleitete Gemeinwesen unter internationaler Verständigung und in Übereinstimmung
mit den Kulturpflichten und Kulturinteressen dienen würden. Es weiß, daß
unsere Weltpolitik zu einem großen Teil eine Politik der gewaltsamen und
plumpen Bekämpfung und Verwirrung der inneren sozialen und politischen
Schwierigkeiten ist, vor denen sich die herrschenden Klassen sehen, kurzum
eine Politik bonapartistischer Täuschungs- und Irreführungversuche. Es weiß,
daß die Arbeiterfeinde, ihre Suppe mit Vorliebe am Feuer
des beschränkten Chauvinismus kochen, daß schon die von Bismarck
skrupellos erzeugte Kriegsangst des Jahres 1887 der gemeingefährlichsten
Reaktion gar trefflich Vorspann leistete und daß ein jüngst enthülltes
sauberes Plänchen hochgestellter Persönlichkeiten dahin ging, im trüben
kriegerischer Hurrastimmung dem deutschen Volk "nach Heimkehr eines
siegreichen Heeres" das Reichstagswahlrecht wegzufischen. Es weiß, daß
der Vorteil des wirtschaftlichen Aufschwunges, um dessen Ausnützung sich
jene Politik bemüht, und daß im besonderen der Vorteil unserer
Kolonialpolitik nur der Unternehmerklasse, dem Kapitalismus, dem Erbfeind
des Proletariats, in die weiten Taschen rinnt. Es weiß, daß die Kriege,
die die herrschenden Klassen für sich führen, gerade ihm die unerhörtesten
Opfer an Gut und Blut auferlegen, für die es nach vollbrachter Arbeit mit jämmerlichen
Invalidenpensionen, Veteranenbeihilfen, Leierkästen und Fußtritten aller
Art regaliert wird. Es weiß, daß sich bei jedem Krieg ein Schlammvulkan
an hunnischer Roheit und Gemeinheit über die beteiligten Völker
ergießt und die Kultur auf Jahre hinaus rebarbarisiert.
Es weiß, daß das Vaterland, für das es sich schlagen soll, nicht
sein Vaterland ist, daß es für das Proletariat jedes Landes nur einen
wirklichen Feind gibt: die Kapitalistenklasse, die das Proletariat unterdrückt
und ausbeutet; daß das Proletariat jedes Landes durch sein eigenstes
Interesse eng verknüpft ist mit dem Proletariat jedes anderen Landes; daß
gegenüber den gemeinsamen Interessen des!, internationalen Proletariats
alle nationalen Interessen zurücktreten,. und der internationalen Koalition
des Ausbeutertums und der Knechtschaft die internationale Koalition der
Ausgebeuteten, der Geknechteten gegenübergestellt werden muß. Es weiß, daß
das Proletariat, sofern es in einem Kriege verwendet werden sollte, zum
Kampfe gegen seine eigenen Brüder und Klassengenossen geführt würde und
damit zum Kampfe gegen seine eigenen Interessen. Das
klassenbewußte Proletariat steht daher jener internationalen Aufgabe der
Armee wie der gesamten kapitalistischen Ausdehnungspolitik nicht nur kühl
bis ans Herz hinan, sondern in ernster und zielbewußter Feindschaft gegenüber.
Es hat die vornehmste Aufgabe, den Militarismus auch in dieser Funktion bis
aufs Messer zu bekämpfen, und es wird sich dieser seiner Aufgabe in immer
stärkerem Maße bewußt. 3.
Grundzüge des “Militarismus nach innen” und seine Aufgabe
Der
Militarismus ist aber nicht nur Wehr und Waffe gegen den äußeren Feind,
seiner harrt eine zweite Aufgabe, die mit der schärferen Zuspitzung der
Klassengegensätze und mit dem Anwachsen des proletarischen Klassenbewußtseins
immer näher in den Vordergrund rückt, die äußere Form des Militarismus
und seinen inneren Charakter mehr und mehr bestimmend: die Aufgabe des
Schutzes der herrschenden Gesellschaftsordnung, einer Stütze des
Kapitalismus und aller Reaktion gegenüber dem Befreiungskampf der
Arbeiterklasse. Hier zeigt er sich als ein reines Werkzeug des
Klassenkampfes, als Werkzeug in den Händen der herrschenden Klassen, dazu
bestimmt, im Verein mit Polizei und Justiz, Schule und Kirche die
Entwicklung des Klassenbewußtseins zu hemmen und darüber hinaus einer
Minderheit, koste es, was es wolle, selbst gegen den aufgeklärten Willen
der Mehrheit des Volkes die Herrschaft im Staat und die Ausbeutungsfreiheit
zu sichern. So
steht der moderne Militarismus vor uns, der nicht mehr und nicht weniger
sein will als die Quadratur des Zirkels, der das Volk gegen das Volk selbst
bewaffnet, der den Arbeiter, indem er eine Altersklassenscheidung mit allen
Mitteln künstlich in unsere soziale Gliederung hineinzutreiben sucht, zum
Unterdrücker und Feind, zum Mörder seiner eigenen Klassengenossen und
Freunde, seiner Eltern, Geschwister und Kinder, seiner eigenen Vergangenheit
und Zukunft zu machen sich vermißt, der gleichzeitig demokratisch und
despotisch, aufgeklärt und mechanisch sein will, gleichzeitig volkstümlich
und volksfeindlich. Allerdings soll nicht vergessen werden, daß sich der Militarismus auch gegen den inneren nationalen, selbst religiösen "Feind" in Deutschland zum Beispiel gegen die Polen Elsässer und Dänen richtet und auch bei Konflikten innerhalb der nichtproletarischen Klassen [ ... ] Verwendung finden kann, daß er eine sehr vielgestaltige und wandlungsfähige Erscheinung ist und daß der preußischdeutsche Militarismus durch die besonderen halbabsolutistischen, feudal‑bürokratischen Verhältnisse Deutschlands zu einer ganz besonderen Blüte gediehen ist. Dieser preußisch‑deutsche Militarismus trägt alle schlechten und gefährlichen Eigenschaften irgendeiner Form des kapitalistischen Militarismus an sich, so daß er sich am besten als Paradigma zur Darstellung des Militarismus in seinem gegenwärtigen Zustand, in seinen Formen, seinen Mitteln und seinen Wirkungen eignet. Wie uns angeblich noch keiner ‑ um mit Bismarck zu reden ‑den preußischen Leutnant nachgemacht hat, so hat uns in der Tat noch keiner den preußisch‑deutschen Militarismus ganz nachzumachen vermocht, der da nicht nur ein Staat im Staate, sondern geradezu ein Staat über dem Staate geworden ist. III.
Mittel und Wirkungen des Militarismus
1.
Das unmittelbare Ziel
Wir
gehen nun zu einer speziellen Betrachtung der Mittel und der Wirkungen
des Militarismus über und halten uns hierbei an das Paradigma des preußisch‑deutschen
bürokratisch‑feudal‑ kapitalistischen Militarismus, dieser
schlimmsten Form des kapitalistischen Militarismus, dieses Staates über dem
Staate. Wenn
es auch richtig ist, daß der heutige Militarismus nichts anderes als eine
Manifestation unsrer kapitalistischen Gesellschaft ist, so ist er doch eine
Manifestation, die sich fast verselbständigt hat und nahezu Selbstzweck
geworden ist. Der
Militarismus muß, um seinen Zweck zu erfüllen, die Armee zu einem
handlichen, gefügigen, wirksamen Instrument machen. Er muß sie in militärisch‑technischer
Beziehung auf eine möglichst hohe Stufe heben und andrerseits, da sie aus
Menschen, nicht Maschinen, besteht, also eine lebendige Maschinerie ist, mit
dem richtigen "Geist” erfüllen. Die
erste Seite der Sache löst sich schließlich in eine finanzielle Frage auf
; diese wird unten näher erörtert werden. Die zweite Seite soll uns hier
zunächst näher beschäftigen. Sie
hat einen dreifachen Inhalt. Der Militarismus sucht den militärischen Geist
zunächst und in erster Linie im aktiven Heere selbst, sodann in denjenigen
Kreisen, die für die Ergänzung des Heeres im Mobilmachungsfalle als
Reserve und Landwehr in Betracht kommen, und schließlich in allen übrigen
Kreisen der Bevölkerung, die als Milieu und Nährboden für die
militaristisch und für die antimilitaristisch zu verwendenden Bevölkerungskreise
von Bedeutung sind, zu erzeugen und zu fördern. Soldatenerziehung Jener
richtige "militärische Geist", auch patriotischer Geist‑
und in Preußen‑Deutschland "Geist der Königstreue"
benannt, bedeutet kurzweg jederzeitige Bereitschaft, auf den äußeren und
auf den inneren Feind nach Kommando loszuschlagen. Zu ihrer Erzeugung ist an
und für sich am geeignetsten völliger Stumpfsinn, wenigstens
eine möglichst niedrige Intelligenz, die es ermöglicht, die eine
Herde Vieh zu treiben, wohin es das Interesse der "bestehenden
Ordnung” vorschreibt. Das Geständnis des preußischen Ministers von
Einem, ihm sei ein königstreuer Soldat, auch wenn er schlecht schieße,
lieber als ein minder gesinnungstüchtiger, selbst wenn er noch so gut schieße,
ist sicherlich dem tiefsten Herzen dieses Vertreters des deutschen
Militarismus entsprungen.
Aber der Militarismus befindet sich hier in einer bösen Zwickmühle.
Waffentechnik, Strategie und Taktik fordern heute von dem Soldaten ein nicht
geringes Maß an Intelligenz [ ... 1 und machen den intelligenteren Soldaten
ceteris paribus auch zu dem tüchtigeren. [ ... ] Schon
darum könnte der Militarismus mit einer bloß stumpfsinnigen Masse
heutzutage nichts mehr anfangen. Eine solch stumpfsinnige Masse kann der
Kapitalismus aber schon wegen der wirtschaftlichen Funktionen der großen
Masse, insbesondere des Proletariats, nicht gebrauchen. Der Kapitalismus
ist, um ausbeuten zu können, um eine möglichst hohe Profitrate
herauszuschlagen ‑ was ja seine unentrinnbare Lebensaufgabe ist
‑ durch ein tragisches Verhängnis gezwungen, in weitem Umfange
unter seinen Sklaven dieselbe Intelligenz systematisch zu erzeugen, die
ihm, wie er genau weiß, Tod und Vernichtung bringen muß. Alle Versuche,
durch geschicktes Lavieren, durch raffiniertes Zusammenwirken von Kirche und
Schule das Schifflein des Kapitalismus zwischen der Scylla einer allzu
niedrigen, die Ausbeutung allzusehr erschwerenden, den Proletarier selbst
zum Arbeitstier ungeeignet machenden Intelligenz und. der Charybdis einer
die Köpfe der Ausgebeuteten revolutionierenden, der überall heranströmenden
Klassenerkenntnis weit öffnenden, für den Kapitalismus notwendig
verderblichen Bildung hindurchzubugsieren, sind trost‑ und
hoffnungslos. Nur die ostelbischen Landarbeiter, die nach dem berühmten Kröcherschen
Wort in der Tat als dümmste Arbeiter noch die, notabene für den Junker,
besten Arbeiter sein können, bieten in größerem Umfange dem Militarismus
ein Material, das sich rein sklavisch‑herdenmäßig ohne weiteres auf
Kommando lenken, aber freilich wegen seiner selbst für den Militarismus allzu
geringen Intelligenz im Heer nur mit Vorsicht und innerhalb gewisser Grenzen
gut gebrauchen läßt. Unsre
besten Soldaten sind Sozialdemokraten, lautet ein viel zitiertes Wort. Man
erkennt daran die Schwierigkeit der Aufgabe, die Armee der allgemeinen
Wehrpflicht mit dem richtigen militärischen Geist zu versorgen. Da der bloße
Sklaven‑ oder Kadavergehorsam nicht ausreicht, aber auch nicht mehr möglich
ist, muß der Militarismus sich den Willen seiner Mannschaft auf einem
Umwege zu eigen machen, um sich auf diese Weise "Schießautomaten"
zu schaffen. [ ... ] Er muß ihn durch geistige und seelische Beeinflussung
oder durch Gewaltmittel beugen, er muß ihn ködern oder zwingen.
"Zuckerbrot und Peitsche" heißt es auch hier. Der richtige
"Geist", den der Militarismus
braucht , ist erstens mit Rücksicht auf seine Funktion gegenüber
dem äußeren Feind : chauvinistische Verbohrtheit, Engherzigkeit und Selbstüberhebung,
zweitens mit Rücksicht auf seine Funktion gegenüber dem inneren Feind :
Unverständnis oder selbst Haß gegen jeden Fortschritt, gegen jede die
Herrschaft der
augenblicklich herrschenden Klasse auch nur im entferntesten bedrohende
Unternehmung und Bestrebung. In diese Richtung hat der Militarismus, soweit
er mit dem Zuckerbrot ködern will, das Denken und Empfinden der Soldaten zu
lenken, denen ihr Klasseninteresse jeden Chauvinismus vom Leibe hält und
jeden Fortschritt bis zum Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung als
einzig verständiges Ziel erscheinen läßt. IV.
Besonderes von einigen Hauptsünden des Militarismus
2.
Die Kosten des Militarismus oder La douloureuse
Man
vergleiche den Gesamtetat‑ des Deutschen Reiches für 1906/1907 in Höhe
von 2.397.324.000 Mark mit dem Anteil, der auf Heer und Marine entfällt,
‑und man sieht, daß alle übrigen Posten gegenüber diesem einen
gewaltigen nur die Rolle kleiner Trabanten spielen, daß sich alles
Steuerwesen, die gesamte Finanzwirtschaft um das Militärbudget gruppiert,
"wie der Sterne Heer sich um die Sonne stellt". So
wird der Militarismus zum gefährlichen Hemmschuh, oft zum 'Totengräber
selbst desjenigen kulturellen
Fortschritts, der an und für sich im Interesse auch der heutigen
Gesellschaftsordnung läge. Schule,
Kunst und Wissenschaft, öffentliche Hygiene, Verkehrswesen: Alles wird
aufs äußerste stiefmütterlich behandelt, da wir für Kulturaufgaben, um
ein bekanntes Wort zu gebrauchen ' bei Molochs Gefräßigkeit nichts übrig
haben/Das Ministerwort: Die Kulturaufgaben leiden nicht, wurde höchstens
von den ostelbischen Junkern bei ihren geringen Kulturansprüchen mit überzeugter
Zustimmung aufgenommen, während es selbst den sonstigen Vertretern der
kapitalistischen Gesellschaft nur ein Augurenlächeln abzunötigen
vermochte. Zahlen
beweisen. Eine Gegenüberstellung der eineindrittel Milliarde des deutschen
Militäretats von 1906 und der 171 Millionen, die Preußen 1906 für
Unterricht aller Art aufgewendet hat, der 420 Millionen, die Österreich‑Ungarn
1900 für militärische Zwecke, und der fünfeinhalb Millionen, die es für
Volksschulen verausgabt hat, genügt. Das neueste preußische
Schulunterhaltungsgesetz mit seiner kleinlichen Regelung der
Lehrergehaltsfrage sowie der berüchtigte Studtsche Erlaß gegen die
Aufbesserung der Lehrergehälter in den Städten sprechen Bände.
Deutschland wäre reich genug, alle Kulturaufgaben zu erfüllen; und
je mehr diese Aufgaben erfüllt würden, um so leichter würde es ihm, ihre
Kosten zu tragen. Aber die Barriere des Militarismus versperrt den
Weg. Die
Art, in der die militärischen Kosten in Deutschland aber anderwärts,
zum Beispiel in Frankreich, kaum minder ‑ aufgebracht werden, stachelt
ganz besonders auf. Der Militarismus ist, man kann fast sagen, der Schöpfer
und Erhalter unsres erdrückenden ungerechten indirekten Steuerwesens. Die
gesamte Reichszoll‑ und Reichssteuerwirtschaft, die auf eine
Auspowerung der großen Masse, das heißt der bedürftigen Masse unsrer Bevölkerung,
hinausläuft und der es im wesentlichen zu verdanken ist, wenn sich zum
Beispiel im Jahre 1906 die Kosten der Lebenshaltung für die Masse des Volks
gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1900 bis. 1904 allein um 10 bis 15
Prozent gesteigert haben, dient neben dem Junkertum, dieser
Schmarotzerklasse, deren zärtliche Versorgung zu einem sehr großen Teil
wiederum durch militaristische Gründe verursacht ist, in erster Linie
militaristischen Zwecken. Nicht
minder haben wir es hauptsächlich dem Militarismus zu danken, wenn unser
Kommunikationswesen, dessen Ausbildung und Vervollkommnung übrigens gerade
im höchsten Interesse eines verständigen und seines Interesses klug bewußten
Kapitalismus liegt, dennoch längst nicht den Anforderungen des Verkehrs und
der Entwicklung der Technik entspricht, sondern als milchende Kuh zu einer
besonderen indirekten Besteuerung des Volks ausgenutzt wird. Kein
Zweifel, der Militarismus ist dem Kapitalismus in vieler Hinsicht selbst
eine Last, aber diese Last sitzt ihm so fest auf dem Nacken, wie der
geheimnisvoll mächtige Greis auf den Schultern Sindbads, des Seemanns. Er
bedarf seiner, wie man im Kriege der Spione bedarf und in Friedenszeiten der
Scharfrichter und Henkersknechte. Er mag ihn hassen, aber er kann ihn nicht
entbehren, so wie der christliche Kulturmensch die Sünden gegen das
Evangelium verabscheut und ohne sie doch nicht leben kann. Der Militarismus
ist eine Erbsünde des Kapitalismus, die zwar hie und da der Besserung zugänglich
ist [ ... ], von der ihn aber erst das Fegefeuer des Sozialismus läutern
wird. 3.
Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im wirtschaftlichen Kampf
Vorbemerkung Wir
haben oben gesehen, wie der Militarismus geradezu die Achse geworden ist, um
die sich unser politisches, soziales und wirtschaftliches Leben mehr und
mehr dreht, wie er der Drahtzieher ist, der an dem "Drahte", dem
nervus rerum, die Puppen des kapitalistischen Puppentheaters tanzen läßt.
Wir haben gesehen, welchem Zweck der Militarismus dient, wie er diesen Zweck
zu erreichen sucht und wie er bei Verfolgung dieses Zweckes mit
Naturnotwendigkeit das Gift selbst erzeugen muß, an dem er sterben soll.
Wir haben auch erörtert, welche wichtige staatserhaltende, leider nur wenig
erfolgreiche Rolle er als Gesinnungspaukschule für das Volk im bunten Rock
und in Zivil spielt. Damit begnügt er sich aber nicht, sondern übt schon
heute in ruhigen Zeiten seine staatsstützende Einwirkung nach verschiedenen
andern Richtungen aus, zur Vorbereitung, zur Vorübung für seinen großen
Tag, wo er nach langer Lehrlings‑ und Gesellenzeit sein Meisterstück
zu liefern hat, für den Tag, da sich das Volk frech und unbotmäßig wider
seine Herren erhebt, den Tag des großen Kladderadatsches. An diesem Tage, den seine Leibgarde lieber heute als morgen aufgehen sähe, weil sie ihn um so sicherer zu einer Sintflut für die Sozialdemokratie zu machen hofft, wird er nach Herzenslust mit Gott für König und Vaterland en gros füsilieren, kartätschen, massakrieren; der 22. Januar 1905, die blutige Maiwoche des Jahres 1871 werden ihm Ideal und Vorbild sein. [...] Also der gepanzerte Arm ist stets erhoben, bereit, zerschmetternd einzuschlagen. Man heuchelt: "zur Sicherung der Ordnung", zum Schutz der Freiheit der Arbeit", und man meint: "zur Sicherung der Unterdrückung", "zum Schutz der Ausbeutung". Regt sich das Proletariat in unbequemer Lebhaftigkeit und Macht, gleich sucht es der Militarismus säbelrasselnd zurückzuscheuchen ider Militarismus, der allgegenwärtig und allmächtig hinter jeder arbeiterfeindlichen Aktion unsrer Staatsgewalt steht und ihr den letzten, heute noch unüberwindlichen Nachdruck verleiht, der sich aber nicht nur für die großen Momente im Hintergrunde, hinter der Vorhut der Polizei und Gendarmerie hält, sondern zielbewußt stets bereit steht, auch die Alltagsarbeit zu unterstützen und in zähem Kleinkam die Pfeiler der kapitalistischen Ordnung zu festigen. Gerade die vielgeschäftige Vielseitigkeit kennzeichnet in ihrem Raffinement den kapitalistischen Militarismus. Soldaten
als Konkurrenten gegen freie Arbeiter
Der
Militarismus ist sich als Funktionär des Kapitalismus sehr wohl dessen bewußt,
daß die Förderung des Unternehmerprofits seine höchste und heiligste
Aufgabe ist. So hält er sich für wohl befugt, selbst verpflichtet, die
Soldaten dem Unternehmertum, besonders dem Junkertum zur Steuerung der durch
unmenschliche Ausbeutung und Brutalisierung der Landarbeiter hervorgerufenen
Leutenot offiziell oder offiziös als Arbeitsvieh zu gestellen. Armee und Streikbruch
Unmittelbar
greift der Militarismus in die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterschaft
ein, indem er Soldaten zu Streikbrecherdiensten militärisch kommandiert. [
... ] Besonders
berüchtigt ist aus Deutschland noch jene beim Nürnberger Streik vom Sommer
1906 geübte Methode, die zur Entlassung kommenden Mannschaften mit sanftem
Druck in die Reihen der Streikbrecher zu schieben. [
... ] Daß
die militärische Erziehung Arbeitswilligkeit systematisch züchtet und die
aus der aktiven Armee entlassenen Arbeiter durch ihre Bereitschaft, den
Klassengenossen in den Rücken zu fallen, dem kämpfenden Proletariat gefährlich
werden, zählt gleichfalls zu den internationalen militaristischen
Errungenschaften 4.
Säbel‑ und Flintenrecht gegen Streiks
Vorbemerkung Die
Militärbehörden allerorten sind seit jeher durchdrungen von der
kapitalistischen Wahrheit des Wortes, daß hinter jedem Streik die Hydra der
Revolution lauere. So ist die Armee allezeit auf dem Posten, um, wo
Polizeifaust, Polizeisäbel und Polizeirevolver gegenüber sogenannten
Streikexzessen nicht sofort hinreichen, mit ihrem hauenden Säbel und ihrer
schießenden Flinte die unbotmäßigen Unternehmersklaven zu Paaren zu
treiben. [
... ] Wesensverwandt
mit dieser Verwendung der Militärgewalt ist die Tätigkeit der
Kolonialarmeen und Schutztruppen gegen die Eingeborenen der Kolonien, die
sich nicht gutwillig in das Joch der schnödesten Ausbeutung und Habgier
pressen lassen wollen. Indessen können wir auf dieses Gebiet nicht näher
eingehen, Wohl
aber läßt sich hier oft keine scharfe Grenzscheide zwischen der
eigentlichen Armee und der Gendarmerie sowie der Polizei ziehen, die Hand in
Hand arbeiten, sich gegenseitig ersetzen und ergänzen und auch schon darum
eng zusammengehören, weil ja gerade die Eigenschaft, auf die es hier
ankommt, die gewalttätige Draufgängerei, die Bereitwilligkeit und
Bereitschaft, rücksichtslos und schneidig mit blanker Waffe gegen das Volk
zu wüten, auch bei Polizei und Gendarmerie in der Hauptsache ein echtes
Produkt der Kaserne, eine Frucht militaristischer Pädagogik und Ausbildung
ist. [
... ] 8.
Der Militarismus, eine Gefährdung des Friedens
Nationalistische
Gegensätzlichkeiten das Bedürfnis nationaler Ausdehnung infolge der
Bevölkerungsvermehrung, das Bedürfnis nach Einverleibung von Gebieten mit
natürlichen Schätzen zur Hebung des Nationalreichtums (will sagen: des
Reichtums der herrschenden Klassen) und zur Verselbständigung des Staats zu
einer in der Produktion sich möglichst selbst genügenden
Wirtschaftseinheit (eine natürliche Ergänzungstendenz zur
Schutzzollpolitik, eine Tendenz, die freilich gegenüber der sich immer stärker
durchsetzenden weitausgreifenden internationalen Arbeitsteilung nur von
verschwindender Bedeutung sein kann), das Bedürfnis nach Erleichterung des
Verkehrs im Inland und mit dem Ausland (zum Beispiel durch Erwerbung von
schiffbaren Flüssen, von Seehäfen usw.), des Verkehrs, der das Mittel ist,
durch das sich der Stoffwechsel des Wirtschaftskörpers, der Handel,
vollzieht ‑ und Gegensätze des allgemeinen kulturellen Niveaus,
insbesondere auch der politischen Entwicklungsstufe, können sehr wohl auch
heute noch internationale politische Spannungen erzeugen. Die wichtigsten
politischen Spannungen, die heute zu internationalen kriegerischen
Verwicklungen führen können, entstehen aber, wie oben bereits dargelegt,
durch die Konkurrenz der einzelnen Staaten innerhalb der Weltwirtschaft,
durch den Welthandel, durch die Weltpolitik mit all ihren Komplikationen,
insbesondere die Kolonialpolitik. Hauptträger dieser Spannungen sind die mächtigen
Expansionsinteressenten der Industrie und des Handels, die als Interessenten
an einem erfolgreichen Krieg bezeichnet werden mögen. Es kann aber nicht verkannt werden, daß die Existenz der stehenden Heere, in denen sich der Militarismus in seiner ausgeprägtesten Form sedimentiert, an und für sich den internationalen Frieden bedroht, eine selbständige Kriegsgefahr bildet. Dabei mag ganz davon abgesehen werden, daß die Steigerung der militärischen Lasten, jene »Schraube ohne Ende", zu der Neigung führen kann, einen günstigen Augenblick jeweiliger militärischer Überlegenheit nicht unbenützt verstreichen zu lassen oder eine nun einmal doch für notwendig gehaltene kriegerische Auseinandersetzung vor einer weiteren ungünstigen Verschiebung des militärischen Stärkeverhältnisses zum Austrag zu bringen, eine Neigung, die bekanntlich bei dem jüngsten Marokkokonflikt in Frankreich nicht ohne Einfluß war [ ... ], die aber stets mehr für den Zeitpunkt des Kriegsausbruchs als für den Ausbruch selbst maßgebend ist. Aber
das stehende Heer erzeugt, wie in viel geringerem Maße ja auch die Miliz,
eine moderne Kriegerkaste, eine Kaste von Personen, die sozusagen von
Kindesbeinen auf den Krieg dressiert sind, eine privilegierte
Konquistadorenkaste, die im Kriege Abenteuer und Beförderung sucht. Hinzu
kommen diejenigen Kreise, die im Falle eines Kriegs ihr besonderes Schäflein
scheren, die Lieferanten von Waffen, Munition, Kriegsschiffen, Pferden, Ausrüstungs-
und Bekleidungsmaterial, Verpflegungs- und Transportmitteln, kurz: die
Armeelieferanten, deren es natürlich auch aber minder in
Milizstaaten gibt. Beide Gruppen von speziellen Kriegsinteressenten, das heißt
von Interessenten am Kriege, an der Kriegsführung selbst die
abenteuerlustige der Offiziere und die vom Kriegserfolg ganz unabhängige
der Armeelieferanten, sitzen, um einen populären Ausdruck zu gebrauchen,
dicht an der Spritze. Sie sind versippt mit den höchsten Staatsämtern und
besitzen großen Einfluß auf diejenigen Instanzen, die formell über Krieg
und Frieden zu entscheiden haben. Sie lassen keine günstige Gelegenheit vorüber
ohne zu versuchen, diesen Einfluß, den sie meist durch ihre Bewucherung des
Militarismus erst erworben haben, in pures Gold umzusetzen und
Hekatomben von Proletariern auf dem Altar ihres Profit's opfern zu lassen.
Sie hetzen als Kolonialtreiber das "teure Vaterland" in gefährliche,
kostspielige, für sie höchst profitable Abenteuer, um dann als
Flottentreiber dieses selbige Vaterland auf Kosten anderer in einer für sie
wiederum höchst profitablen Manier zu retten.10 So
bedeutet Kampf gegen die stehenden Heere und den chauvinistisch-militaristischen
Geist Kampf gegen eine Gefahr für den Völkerfrieden. Das alte Wort: Si vis
pacem, para bellumil mag für den einzelnen von militaristischen Staaten
umgebenen Staat immerhin gelten, keinesfalls aber gilt es für die
Gesamtheit der kapitalistischen Staaten, an die sich die internationale
Agitation der Sozialdemokratie richtet. Und noch weniger spricht dieser Satz
für die Notwendigkeit, sich auf den Krieg gerade in Form des stehenden
Heeres vorzubereiten, auf das im Gegenteil der genau umgekehrte Satz
zutrifft: Si vis bellum, para pacem12 keine größere
Kriegsgefahr als eine solche Friedenssicherung! Für den aggressiven
wirtschaftlich politischen Imperialismus unsrer Tage freilich ist das stehende
Heer die adäquate Form der Kriegsvorbereitung. So
wahr aber der Völkerfriede im Interesse des internationalen Proletariats
und darüber. hinaus im Kulturinteresse der gesamten Menschheit liegt, so
wahr ist der Kampf gegen den Militarismus, der da alles in allem gleich ist
der Völkerverhetzung, der Summe und dem Extrakt aller friedenstörenden
Tendenzen des Kapitalismus kurzum, der da die ernste Gefahr des Weltkrieges
ist, ein Kulturkampf, den zu führen das Proletariat stolz ist, den es in
seinein ureigensten Interesse führen muß und den zu führen keine andre
Klasse als solche (einzelne wohlmeinende Schwärmer bestätigen hier nur die
Regel) ein nur entfernt ebenso großes Interesse besitzt. Der
Militarismus stört aber auch den inneren Frieden, nicht nur durch die ihm
eigene Verrohung der Bevölkerung, durch die schweren wirtschaftlichen
Lasten, die er dem Volk auferlegt und durch den so geschaffenen
Steuer‑ und Zolldruck, nicht nur durch die Hand in Hand mit ihm
einhergehende Korruption (vergleiche die Woermann, Fischer, von Tippelskirch,
Podbielski und Genossen), nicht nur durch die Zerreißung des unter der
Klassentellung schon genugsam seufzenden Volks in zwei Kasten, nicht nur
durch Militärmißhandlungen und Militärjustiz, sondern vor allem dadurch,
daß er ein mächtig wirksamer Hemmschuh gegen jeden Fortschritt, daß er
ein kunstvolles und höchst kräftiges Instrument ist, um das Ventil des
sozialen Dampfkessels gewaltsam zuzupressen. Wer immer eine Fortentwicklung
des Menschengeschlechts für unvermeidlich hält, für den ist das Bestehen
des Militarismus das wichtigste Hindernis für die Friedlichkeit und
Stetigkeit einer solchen Entwicklung, dem ist der ungebrochene Militarismus
gleichbedeutend mit der Notwendigkeit blutigroter Götzendämmerung des
Kapitalismus. 9.
Die Schwierigkeiten der proletarischen Revolution
So
Ist die Beseitigung oder möglichste Schwächung des Militarismus eine
Lebensfrage für den politischen Emanzipationskampf, dessen Form und Art der
Militarismus in gewissem Sinne degeneriert und damit entscheidend beeinflußt,
eine Lebensfrage um so mehr, als die Überlegenheit der Armee über das Volk
ohne Waffen, Über das Proletariat, infolge der hochentwickelten Technik und
Strategie, infolge der Riesenhaftigkeit der Armeen, infolge der ungünstigen
lokalen Gliederung der Klassen und bei dem für das Proletariat
besonders ungünstigen wirtschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen
Proletariat und Bourgeoisie eine weit größere ist als je, und schon darum
wird Jede künftige proletarische Revolution bei weitern schwieriger sein
als jede bisherige Revolution. Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen
zu halten, daß in der bürgerlichen Revolution das treibende revolutionäre
Bürgertum längst wirtschaftlich das Heft in Händen hatte, bevor die
Revolution im engeren Sinne zum Ausbruch kam, daß es eine zahlreiche, ihm
wirtschaftlich unterworfene und seinem politischen Einflusse preisgegebene
Klasse für sich in das Feuer treiben und sich die Kastanien aus dem Feuer
holen lassen konnte, daß es den alten Plunder des Feudalismus gewissermaßen
erst angekauft hatte, bevor es ihn zertrümmerte oder in die Rumpelkammer
warf, während das Proletariat alles, was dort mit Reichtum errungen ist,
mit Hunger und mit den eigenen nackten Leibern erobern muß. Zweiter
Teil: ANTIMILITARISMUS
IV.
Antimilitaristische Taktik
1.
Taktik gegen den äußeren Militarismus [ ...]
Das letzte Ziel des Antimilitarismus ist die Beseitigung des Militarismus, das heißt: Beseitigung des Heeres in jeder Form, mit der dann notwendig alle die gekennzeichneten sonstigen Erscheinungen des Militarismus fallen, die sich im Grunde nur als Nebenwirkungen der Existenz des Heeres darstellen. Der Mantel fällt, der Herzog muß nach. Dieses
Ziel würde auch das Proletariat nur unter der Voraussetzung sofort
verwirklichen dürfen, daß ein internationaler Zustand besteht, in dem
jede Notwendigkeit, das Heer im Interesse des Proletariats zu verwenden,
ausgeschlossen ist, wobei die Interessen des Proletariats den nationalen
Interessen keineswegs zu widersprechen brauchen. Die
Notwendigkeit des Heerwesens auch für den Kapitalismus könnte, logisch
betrachtet, beseitigt werden durch Beseitigung der Konfliktmöglichkeiten
oder durch gleichmäßige internationale Wehrlosmachung. Die
Beseitigung der Konfliktmöglichkeiten hieße vor allem Beseitigung der
Expansionspolitik, die, wie an anderer Stelle erwähnt in einer Vertrustung
des Erdballs unter die Großmächte möglicher` weise dereinst ihren natürlichen
Abschluß finden wird; es hieße auch, was jedoch am letzten Ende das nämliche
wäre: Schaffung eines Weltbundesstaates.
Das ist aber vorläufig romantische Zukunftsmusik; alle Wahrscheinlichkeit
spricht dafür, daß die Weltpolitik diesen ihren "Beharrungszustand
nicht erreichen wird, bevor das Proletariat sein Endziel verwirklicht und
seine Weltpolitik an Stelle der kapitalistischen gesetzt haben wird.
Und
mit der internationalen Wehrlosmachung liegt es noch schlimmer. Sie bedeutet
nicht nur ein Aufgeben des militärischen Wettrennens durch alle
Militärstaaten und damit einen Verzicht auf die Gewinnchancen, die der eine
oder der andere gerade der mächtigsten und auf das Zustandekommen einer
solchen Wehrlosmachung einflußreichsten Staaten hat oder zu haben glaubt
(daher der Vermittelungsvorschlag der verhältnismäßigen Kontingentierung
der einzelnen Armeen!); sie bedeutet außerdem nicht mehr und nicht weniger
als eine Preisgabe derjenigen internationalen Interessen, die die
herrschenden Klassen, den Kapitalismus, zum Appell an die ultima ratio regum
(das letzte Mittel der Könige) veranlassen könnten, das heißt aber gerade
solcher Interessen, die vom Kapitalismus für höchst wichtig, ja für
Lebensinteressen gehalten werden, besonders der Expansionspolitik. Der
Glaube, daß all dies unter der Herrschaft des Kapitalismus vor Erreichung
jenes natürlichen weltpolitischen Beharrungszustandes durchgesetzt werden könne,
ist ein wahrer Köhlerglaube. Gewiß verstärkt sich der antiweltpolitische,
weltbundesfreundliche Einfluß des Proletariats auf die äußere Politik
auch in zurückgebliebenen Ländern mehr und mehr und mag zur Abschwächung
der Kriegsgefahren, zur Friedhaftmachung der Weltpolitik beitragen; aber die
Steigerung des proletarischen Einflusses steigert auch die Gefahr
bonapartistischer Kunststücke, so daß zweifelhaft sein mag, ob auch nur
die Summe der Kriegsmöglichkeiten vermindert wird, von ihrer Beseitigung
aber keine Rede sein kann. [
... ] Bis
der wirtschaftliche und soziale Beharrungszustand, den die Sozialdemokratie
erstrebt, die Aufhebung des Klassencharakters der Gesellschaft,
international verwirklicht ist, gibt es Kriegsmöglichkeiten, denen sich
auch die Sozialdemokratie, oder gerade die Sozialdemokratie, nicht verschließen
kann. [ ... 1 Natürlich kann es infolge und im Verlaufe solcher Kriege zu
Aufständen, zu Revolutionen kommen und jeder der Kriegsmächte die
Notwendigkeit aufgezwungen werden, die Waffen gegen das eigene Proletariat
zu kehren, und damit auch eine Interessensolidarität der herrschenden
Klassen der kriegführenden Mächte gegen das Proletariat dieser Mächte
zustande kommen: Das wird dann aber meist eine Tendenz zur Beendigung des
Krieges auslösen. Und ebenso natürlich ist, daß jeder glückliche Krieg
aus kapitalistischen Motiven, ob bezweckt oder nicht, bonapartistische
Wirkungen zeitigt, während bei ungünstigem Verlauf der sicheren
kulturellen Schädigung allerdings die Chance eines Zusammenbruchs der
kapitalistischen Reaktion gegenübersteht. So ist für das Proletariat ein
außerordentlich starker Antrieb zur Aktion gegen den Krieg gegeben. [
... ] Natürlich
ist die Frage der grundsätzlichen Stellung zum Krieg von höchster
praktischer Wichtigkeit und keineswegs eine theoretische Spintisiererei. Sie
entscheidet sich auch nicht etwa von selbst, wenn ein konkreter Fall
vorliegt; im Gegenteil: Gerade ein solcher konkreter Fall bringt mit der
Erregtheit der Situation gar leicht eine Tendenz zur Verwirrung der klaren
Einsicht. [ ... ] Weiter
ist in jedem einzelnen Fall neben der Frage, was grundsätzlich erwünscht,
zu prüfen, was praktisch erreichbar ist. Und auch hier ist Herv6 von gefährlichen
Illusionen durchdrungen. Zum Generalstreik und Militärstreik gegen jeden
der Arbeiterklasse schädlichen Krieg ist die Zeit noch nicht reif. Herve
ruft: Energische antimilitaristische und antipatriotische Agitation, und der
Berg wird zu Mohammed kommen! Hier schillert er anarchistisch. Wir müssen
sagen: Das Proletariat ist in seiner überwiegenden Masse noch nicht
klassenbewußt, noch nicht sozialdemokratisch aufgeklärt, geschweige denn
in jedem Fall für jene antipatriotische Aktion zu haben, die ebensoviel
Opferwilligkeit und kalten Mut wie Besonnenheit im Strudel der
leidenschaftlichsten chauvinistischen Brandung heischt. Ein voller Erfolg
ist nicht zu erzielen; das Maß des Erfolges, der Wehrlosmachung, wird im
direkten Verhältnis zu dem Maße an Schulung und Bildung stehen, deren die
Arbeiterklasse jedes Landes teilhaftig ist: Das rückständigste Volk bleibt
am wehrhaftesten. Eine Aktion dieser Art wäre so lange eine Prämie auf
kulturelle Rückständigkeit, als nicht die Schulung und Kampfbereitschaft
der großen Masse des Proletariats in den vom Kriege betroffenen Ländern
fast gleichmäßig aufs höchste gesteigert ist. Organisation und allgemeine
revolutionäre Aufklärung der Arbeiterschaft sind die Vorbedingungen für
einen erfolgreichen General- und Militärstreik im Falle eines Krieges. Die
bloße antimilitaristische Propaganda dazu zu verwenden wäre Phantastik. Hier
liegt es in der Tat für den Normalfall so: Wenn das Proletariat erst so
weit ist, solche Aktionen durchführen zu können, ist es weit genug, sich
die politische Macht zu erobern. Denn ungünstigere Verhältnisse zur
Entfaltung der proletarischen Macht, als sie beim Kriegsausbruch
normalerweise vorliegen, gibt es nicht. 3.
Anarchistischer und sozialdemokratischer Antimilitarismus
Die
Ursache der antimilitaristischen Bewegung ist für Anarchismus wie
Sozialdemokratie insofern dieselbe, als beide in dem Militarismus ein
besonders mechanisch‑gewalttätiges Hemmnis der Verwirklichung ihrer
sozialen Pläne erblicken. Im übrigen ist sie für beide so verschieden,
wie eben nur die anarchistische und sozialdemokratische Weltauffassung
verschieden sind. Es kann hier nicht näher ausgeführt werden, wie wenig
der Anarchismus den organisch kapitalistischen Charakter des Militarismus
und die danach auf ihn anzuwendenden wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklungsgesetze konsequent begreift. Hier liegt die Wurzel für alle übrigen
wesentlichen Differenzen zwischen dem sozialistischen und dem
anarchistischen Antimilitarismus, die sich kurz dahin zusammenfassen lassen:
Der sozialdemokratische Antimilitarismus führt den Kampf gegen den
Militarismus als gegen eine Funktion des Kapitalismus, in Erkenntnis und
unter Anwendung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsgesetze. Der
Anarchismus betrachtet den Militarismus mehr als etwas Selbständiges, willkürlich‑zufällig
von den herrschenden Klassen Hervorgebrachtes und führt den Kampf gegen
ihn, wie überhaupt den Kampf gegen Kapitalismus, von einem
phantastisch‑ideologischen Standpunkte aus, der die sozialen und wirtschaftlichen
Entwicklungsgesetze verkennt und, an der Oberfläche haftend, durch eine in
der Luft schwebende Aufreizung der individuellen Entschließung, kurzum, auf
individualistischern Wege den Militarismus aus dem Sattel zu heben sucht. Er
ist eben nicht nur je nach seiner Spielart in verschiedenem
Grade individualistisch in seinem gesellschaftlichen Ziele, sondern
auch in seiner historischen, sozialen und politischen Auffassung und in
seinen Mitteln. Das
Endziel ist für den anarchistischen wie für den sozialdemokratischen
Antimilitarismus, wenn man sich mit einem Schlagwort begnügt, das gleiche:
Beseitigung des Militarismus, und zwar des Militarismus nach außen wie des
Militarismus nach innen. Indessen betrachtet die Sozialdemokratie,
entsprechend ihrer Auffassung vom Wesen des Militarismus, die völlige
Beseitigung des Militarismus allein für unmöglich: Nur mit dem
Kapitalismus ‑der letzten Klassengesellschaftsordnung ‑ zugleich
kann der Militarismus fallen. [
... ] Die
sozialdemokratische antimilitaristische Propaganda ist
Klassenkampfpropaganda und wendet sich daher grundsätzlich und ausschließlich
an diejenigen Klassen, die im Klassenkampf notwendig Feinde des Militarismus
sind, wenn sie natürlich auch die im Verlaufe der Zersetzung für sie
abfallenden bürgerlichen Späne ganz gern sieht. Sie klärt auf, um zu
gewinnen, aber sie klärt nicht auf über kategorische Imperative, humanitäre
Gesichtspunkte, ethische Postulate von Freiheit und Gerechtigkeit, sondern
über den Klassenkampf, die Interessen des Proletariats in dem Klassenkampf,
die Rolle des Militarismus im Klassenkampf und die Rolle, die das
Proletariat im Klassenkampf spielt und zu spielen hat. Sie folgert die
Aufgaben des Proletariats gegenüber dem Militarismus aus den
Klassenkampfinteressen des Proletariats. [ ... ] V.
Die Notwendigkeit
einer
besonderen antimilitaristischen Propaganda
Die
besondere Gefährlichkeit des Militarismus ist dargelegt. Dem Proletariat
steht er als ein bis an die Zähne bewaffneter Räuber gegenüber, dessen
Ultimatum aber nicht lautet: la bourse ou la vie Geld oder Leben! sondern,
die Räubermoral übertrumpfend: la bourse et la vie: Geld und Leben! Er ist
außer der großen künftigen eine stets gegenwärtige, stets verwirklichte
Gefahr, auch wenn er nicht gerade zuschlägt. Nicht nur ist er der Moloch
des Wirtschaftslebens, der Vampir des kulturellen Fortschritts, der Hauptfälscher
der Klassengruppierung. Er ist auch der geheime oder offenbare letzte
Regulator der Form, in der sich die politische und gewerkschaftliche
Bewegung des Proletariats abspielt, der Klassenkampftaktik, die sich in
allen wichtigen Fragen nach ihm als dem Hauptpfeiler der brutalen Macht des
Kapitalismus richtet. [...] Schwächung
des Militarismus heißt Förderung der Möglichkeiten friedlich organischer
Fortentwicklung oder wenigstens Einschränkung der Möglichkeiten
gewaltsamer Zusammenstöße; sie heißt aber weiter und vor allem Gesundung,
Auffrischung des politischen Lebens, des Parteikampfes. Schon der rücksichtslose
und systematisierte Kampf an und für sich gegen den Militarismus führt zur
revolutionären Befruchtung und Kräftigung der Partei, ist ein Jungborn
revolutionären Geistes. Aus
alledem folgt die Notwendigkeit nicht nur einer Bekämpfung, sondern auch
einer speziellen Bekämpfung des Militarismus. Ein so verzweigtes und gefährliches
Gebilde kann nur durch eine ebenso verzweigte, energische, große, kühne
Aktion gefaßt werden, die den Militarismus rastlos in alle seine
Schlupfwinkel hinein verfolgt, toujours en vedette (stets auf dem Posten).
Auch die Gefährlichkeit des Kampfes gegen den BL1itarismus zwingt eine
soIche besondere Aktion auf, die elastischer und anpassungsfähiger sein
kann als die allgemeine Agitation. [
... ] Die
Forderung einer solchen besonderen Propaganda hat ganz und gar nichts zu tun
mit jener unhistorischen, anarchistischen Auffassung über den Militarismus.
Wir sind uns aufs klarste der Rolle bewußt, die der Militarismus innerhalb
des Kapitalismus spielt, und denken natürlich nicht im entferntesten daran,
ihn über oder neben den Kapitalismus zu setzen, weil er eben nur ein Teil
des Kapitalismus ist, ein Teil oder richtiger eine besonders schädliche und
gefährliche Lebensäußerung des Kapitalismus. Aber unsre ganze Agitation
richtet sich gegen die Lebensäußerungen des Kapitalismus, in denen er sich
realisiert. Man kann das Gebiet des antimilitaristischen Kampfs
gewissermaßen als ein besonderes neben dem des allgemeinen
politischen Kampfs, neben dem des gewerkschaftlichen Kampfs, meinetwegen
auch neben
dem des genossenschaftlichen und des Bildungskampfs, bezeichnen. Mit anderen
Worten: Wir sind Antimilitaristen als Antikapitalisten. VI.
Der Antimilitarismus in Deutschland und die deutsche Sozialdemokratie
[
... ] Wiederholt
ist dem Versuch, eine besondere antimilitaristische Propaganda in
Deutschland ins Leben zu rufen, von einflußreichen Führern der
Sozialdemokratie entgegengehalten worden, es gäbe keine sozialdemokratische
Partei in der ganzen Welt, die soviel gegen den Militarismus kämpfe wie die
deutsche Sozialdernokratie. Daran ist viel Wahres. Seit Bestehen des
Deutschen Reiches wird im Parlament und in der Presse von der deutschen
Sozialdemokratie die schonungsloseste Kritik an dem Militarismus, seinem
gesamten Inhalt und all seinen Schädlichkeiten unablässig geübt, das
Anklagematerial gegen ihn zu ungeheuren Scheiterhaufen aufgeschichtet und
innerhalb der allgemeinen Agitation der Kampf gegen den Militarismus mit großem,
zähem Nachdruck geführt, Indessen,
an wen wendet sich unsre allgemeine Agitation? Sie ist und war mit Fug und
Recht und Notwendigkeit zugeschnitten auf den erwachsenen Arbeiter, die
erwachsene Arbeiterin. Wir wollen aber nicht nur die erwachsenen Proletarier
haben, sondern auch die Proletarierkinder, die proletarische Jugend. Denn
die Zukunft der proletarischen Jugend ist das zukünftige Proletariat, ist
die Zukunft des Proletariats. "Wer die Jugend hat, der hat die
Zukunft." Hier
wird wiederum eingeworfen: Wer die Eltern hat, der hat die Kinder dieser
Eltern, der hat die Jugend! Allerdings wäre der ein jämmerlicher
Sozialdemokrat, der seine Kinder nicht nach Kräften mit
sozialdemokratischem Geiste durchtränken, zu Sozialdemokraten erziehen würde;
und daß der Einfluß der Eltern ‑ in Verbindung mit dem Einfluß der
ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse, unter denen die
proletarische Jugend aufwächst und die als das schwerwiegendste, aber auch
selbstverständlichste und durch die Parteitätigkeit nicht zu
beeinflussende Agitations‑ und Aufklärungsmittel hier prinzipiell außer
acht gelassen werden müssen ‑ mit allen Versuchen der Reaktion und
des Kapitalismus, die kindliche Seele heimtückisch für sich einzufangen,
spielend leicht fertig wird, entspricht selbstverständlich auch unsrer
Auffassung. Aber damit ist die Sache noch durchaus nicht abgetan. Gerade
eine klare Durchprüfung des obigen Gedankenganges zeigt, wo das Manko
unsrer bisherigen Agitation liegt, das sich fortgesetzt vergrößert und
dringend nach Deckung verlangt, "Jeder
Sozialdemokrat erzieht seine Kinder zu Sozialdemokraten"; aber doch nur
nach besten Kräften. Hier ist das erste bedeutsame Manko. Wie viele
Menschen verstehen überhaupt zu erziehen, selbst wenn sie Zeit und guten
Willen haben, und wie viele sozialdemokratische Proletarier, selbst wenn sie
den besten Willen haben, haben zur Erziehung die nötige Zeit, und wie viele
haben die nötigen Kenntnisse, und bei wie vielen sind leider noch die
Frauen und allerhand andere, in der Aufklärung zurückgebliebene Angehörige
ein schwerwiegendes Gegengewicht gegen den etwaigen erziehlichen Einfluß
des klassenbewußten Vaters. Hier muß noch an allen Ecken und Enden, wenn
die Partei ihre volle Pflicht tun will, der häuslichen Erziehung zu Hilfe
gekommen werden durch die allgemeinen Jugendbildungsbestrebungen und im
besonderen auch durch eine besondere Jugendagitation, die notwendig eine
antimilitaristische Spitze haben muß. Aber
weiter: Wie viele Proletarier sind wirklich aufgeklärte Sozialdemokraten,
so aufgeklärt, daß sie ihrerseits andere über die Grundlagen der
sozialdemokratischen Kritik und der sozialdemokratischen Bestrebungen
aufzuklären vermögen? Und wie viele Proletarier sind in ruhigen Zeiten so
opferbereit und rastlos, daß sie die zähe, mühselige, unablässige tägliche
und alltägliche Erziehungsarbeit nach besten Kräften auch nur zu leisten
gewillt sind? Und von diesen Viertel und Halbaufgeklärten und diesen Lauen,
die eine ungeheure Masse bilden, abgesehen: Welch gewaltige Zahl von
Proletariern steht der Sozialdemokratie überhaupt noch gänzlich fremd
gegenüber. Hier liegt ein gewaltiges Feld voll von den besten
proletarischen Keimen schier unübersehbar vor uns, dessen Beackerung und
Bestellung keineswegs erst begonnen werden darf, wenn diese rückständigen
Teile des erwachsenen Proletariats für uns gewonnen sind. Natürlich ist es
leichter, die Jugend aufgeklärter Eltern zu bearbeiten, aber das beseitigt
nicht die Möglichkeit und die Pflicht, auch den schwierigeren Teil der
proletarischen Jugend in Bearbeitung zu nehmen. Damit
ist das Bedürfnis nach einer Jugendagitation außer Zweifel gerückt, und
da diese Jugendagitation ihrer Bestimmung gemäß grundsätzlich mit anderen
Mitteln entsprechend den andern Lebensverhältnissen, dem andern Verständnis,
den andern Neigungen und dem andern Charakter der Jugend operieren muß,
so ergibt sich die Folgerung, daß diese Agitation spezialisiert werden,
eine besondere Rolle neben der allgemeinen Agitation zugeteilt bekommen und
verständigerweise wenigstens in einem gewissen Umfange in die Hände
besonderer Organe gelegt werden muß. Unsere Agitation ist nun einmal mit
dem Wachstum des Umfanges und der Aufgabe der Partei und mit dem Immernäherrücken
entscheidender Kämpfe eine so außerordentlich umfangreiche und verzweigte
geworden, daß die Notwendigkeit der Arbeitsteilung sich immer mehr
aufzwingt, einer Arbeitsteilung, deren relative, aber auch nur relative
Bedenklichkeit wir durchaus nicht verkennen. Und
nun noch einen Schritt weiter. Innerhalb der Jugendagitation wiederum fällt
der antimilitaristischen Agitation eine ganz besondere und eigentümliche
Rolle zu. Sie muß sich wenden an Kreise, die den Jugendbildungsbestrebungen
der Sozialdemokratie vielfach nicht zugänglich sind; sie muß weit
ausgreifen, viel mehr, als dies allgemeine Bildungsbestrebungen vermögen,
auch diejenigen Teile der proletarischen Jugend, die nicht zum Besuch von
Arbeiterbildungsschulen, Unterrichtskursen, Vortragszyklen und nicht zu
regelmäßigem Lesen der allgemeinen Jugendliteratur zu bewegen sind,
erfassen; sie muß sich auch wenden an diejenigen jugendlichen Proletarier,
die nach ihrem immerhin höheren Alter für diese allgemeinen Bestrebungen
nicht mehr leicht in Frage kommen. Ja, ihr eigentliches Gebiet sind gerade
die Altersklassen von 17 bis 21 Jahren! Sie trägt auch einen weit mehr
agitatorischen Charakter als jene allgemeinen Bildungsbestrebungen. Sie muß
in ihren Formen von den Formen dieser abweichen, wenigstens zu einem Teil.
Sie ist auch wegen ihrer ganz besonderen Gefährlichkeit am besten mit jenen
allgemeinen Bestrebungen nicht zu verkoppeln: einerseits um diese
allgemeinen Bestrebungen selbst nicht mehr als unbedingt nötig zu
erschweren und zu diskreditieren, andererseits um zu sichern, daß die
Gefahren der antimilitaristischen Agitation unter der Leitung speziell
geschulter und mit allen Fußangeln vertrauter Personen nach Kräften
vermieden werden. Und schließlich ist gerade das antimilitaristische
Material ein so kolossales und zersplittertes man denke zum Beispiel
der Soldatenmißhandlungen, der militärischen Justiz usw. , daß auch hier
eine Arbeitsteilung, eine Spezialisierung einfach im Interesse einer möglichsten
Ausnutzung alles verfügbaren Stoffes liegt; und nicht nur der Ausnutzung, sondern
auch der Sammlung, Sichtung und Bearbeitung. Gerade
das letztere Argument zeigt, daß die antimilitaristische Agitation auch
unter den Erwachsenen durch eine Spezialisierung dieser Agitation noch gar
vielerlei gewinnen kann. Also:
Arbeitsgelegenheit, lohnende Arbeitsgelegenheit in Fülle Wie
dem auch sei: Die deutsche Sozialdemokratie darf sich der Erkenntnis nicht länger
verschließen, daß gegenüber dem Militarismus das Wort gelten muß: Si vis
pacern, para bellum! Beginne so früh wie möglich mit der
antimilitaristischen Propaganda, um die Gefährlichkeit des Militarismus für
das Proletariat von vornherein nach Möglichkeit zu mindern! Und
die besondere Schwierigkeit dieser Propaganda in Deutschland darf hier
wahrlich kein Grund zu ihrer Verzögerung, sondern muß ein Ansporn zu ihrer
Beschleunigung sein. Reif
genug ist das deutsche Proletariat nunmehr, und die allgemeine
innerpolitische Situation, unter der das deutsche Proletariat seufzt, ist
dreimal reif. VII
Die antimilitaristischen Aufgaben der deutschen Sozialdemokratie
Die
deutsche Sozialdemokratie hat keineswegs auch nur in bezug auf die Sammlung
des Anklagematerials gegen den Militarismus genug getan. Nur das Militärbudget,
die Steigerung der unmittelbaren Militärlasten und der Präsenzstärke sind
des öfteren eingehender zusammengefaßt dargestellt. Aber schon der
Zusammenhang zwischen den Militärlasten und der Zoll‑ und
Steuerpolitik harrt noch einer eingehenden Untersuchung. Was vor allem aber
fehlt, sind zusammenfassende Darstellungen der Militärmißhandlungen, der
Leistungen der Militärjustiz, der Soldatenselbstmorde, der Gesundheitsverhältnisse
in der Armee, der Dienstbeschädigungen, der Gehaltsund Pensionsverhältnisse,
sodann der Verwendung von Soldaten zur Lohndrückerei und der hierauf bezüglichen
Korpserlasse, der Verwendung von Soldaten und zur Entlassung kommender
Soldaten als Streikbrecher, weiter der militärischen und der bewaffneten
polizeilichen Eingriffe in Streiks, der hierbe4 gefallenen Opfer, des Militärboykottwesens,
des militärischen Eingreifens bei politischen Aktionen, der Ausnutzung der
Kriegervereine im sozialpolitischen und politischen Kampf, ferner der
Leistungen des Militarismus auf allen diesen Gebieten, insbesondere im
wirtschaftliichen und politischen Kampf, in andern Ländern, wobei, soweit
angängig, je ein besonderes Konto für den Landmilitarismus, den Marinismus
und den Kolonialmilitarismus anzulegen sein wird. Es fehlt auch eine genügende
Kenntnis und Zusammenstellung des auf die militaristischen Jugendvereine der
Gegner bezüglichen Materials und dessen, was sich auf die
antimilitaristische Bewegung und deren Bekämpfung bezieht. Die
laufende Sammlung, Sichtung und vergleichende Bearbeitung all dieses
Materials muß systematisch in die Hand genommen werden, so nebenher in der
allgemeinen Agitation ist das nicht möglich. Dieses
Material wird natürlich zunächst innerhalb der allgemeinen Agitation, im
Parlament, in der Presse, in allgemeinen Flugblättern und Versammlungen zu
verwerten sein. Es muß aber auch nach ganz bestimmten Stellen gelenkt
werden, in ganz bestimmte Kanäle geleitet werden, um die für den
Antimilitarismus besonders wichtigen Schichten der Bevölkerung mit ihm zu
durchtränken, zu befruchten. In erster Linie kommt hier nicht die noch
nicht militärpflichtige Jugend selbst in Frage, sondern die Eltern,
besonders die Mütter, die für die antimilitaristische Jugenderziehung
systematisch zu mobilisieren sind; ebenso die älteren Arbeiter, deren
Einfluß auf die jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge in dieser Richtung nach
Möglichkeit auszunutzen ist. Und schließlich gilt es, den Kampf gegen die
Kriegervereine nachdrücklicher und planmäßiger zu gestalten. Die
Agitation wird nirgends direkt oder indirekt zu militärischem Ungehorsam
auffordern dürfen, sondern ihren Zweck vollständig erfüllen, wenn sie
Klarheit über das Wesen des Militarismus und seine Rolle im Klassenkampf
schafft und wenn die Empörung und der Abscheu gegen ihn, durch wirkßame
Darstellungen seiner volksfeindlichen Eigenschaften und Taten erweckt
werden. Wo
die Gesetze es zulassen, werden Hauptträger dieser Propaganda die
Jugendorganisationen sein müssen, die freilich schon durch Förderung des
Klassenbewußtseins an und für sich den Militarismus oder die
militaristische Gesinnung untergraben. Die Jugendvereine werden durch
Zeitungen, durch Broschüren, Flugblätter, durch Vorträge, Vortragszyklen
und Unterricht den antimilitarist!sehen Geist in der dem Jugendverständnis
angemessenen Form immer mehr zu verbreiten haben. Festlichkeiten und künstlerische
Veranstaltungen werden zu dem gleichen Zweck auszunutzen sein. Die
Mitglieder der Vereine wiederum werden zu Propagandisten des
Antimilitarismus erzogen werden müssen. Durch die Agitation von Mund zu
Mund unter ihren Klassen‑ und Altersgenossen, durch Weiterverbreitung
ihrer Literatur wird die Familie, werden Verwandte und Freunde und wird die
Werkstatt und Fabrik von den Mitgliedern der Jugendorganisationen zu
Rekrutierungsgebieten des Antimilitarismus gemacht werden. Die
Jugendorganisation selbst aber hat ihre Agitation nicht nur auf die
Mitglieder zu beschränken, sondern in einen möglichst weiten Kreis
hinauszutragen. Sie hat sich an die Gesamtheit der jugendlichen Arbeiter zu
wenden. Ihr liegt es auch ob, die älteren Arbeiter in der oben
beschriebenen Weise heranzuziehen. Durch die Presse, durch Flugblätter,
Broschüren, allgemeine Versammlungen, öffentliche Vorträge, künstlerische
Veranstaltungen, Feste und dergleichen, die sowohl für die Jugend im
allgemeinen wie für die Erwachsenen zu veranstalten sind und bei denen
diese für die antimilitaristische Jugendagitation zu gewinnen sind, ist
systematisch zu wirken. Die Rekrutenabschiede und Demonstrationen aller Art,
wo sie zulässig sind, müssen dem gleichen Zweck dienen. Daneben
muß die Partei sich, wie bisher, aber in immer verstärktem Maße,
systematisch der Soldaten und auch der Unteroffiziere annehmen, ihre
materiellen und sozialen (dienstlichen) 13 Interessen in Presse und
Parlament energisch vertreten und so in gesetzlich nicht zu beanstandender
Weise die Sympathien dieser Kreise zu erwerben suchen. Die
Gründung besonderer Vereinigungen ehemaliger Militärs nach Art der
belgischen und holländischen, mit der besonderen Aufgabe, den
Kriegervereinen entgegenzutreten, dürfte in Deutschland nicht angezeigt
sein: Die allgemeinen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen genügen
hier. Betrachten
wir, was in anderen Ländern geschehen ist, so sehen wir, wieviel uns zu tun
hier noch übrigbleibt, und überfliegen wir das obige Programm, so erkennen
wir, daß die Partei, mag sie noch soviel auf antimilitaristischem Gebiet
getan haben, doch nur gerade erst begonnen hat, ihre Schuldigkeit zu tun, daß
sie gewissermaßen noch in den Kinderschuhen der antimilitaristischen
Propaganda steckt. Daß
alle jene vielfältigen Aufgaben nicht von einer Zentralstelle aus erfüllt
werden können, liegt auf der Hand, ebenso aber, daß sie von einer
Zentralstelle aus geleitet und kontrolliert werden können und müssen. Die
Einrichtung eines Zentralausschusses zu diesem Zweck erscheint als ein Gebot
der Notwendigkeit auch schon um deswillen, weil nur so die vorsichtige
Ausnutzung aller gesetzlichen Agitationsmöglichkeiten gesichert werden
kann. Wie
ein weitverzweigtes Netz soll sich die antimilitaristische Propaganda über
das ganze Volk breiten. Die proletarische Jugend muß von Klassenbewußtsein
und von Haß gegen den Militarismus systematisch durchglüht werden. Der
jugendliche Enthusiasmus wird die Herzen der jungen Proletarier einer
solchen Agitation begeistert entgegenschlagen lassen. [
... ] Karl
Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften"Bd. I,
S. 267-269, 274-278, 288-291, 322-330, 357-361, 419-424, 431-432, 434,
440-441, 444-448, 451, 452-456. 2
Vgl. Hamburger Nachrichten"
vom 3. November 1906. 3
Die Opfer der Kriege von 1799 bis 1904 (außer dem RussischJapanischen) an
Menschenleben werden auf etwa 15 Millionen veranschlagt. 4
Vgl. Fußnote S. 115 des vorliegenden Bandes und Moltke, "Gesammelte
Schriften und Denkwürdigkeiten", Bd. II, S. 288. Danach soll der Krieg
die Sittlichkeit und Tüchtigkeit bis aufs äußerste steigern, besonders
die moralische Energie fördern. 5
Auch die Aufgabe, die bestehende Innere Ordnung zu verbarrikadieren, fällt
dem Militarismus nicht nur in der kapitalistischen, sondern in allen
Klassengesellschaftsordnungen zu. 6
Vgl. den französischen Kulturkampf während des Konflikts vom Dezember
1906. 7
Vgl. die oberschlesischen Wahlkrawalle von 1903. 8 Vgl. dazu die bewegliche Klage Caprivis in der Reichstagssitzung vom 27. Februar 1891. 10
Vgl. die "Rheinisch-Westfälische Zeitung" vom 5. Dezember 1906. 11
Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg. Die Red. 12
Wenn du den Krieg willst, rüste im Frieden. Die Red. 13
Besserung von Besoldung, Verpflegung, Bekleidung, Unterkunftsräumen,
Behandlung, Erleichterung des Dienstes, Bekämpfung der Mißhandlungen,
Reform des Beschwerde, des Disziplinar- und Strafrechts sowie der
Militärjustiz usw. 2. Aus: Bericht über die Rede auf derErsten
Internationalen Konferenz der
Sozialistischen
Jugendorganisationen in Stuttgart
26.
August 1907 Jugend im Kampf gegen den Militarismus Der
Militarismus ist aber nicht nur die Armee in ihren verschiedenen Gestalten.
Er greift auch weit aus in die bürgerliche Welt, unser ganzes öffentliches
Leben umklammernd und bis in seine feinsten Fasern durchdringend. Er ist ein
ungeheurer raffinierter Apparat zu dem Zwecke, sich den natürlichen
Entwicklungsgesetzen entgegenstellend, die menschliche Gesellschaft
autokratisch und souverän im Interesse des Kapitalismus und überhaupt der
herrschenden Gewalten nach seinem Bilde, nach seinem Willen einzurichten. Schließlich
besitzt der Militarismus als Arbeitgeber ein beträchtliches Mittel zur
Beeinflussung der Bevölkerung. Ein großes Arbeiterheer ist ihm untertan.
Die Militärlieferanten haben ihre recht
kräftigen Hände unmittelbar mit an der Kurbel unserer Staatsmaschinerie.
Wenn sie auch schon beim bewaffneten Frieden
ihr Schäflein scheren, so winkt ihnen im Kriege hundertfältigen
Frucht. Daher sind sie ganz gefährliche Kriegstreiber. [
... ] Wir
erkennen aus alledem, wie der Militarismus durch seine innere Dialektik
unterwühlt und schließlich zerstört werden muß. Welche Konsequenzen
ergeben sich daraus für uns? Sollen wir im Vertrauen auf diese Dialektik
die Hände in den Schoß legen? Ein solcher Fatalismus wäre nicht nur
identisch mit der Verneinung jedes politischen Kampfes überhaupt, er würde
auch der gröbste Bock gegenüber den Lehren der materialistischen
Geschichtsbetrachtung sein. Auch der Kapitalismus stirbt an seiner inneren
Dialektik, und doch gibt es schwerlich einen Narren, der daraus folgert, das
Proletariat müsse nunmehr nur den Mund aufsperren und warten, bis ihm die
gebratenen Tauben des Zukunftsstaates in den Mund fliegen. Nein, Genossen, wir
dürfen nie vergessen, daß wir selbst ein Stück jener inneren
Dialektik sind und gewiß nicht das geringste. Das Klassenbewußtsein des
Proletariats ist ein Entwicklungsfaktor von größter Energie, gerade auch
in bezug auf den Militarismus, das ist oben dargelegt. Die
Herausbildung des Klassenbewußtseins einschließlich der internationalen
Solidarität fördern, kurz. Aufklärung des Proletariats ‑ das heißt:
die innere Dialektik gerade auch des Militarismus vorwärtstreiben. In
dieser Auffassung liegt nicht etwa der Schnitzer, daß der Agitation, der
Propaganda die Rolle einer willkürlichen, aus freier individueller
Entschließung unternommenen Beeinflussung eines Entwicklungsfaktors, nämlich
des proletarischen Klassenbewußtseins, zugeschrieben wird. Im Gegenteil,
auch die Agitatoren, die Propagandisten des proletarischen Klassenbewußtseins,
sind notwendige Produkte der ökonomischen Entwicklung, des Klassenkampfes
und samt ihrer propagandistischen Tätigkeit wesentliche Faktoren jener
inneren Dialektik. Auch die Schlagfertigkeit und die Begeisterung des
Proletariats sind Machtfaktoren kräftiger Art und darnit Faktoren der
inneren Dialektik. Also,
nicht Fatalismus, sondern Organisationsarbeit und Durchtränkung des
Proletariats mit revolutionärer Begeisterung! Nur eben in diesem Sinne
fordern wir allgemein einen besonders nachdrücklichen, speziell
organisierten antimilitaristischen Kampf. Aber in diesem Sinne fordern wir
ihn als eine Notwendigkeit, Der
Antimilitarismus ist durchaus nur Waffe, nur Mittel zum Zweck der
Beseitigung eines schweren Entwicklungshindernisses. Er muß daher seine
Form und Art allenthalben je nach der Form und Art des zu bekämpfenden
Militarismus einrichten. Eine Uniformierung wäre Torheit und unmöglich.
Nur ein Minimum kann für alle Verhältnisse festgelegt werden. Das
wesentliche Ziel der antimilitaristischen Propaganda ist die Zermürbung und
Zersetzung des militaristischen Geistes zur Beschleunigung der organischen
Zersetzung des Militarismus. Aufklärung des Proletariats über das Wesen
des Kapitalismus, des Militarismus und seiner besonderen Funktionen
innerhalb des Kapitalismus, das ist die Grundlage, das breite Fundament
eines den möglichen Antimilitarismus, ein Fundament, an das weder
Polizei noch Justiz ernstlich herankommen. Karl
Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. II, S. 57 ff Aus: Zweite Internationale Konferenz der Sozialistischen Jugendorganisationen Kopenhagen,
4. und 5. September 1910 Thesen Der äußere
Militarismus
Der
kapitalistische Militarismus ist, soweit er sich nach außen richtet, in
erster Linie eine Waffe im internationalen Konkurrenzkampf, einmal um die
Absatzmärkte, sodann um die Gebiete mit besonders günstigen natürlichen
Produktionsbedingungen und mit besonders wertvollen, für die
kapitalistische Produktion geeigneten Naturschätzen und Arbeitskräften,
und damit ein Werkzeug zur Ausraubung der Völker, die derartige Gebiete
besitzen, also ein Werkzeug zum Zweck ursprünglicher Akkumulation, zumeist
gegen Völkerschaften niedriger Kultur angewandt (Kolonialpolitik). Er dient
auch mittelbar diesen Zwecken oder der Beseitigung innerer Schwierigkeiten
des Staatswesens, wenn er zu Eroberungen verwendet wird, die zunächst zur
Konsolidation und Erweiterung der politischen Macht des Staates erfolgen. Die
internationale Spannung steigert sich mit der Zunahme der kapitalistischen
Konkurrenz. Mit der Ausbildung der Weltwirtschaft aber nehmen die
Internationalisierung des Kapitals und aller Lebensbedingungen und die
gegenseitige wirtschaftliche und allgemeine kulturelle Abhängigkeit der
einzelnen Staaten zu. Das materielle und politische Risiko eines Krieges wächst
ins Ungeheure. Die internationalen Verwicklungen werden immer unübersehbarer,
die internationalen Interessengegensätze und Übereinstimmungen stets
schwerer erkennbar. Die Ungewißheit der weltpolitischen Lage führt jedoch
zu immer größerer Nervosität und Unruhe. Die Schraube ohne Ende des
wahnsinnigen Wettrüstens und der schweren militärischen Lasten verstärkt
im Verein mit der wachsenden innenpolitischen Unsicherheit die Unerträglichkeit
dieses Zustandes. Militaristische Cliquen und einflußreiche militaristische
Interessenten, Lieferanten usw. hetzen die chauvinistischen Instinkte
der Völker gewissenlos gegeneinander. So wird ungeachtet aller Tendenzen zu
einer friedlichen Verständigung der heuchlerisch als Friedenshort
gepriesene äußere Militarismus trotz aller Austauschprofessoren, trotz
aller Entrevuen, Monarchenbesuche und Monarchenküsse, trotz aller
Friedensbeteuerungen und internationalen Höflichkeiten und trotz aller Bündnisse
"zur Erhaltung des Friedens" zu einer immer ernsteren, selbständigen
Kriegsgefahr. Der innere
Militarismus
Auch
die Bedeutung des inneren Militarismus nimmt mit der Fortentwicklung des
Kapitalismus schnell zu. Die wachsenden Klassengegensätze, das stets
fortschreitende Klassenbewußtsein des Proletariats, das immer mehr die übergroße
Mehrheit des Volkes bildet, die stets heftiger werdenden wirtschaftlichen
und politischen Auseinandersetzungen zwischen den herrschenden Klassen und
dem Proletariat, nötigen die herrschenden Klassen immer mehr, ihre
oligarchische Herrschaft auf das Gewaltmittel des Militarismus zu stützen.
Hierbei verbündet sich die kapitalistische Klasse mit den Überbleibseln
der herrschenden Klassen früherer Entwicklungsperioden und zieht alle
wirtschaftlich rückständigen Elemente der Bevölkerung zu ihrer Hilfe
heran. Kirche
und Schule, Wissenschaft und Kunst werden von den herrschenden
Klassen in den Dienst gestellt, um im Proletariat nach Kräften denjenigen
Geist, diejenige Gesinnung zu sichern und zu erzeugen, die ihnen im
Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft wünschenswert erscheinen.
Die Klassenjustiz dient als Gewaltmittel zum gleichen Zweck der
Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft. Polizei und Gendamerie sind
Spezialtruppen mit derselben Aufgabe. Das letzte und stärkste Gewaltmittel
jedoch ist die Armee; sowohl in den wirtschaftlichen wie in den politischen
Kämpfen gegen das Proletariat wird sie als Ultima ratio in täglich stärkerem
Maße zur Verwendung gebracht, und zwar, in Ländern mit freiheitlicher
Verfassung nicht minder als in konstitutionellen Monarchien und in
Despotien. Auch in den innerpolitischen religiösen, nationalen und Rassenkämpfen
dient die Armee als letztes Mittel der herrschenden Gewalten. Ihre Rolle in
der großen Auseinandersetzung des, Proletariats mit den ausbeutenden und
unter drückenden Schichten überragt jedoch an Bedeutung diese sporadischen
und zufälligen Funktionen bei. weitem. Ein
raffiniertes System der sozialen und politischen Verdummung und
Verwirrung, der Demoralisation und der Korruption, des Drills und der
Brutalisierung setzt ein. Mit dem Zuckerbrot alles erdenklichen militärischen
Firlefanzes und der, freilich auch das Proletariat zum Kampf gegen den
Militarismus aufpeitschenden Peitsche der
militärischen Disziplin, der Militärjustiz und der Soldatenmißhandlungen
wird gearbeitet. Verlogene Ideale sucht man unter schnödem
Mißbrauch auch der edelsten menschlischen Eigenschaften, der
Selbstlosigkeit, der Aufopferungsbereitschaft, der Hochherzigkeit und
Begeisterungsfähigkeit, und unter Ausnützung aller menschlichen
Kleinlichkeiten und Schwächen in die Köpfe und Herzen der Söhne des
Proletariats einzupflanzen. Dieses heuchlerische, infame Erziehungssystem
versagt sich natürlich auch nicht die Ausnutzung der Religion und der
Kirche für seine Zwecke. Die
Herausbildung eines, hündischen Kadavergehorsams und eines Landsknechtsübermutes
gegen die Masse der Zivilbevölkerung ist das erstrebte Ziel, das die
Soldaten geeignet machen soll, Streikbrecherdienste zu leisten und bei
wirtschaftlichen und politischen Konflikten. auf die eigenen
Klassengenossen, auf Vater, Mutter und Geschwister zu schießen.
Der innere Militarismus setzt sich aber nicht nur die Herandrillung
einer zur gewaltsamen Niederwerfung des inneren Feindes
geeigneten Armee zur Aufgabe, sondern auch eine Beeinflussung der
gesamten Bevölkerung im Interesse der herrschenden Mächte. Auch dies
gilt beim inneren Militarismus in noch höherem Grade als beim außeren.
[... ] Das Erziehungssystem des inneren Mlitarismus sucht den Mannschaften
nach Kräften auch diejenigen geistigen und moralischen Eigenschaften
anzudrillen, die sie nach ihrer Entlassung geeignet machen, den
herrschennden Klassen in wirtschaftlicher und politischer Beziehung als nützliche
Elemente zu dienen. [...] Krieg dem Kriege
Der
äußere wie der innere Militarismus ist ein Werkzeug in den Händen der
herrschenden Klassen für die Interessen der herrschenden Klassen. Er ist
die festeste Schutzwehr und das wirksamste Unterdrückungs‑ und
Ausbeutungsinstrument der herrschenden Klassen. Er gibt diesen die Möglichkeit,
auch gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes wenigstens für
geraume Zeit ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, und ist ein Hindernis der
friedlich‑organischen Fortentwicklung der Gesellschaft.
Er ist eine immer unerträglichere wirtschaftliche, politische und
moralische Last für die Masse des Volkes und eine Gefährdung des Völkerfriedens. Das
Proletariat, der Feind und künftige Überwinder aller Ausbeutung und
Unterdrückung, der Träger der internationalen proletarischen Solidarität
und des Völkerfriedens, ist der geborene Feind des Militarismus, der
geborene Träger des Antimilitarismus als eines Teiles des allgemeinen
internationalen Befreiungskampfes des Proletariats. Das Proletariat steht
der Klassenherrschaft und dem heutigen Staat, jener Zwangsorganisation des
Volkes im Interesse der herrschenden Klassen, die sich gegen das Proletariat
und gegen die organische Fortentwicklung des Volksganzen richtet, unversöhnlich
gegenüber. Es erklärt dem Kriege den Krieg und beantwortet den von den
herrschenden Klassen ausgestreuten Chauvinismus und ihre Kriegstreiberelen,
indem es sich die Hände über alle Grenzen hinweg zustreckt mit dem Gelöbnis
der internationalen Solidarität und der Kampfesbrüderschaft gegen jene
heute herrschenden Gewalten, den gemeinsamen Feind. Der
Kampf gegen den Militarismus befruchtet den Emanzipationskampf des
Proletariats und ist besonders geeignet, alle revolutionären Energien zu
entfesseln; er trägt dazu bei, den herrschenden Klassen das Gefühl der
Sicherheit und damit einen Teil ihrer Widerstandskraft zu rauben. Er
verfolgt das Ziel, den Militarismus nach außen und innen für die
herrschenden Klassen und gegen das Proletariat untauglich zu machen. Die
Zersetzung der für den Militarismus erforderlichen Psychologie in der
Gesamtbevölkerung, insbesondere in allen unter dem Militarismus seufzenden
Schichten des Volkes, in allen zu seiner Stütze dienenden Einrichtungen und
Organisationen und in der Armee selbst, und die Ersetzung dieser Psychologie
durch die den Interessen des Proletariats entsprechende ist der Weg zu
diesem Ziel. Die hierzu erforderlichen und geeigneten Methoden haben sich je
nach den besonderen Bedürfnissen und Möglichkeiten der einzelnen Länder
zu richten. Die grundlegenden sind: unermüdliche Aufklärung über das
wahre Wesen des Militarismus und seiner Helfershelfer; unablässige
Brandmarkung der militaristischen Schädlichkeiten und Ausschreitungen;
Propaganda für alle zur Abschwächung des Militarismus geeigneten Maßregeln
(Schiedsgerichte, Abrüstung, Volksheer) und Erziehung des Proletariats im
Geiste des Sozialismus zum proletarischen Klassenstolz, zur internationalen
proletarischen Solidarität und zum Bewußtsein, daß der Soldat, wenn er
den bunten Rock anzieht, den Bürger nicht auszieht; Förderung kühner und
rücksichtslosester Opferbereitschaft und Opfertreudigkeit; kurzum, Ausbreitung,
Veredelung, Vertiefung und Anfeuerung des Klassenkampfgeistes, in dessen
Zeichen das Proletariat allein siegen kann. Die Erziehung der Jugend in
diesem Geiste ist eine der wichtigsten Aufgaben der. kämpfenden
internationalen Proletariats. Die selbständige Jugendbewegung des
Proletariats wiederum ist das wertvollste Mittel zu dieser Erziehung. [
... ] Karl
Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. III, S. 469, 474/475,
478‑482
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