|
|
Eine revolutionäre Strategie gegen die Roma-Unterdrückung
Im
letzten Teil unserer Artikelserie wollen wir Grundzüge für eine
revolutionäre Lösung der Roma-Unterdrückung in Osteuropa entwickeln.
In unserem letzten Artikel haben wir gezeigt, wie die spezifische
Unterdrückung der Roma dazu geführt hat, daß diese sich nicht zu einer
Nation im marxistischen Sinne entwickelten. Vielmehr sind sie eine
ethnische, rassistisch unterdrückte, Gruppe, die in ihrem
Entwicklungsprozeß zu einer Nation steckengeblieben ist. Dieses Ringen
um eine wissenschaftliche, marxistische Definition des nationalen
Charakters der Roma war keine akademische Übung, sondern ist eine
notwendige Voraussetzung, um die Grundlage für eine korrekte Strategie
zur Befreiung der Roma zu erarbeiten.
Auch wenn natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich die Roma
in einer zukünftigen Periode unter bestimmten Bedingungen zu einer
Nation entwickeln können, so müssen wir als Marxisten von den heute
bestehenden Gegebenheiten ausgehen. Und diese Gegebenheiten zeichnen
sich dadurch aus, daß die Roma ihre soziale und kulturelle Unterdrückung
abschütteln und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft werden wollen.
Daher kämpfen wir Marxisten heute für eine tatsächliche und vollständige
Integration der Roma. Diese Integration kann nur auf revolutionären Wege
erreicht werden.
Die Roma haben keinerlei Chance, wenn sie auf die traditionellen Führer
der unzähligen Roma-Parteien bis hin zur Internationalen Romani Union
hören. Diese kleinen und großen Anführer - die in der Regel im Stile
von
Patriachen oder Clanälteste herrschen, ohne demokratische Wahl und
Kontrolle durch die Basis - haben in erster Linie nur Posten und
Privilegien für sich und ihre engere Umgebung im Sinne. Traurige
Beispiele dafür sind jene Roma-Führer in der Slowakei, die bei Wahlen
Bündnisse mit der reaktionären, chauvinistischen Meciar-Partei HZDS
eingingen oder die sich heute von den EU-Förderungsmitteln bestechen und
integrieren lassen. Ihre Methode sind klassisch bürgerliche: Appelle auf
offiziellen Konferenzen, diplomatische Noten, Bitten und Petitionen,
Deals hinter verschlossenen Türen. Für die Rechte der Roma KÄMPFEN ist
für diese selbsternannten Führer ein Fremdwort.
Breite Mobilisierungen und Kampfaktionen auf der Straße und den
Betrieben, demokratische Organisierung der breiten Masse der Roma,
Orientierung nicht auf eine Allianz mit der herrschenden Klasse im
eigenen Land oder der EU, sondern mit den Arbeiter und Bauern der
Nicht-Roma-Bevölkerung - das sind die Kernpunkte einer
zukunftsversprechenden Strategie.
Wir können hier natürlich kein vollständiges Programm gegen die
Roma-Unterdrückung vorlegen. Diese Aufgabe obliegt letztlich den
revolutionären Roma-Aktivisten vor Ort. Aber es ist sehr wohl möglich,
wesentliche Grundzüge zu formulieren, die hierbei berücksichtigt werden
müssen.
Eines der gravierendsten Probleme der Roma ist ohne Zweifel die extrem
hohe Arbeitslosigkeit. Daher fordern wir:
* Schaffung von Arbeitsplätzen für Roma durch ein öffentliches
Beschäftigungsprogramm!
Die Wohnsituation der Roma spottet heute meist jeder Beschreibung.
Daher:
* Für ein Bauprogramm von qualitativ hochwertigen Häusern für Roma! Ob
sie in separaten Orten bzw. Siedlungen oder innerhalb der Wohngebiete
der Mehrheitsbevölkerung leben, darf nur von den Roma selber entschieden
werden!
Auch im Bildungswesen muß die faktische Apartheid gegen die Roma
aufgehoben werden. Selbstverständlich würden wir den Wunsch der Roma
nach eigenen Schulen respektieren. Aber Projekte wie die Ghandi-Schule
in Pecs (Ungarn) sind eher Versuche der kleinen Roma-Elite, ihr eigenes
Führungscorps auszubilden. Die breite Masse der Roma möchte schlichtweg
gleichberechtigt in den gemeinsamen Schulen mit der Mehrheitsbevölkerung
sein.
* Für ein grundlegend verändertes Ausbildungssystem, das Roma den
Unterricht sowohl in der Mehrheitssprache als auch in Romanes auf
freiwilliger Basis anbietet!
Dies weist auch auf die notwendige grundlegenden Veränderungen im
kulturellen und gesellschaftlichen Bereich hin. Zwar wurden die Roma
nach 1989 in einigen osteuropäischen Ländern als eine Minderheit
offiziell anerkannt. Dies hat zwar dazu geführt, daß eine kleine
Minderheit von offiziellen Roma-Vertretern und ausgewählten
Intellektuellen in den Genuß von Förderungsmitteln kamen. Doch für die
breite Masse der Roma hat sich dadurch nicht viel verändert.
* Für die Anerkennung von Romanes als gleichberechtigte Sprache in den
Schulen, Lernbüchern, Medien, bei offiziellen Behörden usw.! Dafür
müssen auch entsprechende Finanzmittel, ausgebildetes Personal usw. zu
Verfügung gestellt werden!
Wie soll das alles finanziert werden? Indem jene Minderheit - die
Kapitalisten - massiv besteuert und enteignet wird, die sich in den
letzten Jahren auf Kosten der breiten Masse der Bevölkerung und
insbesonders der Roma bereichert hat!
Wichtig ist weiters, daß diese Programme nicht vom bürgerlichen Staat
verfälscht werden können und daher unter Kontrolle demokratisch
gewählter Vertreter der Roma und der ArbeiterInnenklasse stehen muß.
Denn aus den bisherigen Erfahrungen wissen die Roma nur gut genug, daß
der bürgerliche Staat auf Seiten der herrschenden Klasse steht und
"bestenfalls" eine kleine Minderheit reicher Roma bevorzugt,
jedoch
nicht die breite Masse.
Angesichts der zunehmenden rassistischen Übergriffe durch Skinheads und
anderen Abschaum dürfen die Roma nicht der Polizei und dem bürgerlichen
Staat vertrauen. Staat und Polizei schikanieren selber tagtäglich die
Roma. Im Falle faschistischer Übergriffe schauen die Behörden in der
Regel weg oder beschränken sich auf bloß symbolischen Strafen für die
RassistInnen. Nein, die Roma dürfen sich nur selber und den sie
unterstützenden ArbeiterInnen und Jugendlichen vertrauen! Der junge Roma
Mario Bango hat ein Beispiel für mutigen Widerstand geliefert. In diesem
Geist gilt es nun, breiter und organisierter den Nazis entgegenzutreten.
? Für eine organisierte, militante Selbstverteidigung der Roma-Gemeinden
gegen rassistische Banden und Polizei-Übergriffe!
Der Kampf gegen die Unterdrückung der Roma ist von seiner Natur her ein
internationaler. Denn die Roma leben in vielen Ländern weltweit - v.a.
in Osteuropa - und überall werden sie unterdrückt. Darüber hinaus
werden
sie in ihrer Reisefreiheit permanent eingeschränkt. Wir lehnen jegliche
Reisebeschränkung ab!
* Im Westen muß die Arbeiterbewegung daher für die uneingeschränkte
Reise- und Niederlassungsfreiheit der Roma eintreten!
Viele Roma haben in den letzten Jahren Hoffnungen in die EU gesetzt.
Doch das verbale Engagement der EU für die osteuropäischen Roma ist pure
Heuchelei. Man braucht sich nur anzusehen, wie dieselben Hüter der
Menschenrechte mit den Immigranten umgehen! Die EU-Regierungen benützen
die Roma-Frage nur als Druckmittel gegen die osteuropäischen
Regierungen. Sie wollen eine Verbesserung der Lage der Roma in
Osteuropa, weil sie die Roma nicht in ihren eigenen Ländern haben
wollen! Die breite Masse der Roma hat von ihnen nichts zu erwarten.
Die Strategie der revolutionären Integration beinhaltet den Kampf für
die volle Gleichberechtigung der Roma. Das Ziel ist jedoch nicht eine
Aufrechterhaltung der Trennung zwischen Roma und der
Mehrheitsbevölkerung, sondern die Vereinigung der Massen beider
Volksgruppen im gemeinsamen Kampf gegen die herrschende Klasse. Nur im
und durch den Klassenkampf kann es zu einer tatsächlichen Integration
der Roma einerseits und der Abschüttelung des drückenden Bleigewichts
des herrschenden Chauvinismus kommen. Daher fordern wir:
? Für eine aktive Politik der Integration von Roma-Arbeitern (inklusive
Arbeitslose) in die Gewerkschaften und andere Institutionen der
Arbeiterbewegung. Sie müssen in Leitungsorganen vertreten sein und das
Recht auf eigene separate Treffen der BasisaktivistInnen haben
(zusätzlich zu den normalen Treffen).
Doch angesichts des weitgehenden Ausschlusses der Roma aus dem
Arbeitsprozeß und dem weitverbreiteten Rassismus in der Gesellschaft
reicht diese Forderung nicht aus. Der Hungermarsch von Roma in der
Slowakei ist ein erstes Anzeichen für ein allgemeines politisches
Erwachen. Hier gilt es anzusetzen und basierend auf einer Reihe von
sozialen und demokratischen Forderungen eine revolutionäre Roma-Bewegung
aufzubauen. Das Entscheidende dieser Losung ist, daß die Roma nicht
darauf warten, daß die offizielle Arbeiterbewegung sich ihrer Sache
annimmt. Denn dafür gibt es gegenwärtig nicht die geringsten Anzeichen.
Der Aufbau einer Roma-Massenbewegung ist daher das Gebot der Stunde und
alle anti-rassistisch gesinnten Aktivisten der Mehrheitsbevölkerung
müssen eine solche Entwicklung unterstützen.
Eine solche Bewegung könnte auch die Zersplitterung der Roma-Gemeinde in
verschiedene Clans und die patriachale Dominanz der Clan-Führer
überwinden. Denn letztlich stehen diese einer tatsächlichen Integration
der breiten Masse der Roma entgegen, die ihnen ihren Einfluß rauben
würde. Ebenso gilt es, die übergroße Bedeutung der kleinen Schicht von
Roma-Akademiker zu beenden, die im Auftrag der bürgerlichen Regierung
oder der EU offizielle Roma-Vertreter spielen. Doch diese haben nicht
die Interessen der breiten Masse der Roma im Auge, sondern nur die
Verteidigung ihrer kleinen Privilegien. Nein, wir brauchen eine Bewegung
der einfachen Roma und der mit ihnen verbundenen Intellektuellen! Eine
solche Bewegung könnte die Roma von einem bloßen Opfer der rassistischen
Unterdrückung in zentrale politische Akteuren der gesellschaftlichen
Veränderung verwandeln. Dazu ist es wichtig, daß eine solche Bewegung
nicht bei den vordringlichsten, unmittelbaren Forderungen stehen bleibt,
sondern den gemeinsamen Kampf mit der gesamten Arbeiterklasse anstrebt -
für die revolutionäre Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft und
dem Aufbau eines tatsächlichen Sozialismus!
Von Michael Pröbsting
|
|
|