Palästina:

Solidarität mit neuer Intifada!

Michael Gatter

Seit Ende September wurden innerhalb weniger Wochen bereits mehr Palästinenser getötet und verletzt als nach den ersten fünf Monaten der Intifada in den 1980er Jahren. Die Zusammenstöße begannen am 28. September, nachdem der Führer des rechtsgerichteten israelischen Likud-Blocks, Ariel Sharon, jenen heiligen Ort besichtigt hatte, den die Juden Tempelberg nennen und die Moslems Haram-al-Sharif.

Für die Palästinenser war dies eine Kriegserklärung. Die palästinensische Jugend antwortete auf diese zionistische Provokation mit Massendemonstrationen in ganz Jerusalem und in der Westbank.

Die Palästinenser beanspruchen das arabische Ost-Jerusalem als Hauptstadt ihres künftigen Staates, während die Israelis die Stadt ungeteilt und unter ihrer Kontrolle behalten wollen.

Sharons Aktion zielte bewusst darauf ab, die Palästinenser zu provozieren und die reaktionären Kräfte in Israel gegen ein Abkommen zwischen Premierminister Barak und der PLO zu mobilisieren.

Die jüngsten Ereignisse verdeutlichen die Zerbrechlichkeit des sogenannten Friedensprozesses. Sie zeigen, wie sehr der rechte Flügel in Israel entschlossen ist, diesen Prozess zu unterlaufen. Ebenso machen sie aber auch klar, dass die palästinensischen Massen Arafats Politik der fortgesetzten Kapitulationen gegenüber Israel satt haben.

Wir - die Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale - haben von Anfang an vor diesem "Friedensprozess" gewarnt. Im Unterschied zu manchen anderen Linken haben wir in ihm den Ausverkauf der palästinensischen Interessen und die Konsolidierung der israelischen Vorherrschaft gesehen. Heute zeigt sich, dass diese Warnungen begründet waren.

Schon seit längerem strauchelt der Friedensprozess von einer Krise zur anderen. Sein gänzliches Ende wurde 1998 durch die Unterzeichnung des Wye-Abkommens gerade noch einmal verhindert. Nachdem Premier Netanyahu das Abkommen gebrochen hatte, schied sein Likud-Block aus der Regierung aus.

Die Wahl der neuen israelischen Koalitionsregierung, angeführt von Ehud Baraks Arbeiterpartei, die eine Wiederbelebung des Friedensprozesses anstrebte, zeigte, dass sich eine Mehrheit in Israel Fortschritte dabei erhoffte.

Barak versprach, einen umfassenden Frieden mit Syrien auszuhandeln, ebenso wie den Rückzug aus dem Südlibanon und eine komplette Regelung der Fragen eines künftigen palästinensischen Staates (Staatsgebiet, Grenzen, Jerusalem, Flüchtlinge). Aber Barak hat bisher nur eines dieser Ziele erreicht, den einseitigen Rückzug aus dem Südlibanon. Die Verhandlungen mit Syrien sind wegen der Weigerung Israels gescheitert, sich vollständig von den 1967 besetzten Golan-Höhen zurückzuziehen.

Gescheiterte Friedensverhandlungen

Die auf Initiative der US-Diplomatie zustande gekommenen Gespräche zwischen Israel und der PLO im Sommer in Camp David brachten kein Ergebnis. Im Gegensatz zu früheren Verhandlungen konnte diesmal keine Übereinkunft erzielt werden, indem man wie zuvor PLO-Führer Jassir Arafat bedeutungslose Zugeständnisse machte, die ihn sein Gesicht wahren ließen. Das ist damit erklärbar, dass in den wichtigen Fragen kein Kompromiss mehr möglich ist, wenn Arafat nicht sich selbst und den Friedensprozess in den Augen seines Volkes völlig diskreditieren möchte.

Die Palästinenser haben Aufschub um Aufschub und ständigen Verrat bei der Verwirklichung von Abkommen erlebt, wie z.B. die Fortsetzung der israelischen Besiedelungen. Aus den Verhandlungen werden die palästinensischen Massen herausgehalten, während ihnen ihre Führer die Zukunft wegverhandeln.

Der Verzicht auf den Souveränitätsanspruch auf Ost-Jerusalem sowie auf die Wiedereinbürgerung und Entschädigung der palästinensischen Flüchtlinge würde für Arafat die massive Ablehnung eines solchen Übereinkommens unter den Massen bedeuten. Arafat weiß das, und er trachtet nun danach, Zeit zu gewinnen und nicht gleich dem amerikanischen Druck nachzugeben.

Heute meinen die Palästinenser, dass es besser ist, kein Abkommen zu haben als ein schlechtes. Angesichts der laut Berichten vorgelegten Vorschläge ist dies kaum überraschend. Der amerikanische Vorschlag in Camp David, der am 21. Juli an die israelische Presse durchsickerte, war folgender:

  • Es würde einen "palästinensischen Staat" mit 95% der West Bank geben.
  • Die verbleibenden 5%, die vier israelische Siedlungsblöcke umfassen, würden an Israel angeschlossen.
  • Es sollte völlige Bewegungsfreiheit für Israelis von und zu den 183 Siedlungen geben.
  • Israel würde über Frühwarnstationen in der Region verfügen, Streitkräfte im Jordantal einsetzen und die Kontrolle über den Luftraum behalten können.
  • Zusätzlich würde Israel ein sogenanntes "Sicherheitsnetz" aufrecht erhalten, das die West Bank in vier nicht miteinander verbundene Gebiete aufspalten würde (Bethlehem/Hebron, Ramallah, Jericho und Nablus/Jenin).

Anders ausgedrückt, die Palästinenser hätten eine etwas größere Version einer bunten Sammlung von Bantustans im Apartheid-Stil, ohne Grenzen, territorialen Zusammenhang oder Streitkräfte. Es waren jedoch die Vorschläge zu Jerusalem und den Flüchtlingen, die am meisten provozierten. Israel sollte bloß "Bedauern" ausdrücken für das Leid der 4,5 Mio. Flüchtlinge von 1948 und 1967 und einige "Zehntausende" aufnehmen, jedoch unter einem reinen Familienzusammenführungsprogramm und ohne irgendeine Verantwortung für die Schaffung des Flüchtlingsproblems zu übernehmen.

Weiteren 500.000 Palästinensern sollte der Aufenthalt im winzigen und völlig verarmten palästinensischen Gefüge der West Bank gestattet werden. Von den übrigen wird erwartet, dass sie sich in den Gastländern niederlassen.

De facto wollte sich Israel reinwaschen und zwar auf dem Rücken der Palästinenser der West Bank, der arabischen Staaten und - zu guter Letzt - der Flüchtlinge selbst.

In Bezug auf Jerusalem selbst wollte Israel die Bevölkerungsgruppen zu seinen Gunsten verschieben, indem 28 arabische Dörfer, die seit 1967 in die Gemeinde Jerusalem integriert wurden, den Palästinensern übergeben, während drei in der Umgebung liegende jüdische Siedlungen Jerusalem angeschlossen würden. Dies hätte zur Folge, dass die arabische Bevölkerung Jerusalems von 233.000 bzw. 33% der Einwohner der Stadt auf 60.000 bzw. 10% reduziert würde. Jerusalem würde durch diesen Schachzug zur geeinten und ewigen Hauptstadt mit angeschlossenem Ostteil und einer "geteilten Souveränität" in den palästinensischen Gebieten.

In der Praxis würde dies bedeuten, dass die Palästinenser die Kontrolle über Einrichtungen wie Krankenhäuser und Bildungsinstitutionen hätten, Israel aber weiterhin das Bauwesen, die Planung usw. unter seiner Kontrolle hätte - eine zukünftige Waffe zur ethnischen Säuberung der Stadt, eine Quelle weiterer, permanenter Konflikte.

Revolutionäre Strategie

Die gegenwärtige Situation verdeutlicht die Grenzen einer bürgerlich-nationalistischen Führung der Palästinenser, die davor zurückschreckt, die Massen in Bewegung zu setzen und einen palästinensischen Staat auf dem Weg historischer Kompromisse mit dem Weltimperialismus, dem zionistischen Kolonialismus und den arabischen herrschenden Klassen schaffen will.

Wir lehnen das Programm einer "Zwei-Staaten-Lösung" ab, da es in Wirklichkeit nie zu mehr als der gegenwärtigen Sackgasse von Abhängigkeit und Unterordnung der Palästinenser in den besetzten Gebieten und der Diskriminierung der Palästinenser in Israel und der palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Staaten führen kann.

Der sogenannte Friedensprozess demonstriert, dass der zionistische Staat Israel auf der rassistischen Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser gründet und selbst mit der Erfüllung grundlegender bürgerlich-demokratischer Rechte (z.B. das Recht auf Rückkehr und gleiche Bürgerrechte für Millionen Palästinenser) unvereinbar ist. Jede Zweistaatenlösung muss unter diesen Vorzeichen zu einer Fortschreibung dieses Unterdrückungsverhältnisses führen. Der zionistische Staat kann nicht reformiert - er muss zerschlagen und durch einen Arbeiterstaat des jüdischen und palästinensischen Proletariats ersetzt werden.

Das Scheitern des "Friedensprozesses" verweist aber v.a. auf die Notwendigkeit einer Bewegung, die von den Massen geführt und kontrolliert wird und durch revolutionäre Mittel für einen weltlichen, arabisch-jüdischen Arbeiterstaat im ganzen Gebiet des historischen Palästina kämpft. Eine solche Bewegung sollte die Spaltungen entlang nationaler Grenzen nicht als Bedingung für nationale Befreiung akzeptieren. Diese gilt es durch entschlossene Aktionen zur Zerstörung der zionistischen Privilegien und auch durch Solidaritätsappelle an die fortschrittlichen Teile der israelischen Arbeiterklasse niederzureißen.

Eine solche Bewegung sollte jene Teile der jüdischen Bevölkerung Israels einzuschließen versuchen, die für eine gerechte Lösung der nationalen Frage gewonnen werden können, und klarstellen, dass ein Arbeiterstaat Palästina deren nationale Rechte respektieren würde. Und eine solche Bewegung würde jedes Programm zurückweisen, das eine weitere Teilung beinhaltet, egal ob auf Grundlage der Grenzen von vor 1967 oder irgendwelchen anderen. Für eine Arbeiterräterepublik Palästina, in der Araber, Juden und Drusen gleichberechtigt leben.

Der konsequente Kampf gegen den zionistischen Herrschaftsapparat erfordert die demokratische Führung der Intifada durch die palästinensischen Massen selbst. Den großen und kleinen Arafats, der islamistischen Hamas usw. kann nur dann die Führung über den Aufstand entrissen werden, wenn sich die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Bauern und Jugendlichen in Komitees zusammenschließen. Die Waffen dürfen nicht unter Kontrolle von Arafats Behörden oder der Fatah- bzw. Hamas-Führung verbleiben. Für die Bildung von bewaffneten Arbeiter- und Bauernmilizen!

Kampf gegen den Zionismus und für eine gerechte Lösung der nationalen Frage in Palästina bedeutet auch, entschlossen allen Formen des Antisemitismus entgegenzutreten. Unter den Palästinensern gilt es, jegliche Vorurteile gegenüber den Juden und Jüdinnen zu bekämpfen. Nicht "die Juden", sondern das zionistische System und der Imperialismus sind für ihr Elend verantwortlich. Wo es zu anti-semitischen Attacken auf jüdische Synagogen, Gedenkstätten oder gar Menschen kommt, treten wir für die Bildung von Selbstverteidigungsgruppen ein, die diese schützen.

Internationale Solidarität ist heute wichtiger denn je. Die Palästinenser sind heute allein zu schwach, um die gewaltige, vom Imperialismus finanzierte Militärmaschinerie des zionistischen Staates zu besiegen. Deswegen treten wir für einen Arbeiterboykott gegen Israel und den Stopp von Erdöllieferungen an alle Israel unterstützenden Staaten ein.

Der Aufbau einer weltweiten Solidaritätsbewegung mit der palästinensischen Intifada ist heute unabdingbar, um der imperialistischen Propaganda entgegenzuwirken und die Arbeiterbewegung und die Jugend weltweit zur Unterstützung des palästinenischen Befreiungskampfes und gegen imperialistische Unterstützung Israels zu mobilisieren.