Markus Lehner
So mancher, der den Kampf der 1.300 Entlassenen des VW-Werks Uitenhage
(Südafrika) verfolgt oder unterstützt hat, wird wohl gedacht haben, dass
mit dem Schlichterspruch vom 22. Januar der Kampf nun "gewonnen"
sei. Die "Commission for Conciliation, Mediation & Arbitration"
(CCMA) hat fast ein Jahr nach den Entlassungen diese für "prozedural
unfair" erklärt, sie damit aufgehoben und die Wiedereinsetzung der
Entlassenen für den 5.2.2000 verfügt.
Der Schlichterspruch basiert auf einem Formfehler, den die
hochbezahlten Juristen des VW-Konzerns begingen: Auch wenn die CCMA die
"Illegalität" des am 20.1.2000 begonnen Streiks ebenso
anerkannte, wie die "Berechtigung" des Ultimatums, das der
Konzern am 1.2. gegen die Streikenden aussprach, so erfüllte die
Unternehmensleitung nicht die Vorschrift des südafrikanischen
Arbeitsrechtes, den Streikenden (über eine gewählte Vertretung) die
Gelegenheit zu geben, die Berechtigung ihres Streiks in einem dafür
anberaumten Meeting verteidigen zu können.
Schon aus der Begründung des Schlichterspruchs (siehe home.wtal.de/
msk/schlichteng.pdf) wird klar, dass es sich nur um einen juristischen
Teilerfolg handelt. Der Streik wird weiterhin als illegale Übertragung
eines innergewerkschaftlichen Konfliktes in einen Arbeitskampf
hingestellt, als wenn VW das "unschuldige Opfer" eines
Konfliktes Dritter geworden wäre.
Mit dieser Begründung fiel es dem Konzern nicht schwer, sofort (am
26.1.) in die Berufung vor das Arbeitsgericht zu ziehen und eine
einstweilige Verfügung gegen die sofortige Wiedereinstellung zu
beantragen (der Anfang Februar stattgegeben wurde). Da sich das
Berufungs-Verfahren bis zu zwei Jahre hinziehen kann, kommt dies für die
Entlassenen einem "Todesurteil" gleich. Schon die jetzt
einjährige Arbeitslosigkeit war für viele kaum zu überstehen: Häuser
mussten verkauft werden, notwendige medizinische Eingriffe wurden
"eingespart", viele sind bereits jetzt extrem verschuldet etc.
(siehe z.B. den Bericht einer südafrikanischen Zeitung in
www.suntimes.co.za/ 2001/02/04/business/companies/comp03.htm).
Dazu kommt, dass im Gegensatz zum Schlichtungsverfahren, das
Arbeitsgerichtsverfahren für die Betroffenen extrem teuer ist, während
es sich für den VW-Konzern um "Peanuts" handelt. Unter diesen
Umständen führte der Schlichterspruch tatsächlich zu einer weitaus
schärferen Etappe des Konflikts: unsere Solidarität ist also in noch
höherem Maße gefordert!
Dimension des Konflikts
Es sei hier noch einmal an die internationale Bedeutung dieses
Konflikts erinnert: In ihm wird deutlich, wie sehr Gewerkschaftsführungen
im Umfeld der Globalisierung zu willigen Vollstreckern internationaler
Konzernpolitik erpresst werden können – und wie wenig die offiziellen
"internationalen" Strukturen der bestehenden Gewerkschaften dem
entgegenzusetzen haben!
Der Konflikt steht im Zusammenhang mit dem "neuen Realismus"
des ANC-Regimes seit 1998 (unter Thabo Mbeki), nachdem die "großen
Illusionen" der Wende von 1994 (Ende der Apartheid) unter massivem
Druck der Finanzmärkte, der internationalen Finanzinstitutionen und des
Investitionsabbaus internationaler Konzerne durch eine neoliberale Politik
der "Öffnung" und "Strukturanpassung" abgelöst
wurden. Die südafrikanischen Gewerkschaften, die über ihren Dachverband
COSATU zusammen mit der KP direkt in die Regierung eingebunden sind,
wurden dabei zu wichtigen Hebeln der Umsetzung dieser neuen Politik.
Es ist daher kein Wunder, dass die NUMSA (National Union of
Metalworkers of South Africa), vertreten durch ihren Generalsekretär, mit
dem VW-Konzern im August 1984 ein gewichtiges Abkommen aushandelten: der
A4-Golf in seiner Rechtslenker-Ausführung sollte vollständig im Werk
Uitenhage gefertigt werden. Dabei waren nur geringe Neueinstellungen zu
den bestehenden 6.000 Beschäftigten vorgesehen, obwohl die
Produktionsleistung mehr als verdoppelt werden sollte.
Dies sollte durch eine Leistungsverdichtung gewährleistet werden, die
durch Einführung der Gruppenarbeit, Streichung bestehender
Pausenregelungen, Errichtung von Urlaubskorridoren (damit auch Wegfall
bestimmter traditioneller, kulturell sehr wichtiger Feiertage) u. a.
erreicht werden sollte. Bei einem Bruchteil des Lohnes sollte
"europäisches" Produktivitätsniveau erlangt und Uitenhage zu
einem Teil der "weltweiten Zulieferkette" von VW werden.
Die NUMSA-Führung rechtfertigte die Unterzeichnung dieses
A4-Exportabkommens damit, dass der Konzern diesen Auftrag sonst an ein
anderes im internen "VW-Weltmarkt" konkurrierendes Werk vergeben
und damit dann Uitenhage wahrscheinlich vor dem Aus gestanden hätte. Dazu
muss erwähnt werden, dass Uitenhage mitten im "südafrikanischen
Detroit" liegt, die Region um Port Elisabeth also das Zentrum der
Automobilindustrie darstellt, wobei das VW-Werk eine der ältesten und
größten Produktionsstätten ist.
Während der Apartheid wurde dieses 1946 gegründete VW-Werk wegen der
"günstigen Arbeitsbedingungen" geschätzt – gleichzeitig war
es aber auch eine zentrale Organisationsstätte der südafrikanischen
Widerstands- und Gewerkschaftsbewegung. Diese Bedeutung gerade für die
NUMSA ist so groß, dass der Konflikt 1999/2000 mit gewissem Recht zu
einem Kampf um die Richtung der NUMSA insgesamt hochstilisiert wurde.
Unmittelbar sind von den Ereignissen in Uitenhage nicht nur die direkt
beschäftigten 6.000 Arbeiter betroffen, sondern 20.000 in
Zulieferbetrieben und in Folgebeschäftigung wie z.B. im Einzelhandel.
Kämpfe in der NUMSA
Der Konflikt 1999/2000 wurde im wesentlichen durch das
A4-Exportabkommen ausgelöst und ist daher unmittelbares Produkt der
Erpressungspolitik des VW-Konzerns gegenüber der NUMSA und der hinter ihr
stehenden ANC-Regierung. Die NUMSA-Führung schloss dieses Abkommen ohne
demokratische Rückkopplung mit der Uitenhager Belegschaft und ihrer
Shop-Steward-Vertretung ab.
Im Frühjahr 99 wurden in Folge des großen Unmuts der Beschäftigten
wegen der Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen weitaus radikalere
Shop-Stewards gewählt, die versuchten, eine Reihe von Verschlechterungen
zu bekämpfen. Daraufhin suspendierte die NUMSA-Führung 13
"radikale" Shop-Stewards, was im Juli 99 zu ersten empörten
Streiks führte. Die NUMSA-Führung reagierte darauf noch einmal mit einer
Aufhebung der Suspendierung, wobei gleichzeitig 18, der
NUMSA-Führung-ergebene, Shop-Stewards zurücktraten, die - nicht zu
Unrecht - ihre sofortige Abwahl fürchteten).
Als versucht wurde, die Zurückgetretenen durch Nachgewählte zu
ersetzen, verweigerte die Unternehmensleitung deren Anerkennung. Der
Konzern hat damit den Konflikt weiter zugespitzt, indem er den internen
Streit zu einer extremen Schwächung der Belegschaftsvertretung nutzte.
Als die NUMSA-Führung den Konflikt auf die Spitze trieb, indem sie im
Januar 2000 die 13 verbliebenen Shop-Stewards neuerlich suspendierte, kam
es zur Eskalation. Am 20.1. traten erst einige Abteilungen in den Streik,
bis schließlich ca. 4.000 Arbeiter die Arbeit niederlegten.
Die NUMSA-Führung versuchte verzweifelt, das Häuflein ihr ergebener
"Vernünftiger" um sich zu scharen, hielt Scheinversammlungen
ab, erklärte den Streik für illegal und begann eine beispiellose
Kampagne. So wurde z.B. behauptet, Anhänger der NUMSA-Führung würden
durch Brandanschläge auf ihre Häuser eingeschüchtert. Die Streikenden
standen gegen eine Front von Konzernleitung, Unternehmensverbänden,
Regierung, Provinzregierung und Presse.
Am 1.2. verkündete der Konzern das Ultimatum, dass alle, die bis zum
3.2. nicht zur Arbeit erscheinen würden, entlassen sind. Das Ergebnis ist
bekannt: 1.300 Kollegen blieben bis zum Schluss standhaft.
Zwei Arten Solidarität
Es ist klar, dass hier die NUMSA-Führung die Drecksarbeit für den
Konzern machte: Im Namen der "Sicherung unserer Arbeitsplätze"
wurde die Gewerkschaftsdemokratie mit Füßen getreten und versucht, die
Belegschaft durch Maßregelung unbotmäßiger Vertrauensleute gefügig zu
machen. Die Betriebsratsbürokratie im VW-Konzern spielte während des
ganzen Konflikts die Unschuldsengel.
Der Weltbetriebsrat (WBR) kämpfte statt gegen das A4-Exportabkommen,
für dessen Umsetzung im Sinne "der Rettung von Arbeitsplätzen in
der von hoher Arbeitslosigkeit bedrohten Region". WBR und GBR
erklärten den folgenden Konflikt als inneren Konflikt einer befreundeten
Gewerkschaft. Man würde ja auch nicht wollen, dass sich die NUMSA in
einen internen Konflikt der IG-Metall einmische...
Mit einem solchen Verständnis von "internationaler
Solidarität" ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der
Vorsitzende des WBR, „Kollege" Uhl, bei seinem
"Vermittlungsbesuch" Ende Januar 2000 kein einziges Mal mit den
Streikenden traf und stattdessen mit NUMSA-Führung und
Unternehmensleitung konferierte. Auch später wurde von Uhl und GBR jeder
Versuch einer internationalen Solidarisierung von VW- und
IG-Metall-Kollegen mit den Entlassenen sabotiert.
Trotzdem kam es weltweit, von Brasilien bis Deutschland, zu einer
Solidaritätsbewegung, die zeigt, dass eine wirklich internationale
Arbeitersolidarität auch im Kampf gegen die "internationale"
Gewerkschaftsbürokratie erkämpft werden muss!
Nach dem Schlichterspruch versuchen NUMSA-Führung und ein Teil des ANC
(aus welchem politischen Kalkül auch immer) nun, zurück zu rudern. Sie
begrüßen die Schlichtung, bzw. die Forderung nach Wiedereinstellung. Die
Solidarisierung unter der Arbeiterschaft des "südafrikanischen
Detroit" ist zu eindeutig: dies wurde bei einer
Solidaritätsveranstaltung Ende Januar deutlich, in der das lokale
Fußballstadion mit tausenden Arbeitern aus der Region gefüllt war.
Inzwischen ist auch bei einem Teil der Presse der Meinungsumschwung
überdeutlich geworden.
Dagegen versuchen der weiße Unternehmerverband mitsamt dem VW-Konzern
aus dem Kampf gegen den Schlichterspruch inzwischen eine Generalattacke
gegen die "überzogenen", "internationale Investitionen
abschreckenden" arbeitsrechtlichen Schutzvorkehrungen zu machen. So
wird im Berufungsverfahren unter anderem versucht, das Recht der CCMA auf
die Verordnung der Wiedereinstellung in Frage zu stellen. Das Kapital
tritt endgültig aus dem Schatten seines bisherigen willigen Vollstreckers
hervor und bezeugt ihm seine Dankbarkeit.
In dieser Situation ist es nicht mehr ausreichend, die Entlassenen auf
jede nur denkbare Weise zu unterstützen. Wesentlich ist es, auf allen
Ebenen der Belegschaftsvertretung im VW-Konzern wie auch in den
verschiedenen deutschen Gewerkschaften dafür einzutreten, dass der
Konzern nicht nur zur Hinnahme des Schlichterspruchs in dem Sinn gezwungen
wird, dass alle 1.300 Entlassenen sofort wieder eingestellt werden,
sondern dass darüber hinaus die Berechtigung des Vorgehens der
Streikenden gegenüber der erpresserischen Politik des Konzerns und damit
ihr eigentliches Anliegen voll unterstützt wird!
- Sofortige Wiedereinstellung der 1.300 Entlassenen!
- Internationale Solidarität gegen die Standort-Erpressungspolitik
der internationalen Konzerne, wie sie im A4-Exportabkommen von VW
praktiziert wurde!
- Weg mit solchen verlängerten Armen der Konzernleitung, die sich als
"Weltbetriebsrat" ausgeben! Weg mit Uhl!
- Demokratische Wahl, Rechenschaftspflicht und jederzeitige
Abwählbarkeit internationaler Gewerkschaftsvertreter in
internationalen Konzernen, die mit Vollmachten für internationale
Koordinierung von Arbeitskampfmaßnahmen ausgestattet werden müssen!
Laufende Informationen:
www.labournet.de