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    Nahost:   Hintergründe eines Konfliktes

    Markus Lehner

    Die rassistische und unterdrückerische Politik der israelischen Regierung und ihrer bewaffneten Kräfte hat in letzter Zeit eigentümliche Verbündete bekommen: Teile der deutschen Linken, die sogenannten "Anti-Deutschen", erklären ihre pro-israelische Position als legitime Verteidigung gegen terroristische" Antisemiten" (siehe z.B. in der Zeitschrift "Bahamas"). Wieder einmal erweist sich die "internationale Solidarität" in der deutschen Linken als provinzielle Nabelschau, die in diesem Fall vornehmlich von der Gefahr eines pro-palästinensisch verkappten Antisemitismus, statt von einer Beschäftigung mit den Vorgängen vor Ort und der Solidarität mit den (z.B. besonders auch in Israel selbst agierenden) progressiven Kräften in der betroffenen Region genährt wird. 

    Zionismus und Antisemitismus 

    Tatsächlich hatte der Antisemitismus einen entscheidenden Anteil daran, dass das unglücksselige Projekt eines zionistischen Staates im ehemals britischen Mandatsgebiet Palästina ungeachtet der dort lebenden Bevölkerung nach 1945 Wirklichkeit wurde. War der Zionismus mit einer solchen "Idee" noch Anfang des 20.Jahrhunderts in den verschiedenen jüdischen Bevölkerungsgruppen der Welt eine belächelte Minderheit, so wurde er durch die völkermordende, anhaltende Wirksamkeit des Antisemitismus, besonders durch den von Deutschen betriebenen Holocaust, zu einer realen Alternative, der hunderttausende jüdische Flüchtlinge bis 1945 und unmittelbar danach folgten.

    Dabei war eine "jüdische Rasse" ebenso ein antisemitischer Unsinn, wie die Konstruktion einer verstreuten "jüdischen Nation" ein zionistisches Zerrbild darstellte. Die jüdischen Gemeinschaften und ihre Kultur, wie sie zum Teil noch im Mittelalter (als fortschrittliches gesellschaftliches Element) bestanden und bis heute noch in vielen Ländern als atavistische Blaupause für alle Formen von rassistischer Reaktion dienen, hatte sich in den Jahrhunderten seither längst aufgelöst (mit bestimmten Modifikationen in Osteuropa). Die jüdischen Bevölkerungsgruppen in Europa, Asien und Afrika haben sich in verschiedene Klassen und Kulturen differenziert, die nur noch durch Antisemiten und wenige Traditionalisten durch eine "jüdische Identität" verbunden geglaubt wurden.

    Dies wird heute daran deutlich, dass es sich bei Israel selbst, trotz seiner Betonung des "Judentums" als Grundlage des Staates, de facto um einen Vielvölkerstaat handelt. Während jüdisch-europäische Immigranten (besonders aus der "aschkenasischen" Ethnie) eine entscheidende Rolle bei der Gründung und dem Aufbau des Staates Israel spielten, wurde der Anteil der Immigranten aus Europa schon lange überholt durch diejenige verschiedenartiger "orientalischer" jüdischer Ethnien. Auch Emigranten aus Russland ziehen heute die USA zum Großteil der israelischen Alternative vor, ganz im Gegensatz zu jüdischen Emigranten z. B. aus Afrika, für die Israel immer noch ein verlockendes Ziel darstellt.

    Die israelische Gesellschaft stellt sich daher als eine Pyramide dar, in der die Aschkenazim die gutbezahlten Jobs und wichtigen Posten einnehmen, während die orientalischen Juden in ihren verschiedensten Abstufungen selbst zum Teil schweren Diskriminierungen ausgesetzt sind, aber bereits die Bevölkerungsmehrheit darstellen. Am untersten Ende der Gesellschaft stehen die extremer Diskriminierung ausgesetzten 18% der Israelis arabischer Herkunft - die Nachkommen derjenigen Palästinenser, die 1948/49 nicht aus ihrem Land vertrieben wurden. Die Zerrissenheit der israelischen bürgerlichen Politik, ihre Führungskrise nach dem Abstieg der Askenazi-geprägten Labour-Party und die Bedeutung einer Vielzahl ultranationalistischer und religiöser Splitterparteien, ist ein Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Zerrissenheit.

    Geburtsfehler 

    Das zentrale Problem des Staates Israels war von Anfang an, dass er ein Staat "der Juden" sein sollte, aufgebaut nach "europäisch-fortschrittlichem" Muster, bei dem die "rückständigen Ureinwohner" nur im Wege sein konnten. Die landwirtschaftlichen Kommunen (z.B. die Kibuzim) wie auch die Arbeiterorganisationen (z.B. die Histradut) wurden von Anfang an, schon vor der Gründung Israels, nach rassistischen Ausschlusskriterien von Arabern freigehalten. "Kauft nicht bei Arabern", "Beschäftigt nur jüdische Arbeiter", etc. waren die angesichts der Geschichte makaberen Losungen zur Durchsetzung eines spezifisch israelischen Apartheid-Systems.

    Der zweite zentrale Webfehler des Staates Israels bestand in seiner Funktion für das imperialistische System der Kontrolle über den Nahen Osten und seine so wesentlichen Bodenschätze. Waren es seit der Balfour-Deklaration Ende des Ersten Weltkriegs die Briten, die die jüdische Immigration förderten, um nach altbewährtem kolonialen Muster einen europäischen Siedlerkern als Vorwand für ihre militärische Präsenz in der Region zu haben, so waren es nach 1945 die USA, die die zentrale Rolle eines von ihnen völlig abhängigen, hochgerüsteten Staates in der Region erkannten.

    Nach der Niederlage der arabischen Militärkräfte 1948/49 gegen die von den USA hochgerüsteten Siedlermilizen wurde der Staat Israel ausgerufen (in den Grenzen vor dem 4.Juni 1967). Dieser Staat war von Anfang an vollkommen abhängig von US-Hilfe und ist dies bis heute geblieben. Dies zeigt sich in der Abhängigkeit von Kapitalimport aus den USA, die sich durch besonders bevorteilte Kreditkonditionen und aus direkten Hilfsfonds ergeben. Ohne diese Auslandshilfe wäre die seit den 70er Jahren beständig von schweren Rezessionen heimgesuchte israelische Ökonomie nicht in der Lage gewesen, eine der bestausgerüstetsten Armeen der Welt zu finanzieren.

    Imperialistischer Brückenkopf

    Neben seiner Rolle als wichtiger Rüstungsexporteur für die US-Interessen, spielte und spielt Israel eine entscheidende Rolle als "unlösbares Problem" für die arabische Politik, die bis heute die Entstehung einer unabhängigen, für den Westen möglicherweise unangenehmen arabischen Regionalmacht verhindert hat. Die größte Bedrohung, der "arabische Nationalismus" des Ägyptens von Nasser wurde mit dem 6-Tage-Krieg von 1967 endgültig erledigt. Ägypten ist seit 1979 (Camp David Abkommen) der zweite wesentliche Verbündete der USA in der Region, ebenso abhängig von US-Hilfen, aber weniger "verlässlich" als Israel. Trotzdem spielt Ägypten, im Verein mit den reaktionären Golfstaaten, eine entscheidende Rolle, um der arabischen Welt, und insbesondere den Palästinensern die "Friedensvorstellungen" der USA für die Region zu vermitteln.

    Auf der Strecke blieben bei allen diesen Stationen jeweils die Palästinenser: Noch 1919 bevölkerten 577.000 Palästinenser gegenüber nur 65.000 Juden Palästina und noch zur Zeit der Gründung des Staates Israel waren die Palästinenser eindeutig die Mehrheitsbevölkerung. Zur Schlichtung des Konflikts versuchten die Briten über die UNO 1947 einen ersten Teilungsplan durchzusetzen, der den 33% jüdischer Bevölkerung immerhin schon 54% von Palästina zusprach.

    Der Plan scheiterte und im Krieg 48/49 wurden 750.000 Palästinenser aus dem heutigen Kern-Israel vertrieben: nach Westbank, in den Gaza-Streifen (beides zusammen nur 22% des ursprünglichen Palästina), der Großteil aber in verschiedene arabische Länder. Während etwas über eine Million Palästinenser heute in Westbank und im Gaza-Streifen leben (auch davon der Großteil ehemalige Flüchtlinge, viele bis heute in Flüchtlingslagern), so gibt es heute weit über 3 Millionen palästinensische Flüchtlinge außerhalb Palästinas. Vor allem dieses Flüchtlingsproblem ist bis heute durch alle sogenannten "Friedensverhandlungen" völlig ignoriert worden.

    Nicht nur, dass die israelische Regierung jegliches Rückkehrrecht oder Entschädigungen von sich weist, selbst das Unrecht der Vertreibung wird nicht anerkannt (für die Palästinenser das nationale Ur-Trauma, die Naqba). Der jüngste Clinton-Vorschlag, Tempelberg gegen endgültige "Beilegung" der Flüchtlingsproblematik, stellt hier den Gipfel menschenverachtender Diplomatie dar - womit endgültig klar wird, warum in Camp David die Rolle der Souveränität über den Tempelberg von Barak und Clinton derartig hochgespielt wurde.

    Nach dem 6-Tagekrieg 1967 wurde auch das palästinensisch besiedelte Restland in Westbank und Gaza-Streifen zur israelischen Besatzungszone, die seit den 70er Jahren systematisch besiedelt wird. Durch die Niederlage und die Diskreditierung der arabisch-nationalistischen Regime wurde nunmehr die ursprünglich von Nasseristen gegründete PLO zum Zentrum des anti-imperialistischen Widerstandes in der arabischen Welt, die lange Zeit eine Guerilla-Strategie verfolgte. Während die arabischen Regime mehr und mehr ihren Frieden mit USA und Israel schlossen, war es der "Widerstand von unten", ausgehend von den besetzten Gebieten, der der imperialistischen Befriedungspolitik der Region immer wieder einen Strich durch die Rechnung machte.

    Als die PLO nach Camp David 1 und nach dem Desaster im Libanon-Krieg schon ganz am Boden zu sein schien, war es der massive Volksaufstand in den besetzten Gebieten, die erste Intifada, die der ganzen Welt die unhaltbare Situation des israelischen Apartheidsystems klar machte. Seit damals wurde es auch dem israelischen Generalstab mehr und mehr deutlich, dass die Besetzung von Westbank, Gaza-Streifen und Süd-Libanon zu kostspielig und langfristig nicht zu halten war. Die Idee einer Friedenslösung unter Einschluss der PLO wurde geboren, die in einem streng kontrollierten Gebiet durch eigene Pfründe befriedigt werden sollte. Die Lösung einiger extremnationalistischer israelischer Gruppierungen, ein Groß-Israel, das die gesamten besetzten Gebiete annektiert, kam für die israelische Bourgeoisie, sowohl durch Labour-Party wie durch den Likud-Block vertreten, nicht in Frage, da speziell die billigen palästinensischen Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten für viele Betriebe wesentlich sind.

    Diese Ausgangsbedingungen machen die Grenzen des "Friedensprozesses" klar, ebenso, wie sie die Illusion des "gerechten Friedens" - von israelischer Friedensbewegung und PLO-Mehrheit vertreten - in Frage stellen.

     

     



     

     

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