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VOR DEM STURM
GRÖSSTE DEMONSTRATION IN DER GESCHICHTE ITALIENS


Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi will sich die
Arbeiterbewegung vorknüpfen. Auf einer Kabinettssitzung am 14. März wurde
einstimmig beschlossen, dass die Regierung die vorgeschlagene Änderung des
Paragraphs 18 des Arbeitsgesetzes vornimmt. Dadurch sollen die Unternehmer
die Möglichkeit erhalten, neu eingestellte ArbeiterInnen ohne
"gerechtfertigten Grund" zu entlassen und damit den in den 70er Jahren
errungenen Kündigungsschutz aufheben.
Anfang März sah es noch so aus, als würde die Regierung einen Rückzieher
machen. Der Minister für Wohlfahrt, Roberto Maroni, der Mitglied der Lega
Lombarda von Umberto Bossi ist, hatte verlauten lassen, dass es der
Regierung nicht gelungen sei, die Beschäftigten von den Segnungen dieses
Gesetzesvorhabens zu überzeugen und dass es daher fallengelassen werden
müsste.
Aber der Druck des Unternehmerverbandes Confindustria hatte Maroni schnell
zum Rückzieher vom Rückzieher gebracht. Der Lega Lombarda wurde diese
Kehrtwendung durch eine Modifikation des Gesetzesentwurfs versüßt. Der
ursprüngliche Entwurf sah vor, dass Beschäftigte, deren befristete
Arbeitsverhältnisse in unbefristete umgewandelt werden, keinen
Kündigungsschutz haben würden. Jetzt soll diese Bestimmung nur für den Süden
des Landes gelten!
Bossi und Maroni, deren Partei in einer tiefen Krise steckt, können jetzt
der Reform zustimmen, ohne sich allzu viele Sorgen um die (ohnedies wenigen)
Arbeiterstimmen für ihre Partei zu machen.
Unabhängig von diesem politischen Manöver im Regierungslager gibt es auch
unter den Kapitalisten eine gewisse Unstimmigkeit. Wichtige Teile der
Unternehmerverbände zweifeln, ob die Reform kurzfristigen Nutzen bringt. Vor
allem zweifeln sie daran, ob dieser Nutzen einen größeren Konflikt mit den
Gewerkschaften Wert ist.
Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist FIAT-Chef Agnelli. Auch
Confcommercio, die die Interessen der Kleinunternehmer vertritt, hat die
Effektivität der Reform in Frage gestellt. Der Vorsitzende von
Confindustria, D'Amato, macht daher auch einen recht nervösen Eindruck: den
Eindruck eines Mannes, der eine größere Last schultern will, als er tragen
kann. Der Hauptgrund dafür ist aber nicht die Opposition im eigenen Lager.

Widerstand

Schon seit Monaten braut sich der Widerstand gegen Berlusconi und die Bosse
zusammen. 100.000 demonstrierten gegen die Gleichschaltung der Medien. Die
Arbeiterbewegung zeigte schon am Beginn des  Jahres ihre Kampfbereitschaft
und Militanz. Am 15. Februar organisierten die Cobas einen landesweiten
Streik, an dem sich 100.000 ArbeiterInnen beteiligten. Das
Reinigungspersonal der Eisenbahnen konnten mit einem spektakulären Streik
einen raschen Sieg erringen.
Bemerkenswert ist an den vielen Protestaktionen eines: Ein sehr großer Teil
der Menschen, die daran teilnehmen, waren zuvor nicht politisch aktiv. Ein
großer Teil davon sind ArbeiterInnen.
Die internationale Gewerkschaftsdemo gegen den EU-Gipfel und die
Flexibilisierungsvorhaben der EU-Regierungen passen hier gut ins Bild
zunehmender Kampfbereitschaft. Berlusconi, der nach seinem letzten Treffen
mit Blair und wegen seiner Übereinstimmung mit den neo-liberalen
Auffassungen des britischen Premiers spöttisch "Blairlusconi" genannt wird,
hat weiter Öl ins Feuer gegossen. Die 100.000 in Spanien seien nur Faulenzer
gewesen, die "alles tun, um einen Tag blau zu machen". Das ist ein
Vorgeschmack auf die kommenden Ereignisse und auch eine Warnung an die
Arbeiterbewegung, dass die Regierung nichts unversucht lassen wird, ihre
Angriffe durchzuziehen.
Der bisherige Höhepunkt der Aktionen war die landesweite Großdemonstration
gegen den Gesetzesentwurf in Rom am 23. März, an der sich drei Millionen
Arbeiter und Arbeiterinnen aus ganz Italien beteiligten.
Das war umso wichtiger, als noch in der Woche vor der Demo der Berater des
Wirtschaftsministers Biagi von den RB-PCC oder sonst wem erschossen wurde.
Dieser Anschlag, der politisch nur der Regierung in die Hände spielt, wurde
von Berlusconi auch freudig als Mittel zur Diskreditierung der
Gewerkschaften und der Sozialforen benutzt, weil diese ein "Klima des
 Hasses" geprägt hätten. Ähnlich wie nach Genua kam das Attentat für die
Regierung wie gerufen.
Umso wichtiger war es, dass die Mobilisierung trotzdem fortgeführt wurde.
Die Gewerkschaften haben erkannt, dass Berlusconi das Attentat auf Biagi
gegen die Arbeiterbewegung nutzen will. Sie haben sich daher nicht von der
Aktion abhalten lassen.
Die Demonstration war gigantisch. Das war schon Wochen zuvor absehbar. 61
Sonderzüge und vier Schiffe waren schon lange vorher ausgebucht. 9200 Busse
kamen aus dem ganzen Land.
Die Mobilisierung für den 23. März zeigt die zentrale Rolle der
Arbeiterklasse. Sie zeigt auch, dass eine Verbindung der
Anti-Globalisierungsbewegung mit der Arbeiterbewegung möglich und notwendig
ist. Sie zeigt, dass sich progressive Bewegungen - besonders ihr linker
Flügel - an der Arbeiterklasse zu orientieren beginnen, wenn diese
kämpferisch auftritt.
Das zeigte sich auch in den Sozialen Foren, die im ganzen Land existieren,
die für die Mobilisierung nach Genau und danach so wichtig waren. Sie haben
die Demonstration der CGIL begrüsst, obwohl sich auf der landesweiten
Konferenz der Sozialen Foren am 2. und 3. März in Bologna auch
sektiererische Tendenzen zeigten, die Initiative der Gewerkschaften nicht zu
unterstützen. Aber das waren Ausnahmen.

Konflikte

Die Reaktion der CGIL-Spitze auf diese Unterstützung ist daher umso
schädlicher, ja kommt einem politischen Verbrechen gleich. Sergio Cofferati
lehnte es nämlich ab, Vittorio Agnoletto, den Sprecher der Sozialen Foren,
auf der Demonstration Reden zu lassen - eine Kapitulation vor der
"öffentlichen Meinung", die Berlusconis Medienmonopol fabriziert. Die Spitze
der CGIL ist darauf bedacht, die Gewerkschaftsdemonstration nicht zu einer
politischen Manifestion gegen die Regierung werden zu lassen - und arbeitet
damit der Regierung in die Hände, indem die Einheit des Kampfes gegen die
Regierung und die Kapitalisten geschwächt wird.
In einem Brief Anfang April hatten die Sozialforen noch Cofferati
beschuldigt, dass er in Wirklichkeit nur Angst vor den Foren und den
politischen Ideen, die sie verkörpern, habe - eine durchaus zutreffende
Kritik. Aber die Sozialforen haben dann den politischen Affront mit einem
eigenen politischen Rückzieher quittiert, der selbst wiederum der
CGIL-Bürokratie in die Hände arbeitet. Sie haben beschlossen, das Thema
nicht mehr öffentlich aufzugreifen. Dabei wiederholen sie nur den Fehler der
Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die zuvor den Brief der Foren als unnötige
Polemik verteufelt hatte, die nur den gemeinsamen Gegner stärken würde.
Damit ist sie nicht allein. Die Rifondazione Communista (RC) hat einen
ähnlichen Kurs beschritten und beide Seiten aufgefordert, die Polemik zu
beenden. Die Cobas sind wenig besser und halten sich aus dem Streit heraus.
Diese Haltung erinnert fatal an die Haltung von FIOM, Cobas und RC beim
Massenstreik 1994, als die "Aussetzung der Kritik" den Führern der großen
Gewerkschaftsverbände half, die Massenbewegung zu demobilisieren - ohne
Kritik!
Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass eine solcher neuerlicher
Ausverkauf alles andere als ein Hirngespinst ist. Die Demonstration vom 23.
März hätte ursprünglich als Protest- und Mobilisierungstag für einen
landesweiten Generalstreik am 5. April dienen sollen. Dieser wurde jetzt
verschoben, vorerst auf Ende des Monats. Die Arbeiterinnen und Arbeiter
müssen sich jeder weiteren Verschiebung und Verzögerung der Aktion entgegen
stellen. Eine Massenbewegung, die das Potential zum Generalstreik und zum
Sturz der Regierung hat, kann nicht beliebig verschoben und wie eine
Maschine ein- und ausgeschaltet werden.
Der offizielle Grund für die Verschiebung ist, dass so die beiden anderen
Gewerkschaftsdachverbände CISL und UIL auch dazu bewegt werden könnten,
einen Streik zu unterstützen. Einem Aufruf für den 5. April wollten sie auf
keinen Fall zustimmen, hätte das doch so ausgesehen, als würden sie der
Initiative der CGIL folgen. Dann schon besser keine Aktion, lautet die Logik
der Bürokraten.
Dabei hatten die Vorsitzenden von CISL und UIL ursprünglich den Streik mit
dem Argument abgelehnt, dass  sie auf Verhandlungen mit der Regierung
setzten und diese nicht "belasten" wollten, während der Vorsitzende der
CGIL, Cofferati - diesmal zurecht - eine solche Verhandlungstaktik abgelehnt
hatte.
Daher wird auch die Verschiebung der Aktion von allen drei Bürokraten als
Sieg der "Gewerkschaftseinheit" dargestellt. In Wirklichkeit ist es nur die
Fortsetzung ihrer bisherigen Politik, Berlusconi anzubellen, aber nicht zu
beißen. Die Politik der drei Gewerkschaftsführer gleicht fast einem
Wettbewerb, wer die Regierung am wenigsten in Bedrängnis bringt.

Aussichten

Dabei ist ein unbefristeter Generalstreik in Italien eine reale Möglichkeit.
Die Mobilisierung 100.000er schreit geradezu danach. Die Angriffe auf die
Arbeiterklasse, das neue Arbeitsgesetz, die Gleichschaltung der Medien - all
diese Angriffe, die den Lohnabhängigen eine strategische Niederlage zufügen
sollen, können durch eine solche Gegenaktion zurückgeschlagen werden.
Aber es ist klar, dass dabei auf die Gewerkschaftsspitzen und auf die
Reformisten in RC kein Verlass ist. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den
Betrieben müssen den Kampf in die eigenen Hände nehmen, müssen ihn selbst
kontrollieren. Daraus ergeben sich folgende Forderungen, die zu ihrer
eigenen Schande, aber noch viel mehr zum Schaden der Arbeiterklasse niemand
in der italienischen Linken erhebt:
Vollversammlungen und Wahl von Streikkomitees in allen Fabriken und
Unternehmen!
Landesweite Delegiertenversammlung von VertreterInnen der Komitees und
Versammlungen, die von ihrer Basis gewählt, dieser rechenschaftspflichtig
und jederzeit abwählbar sind!
Ja zur Arbeitereinheit, zur Einheit der Gewerkschaften im Kampf gegen
Berlusconi! Nein zu allen Forderungen, die Kritik an der Bürokratie und
ihrer halbherzigen, verräterischen Kampfesführung einzustellen!
Ein Generalstreik gegen Berlusconi, der von Streikkomitees organisiert, von
Streikposten verteidigt wird, würde nicht nur die rechte Regierung ins
Wanken bringen; sie würde den italienischen Kapitalismus insgesamt in Frage
stellen. Der Generalstreik wirft die Machtfrage auf. Ihre Lösung: Eine
Arbeiterregierung, gestützt auf Räte, die aus dem Generalstreik und Streik-
und Stadtteilkomitees erwachsen; gestützt auf Milizen, die aus Streikposten
und bewaffneten Selbstverteidigungsgruppen der Arbeiterbewegung entstehen.
Dafür treten wir ein. Dazu muss eine revolutionäre Arbeiterpartei in Italien
und international aufgebaut werden!



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