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FRANKREICH: LINKE BESTEHT DEN TEST NICHT

Christina Duval, Workers Power Global, Paris

 

Jacques Chirac ist mit 82% in der Volksabstimmung zum Präsidenten der französischen Republik wiedergewählt worden; Le Pen folgte in beträchtlichem Abstand mit rund 18%.

Seitdem die erste Runde das Ausscheiden des sozialistischen Premierministers Lionel Jospin zugunsten von Jean-Marie Le Pen, dem faschistischen Führer der Nationalen Front (FN) brachte, fanden in ganz Frankreich Massendemonstrationen statt.

Die Teilnahme Le Pens an der zweiten Runde leitete eine Krise in Frankreich ein. Das „politische Erdbeben“, welches das Land heimgesucht hat, hat den undemokratischen Charakter der Präsidentschaftswahlen bloßgestellt: trotz einer Unzahl von KandidatInnen in der ersten Runde und einer breit gestreuten Stimmenverteilung waren nur zwei Kandidaten für die Aufstellung in der zweiten Runde qualifiziert. Die „Gewinner“ der ersten Runde repräsentierten zusammen lediglich 36% der Stimmen. Die Mehrheit verlor somit vollständig.

Die fast täglich stattfindenden Massendemonstrationen - sie fanden ihren Höhepunkt in der großartigen Demo mit Millionen TeilnehmerInnen auf den Straßen von Paris am 1. Mai - sind Zeugen der Wut, die französische ArbeiterInnen und Jugendliche über ein Wahlsystem empfinden, das einem abstoßenden Faschisten gestattete, in die zweite Runde durchzukommen. Dieser Ärger wurde jedoch geschwind in einen Aufruf zur Wahl für den rechten Chirac kanalisiert, einen Mann, der als Gauner und Lügner diskreditiert gewesen ist.

Chirac ist außerdem ein Rassist, der vor nicht allzu langer Zeit Anspielungen auf „Lärm und Gestank der EinwanderInnen“ machte. Während das Bestreben, Le Pen den Weg zu versperren, verständlich und korrekt ist, liegen ArbeiterInnen und Jugendliche, die denken, dass eine Stimme für Chirac die Antwort sei, daneben. Der Druck in Richtung einer Abstimmung für Chirac gewann seit der ersten Runde an Boden. Die Mehrheit, die gegen diese falsche Lösung anzugehen wagte, ist auf wachsende Feindseligkeit gestoßen.

Um in der Debatte gegen die „Republikanische Front“ zu bestehen, waren von den RevolutionärInnen eine starke Anleitung und klare Argumente erforderlich.

Bedauerlicherweise haben sich die beiden großen „revolutionären“ Organisationen in Frankreich, Lutte Ouvrière (LO) und die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR, die französische Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale/VS) dazu als völlig untauglich erwiesen.

Beide Gruppen reagierten auf die Ergebnisse der ersten Runde mit vagen und verworrenen Stellungnahmen, die daraufhin von den Medien lächerlich gemacht und in der Folge abgewandelt wurden. LO zog sich auf ihr gewöhnliches abstraktes Sektierertum zurück und die LCR wurde flott in die „Republikanische Front“ aufgesogen.

LO’s Stellungnahme in der Wahlnacht ging besonders quer durch die Kehle. Ihre Kandidatin Arlette Laguiller konzentrierte sich eher auf eine Rechtfertigung ihrer Kandidatur, als einen entschlossenen Angriff auf die FN zu starten und die ArbeiterInnen zur Mobilisierung auf den Straßen gegen Le Pen aufzurufen. Erschwert wurde dies noch durch die Andeutung, es gebe keinen Unterschied zwischen Le Pen und Chirac. LO’s erster Rat an die ArbeiterInnen für die zweite Runde war schockierend selbstgefällig: keine Enthaltung, keine Stimme für Chirac oder Le Pen; die ArbeiterInnen sollten gemäß ihrem Bewusstsein abstimmen!

Seitdem beschloss LO trotz des zunehmenden Drucks, für Chirac zu stimmen, einen ungültigen Stimmzettel zu empfehlen.

Die zur Rechtfertigung ihrer Position vorgebrachten Argumente zeigen jedoch ihre Unfähigkeit, die Bedeutung von Le Pens „Sieg“ zu begreifen oder sich auf den gesunden antirassistischen Geist der DemonstrantInnen zu beziehen, eine Kampfstrategie gegen den aufstrebenden Rassismus und Faschismus und zur Abwehr einer Offensive seitens Chiracs und der Rechten gegen Arbeitererrungenschaften anzubieten.

LO’s „Totschlagargument“ zugunsten ungültiger Stimmabgabe ist weniger prinzipienfest als Wahlarithmetik. Chirac kann mit den Stimmen der Rechten allein gewinnen; deshalb braucht er keine linken Stimmen, um Le Pen zu schlagen. Mit diesem Argument erheben sich zwei Probleme. Erstens berührt es nicht den Einwand derjenigen, die sagen, die Linke müsse gewährleisten, dass der Stimmenanteil für Le Pen so gering wird, damit sein Wahleinfluss minimiert werde. Le Pen hat gesagt, alles unter 30% werde eine Niederlage sein.

Zweitens demonstriert es eine fatalistische Inkaufnahme von LO’s Mangel an gesellschaftlichem Einfluss und eine Weigerung, Verantwortung für ihre Positionen zu übernehmen. Ein/e RevolutionärIn muss vorangehen und danach trachten, eine Minderheitsposition unter der Mehrheit populär zu machen.

Würde LO’s Position von der Massenbewegung aufgegriffen, wäre nicht ausgeschlossen, dass Le Pen die Wahl „gewinnt“, obwohl das wirkliche Kräfteverhältnis zugunsten der radikalen ArbeiterInnen und Jugendlichen ausschlüge und sich eine neue Situation auftäte. LO will sich aber nicht mit solchen Themen konfrontieren, da sie diese als Ablenkung vom wirtschaftlichen Kampf der ArbeiterInnen an der Arbeitsstelle betrachtet - statt als dessen konzentrierten, d.h. politischen, Ausdruck.

LO hat traditionell die Gefahr des in den Arbeitervierteln Fuß fassenden Rassismus’ und Faschismus’ unterschätzt. Ihr Ökonomismus lenkte sie zum Herunterspielen spezieller Kämpfe für die Rechte von ImmigrantInnen (wie auch von Frauen und anderen unterdrückten Gruppen, z.B. Lesben und Schwulen). Der ökonomische Kampf wird als automatische Lösung eingeschätzt, der die Spaltung der ArbeiterInnen entlang solcher Linien beenden wird.

Der Ökonomismus von LO hat sie viele Jahre weigern lassen, den Kampf um das Stimmrecht für ImmigrantInnen aufzugreifen; sie argumentierte, im Vergleich zum Kampf auf Fabriksebene seien demokratische Themen unwichtig.

Ihre Entgegnung auf den zunehmenden Rassismus unter den am ärgsten marginalisierten ArbeiterInnen ist kaum besser. Sie zeigt auf, dass die Existenz einer Arbeitermassenpartei (wie der PCF, der Kommunistischen Partei Frankreichs - in der Vergangenheit) eine bedeutende Barriere gegen Ideologien sei, welche die ArbeiterInnen entzweiten. Aber eine Arbeiterpartei, die den Kampf gegen Rassismus und Faschismus nicht aktiv aufnimmt, lässt die niedergedrücktesten und unorganisierten ArbeiterInnen weit offen für reaktionäre Ideen zurück.

Der gewerkschaftliche Kampf allein ist nicht genug, um die Spaltungen innerhalb der Klasse zu überwinden. Siebzig Jahre, während denen die PCF dem Nationalismus Vorschub leistete, vergifteten die Arbeiterklasse. Dass ArbeiterInnen, die früher für die PCF stimmten, zur FN überlaufen können, zeigt die Gefahren, sich auf arbeiterfreundliche Rhetorik und Nur-Gewerkschaftertum im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit innerhalb der Klasse zu verlassen.

Wie LO startete die LCR mit einer zweideutigen Position, die im Grunde den Individuen überließ, für Chirac zu stimmen oder nicht. Die Organisation forderte keine Stimmabgabe für Chirac, wollte aber die Leute nicht auffordern, nicht für ihn zu stimmen. In ROUGE, der LCR-Wochenzeitung, tauchen die Worte „für Chirac stimmen“ nicht auf. Beim Nachbohren haben ihre FührerInnen zugegeben, dass sie folgendes wirklich gesagt haben:

             „Das Zentralkomitee der LCR bekräftigt die seit dem Abend des 21. April eingenommene Position und unterstreicht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, den Weg der extremen Rechten sowohl auf der Straße als an der Wahlurne zu blockieren. Das spricht von selbst gegen eine Stimme für Le Pen am 5. Mai und mag ab Montag, dem 6. Mai, die Bedingungen für ein „tous ensemble“ (vereinte Mobilisierung) gegen Chiracs Politik schaffen.“

Die neue Position der LCR ist eine Widerspiegelung des Wunsches von ArbeiterInnen und Jugendlichen, Le Pen am Wahlsieg zu hindern und seine Stimmen niedrig zu halten. Sie rufen für eine Stimme gegen Le Pen auf, als welche die Demonstrierenden ihre Unterstützung für Chirac betrachten - sie stimmen nicht für Chirac, sondern eher gegen Le Pen.

Die Stimme für Chirac wird von der LCR als vorübergehender taktischer Block mit der „republikanischen“ Rechten porträtiert, um die extreme Rechte draußen zu lassen. Ein massiver Sieg Chiracs wird nicht als Rechtfertigung seiner Präsidentschaft betrachtet, argumentiert sie. Je mehr Stimmen er bekommt, umso lächerlicher wird er dreinschauen, weil viele Stimmen von einer linken Wählerschaft kommen, die kein Vertrauen in ihn hegt.

Die LCR-Position stellt einen himmelschreienden Bruch mit dem Grundprinzip von Marxisten dar, bürgerlichen KandidatInnen niemals Unterstützung zu gewähren - eine von Trotzki mit Bezug auf Deutschland und Frankreich in den 1930er Jahren bekräftigte Haltung, als die Bedrohung durch den Faschismus beträchtlich größer war.

Unser Prinzip besteht darin, die Arbeiterklasse zu bedrängen, sich allein auf ihre unabhängigen Kräfte zu verlassen, sowie auf die im Kampf gewonnenen Verbündeten. Die ArbeiterInnen dürfen niemals der Bourgeoisie ihre Stimmen geben.

Aber müssen wir Le Pen nicht aufhalten? In der Tat, aber dies bedeutet nicht das Gleiche wie zu sagen, wir müssten Chirac helfen, Le Pen zu schlagen, weil jener ein kleineres Übel darstelle. Wir teilen keinen Moment lang die Vorstellung, dass der Faschismus in Frankreich ab dem Augenblick herrscht, wenn Le Pen den Élyséepalast betritt.

Selbst wenn Le Pen aufgrund massiver ungültiger Stimmen oder Enthaltungen seitens der ArbeiterInnen das Präsidialamt erobern sollte, wären seine demokratischen Glaubensbekenntnisse in den Augen der Massen nichtig und er wäre unmittelbares Ziel einer Massenbewegung für seinen Sturz.

Die Alternative der LCR besteht darin, Jacques Chirac ein „republikanisches Mandat“ zum Sieg über den Faschismus zu gewähren und zu hoffen, er werde es nicht zum Angriff auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse nutzen - wenn er eine Parlamentsmehrheit im Juni erringen kann. Tatsächlich ist das gleichsam die Auslieferung eines geladenen Revolvers an deinen gefährlichsten Feind.

Ganz gleich wie schwach und unrechtmäßig Chirac heute erscheint, seine Präsidentschaft wird durch einen großen Wahlsieg bekräftigt sein. Eine Herausforderung an seine Legitimität muss jetzt kommen, während ArbeiterInnen und Jugendliche auf den Straßen mobil machen, nicht etwa später. - Wohl schon. Die LCR ruft auch zu einer solchen Mobilmachung „ab dem darauffolgenden Montag“ auf, aber sie wird aus dem einfachen Grund nicht massiv sein, dass sich die meisten Leute sagen werden: die Krise ist vorüber, wir haben Le Pen gestoppt, geben wir Chirac eine Chance, oder bestenfalls: wählt später die Sozialisten, um ihn mittels einer weiteren „Kohabitation“ zu fesseln.

Wenn es keine Massenbewegung gibt, wird das Endergebnis vor allem eine Stärkung Chiracs und der Rechten sein - einer Rechten, die mehr als bereit sein wird, FN-WählerInnen an sich zu ziehen, indem sie ihre Haltung zu Kriminalität und Einwanderung verhärtet und die daran gehen wird, die Arbeitererrungenschaften zu ruinieren, den Reichen Steuersenkungen zu gewähren, die 35-Stundenwoche zu unterhöhlen oder abzuschaffen usw..

LRKI-GenossInnen in Frankreich traten gegen die „republikanische Front“ und für eine ungültige Stimmabgabe ein. Anders als LO haben wir die Notwendigkeit betont, den Kampf gegen die FN an den Arbeitsplätzen und in Arbeiterdistrikten, auf den Straßen zu führen - der FN gegenüberzutreten, wo immer sie auftaucht.

Das heißt: in Schulen, Universitäten und an Arbeitsplätzen Mobilisierungskomitees gegen die FN zu organisieren, ihre Veranstaltungen zu verhindern suchen, ihren Mitgliedern den Zugang zu Staatseinkommen zu verweigern, sie aus Gewerkschaften und Arbeitsstellen hinauszuwerfen, gegen unterdrückerische Gesetze anzukämpfen, die gegen jugendliche ImmigrantInnen in der zweiten und dritten Generation eingesetzt werden, sowie gegen die Einwanderungsgesetze.

Wir haben auch die Notwendigkeit des Aufbaus einer politischen Alternative zur Gauche Plurielle (der Volksfrontkoalitionsregierung unter Jospin und Vorgängern; die Redaktion), die in diesen Wahlen so diskreditiert worden ist, aufgeworfen. Die Massenmobilisierungen, die Hunderttausende Jugendlicher, die spontan protestierten, sind lebendige Beweise dafür, dass eine solche Alternative möglich ist.

Wir glauben, eine neue revolutionäre Arbeiterpartei ist zwingend notwendig. Immerhin stimmten 12% der Wählerschaft, bevor diese Krise ausbrach, für KandidatInnen, die sich selbst als revolutionär bezeichnen. Die Arbeiterbasis der Kommunistischen Partei und der Sozialistischen Partei ist desillusioniert und verunsichert.

Jetzt ist es Zeit für alle ernsthaften RevolutionärInnen, die Parole für eine solche Partei auszugeben - Massenversammlungen vorzuschlagen, Debatten, um den Kampf darum in Gang zu setzen.

Inmitten dieser Gärung sind wir zuversichtlich, dass ein revolutionäres Programm Massenunterstützung erringen und der Arbeiterbewegung eine neue Richtung vermitteln kann, wenn die ArbeiterInnen, Jugendlichen und ImmigrantInnen die betreffenden Themen ausdiskutieren. Was die Arbeiterklasse nicht braucht, ist die gegenwärtige Politik von LO und LCR - sektiererischen Ökonomismus und opportunistischen Nachtrab hinter verwirrten Stimmungen der Massen.

Sie braucht das weder bei deren Konkurrenz zur Wahl noch bei einer Art schäbigen Kompromiss miteinander. Wir glauben, dass ein wahrhafter, beständiger Bruch mit der Politik der Gauche Plurielle und mit dem Zentrismus der LO und LCR beinhaltet, die Arbeiterklasse um ein revolutionäres Programm und eine disziplinierte, aber demokratische Partei herum zu einen, welche die Klasse sowohl in einen Kampf gegen die FN wie das kapitalistische System, das sie hervorbringt, führen kann.

 

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