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Pakistan

Attentat in Quetta gegen nationale Befreiungsbewegung in Beluschistan

Hassan Raza, Infomail 900, 4. September

Am 8. August tötete ein Selbstmordattentäter mindestens 110 Menschen und verletzte weitere 200 in einem staatlichen Krankenhaus in Quetta, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Belutschistan. Verantwortlich für das Attentat erklärte sich Jaamat-ul-Ahrar (JuA), eine Splittergruppe der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), die wiederum enge Verbindungen zum Islamischen Staat in Syrien (ISIS) unterhält. Das Bombenattentat war ein eindeutig geplanter Angriff auf die Anwaltschaft in Belutschistan, deren Mitglieder aktiv die nationale Befreiungsbewegung  unterstützt und demokratische Rechte verteidigt haben. Viele Anwälte befanden sich zu der Zeit zu Trauerfeierlichkeiten für Bilal Kasi, den Präsidenten der belutschischen Anwaltskammer, der an jenem Morgen ermordet worden war, im Krankenhaus.

Pakistans oberste zivile und militärische Führung haben das Attentat jedoch als Teil eines Versuchs dargestellt, der von den „Feinden des Landes“ verübt worden wäre, um den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) zu sabotieren, der vom Hafen Gwadar durch Belutschistan ins westliche China eingerichtet worden ist. Der Premierminister Nawaz Sharif befahl allen Sicherheitseinrichtungen, mit aller Macht zu reagieren und alle Terroristen zu eliminieren. Er sagte, für ihn bestünde kein Zweifel, dass „die Feinde Pakistans sich gegen den CPEC richten...die pakistanische Armee unter Führung von General Raheel leistet einen lobenswerten Einsatz, um die Sicherheitsgefahr gegen den CPEC zu neutralisieren.“ General Raheel Sharif ist Stabschef der Armee und hat den Geheimdiensten freie Hand bei der Ausschaltung jeder Person gegeben, von der sie glauben, in Verbindung zu dem terroristischen Akt zu stehen.

Belutschistan erlebt seit 1948 die fünfte Militäroperation. Die derzeitige Operation begann 2005. Seither sind etwa 20000 Personen „verschwunden“, die meisten von ihnen waren politisch tätige ArbeiterInnen, StudentInnen und AnwältInnen. Hunderte verstümmelter Leichen wurden aufgefunden, darunter auch ein Massengrab, das ein Schäfer am 25. Januar 2014 in Tutak im Khuzdar-Distrikt entdeckte, worauf die örtlichen Behörden die Leichen bargen. Nach Angaben der „progressiven und nationalistischen” Regierungsvertreter wurden 13 Leichen gefunden, während die Asiatische Menschenrechtskommission 103 geborgene Tote in den Gräbern gezählt hatte. Einheimische sprechen sogar von 169 Leichenfunden und glauben, dass es noch mehr Gräber in der Gegend gibt, doch die Sicherheitskräfte haben die Stellen abgeriegelt und niemandem gestattet, dorthin zu gelangen.

Der Ministerpräsident Belutschistans Sanaullah Zehri und die Minister der Zentralregierung haben sogleich den indischen Geheimdienst RAW bezichtigt, hinter dem Attentat von Quetta zu stecken. In den Medien fand diese offizielle Darstellung Zustimmung. Diese Sicht der Dinge dient dazu, die Unterdrückung der herrschenden pakistanischen Schicht gegenüber der belutschischen Bevölkerung zu rechtfertigen und ihr das Recht auf Selbstbestimmung abzusprechen mit dem Argument, die Befreiungsbewegung Belutschistans sei nur eine Marionette des US-Imperialismus, die mit Hilfe Indiens benutzt wird, um den CPEC zu sabotieren. Damit werde nicht nur Pakistans Wirtschaftsentwicklung beschnitten, sondern auch Chinas Pläne zur Erweiterung seines Wirtschaftsraumes.

Diese Herangehensweise sieht Geschichte als eine lange Reihe von Verschwörungen und unterschlägt unangenehme Tatsachen wie die Entstehung von nationalen Befreiungsbewegungen aus gesellschaftspolitischen Krisen, verschärfter Ausbeutung und Unterdrückung.  Natürlich schalten sich alle imperialistischen Mächte in die innenpolitischen Angelegenheiten anderer Nationen ein. Es besteht auch kein Zweifel, dass die USA und Indien Elemente innerhalb der Bewegung unterstützen, die sie für eigene Zwecke instrumentalisieren wollen, aber dessen ungeachtet kämpft die Gesamtbewegung gegen nationale Unterdrückung, Ausplünderung von Ressourcen, gegen militärische Besatzung und Entwicklungsprojekte, die die Kontrolle Islamabads verstärken.

Der „Krieg gegen den Terror” dient zur Rechtfertigung von Zerstörung und militärischen Operationen in Belutschistan. Demzufolge richteten sich solche Vorgänge gegen die Hochburgen der belutschischen Befreiungsbewegung und nicht gegen die Netzwerke von Lashkar-e-Jhangvi (LeJ), obwohl diese Gruppierung enge Verbindungen zu den Taliban und Al-Qaida hat und an vielen Attacken auf die Hazara-Gemeinschaft, bei denen hunderte Menschen getötet wurden, beteiligt war. In Wahrheit benutzen die Sicherheitsdienste die Islamisten, um die Befreiungsbewegung zu kontrollieren und zu behindern.

Der Staat nutzt das Klima der Angst, um seine Operationen in Belutschistan und anderswo im Land zu rechtfertigen, wird aber nur mehr Hass, Rassismus, Kriegstreiberei säen und letztlich gar den Terrorismus stärken. Zugleich will der Staat die Situation nutzen, um erhöhte Überwachung z. B. mit neuen „Anti-Cyber-Kriminalitäts”-Gesetzen zu rechtfertigen, und die grundlegenden Menschenrechte unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus ausmerzen. Die Gesetze und Reglementierungen werden dann gegen die Befreiungs-, ArbeiterInnen- und Bevölkerungskämpfe wie in Okara, Faisalabad oder Gilgit-Baltistan gerichtet. Wir müssen gegen diese Gesetze kämpfen, weil sie sich gegen demokratische Rechte richten, genau so wie wir gegen militärische Operationen und Rassismus gegen die Afghanen sind.

Imperialistischer Krieg und Militäroperationen erzeugen mehr reaktionäre Kräfte und Brutalität. Das zeigt sich deutlich in Nahost, wo der ISIS entstanden ist. In Pakistan hat es kein Ende des Kriegs gebracht, sondern dessen stetige Ausweitung nun bis in die Städte hinein mit mehr Zerstörung und Chaos. Die Politik der imperialistischen Mächte und des pakistanischen Staats ist klar gescheitert.

Liberale Gruppen und die Linke sind in den letzten beiden Jahren kritischer geworden, stellen sich jedoch immer noch nicht im Grundsatz gegen die Militäroperationen  und imperialistischen Kriege. Revolutionäre SozialistInnen sprechen klar aus, dass der Imperialismus und seine Agenten verantwortlich sind für Krieg und Terrorismus, und als RevolutionärInnen hegen wir auch keinerlei Hoffnung in irgendeine imperialistische Macht oder den Staat. Stattdessen brauchen wir eine massenhafte ArbeiterInnenbewegung gegen den Krieg und die islamistischen Reaktionäre.

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