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Ergebnis der Tarifrunde öffentlicher Dienst bei Bund und Kommunen 2016

Sozialpartnerschaft (noch) nicht aufgekündigt - Kompromiss auf Kosten der Beschäftigten

Helga Müller, Infomail 880, 9. Mai 2016

Das Tarifergebnis, das nach nur 5 Wochen mit zahlreichen Warnstreikwellen bereits in der 3. Verhandlungsrunde zwischen ver.di und den öffentlichem Arbeit„geber“verbänden von Bund und Kommunen erzielt wurde, stellt einen typischen Kompromiss dar, der sich im Rahmen der noch existierenden Sozialpartnerschaft zwischen ver.di und Arbeit„geber“verband bewegt:

Statt der von ver.di geforderten 6 % mehr für die Beschäftigten und 100 Euro mehr für Azubis mit einer Laufzeit von 1 Jahr wurde eine zweistufige Erhöhung von 2,4 % ab 1. März 2016 und von 2,35 % ab 1. Februar 2017 mit einer Laufzeit von 2 Jahren erreicht, immerhin ohne Nullmonate.

Die Azubis erhalten einmal 35,-- und einmal 30,-- mehr und einen Tag mehr Urlaub (jetzt 29 Tage).

Nicht durchsetzen konnte sich ver.di mit der Forderung nach Übernahme der Azubis nach  Abschluss der Ausbildung; die alte Regelung mit einer befristeten Übernahme für ein Jahr und Übernahme erst nach Bedarf und Bewährung der Azubis wurde verlängert.

Nicht durchsetzen konnte sich ver.di mit der Forderung nach einem Ende von sachgrundlosen Befristungen.

Tariflich geregelt

Nach 11 Jahren Verhandlungen – seit Existenz des TVöD – wurde nun auch für den Bereich der Kommunen eine Entgeltordnung festgelegt. Nach übereinstimmenden Angaben von ver.di und VKA (kommunaler Arbeit„geber“verband) sind viele Berufe neu und höher eingruppiert worden. Doch bereits in den ersten Verhandlungen über die neue Entgeltordnung wurde vereinbart, dass die Mehrkosten (nach VKA Angaben 680 Milliarden Euro) paritätisch von kommunalem Arbeit„geber“ und Beschäftigten im öffentlichen Dienst getragen werden sollen! Für die Beschäftigten wird die Jahressonderzahlung 3 Jahre lang eingefroren und anschließend um 4 Prozent gekürzt. Nach Angaben von GE wurde niemand schlechter eingruppiert oder schlechter bezahlt.

Vor allem umstritten war die betriebliche Altersversorgung: Vom kommunalen Arbeit„geber“verband wurde gefordert, die Zusatzversorgung an die demografische Veränderung (die Beschäftigten werden immer älter) und die schlechte Verzinsung der Kapitalerträge anzupassen. Sein Ziel war die Verschlechterung der Leistungen für alle, d.h. eine Kürzung der Rente aus der Zusatzversorgung. Ver.di hatte bereits im Vorfeld gefordert, dass es keine Kürzungen bei der Leistung geben darf, war aber immer dazu bereit, dass die Beschäftigten zumindest bei den Kassen, die einen finanziellen Engpass haben, einen Beitrag zu deren Entlastung leisten könnten – zumal sie dies bereits bei der Zusatzversorgung der Länder vor einem Jahr ausgehandelt haben. Und genau diesen Kompromiss stimmte nun die VKA zu. Es wird jetzt ein Zusatzbeitrag von 0,4 bei einem Teil der Beschäftigten eingeführt – genauso viel sollen die Kommunen aufbringen. Nach Angaben von ver.di sind davon 36 % der Beschäftigten betroffen (Ergebnis zitiert nach FAZ-online vom 30.04.2016). (Aus Verständlichkeitsgründen wurden hier nur die größeren Vereinbarungen aufgelistet, für eine detaillierte Übersicht s. Websites von ver.di und VKA).

Zwar wurde eine Gehaltserhöhung erreicht, die über der eh schon niedrigen Inflationsrate in Deutschland steht, aber sowohl die Höhereingruppierung durch die jetzt erreichte  neue Entgeltordnung als auch der Erhalt der Leistungen aus der Zusatzversorgung werden durch Kürzungen bei den Gehältern erreicht, die durch die Lohnerhöhungen nicht kompensiert werden. Jetzt sei es den RechenkünstlerInnen auf beiden Seiten überlassen, ob die Kürzungen, verrechnet mit den beiden Lohnerhöhungen, einen Reallohnverlust bedeuten oder nicht; klar ist, dass weder ver.di noch die öffentliche Arbeit„geber“ in dieser Tarifrunde einen wirklichen Konflikt gewagt haben.

Lage der Kommunen

Gerade die kommunalen Arbeit„geber“ befinden sich in einer finanziellen Zwangslage: durch die jahrelange Steuerentlastung der großen Unternehmen und der Verschiebung der Aufgaben von Bund zu Kommunen, ohne entsprechend finanziell ausgestattet zu werden, sind sie nicht mehr in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Zusätzlich durch die neue Aufgabe, die Flüchtlinge zu integrieren, eine Aufgabe, die ja hauptsächlich die Kommunen zu bewältigen haben, sind ihre finanziellen Bewegungsspielräume weiter eingeengt.

Gleichzeitig haben die zu erwartenden Steuermehreinnahmen, auf die ver.di in ihren Verlautbarungen immer wieder hingewiesen hatte, ihnen noch einen gewissen Spielraum beschert, den sie offensichtlich dazu nutzen wollten, eine Eskalation mit Durchsetzungsstreiks zu verhindern. Auf der anderen Seite war schon relativ früh erkennbar, dass ver.di diesen Tarifkonflikt nicht wirklich politisieren und länger mit Erzwingungsstreiks führen wollte.

Das zeigt ihre recht flaue Argumentation nach mehr Anerkennung der Arbeit der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der letztendlich der Verteidigung des Standortes Deutschland dienenden Argumentation: durch Kaufkrafterhöhung könnte auch der deutsche Binnenmarkt angeregt werden. Die Frage nach der jahrelangen Steuerumverteilungspolitik zugunsten der Unternehmer und, dass die Lohnabhängigen für die Krise immer mehr zahlen müssen und gleichzeitig die großen Konzerne immer mehr entlastet werden, um ihre Profite im weltweiten Konkurrenzkampf zu sichern, war im Tarifkampf von Seiten ver.dis kaum Thema. Auch die Frage der Integration der Flüchtlinge, die gerade immer wieder von den öffentlichen Arbeit„gebern“ ins Feld geführt wurde als Argument gegen die Gehaltsforderung von ver.di, wurde von Seiten der Gewerkschaft genauso wenig angesprochen.

Ver.di

Offensichtlich war es ver.di wichtiger, die Entgeltordnung und den Erhalt der Leistungen aus der Zusatzversorgung mit allen schon vorher vereinbarten Kompensationsgeschäften für die öffentlichen Arbeit„geberver“bände umzusetzen, als für die Lohnforderung ernsthaft zu kämpfen. Ihr war offenbar wichtiger, eine gewisse Lohnerhöhung durchzusetzen, um ihre Mitgliedschaft einigermaßen zufrieden zu stellen und vor allem den Kommunen nicht zuviel Kosten aufzubürden, was zu einer Konfrontation wie beim letztjährigen ErzieherInnenstreik hätte führen können, die auch außer Kontrolle geraten könnte und auch eine entsprechende politische Auseinandersetzung mit Bundesregierung und kommunalen Arbeit„geber“verbänden nötig gemacht hätte.

Dies macht umso deutlicher, dass es dringlich notwendig, ist, dass die streikenden KollegInnen die Tarifauseinandersetzung unter ihre Kontrolle bekommen müssen und zwar von Anfang an – von der Aufstellung von Forderungen über die Verhandlungen bis hin zur Diskussion und Entscheidung über Kampfmaßnahmen. Dafür sind in den Betrieben und Büros, auf lokaler Ebene Streikkomitees notwendig, auf denen die Beschäftigten über die Vorgehensweise in der Tarifrunde entscheiden.

Nun soll über das Ergebnis in einer Mitgliederbefragung entschieden werden: Eine Mitgliederbefragung ist immer schwierig, da sie ohne organisierte Diskussion abläuft. Versucht, wo es möglich ist, in den Betrieben und Büros Versammlungen zu organisieren, auf denen das Ergebnis diskutiert wird und entscheidet auf diesen Versammlungen gegen die Annahme des Ergebnisses und für die Fortführung der Arbeitskampfes!

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Nr. 209, Mai 2016
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*  Drohende Entlassungen: Schatten der kommenden Krise
*  VW-Krise: Wer wischt den Schmutz weg?
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*  Jugend gegen Rassismus: Wie weiter nach dem Aktionstag?
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